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Frankenberger Erzähler Unterhaltungsbeilage zum Frankenberger Tageblatt Nr. 57 Mittwoch de» 18. Zull «»Ki»»a-i>ec»7j»c>,v7r ouncx vr«i.^o oiie/c« «„»7» Marcus wollte etn (Scherzwort Yinwersen, aber der Aus druck ihres Gesichtes war so leiderfüllt, daß er ihren Arm durch den seinen zog und schweigend neben ihr herschritt, hin über nach der Chaussee, die als gelbes, verstaubtes Band nach der kleinen, weltabgelegenen Stadt führte. »Wie leicht du bist!" Markus Leute hielt die schlanke Ge stalt Rosmaries im Arm, während die Jazzkapelle «inen Foxtrott an den offenen Fenstern des Kaffeehauses spielte. Der Mund des Mädchens war herb geschlossen und seine Hand ruhte ohne Schwer« in der Lentes. „Weißt du noch, unsere erste Tanzstunde damals, als Ober primaner? Du trugst ein fliederfarbenes Kleid mit weißer Perlenstickerei und links am Gürtel ein schmales Seioen- band, das immer um meine Knie flatterte. Sie strahlt« ihn selbstvergessen an. „Wie habe ich gestaunt, als ich dich das erstemal im Smoking sah Dein Haar roch nach Lavendel, und das Seidentuch in der Brusttasche nach einem herben Parfüm Alle Märchen von Tausend und «ine Nacht hast du für mich verkörpert! „Hast du mich damals gern gehabt?" „Sehr gerne, Markus!" „Hnd heute? —" Die Musik endete mit einer unangenehmen Dissonanz. Die Hand Roemaries glitt von der Schulter ihres Partners. „Wenn du noch bleiben willst," sagte sie unvermittelt, „ich muß jetzt gehen. Nein, danke, ich komme auch ohne Beglei tung heim," wehrte sie, als er ihr Tuch vom Stuhl nahm und es über den Arm hing. „Bitte, Markus!" sie suchte vergeblich, es an sich zu nehmen. „Ich habe dir schon einmal gesagt, Rosmarie, ich lasse mich nicht einfach so zur Seite schieben! Was hab« ich denn üb rigens noch verloren hier? Mit anderen rumzutippeln, reist Mich nicht! Er winkte dem Ober und bezahlte, wobei er Ros marie mcht aus den Augen ließ. Einträchtig gingen sie die Straße entlang, nach dem "Bald, in dem es schon merklich dämmerte. Markus war bester Laune, erzählte von seinen Hochschuljahren, und welche Pläne er für die'Zukunft hatte. Zwei Jahre hier, möglich auch rei. Dann wollte er wo andershin, wollte sich vielseitig umtun, nicht immer «in- und dasselbe Steckenpferd reiten. — „Und du, Rosmarie?" „Vorläufig bleibe ich hier." „Und spater?" „Gott, später — das weiß ich selber noch nicht! Ihr Män ner bleibt ja so lange jung Md leistungsfähig Aber wir altern so rasch, trotz Puder, Gesichtsmassage und Lippenstift. Es müßte denn sein, daß man ganz ausgefüllt wird von einer Lebenspflicht, in der unser ganzes Fühlen und Wollen gipfelt." „Und dein« L«benspflicht heißt wohl: Doktor Wolter?" sagte Markus zynisch, während er mit seinem Stock in einem Ameisenhaufen wühlte. „Vielleicht!" „Dann also meinen herzlichsten Glückwunsch, Rosmarie!" „Danke — aber noch ist es nicht so weit." Das Tuch um die Schulter schlingend, sah sie an ihm vorüber. „Hat er dir bereits von seiner Liebe gesprochen?" „Ja!" „Und du erwiderst sie?" Ihre Stimme klang merklich spröde, als sie sprach: „Du mußt mir die Antwort erlassen Ich kann sie mir nur selber aeben. Er wird mir eine Heimat schaffen und ein sorglos friedliches Leben. Ich werde Pflichten haben, die meinen Tag ausfüllen Ich weiß, daß es jemand gibt, dem ich etwas bin und der mich braucht. Mehr kann etn Mädchen in meinen Jahren eigentlich nicht mehr wollen" s „In deinen Jahren," spottet« er gereist. „Als ob du. ! weiß Gott, schon graue Haare hättest Die blonden werden überhaupt nicht grau," letzt« er friedfertiger hinzu. „W>< ich dich vorhin beim Tanzen im Arme hielt, hast du gesagt, du hättest mich einmal sehr gern gehabt. Und jetzt?" Aus ihrem Schreiten wurde