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Frankenberger Tageblatt, Bezirks-Anzeiger : 31.12.1928
- Erscheinungsdatum
- 1928-12-31
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1786999250-192812311
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1786999250-19281231
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1786999250-19281231
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Frankenberger Tageblatt, Bezirks-Anzeiger
-
Jahr
1928
-
Monat
1928-12
- Tag 1928-12-31
-
Monat
1928-12
-
Jahr
1928
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Mreswenve s* ist mein Gebet nur Jahrerwrnd«! ^Nur da» Eine nicht, Herr, nur nicht geh'n, Lear das Herz und tatenlos die Hände Und das viele, viele Elend srh'n. Einen Brunnquell mach', o Goit. aus mir! M!n ich auch wohl arm an Ird'scher Habe, Reich werd' ich, strömst Du in mich au» Dir Deiner Segeneflut dimmiilche Gabe. Das, in Jedem ich den Bruder seb' Hilt mir, lehre allzeit mich's bedenken. Möcht, ein Brnnnquell, mich, in Lust und Weh Liebe sprudelnd, Andern dürfen schenken!" Joh. Lud. wärtskommen, Mißerfolgen und Abwärtsgleitcn, so verschieden ist die Stellung der Menschen zum alten Jahr, so geteilt ist das Urteil über die Summe dessen, was an Gutem und Nichtgutem die letzten 365 Tage brachten. Mag es nun sein wie es wolle — gut oder böse, erfreulich oder leidooll — es ist doch immer etwas Eigenartiges, wenn Jahreswechsel ist. Jeden denkenden und tiefer veranlagten Menschen überkommt ein selt sames Gefühl, wenn die Uhr des Jahres den letzten Atemzug anzeigt. Da stürmen tausend bange Fragen durch die Seele. Es sind Fragen an die Zukunft, die wohl jeder neugierig in etwas wenigstens erforschen möchte, und deren Schleier doch nie vorzeitig gelüftet wird. Wenn die Men schen in der Silvesternacht allerlei seltsame, wie Zauberkünste anmutende Dinge treiben — niit lachendem Gesicht zwar, aber oft mit Bangen im Herzen — was ist das alles anders, als die Zu- lunft befragen wollen? Und wenn zahllose andere mit Jubel und Fröhlichsein ohnegleichen, bei Fest essen, Punsch, Wein und Pfannkuchen, mit Gesang und Musik und Tanz das alte Jahr mehr oder weniger würdig verabschieden und das neue be grüßen, so liegt in diesem Tun neben dem Aus druck der Freude über das Dasein doch auch — allerdings versteckt — eine Frage an die Zukunft und das Schicksal. Werden wir übers Jahr noch sein? Was wird das neue Jahr uns bringen an allem, was wir Gutes wünschen? Niemand kann Antwort geben, auch der Weiseste nicht. Was das alte Jahr uns gebracht hat, das wissen wir. Es hat sicher über viele das Füllhorn äußeren Glückes mehr oder weniger reichlich ausgcschüttet — ebenso wie es andererseits die Schale des Lei des, der Not und des Unglücks vielen sehr reichlich gefüllt gereicht hat. Sicher hat das alte Jahr jedem einzelnen sein Sorgenpäckchen zu tragen gegeben. Und unserem Volk als Ganzem hat das scheidende Jahr sogar vermehrte Lasten in Gestalt der Dawestribute ausgebürdet. Wenn wir also an der Schwelle des neuen Jahres fragen: „Was wird es uns bringen?" so wissen wir dies eine gewiß: Drückende, bleischwere Lasten und mit ihnen harte Sorgen, die jeden angehen. Denn wir haben die Freiheit verloren und werden sie noch lange nicht wieder besitzen. Was uns bleibt, ist die Hoffnung, daß es doch einst besser werde. Solche Hoffnung erhält Stärke und Kraft durch einen freudigen Glauben, der Zu kunft, sei sie wie sie sei, das Beste abgewinnen zu können. Unser Leben ist Arbeit und Mühe — und schließlich ist es gut so. Aber durch Hoffnung und Glauben wird alles Arbeiten zielstrebiger und