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Nr. 174 (R. 94). Leipzig, Sonnabend den 28. Juli 1928. 95. Jahrgang. RLÄMwueller TA Entscheidungen höherer Gerichte. Berichtet und besprochen von vr. Alexander El st er. (Zuletzt Bbl. Nr. 124.) Satire und ihre Grenzen. Satire und Karikatur sind schöpferische Anlehnungen an Fremdes, mit dem Zweck, es kritisch zu behandeln und wohl auch ein wenig lächerlich zu machen. Die rechtliche Behandlung ist mithin schwierig: einerseits liegt in der Satire und der Karika tur — ersteres gebraucht man mehr für Wortkunst, letzteres für Bildkunst — eine Kritik, die man grundsätzlich nicht beeinträch tigen will, und ein geistig-künstlerisches Schassen, das sogar ein Schutzrecht sür sich beansprucht; aber andererseits schafft dieses satirische und karikierende Schreiben und Bilden in starker Ab hängigkeit von dem Geistesgut oder Persönlichkeitsgut, das es lächerlich machen will. Also es liegt ein gewisses billiges Bla mieren darin und grenzt mithin auch leicht an Beleidigen, sobald die Grenze des Taktes und der Kunst ein wenig überschritten wird. Diese Grenze grundsätzlich oder auch nur für den speziellen Fall fcstzustcllen, ist gar nicht leicht. Es liegen heute interessan terweise zwei neuere RG.-Entscheidungen vor, die sich mit diesem Problem befassen, eine zivilrechtliche und eine strafrechtliche Entscheidung. Die zivilrechtliche Entscheidung (Markenschutz u. Wettbewerb Juni 1928, S. 345) vom 13. März 1928 (II. Zi».- Senat) betraf einen Prozeß zwischen einer Buchge meinschaft und einem großen Leipziger Ver leger. Letzterer hat in einer bei ihm erscheinenden Zeitschrift einen satirischen Artikel über die Vertriebzart der Buchgemein schaften veröffentlicht, in welchem in der Form eines Zwiege sprächs scharfe Kritik an der Lesestoff-Versorgung durch die Buch gemeinschaften geübt wird, mit Bezeichnungen wie diesen: »als geistige Konservenbüchsen monatlich ein Buch», °»an der Ecke wohnt ein anständiger Buchhändler«, »volksküchenmäßiger» Ver trieb u. dgl. mehr. Die Buchgemeinschaft klagte unter Berufung aus tz 826 BGB. und Z 1 Unl. Wettbew.gesetz, also unter dem Gesichtspunkt einer den Gegner schädigenden unerlaubten Wett bewerbshandlung. Das Reichsgericht gab der Buchgemeinschaft recht und verurteilte den Verlag. Es führte in den Gründen der Entscheidung u. a. folgendes aus: »Unstreitig ist die Abhandlung zum Zwecke des Wettbewerbs veröffentlicht und verbreitet . . . Das Recht jedes Gewerbetrei benden, Kunden zu gewinnen, die bisher von anderer Seite be zogen haben, darf nicht mit Wettbewerbsmitteln ausgeübt werden, die aus dem Rahmen eines ordnungsmäßigen »lauteren» Wett bewerbs heraussallen. Der Berusungsrichter hält das von den Beklagten angewandte Wettbewerbsmittel deshalb nicht für lau ter, weil die im Tatbestände angeführten Grenzen einer an sich erlaubten Satire nach den Anschauungen billig und gerecht den kender Händler und Verbraucher überschritten worden seien . . . In den Worten des Schlußsatzes liege die Aufforderung an die Abonnenten der Buchgemeinschaften, sich von diesen loszulösen und ihren Buchbedarf bei dem gewöhnlichen Buchhandel zu decken. Diese Äußerungen widersprächen in ihrem Zusammen treffen dem Anstandsgefühle aller billig und gerecht Empfinden den ... Es handele sich nicht um sachliche Kritik, sondern um unsachliche Beschimpfung, also um kein im Wettbewerb