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So war er einmal ununterbrochen sechs Tage und sechs Rächte unterwegs gewesen, um von Persien nach Wien zu kommen, und eben, als in der Dilla die Lichter angezündet wurden, hatte er sich der Mutter unter den Baum gestellt. „Du wirst sehen, Achim, es ist auch bei uns auszuhalten/ neckte ihn Diebow. „Wir werden das ganze Haus voll Gäste kriegen. Langeweile gibt es nicht I" „Es ist nur meiner Mutter wegen!" lautete die Erwide rung. „Ich habe Frau Jeska geschrieben, sie am heiligen Abend bestimmt nickt allein zu lasten, aber ich habe noch keine Antwort von ihr erhalten." Diebow nickte etwas zerstreut. Und dann kam die Bescherungsstunde. — Für Hettingen standen Liköre und Zigarrensortimente unter verschiedenen anderen Gaben. Don Wien war keine Zeile eingetroffen. Er trug sich mit marternder Sorge. Jankes kam auf ihn zu und nahm lächelnd seinen Dank entgegen. „Ich habe noch eine Kleinigkeit als Ueber- raschung für Sie, lieber Baron; aber zu diesem Zweck müssen Sie sich mit in das Auto bemühen. Es ist zwar nur ein paar Häuser weit, aber zum Laufen doch zu viel." Eine halbe Stunde nachher saß er mit Jankes, dessen Frau und Diebow in dem geschlossenen Wagen, der keine fünf Minuten später vor einem Landhaus hielt, aus dem Heller Aerzenschimmer brach. „Ihr zukünftiges Heim, Herr Baron!" erklärte der Kommerzienrat. „Ich möchte nicht, daß Sie sich immer nur als — wenn auch gerngesehener — Gast fühlen und habe das Haus für Sie getauft. Ich hoffe, daß Sie sich wohnlich darin fühlen." Ehe Hettingen Worte fand, hatte Jankes bereits die Tür ««es Raumes linker Hand geöffnet. „Mutter!" Joachim hielt das geliebte schöne Frauengesicht zwischen seinen Händen und sah in die gütigen, feuchtstrahlenden Augen, die im Scheine der Lichter wie Sterne flimmerten. „Mein Bub!" — Die Baronin konnte sich nicht sattsehen an den Zügen ihres Einzigen, die doch so ganz, ganz anders varen, als sie dieselben im Gedächtnis hatte. „Mein Bub!" Sie strich über seine Wangen und das dichte Blondhaar, liebkoste seine Hände und suchte in den großen dunklen Augen, aus denen noch die Qual und das Leid der letzten Monate zu lesen war. „Nun wird alles wieder gut, Achim! — Wir bleiben wieder zusammen wie früher. Nimm vor lieb mit mir, Kindl" „Mutter!" — Er schloß ihr den Mund mit einem langen, innigen Kuß. Und wieder gingen die Wochen. Fröste setzten ein. Das bedeutete Stillstand für die Arbeiten im Tunnelbau. Dafür saß Joachim nun im Bureau und entwarf Pläne und Zeichnungen für Neues, das im Frühjahr in Angriff genommen werden sollte. Diese un unterbrochen rastlose Tätigkeit brachte Hettingens Innen leben allmählich wieder ins Gleichgewicht, und als Diebow einmal kam und ihm erzählte, er möchte zu gerne nach Indien, Achim müßte aber mitkommen, well er sich schandbar vor Krokodilen fürchte, lachte dieser hell hinaus. „So weit ist er also wieder!" berichtete Kurt zu Haufe. „Lun warte ich noch ein paar Wochen, dann suche ich ihm et« Frau! Er wird sonst zu alt." Ne Sommerzienrätin drohte ihm mit dem Finger. „Und du selbst, mein Junge?" „Für mich sucht ja niemand!" kam es vorwurfsvoll, was einen ungeheuren Heiterkeitsausbruch bei dem Kommerzien rat auslöste. E« wurde ein wunderbar harmonisches Zusammenleben zwischen Mutter und Sohn in dem neuen traulich möblierten Heim. Diebow war beinahe täglicher Gast. Er schleppte Joachim auf alle Bälle mit, zu unzähligen Einladungen und Herrenabenden. Hettingen drohte, er würde sich, wenn er wieder käme, einfach verleugnen lassen, was zur Folge hatte, daß Diebow ihn sHm draußen im Bureau des Werkes ab fing und nach Hause begleitete und geduldig wartete, bis er sich umgezogen hatte. „Es ist eigentlich eine grenzenlose Selbstverleugnung, die ich mir da auferlege, Joachim," hatte er einmal gesagt. „Du weißt gar nicht, welches Opfer ich bringe, dich überall mit dabei zu haben. Wo du hinkommst, kaperst du mir die ganzen Mädchenkerzen weg. Und wenn die Männer die Blicke sähen, mit welchen dich ihre Frauen verschlingen, lägst du morgen von taufend Säbelhieben durchbohrt oder von einem Dutzend Kugeln über den Haufen geschossen!" ^sch habe noch nichts bemerkt davon!" war die lakonische