erfolgreicher. Der Menschen Wege sind vielfach verschlungen, cs geht durch Irrungen und Wir rungen, durch Leid und Kreuz, das niemand er spart bleibt, aber auch durch Freude und Erfolge. Das Entscheidende ist, daß es vorwärts geht und aufwärts: Durch Nacht zum Licht. So halten wir trotz aller bangen Fragen am Jahres- Falsche Wei-enstsliun- Skizze von Wolfgang Federau. Es war still, märchenhaft still draußen; nach Vkl dem Lärmen, Pfeifen, Klingeln, nach dem Donnern, Zischen und Brausen des Tage; hatte diese Ruhe beinahe etwas Beklemmendes an sich. Irgendwo hörte man das Schnaufen und Acchzen einer schweren Lokomotive, die wohl rangiert«! oder über die Drehscheibe in die geräumige Halle eingsbracht wurde, um über Nacht auszuruhen von den Anstrengungen einer viele hundert Kilo meter langen Reise. Ja. jetzt war die friedlichste Zeit hier oben jm Stellwerk. Jetzt, um die dritte Morgenstunde, würde nur noch ein einziger Zug die Bahn station passieren. Ter Vorsteher ging gemächlich auf und ab. Er Katte es sich bequem gemacht, den Uniformrack geöffnet, sog behäbig an der kurzen Pfeife. Wie filbergraue Schlangen zogen sich draußen die matt beleuchteten Schienen in die Unendlichkeit dar Finsternis hinein. Zahllose Lichter glühten durch den Raum, weiße und gelbe, grüne und rote. Klebten bald dicht an der Erde, hingen bald irgendwo wesenlos im Naum, die tragenden Pfei ler und Ständer und Kandelaber verschlang die Dunkelheick Dem Vorsteher war das wohl ein ge wohnter und alltäalicher Anblick, der ihm Nichts mehr sagen konnte. Auch Behrens nicht, dem llcinen, schmalen Assistenten, der an seinem Tisch saß, die eingegangenen Briefschaften sortierte und ab und zu ein paar Zeilm und Zahlen ,in eine große, breitrückige Kladde eintrug. „Ich hab sie so sehr geliebt," fuhr Behren; gerade in seiner Unterhaltung fort, ohne jedoch sein mayeres, zerknitterte; Gesicht mit den vielen Fält chen um den müden Mund und den tiel liegenden, fiebrig glänzenden Augen zu heben, „ich liebte sie so sehr — alle; habe ich get>m, was ich mir ihren Augen ablesen komite, wenn e; nur irgend in meiner Macht lag. Was hat es ge holfen? Nichts ..." Tür Vorsteher warf ihm einen mitleidigen, prüfenden Blick zu. „Und warum ging sie von Ihnen?" forschte er. „Warum sie mich verließ? Ich weiß es nicht — oder doch, ich weiß es. Es war doch wohs wechsel fest, was uns die Zeit nicht nehmen kann. Seien wir inuelTlch stark — dann werden wir es auch äußerlich sein und alles ertragen, was das junge Jahr uns bringen wird an Erfreulichem und dem, was uns nicht gefällt. Damit ein fröh liches, zuversichtliches: Prosit Neujahr! Beim zwölften Schlag Mit vielen gleichmäßig-steten Setundenschritten ist <s vorwärts gegangen, dieses Jahr, welches nun den Schlüssel ins Schloß steckt, um die Tür hinter sich zuzuschließen. Waren die Schritte auch stet, so war der Weg nicht immer gleich eben und geradeaus für all die vielen Menschen auf Erden, welche nun — ein jeder in seiner Weise — dem alten Jahre beim Türeschliehen zuschauen wollen: mancher mit, mancher auch ohne Willen und jeder in seiner ihm eigenen Weis« ... zuschauen tun sie doch alle. Und es ist gut, daß sie es tun! Denn so man cher kommt in einem ganzen langen (und doch so kurzen!) Jahre vor allzu mühseligem — vielleicht auch allzu leichtem — Wege nicht dazu, darüber nachzudenken, daß die vielen Sekundenschritte nimmer stille stehen, daß sie vorwärts gehen, immerzu, und mich der mühseligste Weg mit ihnen. Da ist es denn ganz gut und lehrreich, einmal Hinzuschauen, wenn nun das Jahr seinen großen Schlüssel aus der Tasche holt und — so nach alter