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5816 Börsenblatt s. b. Dtschn. Dnchhandtt. Fertige Bücher. .sL 251, 5. Oktober 1915. Maarten-Maartens 's Dr. Max Strauß (Worms) schreibt in der Frankfurter Zeitung: /^till, wie er gelebt, ist einer der Großen im Reiche der Poesie geschieden; die meisten deutschen Zeitungen, die im Gegensatz zu den holländischen, englischen und amerikanischen so selten den Namen Maartcns nannten, haben nicht einmal die Nach richt seines Todes gebracht, und es kann auch nicht zur Entschuldigung dienen, daß das große Wellringen und die atemlose Spannung, in der uns der Krieg hält, die Ursache des Schweigens sei. Der Dichter, den das Ausland seit langen Jahren liebt und schätzt, der Ehrendoktor so vieler ausländischen Llni- versitätcn, das Ehrenmitglied des Athenäums, des Garrickklubs und anderer gelehrten Gesellschaften, ist bei uns wenig bekannt. Das ist um so auffallender, als die Romane von Maartens — er war hauptsächlich Roman dichter — in vortrefflichem, von ihm selbst ge- prüftem Deutsch erschienen sind'), dann aber auch weil gerade die Eigenschaften, die ihn auszeichnen, die Lohest der Gesinnung, die schlichte Religiosität, die iibcrqucllcnde Phantasie, dis Naturwahrheit, die Tiefe der Menschenkenntnis, der Reichtum des Ge mütes und die damit zusammenhängende warme Menschenliebe ihn gerade uns Deutschen besonders nahe bringen sollten. Allerdings sehen seine Werke, die übrigens ausnahmslos Musterbeispiele guter Koni positionen und echter künstlerischer Spannung sind, eine gewisse Bildung voraus, diese ist aber weniger wissenschaftlicher als ethischer und sozialer Art; liegt hierin auch ein Lindcrnis für die Wirkung auf ein breiteres Lescpublikum, so hätten doch die genannten Eigenschaften dem Dichter auch in Deutschland min destens eine „Gemeinde" schaffen müssen. Maarten-Maartens (Jost Marius van der Poorten-Schwort;) war am 15. August 1858 in Amsterdam geboren; er verbrachte einen Teil seiner Jugend in Bonn (im Nasscschen Lause), studierte dann in Lolland Rechtswissenschaft und ließ sich an der Universität !1lrecht als Privatdozent nieder. Später verbrachte er viele Jahre im Auslande, ins besondere in Paris und an der Riviera. — Maartens war kein Problemdichtcr; das will nicht etwa sagen, daß er wichtigen, namentlich zeitgenössischen Fragen, wie denen des Kapitalismus, des Sozialismus, des Künstlertums aus dem Wege gegangen wäre, im Gegenteil, alle diese Fragen bilden häufig den Unter grund und oftmals auch das Thema seiner Werke. Aber der Dichter ist zu wcitschend, zu tendenziös, vielleicht auch ein klein wenig zu ironisch, um Welt- anschauungsfragcn und Menschhcitsprobleme „lösen" zu wollen. Seine Gestalten sind zu lebendig, zu sehr Fleisch und Blut, um als Schachfiguren verwendet zu werde». Dann ist aber auch seine Liebe zu den *) Bei Albert Ahn, Bonn. Menschen, die echte csrltas, so groß, daß er sie mit ihren Schwächen und Fehlern, mit ihren körperlichen und geistigen Löckern nimmt, wie sie sind. Er be sitzt die Objektivität, die nach Schopenhauer das Zeichen des Genies ist, und mit dieser Objektivität hängt denn auch sein teils warmer, teils ironischer Lumor zusammen, der ihn auf eine hohe Warte stellt, von der aus das den Menschen Große und Wichtige klein und unbedeutend erscheint. Im engsten Zusammenhang hiermit steht seine Vorliebe für das Schicksal und die Tragik der ünbedeutcnden, der Armen im Geiste; ich erinnere nur an sein erstes Buch, den „Gottesnarr", von dem seit Jahren eine deutsche Volksausgabe besteht. Wenn wir sagten, Maartens schaffe keine Pro- blemdichtungen, so liegt ihm andererseits nichts ferner, als die Sonne seiner Dichtung gleichmäßig über Gute und Schlechte ruhen z» lassen, er kau» an- klagen und verurteilen, er kann, namentlich auf dem Gebiete des Gesellschaftslebcns, geißeln und auch verdammen, aber das geschieht durchaus leidenschafts- los und frei von Sclbstgercchiigkcit, so in dem spannenden „Jost Avelinghs Schuld", so in „Eva", seinem letzten Roman, in dem er das „Effi Bricst"- Motiv i» absichtlichem Gegensatz zu Fontane um- biegt, und namentlich in dem Schönsten, was er ge schrieben, in dem „Preis von Lis Doris", dem hohen Liede der Kunst. Außer den genannten Büchern seien noch die Romane „Aus tiefer Löhe", „Dorothea", „Leilende Mächte", „Die neue Reli gion", „Lärmen Pols" erwähnt. Ein Wort noch über seine Technik. Man hat gesagt, über das, was sich technisch von Maartens lernen lasse, könne ein Poctikcr mit Leichtigkeit ein ganzes Buch zusammcnbringen. Das ist nicht über- trieben. Der Aufbau, die Einleitungen, die Löhe punkte, die Durchführung, die Antcrbrechung und Wiederherstellung der Erzählung und namentlich der Stil sind von einer i» der heutigen Romanlitcratur selten erreichten Kunst. Der Stoff wird ohne jeden Zwang stets durch die Form gebändigt, die Sorg falt der Sprache, die Klarheit der Bilder sind be wundernswert, und so kam es, daß wir jedes Buch mit dem Gefühl des Dankes aus der Land legten, dafür daß ein großer und wahrhaft guter Mensch uns ein neues Werk, erfüllt von dem Atem großer Kunst, geschenkt hatte. Alle deutschen Ausgaben der Werke von Maarten-Maartens sind in meinem Verlage er schienen. Ich bitte sie an Land des roten Zettels zu verlangen und in diesem Jahre besonders zu beachten. Sie haben gerade den Besten in dieser ernsten Zeit viel zu sagen. Verlag von Albert Ahn in Bonn