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1 Lssrsis s Zwei Tags später traf Frau Gertraud den Enkel, wie er Blumen von den Rabatten des Gartens schnitt und Kränze daraus wand. „Für wen?" fragt« sie lächelnd. „Für den Faun dort!" Er zeigte nach der Nische, in der die Steinfigur stand. „Er ist so nackt! Findest du nicht auch? Ich will ihm ein Kleid machen, so lange es Blumen gibt. Im Winter fällt dann der Schn« darauf, La sieht man nicht mehr, Latz er jo blaß W." er noch einmal nach dem Hach« zurück, schrak zusammen und drückt« di« Tür ins Schloß, die mit Hellem Kreischen eichprang. Äus einem Fechter des Erdgeschosses kam gedämpftes Licht. Ein« Gestalt trat hinter die Scheiben und ließ die Vorhänge überernanderfluten. Der Schatten Gertrauds prägte sich scharf umrissen dahinter ab. „Ist Nachricht von meinem Manne eing«trchf«n?" Vor sichtig, um das Kind nicht zu wecken, richtete sich Sabine in den Kissen auf. „Du mußt dich gedulden, Kind! Die Abendzeitungen mel den, daß es den Schiffen nicht möglich sei, die Häfen anzu laufen. Viele sind überhaupt nicht ausgefahren. So bleibt auch di« Post zurück. Auf diese Weise ist auch sein Schweigen erklärlich." „Wie Haft du mich beruhigt, Mutter." Sabine seufzte er leichtert aus. Einmal mußten auch die Stürme wieder schwei gen und die Schiffe wieder ihr« Bahn ziehen können, und dann würde er kommen, und sie vermochte ihm nichts Ge ringeres in die Arme zu legen, als den Erben, den er sich bei seinem Fortgang von ihr erbeten hatte. Er war nicht sanft und zärtlich, wie Sabine es gehofft hatte. Aber gut und stark. Er liebt« die Tiere und die Blumen, Musik und Farben. Er haßte aber auch Lärm und wilde Spiele nicht. Des Abends kam der Knabe oft mit nmnden Knien, über welche die Mutter Arnika träufelte und mild« Salben strich. Die Träume seiner Nächte waren von grundloser Tiefe. Er wußte am Morgen nicht mehr, was er im Schlaf« geschaut halt«. Die Sehergabe der Mutter besaß er nicht. Frau Gertraud, seine Großmutter, atmete auf. Es schien so vieles, das sie befürcht^ hatte, nicht einzutreffen. Er war ein Junge, wie all« anderen, tollte mit den Ka meraden über Hof und Speicher hinweg, lernte schwimmen, ohne daß jemand darum wußte und den Kreisel schwingen, daß die Fenster d«r Nachbarschaft in tausend Splitter gingen. Er fuhr lieber in einem großen Bottich über den Strom» als tm sicheren Kahn und konnte auf Hechte und Schleien angeln, bis die Kälte der Nacht ihm di« Finger ungelenkig machte. Mit keinem Gedanken konnte er sich der Zeit erinnern, da die Mutter in schwarzen Kleidern gegangen war, und ihr Weinen und Klagen das ganze Haus erfüllt«. Und Groß mutters Scheitel war immer weiß gewesen. Der Knabe hatte c? ihn nicht anders gekannt. So wuchs er zwischen beiden Frauen heran, wie ein Kirschbaum zwischen zwei schweig samen Zypressen. Di« Schul« war ihm ein Spiel. In den Kontoren des großen Betriebes tauchte er bald hier, bald dort auf, und jeder liebte ihn. Niemand beobachtete etwas Außergewöhn liches an seinem Gebaren. Da geschah es, daß Großmutter Lente ihm einen Geldschein in die Hand legte, damit er etwas für sie besorge Ekel erfüllt ließen ihn seine Finger zu Boden gleiten. „Ich will ihn nicht haben! Es klebt Schmutz daran! Wasche ihn erst, dann will ich gehen und dir holen, was du benötigst." Ein unsagbarer Schrecken durchfuhr die alte Frau. Sie be kam ein angstvolles Zittern um Mund und Augen. „Geld ist nun einmal nicht so rein, wie wir es gerne haben möchten," sagte sie vorwurfsvoll. Mit fragendem Blick sah er zu ihr auf. „Ist alles Geld schmutzig, Großmutter?" „Fast alles! Es geht durch zu viele Hände, mein Kind." „Und dein Geld, Großmutter?" „Das kommt auch von den anderen und geht wieder zu thn«n und so fort und " Er schüttelte sich vor Ekel. „Dann will ich nie mehr etwas mit Geld zu tun haben! Nie mehr!" rief er und brach in Weinen aus. Es nützte nichts, was man ihm auch zur Belehrung sagte. Er lief, um sich die Hände zu waschen und kam nicht mehr zurück. Frau Gertraud aber saß verzweifelt in dem großen Lehn stuhl am Fenster und sah nach dem Bilde des toten Sohnes, das in schwerem, kostbarem Rahmen über dem Sofa hing. — Es wiederholte sich alles