Leute Art — dabei was vor sich hinbrummelt: „... haben's geschafft, schaust! haben es doch ge schafft, so sehr du mich manchmal gebockt und dich gesträubt hast! Warum? Wozu? Jsi's darum anders geworden? Statt voraus zu schauen, Hast du nur immer ängstlich nach jedem Stein und Steinchen auf der Straße geschielt. Bist manchmal fast unter die Näder gekommen. Ja, natürlich, wie solltest du auch nicht! Hättest lieber um dich und voraus gucken sollen. Wenn du, dabei mal mit den Stiefelfpitzcn auch hart an stößt — — deswegen liegst du noch nicht gleich auf der Nase! Also leb wohl und — mach's bester! ..." Mach's bester ...? Ja, du kannst schon recht haben, altes Jahr! Aber das antwortet nicht mehr, denn der Zeiger der Uhr rückt auf Zwölf zu, da hat es mit seinem Schlüssel zu tun. Oder war es doch auch eine Antwort für dich, wenn es jetzt mit dem Kopfe nickte dabei? Mach's besser ... Es ist dabei einerlei, ob du das neue Jahr mm mit einem Glase Sekt oder Limonade in der Hand erwartest, ob mit Feuerwerk, Krach und Hallo, oder mit einem frohen Lied, viel leicht (und noch besser) in frohen und starken Gedanken. Wenn du dabei nur das eine fest hältst: „Mach's Lesser!" „Dann kannst du das neue Jahr schon froh und zuversichtlich beginnen, mag das alte ausgeschaut haben, wie es immer wolle. „Mach's bester" ist ein tüchtiger Wander stock, auch mal über einen hindernden Graben zu springen; und ist ein derber Wanderstiefel, der sich nicht vor Steinen und Steinchen fürchtet. So wird's wohl gehen, mit den steten Sekunden- schritten des Jahres schlecht und recht im Ein klang zu bleiben und so auch deinen Weg voraus zu bringen. Jetzt knarrt der Schlüssel im Schloß: ein ... zwei ... drei ... zwölf Mal muß das alte Jahr ihn herumdrehen; zwölf Elockenschläge von allen Türmen hallen langsam mit, langsam und feierlich. Und beim zwölften Schlag geht lang sam und still das große Tor auf — schreitet das alte Jahr hindurch, hinein — schließt sich das Tor ... langsam, feierlich, still — hinter dem alten Jahr. Doch ein neues ist aufgewacht Leim zwölften' Schlag: Nings ein Rusen und Wünschen, ein Leben und Treiben. Fast so ist's, als ob ein« Schar auszieh« am frühen Morgen zu wandern über Berg und Tul, durch Heide und Wald und weiten Weg. Was ist's? Was gibt's?! Ach nein, du fragst nicht; du weißt es ja und schaust dich nur um, als suchtest du etwas. Das neue Jahr suchst du? Schau! da, vom! ganz an der Spitze schreitet es den Weg voran mit festen, stetigen Selundenschritten ... immer vorwärts, immer weiter, immer — — unverzagt. Merkst es wohl gar nicht, daß du auch schon auf dem Wege bist hinter ihm drein, auf dem neuen Wege, weiter, voraus?! Nur immer unverzagt und vor wärts! Sieh, das neue Jahr ist jung und hat Helle Augen! Und nahmst du nicht ehren guten Wanderstab und einen starken und festen Wander- schuh mit auf den Rat des alten Jahres? Viele ,gar viele gehen mit dir. Du kennst sie nicht, du weißt trichts von ihnen meistens. Aber sie gehen doch denselben Weg wie du, den Weg, den das neue Jahr uns alle führt. Manche zählen zaghaft die Schritte; sie sind in Gefahr, bald zu ermüden und immer weiter zurückzubleiben. Manche springen und Lasten in langen Sprüngen, um ja nur vorauszukommen; gib acht! sie können leicht stolpern und fallen! Manche wieder laufen mit im Trott ... Du aber — — mach's besser! Zögere nicht damit, beginne schon beim zwölften Schlag! An der Mrsswende Außenpolitische Wochenschau. Das neue Jahr wird Deutschland vor eine Neide von Entscheidungen stellen, die seine ge samte äußere Politik auf lange Zeit hinaus! festlegen. Nachdem