Erwiderung. DkLL ssurt hatte. wie er sSK, fitzen Mütter und Söhn sich gegenüber und tauschten Erinnerungen aus oder Joachim las der Baronin vor. Dann hing deren Blick in Selbstvergeffenheit an seinem Gesichte, nach dem sich die Mädchen in Bellinzona um wandten. Einmal schluchzte sie unbeherrscht auf. „Was ist Mutter?" Und als sie nur den Kopf zu schütteln vermochte, hörte er zu lesen auf, griff über den Tisch hinüber nach ihren Händen und legte sein Gesicht darein. „Noch einmal der Junge von einst sein können! Ein einziges Mal nur! Aber es war alles vorbei!" Zuweilen spielte er auf dem Flügel, den Isabella damals aus der Konkursmasse erstanden hatte und der nun in dem neuen Heim untergebracht war. Kurt Diebow hatte sich einmal ganz verstohlen herein geschlichen und in einem Lehnsessel hinter ihm Platz genommen und gelauscht. Plötzlich war er emporgefahren und hatte Joachim die Hände von den Tasten gerissen. „Hör auf! Ich fange sonst glattweg zu heulen an! Das ist ja zum wahnsinnig werden. Was ist das für ein Motiv! Ich werde verrückt, wenn ich das noch einmal hören muß! Joachim hatte gedankenverloren die letzten Schluhtakte wiederholt und dann Aufklärung gegeben. „Ich habe es ein mal vor Jahren in Ungarn einem Zigeunerprimas ab gelauscht — orei Tage später fand man ihn mit einem Schuß im Herzen in der Steppe." , „Und das spielst du!" schrie Diebow. „Ausgetupfelt das muß es sein! . Hettingen klappte, ohne etwas zu sagen, den Deckel herab. „Weißt du sonst etwas, das für mich patzt?" Der Winter ging. Ostern fuhr Joachim nach Wien, um Fetzmanns Jungen aus der Taufe zu heben. Er sah und sprach auch Leopold Richthofen. Maria nicht. Der Freund erwähnte nichts von seiner Schwester. Isabella weilte mit ihrem Gatten in Ungarn. Nach vier Tagen reiste Hettingen wieder nach Bellinzona ab. War das die Heimat gewesen? Die Heimat? Er mußte die Zähne aufeinanderbeißen, um nicht vor Weh hinauszuschreien. Im Tunnelbau waren die Arbeiten wieder in vollem Gang. Bis zum Herbst wollte man fertig sein. Den Sommer über erhielten Mutter und Sohn Besuch von dem erzherzog licken Schwager, der sich in Sehnsucht nach seiner Frau ver zehrte, die als East an die Metropolitanoper nach Newyork gegangen war. Anfang September reiste er wieder ab, um sich nach Amerika einzuschiffen und Isabella abzuholen. Dafür kam Feßmann, um seinen kurzen Urlaub bei Joachim zu verbringen. Als er ihn einmal draußen an der Sprengstelle besuchte, fand er ihn auf einem der Fels- trümmer sitzend, unverwandt nach dem dunklen Loch des Stollens schauend. „Quält drch etwas, Achim?", erkundigte er sich besorgt. „Ja! Setz dich zu mir, Hans! Niemand will mir's glauben, aber es ist etwas nicht in Ordnung! Ich trage solch ein unerklärliches Gefühl in mir! Der Berg wird noch unser Verhängnis! „Was du dir nicht einbildest, mein Lieber! Jetzt, wo ihr schon zu vier Fünfteln durch seid!", suchte ihn der Doktor zu beruhigen. Er zuckte die Achseln, erhob sich und ging dem Vorarbeiter entgegen, der auf ihn zukam. „Das letzte Stück scheint den Teufel im Leib zu haben, Herr Chefingenieur! Die Leute wollen nimmer rein Sie behaupten, Sie könnten's keine Stunde drinnen aushalten, so lege sich ihnen die Luft auf die Lungen. Das Wasser geht stellenweise bis an die Knie. Weiß Gott, wo es herkommt! Was Rechtes ist das nicht!" Hettingen nickte. „Ich zerbrech mir den Kopf, was es sein könnte. Die beiden Geologen, die gestern da waren, konnten nichts finden. Ich habe schon einen Chemiker mit genommen, der hat mich glattweg ausgelacht. Wir müssen's allein Herauskriegen." Der Vorarbeiter tat einen tiefen Atemzug. „Kein Mensch weiß, wie froh ich bin, wenn der letzte Schuß gemacht ist, Herr Chefingenieur! Dann kauf ich mir ohne alle Skrupel einen Liter Roten zur Feier." „Trinken Sie ihn auf meine Rechnung!" sagte Hettingen. „Warten Sie einen Augenblick, ich gehe dann mit Ihnen." Er trat zu Feßmann und bat ihn, zu entschuldigen, er müsse nach den Leuten sehen. „Sag, bitte, meiner Mutter, ich käme nicht zum Mittagessen heute. Erst zu Abend. Macht einen Ausflug, Hans, es ist solch wundervolles Wetter." Ehe er !m Schachte verschwand, winkte er noch einmal nach dem Freunde,rurück, der den Wes Ltk Städt nahm «M M