erlaubtes Werbemittel. Die im Schlußsatz enthaltene Warnung, die Buch gemeinschaften zu meiden, gehe in dieser Verallgemeinerung weit über die den Beklagten zu verstattende Werbetätigkeit hinaus». Diese Sätze des Berufungsgerichts macht sich das Reichsgericht zu eigen und findet auch infolge einer unrichtigen Angabe außer dem einen Verstoß gegen K 14 Unl. Wettb.gesetz. Die Frage, ob der bekämpfende Aufsatz dadurch sich rechtfertigen lasse, daß er seinerseits einem unlauteren Weitbewerbsgebaren der Buchge meinschaft hätte entgegentreten müssen, wird vom Gericht ver neint. Es wird vom Gericht zwar nicht verneint, daß ein berech tigtes Interesse des Verlags Vorgelegen habe, auf die kulturelle Gefahr der Buchgemeinschaften, die die freie und selbständige Wahl der Bücher durch die Käufer ausschließe, aufmerksam zu machen; aber »gerade die grotesken Übertreibungen und die ab sprechend geringschätzige Kritik« seien hier das Unerlaubte; die Satire ist es also, die in dieser Form vom Reichsgericht ver urteilt wird. »Auch wenn man in kultureller und wirtschastlicher Beziehung die Buchgemeinschasten nicht für eine wünschenswerte Erscheinungsform ansieht, so darf angesichts der Tatsache, daß sie den billigen Bezug von Klassikern in guter Ausstattung er möglichen, ihre Tätigkeit nicht in den Augen anderer derartig herabgesetzt werden, daß man sie in Gegensatz zum anständigen Buchhändler bringt.« Wie heikel das Kapitel der Buchgemeinschasten ist, ergibt sich wiederum aus dieser Entscheidung. Nach den Grundsätzen der Auslegung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb wird man die Entscheidung insofern als richtig anzusehen haben, als die Anprangerung eines bestimmten Wettbewerbers in allen Fällen als wettbewerblich sittenwidrig bezeichnet wird, sofern die vorgebrachten Tatsachen nicht erweislich wahr sind. Hier liegt der springende Punkt. Das Gericht hat ihn nicht übersehen, hat sich aber — teilweise im Gegensatz zu der Entscheidung vom 16. Juni 1927 (Buchgemeinschaft gegen Börsenverein) — auf den keineswegs überzeugenden Standpunkt gestellt, daß »in der Tat sache, daß die Klägerin sich eine Buchgemeinschaft nenne und ihre Abonnenten als Mitglieder bezeichne, kein unlauterer Wett bewerb zu erblicken sei, weil nicht nur aus dem ihrer Firma zu gefügten Zusatze G. m. b. H., sondern auch aus ihren eine erschöp fende Aufklärung über die mit dem Beitritt verbundenen Rechte und Pflichten ihrer sogenannten Mitglieder enthaltenden Werbe schriften klar hervorgehe, daß es sich bei ihr nur um ein kauf männisches Unternehmen handle, und daß der Beitritt nur das Recht und die Pflicht zur regelmäßigen Abnahme von Büchern gegen ein von vornherein bestimmtes Entgelt gewähre». Man sieht also, daß weniger die Frage der -Satire- und der hier und da etwas zu starken Ausdrücke als vielmehr die Wahr haftigkeit der wettbewerblichen Manipulationen und ihrer Be zeichnungen (Mitgliedschaft!) in Frage steht, und daß man mithin auch zu einem anderen Ergebnis in der BeurteilungdiesesRechtssalleshättekommen können, wenn man nämlich die Buchgemein schaft als den sachlichen Angreifer und den be treffenden VerlagalsdenberechtigtenAbweh- rer betrachtet, dem dann eine Entgleisung im Wortlaut eher nach gesehen werden konnte. Immerhin ist es diese Entgleisung, die äußerlich rechtlich gesehen die Entscheidung nach den Grundsätzen des Unl. Wettb.ges. trägt. 857