Deutschland durch den Vor stoß des Reichskanzlers in Genf dieR heinla n d- frage in Fluß gebracht hatte, ist diese; Pro blem in der internationalen Erörterung nicht mehr zur Ruhe gekommen. Allerdings ist der Erfolg bisher für Deutschland völlig negativ gewesen, denn wenn es die Absicht unserer Politik mar, eine Lösung der Nheknlandfrage unabhängig von der Revarationssrage zu erreichen, dann muß schon jetzt ein Mißlingen dieses Planes festgestellt wer den. Auch ist der deutsche Rechtsstandpunlt, der bekanntlich den Anspruch auf vorzeitige Nlein- landräumung auf den Artikel 431 des Versailler Vertrages gründet, bisher von den Besatzungs- Mächten nicht anerkannt worden. Noch kürzlich hat der Reichsaußenminister gegenüber einem amerikanischen Pressevertreter in knapper und klarer Form diesen Anspruch zur Geltung ge bracht, aber bekanntlich werden die politischen Entschließungen der Mächte zumeist nicht nach den Grundsätzen des Rechtes getroffen. Für die ehemaligen Kriegsgegner Deutsch lands steht die Reparationsfrage im Vordergrund. Zweifellos hat auch Deutschland ein dringendes Interesse an ihrer endgültigen Lö sung, freilich in einem anderen Sinne, als seine Gläubiger. Denn während dort diese Angelegen heit bisher noch fast ausschließlich von finanz politischen Erwägungen aus behandelt wird, ver sucht Deutschland mit Recht, die Frag« seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zur Grundlage der Neparationsregelung zu machen. Deshalb das Bestreben besonders der französischen Presse, neuerdings zu beweisen, daß es Deutschland wirt schaftlich blendend gehe und daß nur böser Wille eine! Verminderung der Zahlungen verlangen könne. Die Sachverständigenkonferenz, die Anfang de; nächsten Jah ces in Paris zusam in en terten wird, besteht aus „unabhängigen" Sach ¬ verständigen, genau so wie der Diawesausfchutz des i Jahres 1924. Wahrscheinlich wird voi» amerikanischer Seite sogar Dawes ihm wiederuni angehören. Aber mit dieser Unabhängigkeit sitz es eine eigene Sache, da der Ausschuß auch an! das politische Schicksal seiner VorsckMg« denken» musu Sollen diese Aussicht auf Annahme dei» beteiligten Regierungen haben, dann wird vorhey immer wieder eine Fühlungnahme unter vteg Augen stattsinden. Es ist klar, daß sich dabei Wage der Entscheidung nur allzu leicht zugunsten derjenigen senken wird, die es verstehen, ihrH Interessen möglichst geschlossen zur Geltung Zch bringen. Dabei kann wiederum, wie schon beim Dame-plan, die Grenze der deutschen Leistungs-? fühigkeit allzu optinnstisch nach oben verschöbe^ würden. Hierin besteht für Deutschland eine un^ geheuer« Gefahr, denn e; wird schwer sein, gegen über der Weltöffentlichkeit den Spruch eineÄ solchen Erpertenkomitees abzulehnen, zumal wenrA er für uns gewisse Erleichterungen bringen sollte^ Für die verantwortlichen deutschen Staats^ männer ist diese Aufgabe uni so schwieriger^ als sie hinter sich eine deutsche Wirtschaft Habens die in den letzten vier Jahren seit dem BeH stehen de; Dawesplanes durchaus nicht das ge-« halten hat, was nran sich von ihr versprochM hatte. Die Entscheidung ist schwer und erfordert ein deutsches Volk, das entschlossen ist, nicht int Interesse von Augenblicksvorteilen seine gesamt^ Zukunft aufs Spiel zu setzen. Silvester Wieder ein Jahr vollbracht. Wieder will aus Sternenhöhen In der stillen Winternacht Ans ein neues Jahr erstehen. Wie die Turmuhr zwölfmal schlägt, Jauchzen. Glocken durch die Runde, And das Herz fühlt tiefbewegt Keil'gen Ernst der Scheidestunde. Rückwärts gleitet unser Blick Auf des alten Jahres Spuren, Und das Herz fühlt Leid und Glück