Volltext Seite (XML)
,ZLr nichts mchr, aber Sh sage: Allf Wieder sehen, gnädiges Fräulein? Wollen Sie mir übrigens nicht Ihren Ramen verraten, damit ich doch weiß, mit wem meine Gedanken sich beschäftigen?" Sylvia zögerte ein wenig. Dann aber sagte sie doch: „Ich heiße Sylvia Frankenstein —" Und flüchtig wie ei« Reh eilte sie den Berg hinab. Er blickte ihr nach, bis ihr Gewand im Schatten der Tannen verschwand. Welch süßes, liebreizendes Wesen! dachte er. Dann warf er einen spitzbübischen Blick nach der Garten mauer. „Liebe Mauer, du bist zwar ganz und gar keine bequrme Liebesleiter, aber ich fürchte, du wirst mir sehr zum Schaden meiner Beinkleider und — goldenen Freiheit noch recht oft als solche dienen müssen. Denn mir scheint, das wird eine ganz ernste Sache." K. Frau Helleport lag noch in ihrem Bett und horchte hinaus in den warmen Frühlingstag, den weder die dicht geschlossenen Läden noch die schweren herab- gelassenen Samtvorhänge ganz von ihrem Bewußtsein fernhalten konnten. Hie und da gab es in den hölzernen Läden doch ein haarfeines Ritzchen, durch das Licht ein- dranL Früher war all das unbemerkt an Frau Helleport vorübergegangen, denn sie hatte tief und ruhig ge schlafen, brs Frau Gröger sie abends weckte. Aber seit einiger Zeit schlief sie unruhig und konnte ost stundenlang nicht wieder einschlafen. Und in diesen Stunden spann eben das Leben draußen gegen ihren Willen feine Fäden in ihre Ge danken. Und diese Gedanken zauberten ihr Bilder vor, die sie sich viele Jahre lang Mühe gegeben hatte, zu be graben. — Das machte alles der Vogelsang, der sich so wunder sam um eine süße, unvergeßliche Melodie rankte. — Nie zuvor war dies der Fall gewesen. Ein fremder Vogel mußte dieses Jahr im Garten nisten. — Die alternde Frau richtete sich horchend im Bett auf. Da — ja, da war es wieder! Nur ab und zu ein paar verwehte Töne, wie der Wind sie von irgendwo hertrug. Oder war es am Ende gar kein Vogel, sondern ein Mensch, der in einem der Nachbargärten sang? Aber nein, das hätte man unmöglich hören können! Dazu war der Lindenhofer Park viel zu groß. Man hatte ja bisher auch nie das leiseste Geräusch aus der Nachbarschaft gehört — gottlob? Aber dann —? Wer konnte —? Plötzlich fuhr es ihr heiß zu Kopf. Ganz deutlich meinte sie nun gehört zu haben, daß es keine Vogel-, sondern eine Menschenstimme war, die sang. Sie glaubte logar die Melodie zu unterscheiden. — Diesmal war es Schuberts „Ich hört ein Bächlein rauschen". — Zugleich wurde ihr blitzartig klar, wer allein dieser fremde Vogel sein könne, der es wagte, die Grabesstille des Lindenhofes durch Gesänge zu stören. Keine andere natürlich als das Schoßkind der Gröger — die neue Stütze. Es war unerhört. Dieser Person also ver dankte sie ihre schlaflosen Nächte! Frau Gröger lag im süßesten ersten Schlummer, als plötzlich das Läutewerk, das- ihr und Frau Helleports Schlafzimmer verband, sie unsanft weckte. Erschrocken sprang sie auf. Es kam fast nie vor, das dir Herrin um diese Zeit die Klingel in Bewegung setzte. Auch wenn sie selbst nicht schlafen konnte, respek tierte sie stets den Schlaf ihrer Untergebenen und nm zweimal hatte sie im Laufe von zehn Jahren sie während der Schlafenszeit durch die Klingel zu sich gerufen. Zn fliegender Hast warf sie die Kleider über. Dabei kreuzten unruhige Gedanken ihren Kopf, vor allem: was geschah mit dem Riesenbefitz, der in seiner Gesamt heit viele Millionen betragen mußte? Hatte Frau Helleport je daran gedacht, Verfügun gen darüber M treffen? Hatte sie den Leuten, die ihr fast alle ein Menschenalter treu gedient, auch weiterhin eine Existenzmöglichkeit gesichert? Sie hatte nie das kleinste