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Frankenberger Erzähler Unterhaltungsbeilage zn« Frankenberger Tageblatt Ar. 8 Domerstag dm 18. Januar IM ckurck» 6- ^ckieru»«u» Rosuw-eittrsle Ststtgsit Nachdruck verboten. Me vier DLen des Nmüxrlschsn Nachlasses — die Hofrätin Baumeister, ihre zwei Brüder und ihre Kusine, Oberfinanzrätin Gondulak — berieten mm schon seit einer Stunde, ohne daß sie einig werden konnten, was mit Sylvia Frankenstein geschehen sollte. Eigentlich ging fie ja diese Beigabe zar Erbschaft nicht das mindeste an, da Sylvia bloß Karl Theodor und Berta Randals Pflegetochter, aber in keiner Weise mit ihnen verwandt war. Wenn man fie bisher liebevoll als Famllieu- rrichtchen behandelt und die Hofrätin fie im ersten Schreck über der armen Berta Tod sogar zu sich ins Haus ge nommen hatte, so war das, wie sie nachträglich einsah, recht unvorsichtig und überstürzt gewesen. Man konnte es nur damit entschuldigen, daß Kaft Theodor eben stets der Stolz der gesamten Familie gewesen war und die Erimrerung an ihn dabei mitge sprochen hatte. Karl Theodor, der geniale Musiker und Komponist und Wagner-Sänger, der seinen Namen mit goldenen Lettern ins Buch der Unsterblichkeit geschrieben, war eben eine ganz außergewöhnliche Persönlichkeit gewesen. In einer Künstlerlaune hatte er einmal von einer Schweizer Konzertreise Sylvia als ganz kleines Mäd chen mit beimgebracht — bloß durch den Liebreiz und die Schönheit des Kindes bestochen und weil es keinerlei ! Verwandte besaß, also ins Waisenhaus gekommen wäre. Seine eigene Ehe war aber nie mit Kindern geseg net gewesen und seine Frau damals bereits tot. Er und Berta, die, verwitwet, dem Bruder den Haushalt führte, waren dann ganz vernarrt in das Kind gewesen und hatten es verwöhnt, wie die Ver wandtschaft fand. Gewiß hätten fie in ihrer übertriebenen Liebe Sylvia auch zur Erbin des sehr bedeutenden Randal- schen Vermögens gemacht, wenn das Schicksal fie daran nicht gehindert hätte. Karl Theodor wurde nämlich vor Jahresfrist auf der Heimfahrt von einem Konzert jäh vom Schlage j getroffen, und nun war Berta nach kaum dreitägiger Krankheit an einer Lungenentzündung plötzlich ge storben. Beide hatten wohl nicht daran gedacht, ein Testament j zu machen, wenigstens fand sich keines vor, weshalb die gesetzliche Erbfolge in Kraft trat. Darnach fiel alles an die Hofrätin Baumeister und ihre Brüder, den Gym- »asialprofessor und den Geometer Siebert, sowie an die VLerfinanzrätin Gondulak. Und was sollte nun mit Sylvia geschehen? Die Hofrätin hatte über die Frage bereits mehrere schlaflose Nächte gehabt. Endlich kam fie auf den Einfall, einen „Familien- mt" einzuberufen, und so lud sie eines Sonntag- rachmittaas die anderen Miterben zvm Tee zu sich. Nur fie Miterben. Den« die übrige Verwandtschaft ging die srage nichts an. Ihre Jungfer dektte mit gewohnter Zierlichkeit den keetisch. Sylvia erfüllte de« Verwandten gegenüber die WMM-r HaMMsr. Bruder eine« Indes der versend, hinzu, den Kopf. nachher, als die Beratung begann, wurde fie natür lich hinausgeschickt. Professor Siebert eröffnete die Sitzung mit de« Worten: »Ja, also ich finde, die Sache ist ganz einfach. Du, Nebe Olga,, lebst allein, hast eine große Wohnung unt bist pekuniär am besten von uns allen gestellt —. D« kannst das Mädel doch am leichtesten zu dir nehmen! Es ist sozusagen das Naturgesetz, weil es das Vernünf tigste wärel'^ Frau Olga hatte das erwartet. Indes dachte fie gai nicht daran, ihr schönes geruhsames Altweiberleben mb der Sorge für ein junges Mädchen, das sie eigentliä „gar nichts anging-, zu belasten. Zwei rote Flecke« erschienen auf ihren Wangen. „Entschuldige — aber wie käme gerade ich dazu, fid Sylvia zu sorgen? Ihr alle kennt meine Lebensweise: Ich habe drei Abende in der Woche mit Tarockpartie» besetzt, Donnerstag meinen Empfangsabend, Dienstaz mrd Samstag kommt Professor Walldorf zum Tee, we wir uns über Kunst und Aesthetik unterhalten, uni Sonntag bin ich seit Jahres bei Professor Forsters. Di« Vormittage gehören meiner literarischen Tätigkeit, di« Mittage bis fünf Ahr den Vereinen, in denen ich mich retätige — wo sollte ich da «och Zeit hersechmen für ei« junges Mädchen?" „Sie kann dir ja Arbeiten im Haushalt abnehmen." „Dafür habe ich Betty, meine Jungfer, die schon phn Jahre bei mir ist." „Damen in deinem After nehmen sich sonst gern ein« junge Gesellschafterin. Es frischt aus und man kann allerlei auf sie überwälzen: Korrespondenz, Gange, vereinsarbeiten —" „Danke! Dafür fühle ich mich geistig selbst «och viÄ M jung, körperlich zu leistungsfähig. Sch bitte, mich «rnz auszuschalten. Wenn ich es irgendwie mit meinem Interesse hätte vereinen können, Sylvur bei mir zu be halten, würde ich ja gewiß keine« Familienrat vor- aeschlage« haben! Aichers liege« die Dinge bei dir, lieb« Jetti," wandte sie sich sehr freundlich an ihre Kusine. Wer tue Finanzrätin Goudulak fiel ihr gleich ins Wort. „Was du nicht willst, das man dir tu, das fllg auch keinem andern zu, meine beste Olga! Du weißt, wie oft ich mit der Gicht M tun habe, tagelang im Bett liegen und wochenlang Kuren nachher gebrauchen muß. Außerdem esse ich samt meiner Hausmamsell aus der Gaüüche. Was sollte ich da mit Sylvia anfangen? Sie ist ja eiu nettes, liebes Mädchen, aber von mir kann niemand verlange, daß ich — gerade ich — für sie sor gen soll!" „Na, ja," meinte die Hofrätin gedehnt, „damit find wir aber wieder bei der Anfangsfrage: wohin mit ihr?" Sie sah ihren älteren Bruder ermunternd an. „Jch»habe mir im stillen gedacht, bei dir wäre fie am besten aufgehoben. Erstens hast du ohnehin schon zwei Töchter im Haus, zweitens ist deine Frau Malwine doch von schwacher Gesundheit, und eine gelegentliche Ent lastung täte ihr ganz gut." „Ausgeschlossen! Durchaus ausgeschlossen!" ant wortete der Professor, seine blanken Brillengläser auf die Schwester richtend, kühl. „Wir haben ein« viel zu beschränkte Wohnung und viel zu beschränkte Mittel, um an eine« derartigen Zuwachs denke« zu können. Eher könnte vielleicht Karl —?" fügte er, zögernd dem