Einmal noch, die wir erfuhren. Was das alte Jahr uns nahnr Will uns schmerzhaft heut' umwehen, Alles Leid, das zu uns kam, ' Einmal noch vor uns erstehen. q s Doch durch Leid und Sorgen dringt Hell ein Schein voll tiefem Frieden, Eine seine Glocke klingt Von dem Glück, das uns beschieden. Aus des müden Jahres Lauf Steigt, wie wir so sinnen heute, Dor der Seele leuchtend auf Manche Stunde reiner Freude. Und wir fühlen, wie im Kranz Dieses Jahrs auch Rosen glühten, Wie aus Gottes Gnadenglanz Sel'ge Wunder uns erblühten. In der ernsten Stunde Wch'n Kommt kein Sorgen uns und Bangen — Was uns Schweres nach gescheh'n, Gott ist stets mit uns gegangen! Und mit Gott ins neue Jahr, Das sich dunkel vor uns breitet! Alles wird uns wunderbar, Wenn der Herr nur mit uns schreitet. Was an Leid uns wird zuteil, , Was an Sorgen uns begegnet, Wird zuletzt doch unser Heil, Wenn nur Gottes Kraft uns segnet! Felir Leo Göckeritz so, daß ihr dieses Lebens ewiger Gleichschritt, diese; bescheidene nnd stille Dasein an meinör Seite auf die Dauer nicht behagte, daß sie sich nach Abenteuern, nach Dingen sehnte, die ich ihr nicht bieten konnte. Weiß man denn, was in so einer Fraucnseele alle; vorgeht? Sie hat mir ost genug geklagt, wie sehr sie sich lang weile. Bis dann der andere kam — der Mann mit dem großen Geldbeutel, der ihr alle; bieten konnte, wonach sich ihr naives Kinderherz sehnte. Da ging sie einfach auf und davon, und nach mir fragte sie nicht ..." „Aber das Kind?" wagte der Vorsteher zu unterbrechen. „Ja, das Kind," fuhr Behrens empor, und eine tiefe Röte überflammte sein Gesicht. „Das ist's, was ich nie begreifen werde. Daß sie sich vom Kinde trennen tonnte, von dein Jungen — und sie hat ihn doch geliebt." „Hm!" machte der Vorsteher, und dann, teil nahmsvoll: „Wie geht es dem Kleinen letzt?" „Schlecht, schlecht," erwiderte Behrens, und sein Kopf sank ihm wieder auf die Brust. „Er schläft schon seit Tagen nicht mehr. Der Doktor ist ratlos. Immer schreit der Jung«: „Mama" — und niemals kommt sie." Schluchzen würgt« plötzlich an seiner Stimme. „Immer denk« ich, sie müßte doch einmal kom men, einmal Nachsehen, wie's den. Kleinen geht. Müsste es fühlen, wie krank er ist. Bei jedem Zug, der hier vorbei rollt, denke ich: vielleicht, vielleicht ist sie darin. And wenn's einmal so wäre, wenn ich es müßte — ich glaube, ich riss« sie heraus, trüge sie gewaltsam zu dem Bett des Kleinen, nur um dies nicht mehr mit ansehen zu müssen, diese Qual, die Trauer, den Vorwurf dieser un schuldigen Augen ..." In diesem Augenblick schrillte das Telephon. Der Vorsteher riß den Hörer ans Ohr. „Güterzug mff Weiche 4 wegen Maschinen- defekts liegen geblieben. D-Zug 309 über freies Gleis Nummer 1 leiten. Meldung wird telepho nisch wiederholt," kam der Befehl von der Bahn- hofszentrale. Der Vorsteher sagt« zurück, was er gehört hatte. Dann hängte er ab. Schon klopfte auch der Morsetelegraph — Behrens las von dem Papierstrcifen die gleich- lanlend; Me.ldung ab, stürzte zum Stellwerk, setzt« die Hebel in Bewegung. Seine Hände zitterten heftig. „D-Zug 309 auf freies Gleis Nr. 1 umgeleitet," wiederholte er mit monotoner Stimme. „Himmel, Sie zittern ja so," sagte der Vor steher, während er den Vorgang ins Journal eintrug. „Sie sollten Urlaub nehmen, Sie sind ja krank." „Ich friere nur ein bißchen," versuchte Behrens zu lächeln. „Unsinn, Mann — frieren," meinte sein Vor gesetzter. „Bei der Bullenhitze hier. Ich legte am liebsten Rock und Kragen ab, so warm ist mir." Flüchtig mustert« er den anderen. Der sah grau und verfallen aus, nur seine Augen leuch teten in einem fast unheimlichen Glanz. Dem Vorsteher wurde es plötzlich unheimlich zu Mute. Auch ihn wehte ein kalter Schauer an. Er sah sich um, aber die Fenster waren geschloffen. Kopf schüttelnd ging er zum Werk, überprüfte noch einmal die Apparatur. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Aber es war alles in Ordnung. Eben klappte di« Metallscheibe herunter, die das Heben des Einfahrtssignals anzeigte. „Gerade hat er die letzte Blockstell« passiert," meinte der Vorsteher und trat ans Fenster. Man mußte gleich das Rollen und Donnern des Zuges hören. In diesem Augenblick schrie Behrens plötzlich gellend auf. „Sie kommt — sie kommt," rief er mit entsetzlicher Stimme. Griff gleichzeitig, nach der brennenden Laterne, stürzte, ehe der andere ihn halten konnte, hinaus, die steile Eisentreppr herab, auf den Bahnkörper. „Der Kummer hat ihn verrückt gemacht," dachte der Vorsteher und machte Miene, ihm nachzulaufen. Aber er besann sich gleich daraus und blieb stehen. Er durfte ja den Raun, nicht verlassen. Er riß das Fenster auf und stierte mit hervorqiwllcndcn Augen heraus. Schneidend pfiff der Wind hinein, peitschte sein Gesicht, zer wühlte seine Haare. Er achtete nicht darauf. Denn unten, unten, immer längs der Schienen, lief Behrens, seine Laterne schwenkend, und der Vorsteher glaubte sein heiseres, wahnsinniges Ge- brüll bis zu sich herauf zu Höven. „Himmel — er läuft gerade in den Zug hin ein," stöhnt« der Mann am Fenster. Schon sah er die Scheinwerfer der Maschine wie zwei wilde, böse Augen austauchen. „Er ist verloren," dachte er noch und wandte sein Gesicht ab. Nur nichts, sehen, nichts hören! > Der Lokomotivführer oben auf der Maschine hatte jhn auch gesehen, den latemenschwenksnden Maim. und der Heizer desgleichen. Er verstand, die Warnung, natürlich. Ein Griff der Hand, und kreischend legten sich die Bremsen cm dis Räder. Aber das Herz stand den Männern still vor Schreck, denn dieser Mann da, der lief j<f mitten zwischen den Schienen. Er — er wa» nicht mehr zu retten. „Ich komme — ich hol« dich — zum Bubi," brüllte, heulte, schrie Behrens noch kmmer, ohne auch nur eine Sekunde auszuhörsn in seinem wahnsinnigen Lauf. Dann, plötzlich, war etwas Großes, Schwarzes, Leuchtendes furchtbar nahe über ihm. Da schien es, als erwache in ihm die Erkenntnis. Entsetzen verzerrte seine Züge. Im letzten Augenblick machte er Miene zur Seite zu springen. Aber da hatte ihn das Ungeheuer auch schm» gepackt, ihn mit seiner eisernen Faust zu Vodeci geschmettert, war über ihn himveggebraust, un» es wurde Nacht... Es gibt kein Mittel, einen mit voller Kraft dahinjagcuden Schnellzug plötzlich zum Halten zu bringen, dazu ist seine Eigengeschwindigkeit zu, groß. Immerhin gelang es dem Lokomotive führcr, sie so zu ermäßigon, daß er fast, gelind» ans den Gütcrzug auffuhr. Der Güterzug staut» auf dem Gleis Nummer 1!... Die Kommission, die den Vorfall untersuch!«, schüttelte verständnislos den Kopf. Klyr war jedenfalls, daß dem Stellwerk eine falsche Mel« düng durchgegeben war. Aber wie Behrens das» im letzten Augenblick bemerken konnte, das li«ß sich einfach nicht begreifen. Der Vorsteher des Siellwerls hätte wohl das Geheimnis aufklärcn können. Aber er schwieg sich aus, schüttelte zu allen dahingehenden Fragen nur den Kopf. Er hatte ja auch genug damit zu tu», einer blassen, weinenden Frau den An blick der Leiche ihres Mannes zu entziehen, sie, die Wankende, mit behutsamen Morten nach jenem Haus« zu führen, wo ein kleiner, kranke« Knabe weinend im Bettchon lag und unaufhörlich nach scjner Mutter schrie.
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