Wart darüber verloren, und nie war ein Notar ins Haus gekommen. Frau Erö- ger wußte nur, daß ihrs üttrür jade Nrrbinduua ryren ergenttMen Verwaisten obgÄrochen hatte und heute nur Bela Latzwitz ihr Ohr besaß. Ob amh ihr Vertrauen, wagte Fra« Gröger nicht zu «Scheiden. Inzwischen eilte sie schon hinüber noch dem Zimmer 8er H«rirr. Frau Helleport saß aufrechL im Bett, zwei rote Flecken auf den sonst so bleichen Wangen, die Augen funkelnd auf die Eintretende haftend. Frau Gröger atmete auf. Diese Zeichen kannte sie. Es war also nicht Krankheit, sondern Zorn, was die Klingel in Bewegung gesetzt hatte. „Gnädige Frau —", begann sie in schüchtern fragen dem Ton, aber Frau Helleport unterbrach sie sogleich heftig: „Jawohl, sieh mich nur so unschuldig an? Hörst du den Spektakel? Seit Tagen kann ich nun nicht schlafen deshalb! Und das verdanke ich allein deiner Eigen mächtigkeit! Aber ich habe es ja gleich gewußt, daß es nur Widerwärtigkeiten geben würde durch diese Per son —l" und da Frau Gröger sie nur verständnislos ansah, weil sie nicht begriff, worauf dieses Donnerwetter hinzielte, fuhr sie ungeduldig fort: „Was siehst du mich denn so albern an, als hörtest du nichts? Du mußt doch so gut wie ich vernehmen, was deine famose Stütze, die du nie genug loben kannst, für einen Lärm macht, wäh rend sie doch wissen muß, daß ich um diese Zeit schlafen will?" Die Gröger schüttelte dm Kopf. „Aber ich höre wirklich nichts, gnädige Frau!" „Dann kannst du dir etwas eiubilden auf dein Ge hör! Oeffne ein Fenster!" „Gnädige Frau werden ganz aus dem Schlaf kommen." „Das bin ich ohnehin schon! Oeffne ein Fenster, sag ich dir? Ich will, daß du es selbst hörst." Schweigend gehorchte die Gröger. Und nun begab sich, was seit Jahren nicht der Fall gewesen: eine Flut von Licht und Sonne drang in das bisher stets im Dun keln gehaltene Gemach, erfüllte es mit linder Wärme und einem würzigen Duft von Veilchen, treibenden Pfanzen- und Nadelbäumen. Das Summen der Bienen, die um blühende Obstbäume schwärmten, und viel stimmiger Vogelgesang drang herein, und mitten darin — nun hörte es die erschrockene Gröger allerdings auch — eine süße klare Mädchenstimme Sie wollte ein paar Entschuldigungen stammeln, aber Frau Helleport unterbrach sie ungeduldig: „Schließe die Fenster und dann geh und stell' den Unfug ab! Wenn ich sie noch einmal singen höre, dann muß die Person aus dem Haus! Du weißt ganz gut, daß von allen Geräuschen dieser Welt mir Gesang am unerträg lichsten ist!" .Ja, das wußte die Gröger — und wußte auch warum. Schweigend schloß sie die Läden, das Fenster und die dichten Samtvorhänge. Wie abgeschnitten war der tolle Frühlingsspuk. To tenstille herrschte wieder in dem Gemach, das sich gleich einem Grab abgeschlossen hatte. Nur die Herrin dieses künstlichen Grabes konnte noch immer nicht zur Ruhe kommen. Schwer atmend, mit geschlossenen Augen, lag sie auf ihrem Lager und sah noch immer gleich einer Vision die Herrlichkeit der Eotteswelt draußen, vor der sie sich seit Jahrzehnten so ängstlich verkroch. Und viel lauter als zuvor die Mädchenstimme schlug das Lied des Le bens an ihr Ohr, flutete wie eine warme Welle an den starren Eisblock in ihrer Brust und rüttelte daran. Und sie haßte die ihr unbekannte Sylvia, die schuld an all diesen Aufregungen war, und empfand daneben doch heimlich eine leise Neugier nach der Trägerin der süßen Stimme, die ihr noch jetzt in der Erinnerung seltsam zu Herzen drang. — 11. Eines Nachmittags, als Sylvia eben aus der Gärt nerei, wo sie Blumen zum Schmuck der Abendtafel ge holt hatte, ins Haus zurückwollte, sah sie zu ihrem Er staunen eben ein Auto an der Haustür vorfahren,