säst ein Lausen. Aber er blieb dicht an ihrer Seit«. „Du bleibst mir nun schon das zweitemal die Antwort schuldig, Rosmarie. Sag, daß du mich nicht leiden kannst, dann mach ich einen Meter Distanz zwischen Uns beiden. — Sagst du aber, daß noch ein Restchen Gefühl von damals in dir übrig ist, dann Rosmarie " „Ich hätte nicht mit dir gehen sollen!" bereut« sie. „Das tut mir leid, wenn du das jetzt bedauerst! Uebrigens ist mir das Antwort genug. Ich begleit« dich noch bis an den Waldsaum. Weiter bedarfst du meines Schutzes nicht mehr." Sie senkte nur den Kopf und ging schweigend neben ihm her. Aber ihr Schritt hatte an Elastizität verloren Man hörte, wie ihre Füße schleppten. Einmal nannte sie seinen Namen, aber er vernahm es nicht. Mit der Spitze seine» Stockes hieb er auf die Huflattiche ein, die den Graben säum ten, als wären es Panzer, die «r zersplittern müßt«. Dieser Auspuff seiner Verärgerung gab ihm sein inneres Gleich gewicht teilweise wieder, so daß er sogar noch einig« Worte mit Rosmarie wechseln könnt«. Zwei Minuten Mt«r war der Waldsaum erreicht. Die Tannen waren langgestreckt« Schatten über die Wies«, die in leisem Grillenzirpen sang. „Komm gut nach Hause!" Sie hob den Blick und gleichzeitig die Rechte. Hilflos fiel diese wieder herab. „Gute Nacht, Markus! Auf Wieder sehen!" Es kam keine Antwort. ' Sie hetzte über die Wiese, strauchelte, glitt halb in di« Knie und sah, ehe sie den Park betrat, noch einmal nach ihm hinüber. Aber es war nichts mehr zu entdecken Ich könnt« nicht anders, dachte sie. Er mußte doch einsehen, mußt« «» gefühlt haben, welches Opfer ich ihm brachte. Aber darin hatte sich Rosmarie getäuscht. Mehr als «in« Wucherblume wurde von seinem Stock skalpiert, als er ein« halbe Stunde später langsamen Schrittes ebenfalls die Wies« überquerte. Er glaubte, alles bis ins Letzt« zu begreifen. Daß sie Wolter den Vorzug gab, war schließlich zu verstehen Er war Oberarzt, hatte eine völlig gesicherte Position, und wenn heute der Chef der Anstalt abdankte, nahm er dessen Stelle ein. Sie brauchte sich um nichts zu sorgen und konnte mor gen oder wann es ihr paßte, Frau sein. Wieder fielen di« Wucherblumen, wie von einer Sense hingemäht. Plötzlich rannte ihm eine heiße Lohe die Brust herauf, züngelte am Halse empor und setzte sich in wildem Tob«n an den Schläfen fest. „Du bist Markus Lente!" sagte die fern« Stimme wieder ' Ihm war, als verkling« sie m heiserem Lachen. Er blieb stehen. Hier, nur hier, lag der Kern der Wahr- 1 heitl Zu Hause, da wußte jeder um das furchtbare Erb«, da» über den Lentes lag. — Rosmarie natürlich auch. Und sie war nicht mehr achtzehn Jahre! War fünfund zwanzig und klug und reif geworden! Sie dachte weit«rl Berechnete, was ihrer wartete, wenn sie seine Frau wurde. Kinder, mit der Geißel des Irrsinns geschlagen. Söhne, Töch ter, die ihr Dasein, ähnlich wie Ottmar Lente, hinter kalten Mauern und vergitterten Fenstern stiften mußten! Er biß die Zähne zusammen. Mit blinden Händen griff er ins Gebüsch, das den Park flankiert«. Di« Zweige nah- men ihn in die Arm« und kühlten ihm die brennenden Augen, ihre Kühle mildert« das Toben des Blutes, da» ihm unter der Stirn kreiste. Ueber ihm blitzten jetzt die Lichter des Himmels auf. Der Wind strich ihm über die Wangen ! und machte die Glockenblumen zu seinen Füßen lei» Er zittern. Verfehmt! — Derfehmtl — Vom Schicksal gezeichnet. Ex hatte kein Recht, ein Weib zu freien! Für ihn gab es nur eines: Die Pflicht, zu entsagen, damit keine Frau teilhatt« ! an dem Fluch, der über seinem Leben stand. ! Er schleppte an der Kette seiner Ahnen wie ein Sträf- ! lina, der zeitlebens an eine Galeere geschmiedet war. 1 Mit eineM-Aechzen schob er sich aus dem Buschwerk, schlich