im Leben! „Stört dich das?" fragte Großmutter Lente und trug eine stumme Verzweiflung in den tiefliegenden Augen. „Ja, es stört mich!" „Kannst du mir sagen warum?" „Das kann ich nicht! Aber weshalb siehst du mich denn so böse an? Du bist doch auch nicht unbekleidet, und auch di« Mutter nicht! Willst du mir helfen, den Kranz um den Faun zu schlingen? Ich muß sonst eine Leiter holen." Und Frau Gertraud half dem Enkel, das Gewinde um die Zteinfigur zu schlingen, damit er deren Nacktheit verdeckte... An diesem Abend geschah es, daß sie sich, angetan mit chwarzem Hut und Mantel, aus dem Hause schlich und durch die Gassen der Stadt einem Hause zustrebte, das weit draußen vor den Toren in der Mitte eines großen Gartens lag. Ein verrosteter Klingelzug lief vom Zaun nach dem Ein gang hin. Zweimal mußten ihr« Finger den hölzernen Griff in Bewegung setzen, bis drinnen eine Schelle anschlug. Aber es rührte sich nichts, als wär« kein Leben in den grauen Mauern. Gertraud Lente horchte und legte das Gesicht gegen den Pfosten, der die Gartentür trug. Feiner süßer Duft letzter Reseden, mit dem von Heliotrop vermengt, strömt« aus den verwilderten Beeten, Und wieder riß ihre Hand die Klingel aus ihrem stumpfen Dösen. Diesmal kreischte nach wenigen Minuten ein Schlüssel. Gichtverkrüppelte Finger schoben den schweren Riegel zurück. „Guten Abend, Christine!" Zwei halberloschene Augen suchten in denen Frau Ger trauds. „Ich hätte Sie beinah« nicht erkannt, Frau Lente, so lange ist es her, daß Sie nicht mehr bei uns gewesen sind." „Es ist doch alles wie sonst?" „Alles wie sonst, ja! — Wünschen Sie ihn zu sehen?" „Wenn er ein« klare Stunde hat, möchte ich wohl gern« mit ihm sprechen." , Ein Schatten huschte über das verrunzelte Gesicht. „Klare Stunden hat er nur mehr sehr wenig«. Aber er poltert und lärmt auch längst nicht mehr. Warum kommen Sie so selten heraus, Frau Lente?" Die darauf gemurmelt« Entschuldigung war kaum ver nehmbar. Auch die Magd schwieg. Warum sollte das, was ein ganzes Leben gedauert hatte, nun plötzlich anders wer den? Alan war zusammen alt und grau geworden und wußte alles voneinander «— Alles! Die schwere, eichene Haustür schloß sich hinter den beiden Frauen in lautlos gehenden Angeln. Vom ersten Absatz der Treppe rief «ine Stimme «ine Frag« in das Dunkel. Frau Gertraud ging ohne Zögern den Stufen zu und sah in einigen Metern Abstand einen Mann, Anfang der Dreißi ger, auf sich herabsehen. „Du wirst fallen, wenn du dich so weit vornüberbeugst," warnte ihre Stimme. Ein weißes, leidverzerrtes Gesicht wandte sich ihr zu. „Guten Abend, Mutter!" Die alte Magd hielt den Arm weit ausgestreckt, denn Frau Gertraud war gestrauchelt. Aber der junge Mann war rascher gewesen und hatte ihre Hand gefaßt. Er gab sie erst frei, als Frau Lente auf der letzten Stufe stand. Christine öffnete eines der Zimmer und ließ Mutter und. Sohn eintreten. Geräuschlos drückte sie di« Tür hinter den beiden zu. „Wie geht es dir, Mutter?" — Die junge Stimme klang jetzt weniger heiser, und die tiefblauen Augen blieben fragend an denen der alten Dam« hängen. „Es ist alles in Ordnung, Ottmar " „Warum kommst du nicht öfter?" klagte er. „Ich bin hier eingeschlossen wie ein Toter. Christine ist die einzige, die ich zu sehen bekomme. Du hast mir einmal versprochen, daß du den Kleinen mitbringen willst Er ist noch nie bei mir ge wesen. — Ist es ein gutes Kind?" „Ein gutes Kind!" bestätigte Gertraud Lente. „Ist es auch gesund?" „Vollkommen gesund!" Ihre Stimme zitterte, als sie das sagte. Er horchte mit verdoppeltem Ohr und neigte sich weit über den Tisch, nach der anderen Seite, wo sie saß. „Es ist schreck lich —!" Er bemerkte ihr Erbleichen und schwieg den Satz zu Ende. „Manchmal grüble ich darüber nach, warum gerade ich von dem entsetzlichen Erbe der Lentes betroffen wurde. Markus schlägt wohl in deine Familie?" Sie legte den Kopf in bleierner Müdigkeit gegen die ge polsterte Lehne und ließ den Blick auf dem Sohne ruhen. „Du brauchst deinen Bruder nicht mehr zu beneiden!. Er ist tot!" Ottmar sah mit einer ungläubigen Starke in den Pupillen nach ihr hin. „Seit wann?" „Als der Klein« geboren wurde. Er hat Las Kind nicht mehr gesehen."