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Frankenberger Erzähler Unterhaltungsbeilage zu« Frankeuberger Tageblatt «r. 72 Mittwoch, des 5. September 1928 28 Nackdruck verboten Urhrberrechtsschutz durch Verlag von Oskar Meister in Werdau. „Wo kann ich dich treffen?" fragte der Doktor noch einmal, als der Schlag des Autos zu klappte und Joachim ihm di« Hand noch in den Fond reichte. „Ich weiß nicht, Hans. Vielleicht bei Jankes oder, wie du sonst bestimmst! Ich möchte dir gerne Briefe noch Wien mitgeben!" „Gut, mein Lieber! Ich bringe Fräulein Richthofen ins Hotel. In einer Stunde hole ich dich dann beim Kommer zienrat ab. Dienst machst du ja heute kaum mehr?" „Nein!" Eine Verneigung nach Maria hin, dann lief das Auto die Allee entlang und bog gleich daraus um die Ecke. Hettingen erwiderte nur mit einem Ricken und schritt neben Lae» Ker. Hettingen durchquerte, um etwas zur Ruhe zu kommen, ein paar Straßenzüge, ging nach dem Fluß hinunter und sah, seine Gedanken zu allmählicher Klarheit zwingend, dem Spiel der Wellen zu, die so eilig vorüberhetzten, als gäbe es kein Morgen und Uebermorgen mehr für sie. Er setzte sich auf eine Bank und blickte, weit zucückgelehnt, nach dem Stück blauen Himmels, das sich durch das Blätter werk der Bäume stahl, dann nach den Käfern, die in die Blüten der Dahlien krochen, die wie leuchtende Fackeln die Wege säumten. Er wurde es sich gar nicht bewußt, daß sein Kops immer tiefer auf die Brust herabsank, bis er völlig eingeschlafen war. Nichts als Stille war um ihn. Nur die Wellen gurgelten sachte ans Ufer, und summendes Immenvolk gaukelte über ihn hinweg. Ab und zu streifte ein Windhauch durch das Blättergewirr der Blutbuche zu seinen Häupten, sein Blond haar hob sich leise und gab die scharsgeprägte Stirne frei. Dann lag es wiederum völlig reglos. Die Sonne stieg schon gegen Mittag. Er war noch nicht erwacht. Plötzlich aber schrie eine Stimme ihn hoch: Joachim! — Mensch! — Wahrhaftig, hier scht er und schläft!" Diebows zehn Finger umschlossen Hettingens er stauntes Gesicht. „Du! — Etwas Entsetzlicheres hättest du gar nicht anstellen können, als dich hier deinen Träumen hinzugeben. Wie konntest du nur das tun? Mein Vater ist außer sich, meint, du hättest dich heimlich daoongcmacht und ihn samt seinem Tunnelbau sitzenlafsen! — Na, und dein Doktor Feßmann! Fluchen bei euch in Wien alle Aerzte so lästerlich? Er hat dich mit Kosenamen bedacht, die mich amüsiert haben würden, wenn mir nicht selbst so gotts jämmerlich zumute gewesen wäre über dein unmotiviertes Ausbleiben." Hettingen strich sich das Haar zurecht, das der Wind und Diebow aus aller Fasson gebracht hatten. Er rückte etwas zur Sette, um dem andern Platz zu machen Diebow dankte lachend. „Nein, mein Lieber! Ich habe mir zehntausend Franken Finderlohn ausbedungen, wenn ich dich lebendig nach Hause bringe. Sei also nett und komme unverzüglich mit. Fehmann hat ohnedies geschworen, er würde abreisen, wenn du nicht in kürzester Zeit erscheinst. — Also bitte!" Kaum saßen sie im Wagen, der an einer Straßenkreuzung wartete, kam Fehmann aus einer Nebengasse getrogen. Eine ärgerliche Röte flog über seine Stirn, als Hettingen ihm abbittend die Rechte entgegenstreckte und Diebow erklärt«, wo er ihn gefunden hatte. „Schlafen hättest du hernach auch können!" schalt er. „Wenn mir in den nächsten Wochen sämtliche Operationen mißglücken, trägst du die Schuld daran!" Hettingen schwieg schuldbewußt. In der Villa Jankes wurde er empfangen wie ein Sohn, den man nach schwer überstandener Gefahr heimkommen sieht. Der Kommerzienrat stand am Tor und ließ seine Rechte nicht mehr fallen, bis Hettingen sie benötigte, um sie in die der Frau des Hauses zu legen Nach dem Diner bat er den Kommerzienrat um eine kurze Unterredung. Diebow hörte die etwas erregte Stimme seines Vaters, die aus besten Arbeitszimmer klang. Was mochte Hettingen da^angestM^baben? Er konnte sich's nicht oer- LaGe Bazazzo Roman von I. Tchneider-Foerstl Hettingen rührte kein Glied. Erst als der Doktor ihm die Hand auf die Schulter legte, erhob er sich. „Soll ich einen Arzt holen, Hans?" Fetzmann sah ihm einen Augenblick verständnislos ins Gesicht, dann schüttelte er den Kopf. Der arme Mensch wußte, in der Tat nicht mehr, was er redete: „Geh mal ein Stück da hinunter Achim ich will bei Fräulein Richthofen nachsehen, ob es weiter fehlt, als ich vermute Geh nur," sagte er liebevoll. „Wenn ich jemand benötigen sollte, rufe ich dich!" Er sah dem Freunde nach, wie er langsamen Schrittes unter den Bäumen verschwand und nicht wieder zum Vor schein kam. Maria hob nach einer Weile die Lider und sah um sich. Als sie Feßmann gewahrte, schoß ein feines Rot ihr bis unter die Haarwurzeln. Hastig schloß sie den obersten Knopf ihres Tuchtleides, den er geösfnet hatte, um ihr ein freieres Atmen zu ermöglichen. „Wie geht es?" Sein gütiges Gesicht beugte sich teil nehmend über das ihre. Als sie dankte und den Fuß rasch zu Boden setzen wollte, hielt er sie zurück. „So weit sind wir noch nicht, liebes Fräulein Maria. Legen Sie einmal ganz vertrauensvoll die Arme um meinen Hals und richten Sie sich langsam auf, so geht es? Kein Schwindel gefühl mehr?" Sie verneinte und saß mit einem deprimierenden Gefühl von Schwäche wortlos neben ihm. Leise begann er zu ihr zu sprechen, daß sie Joachims Worte vergeben und vergessen müßte, als wären sie nie gefallen. Und als sie schwieg, fuhr er eindringlich weiter: „Er hat so furchtbar gelitten die letzten Tage, denken Sie, welche Nächte hinter ihm liegen. Und dann der Gedanke, daß Sie ihn auch dies zweitemal wieder im Stiche ließen in seiner ungeheuren Not." „Ich habe nichts gewußt!" Die Tränen liefen ihr über die Wangen. „Nicht weinen!" mahnte er. „Es sollte ja auch kein Vor wurf sein, nur eine Bitte, daß Sie alles das sich vor Augen führen, um seine ungeheure Erregtheit zu begreifen." „Ich begreife sie ja," wollte sie sagen, schwieg mitten im Worte und sah erschrocken nach der Biegung, an welcher Hettingen eben wieder austauchte. Verängstigt rückte sie etwas näher an Feßmann, der Joachim zuwinkte. „Ich möchte jetzt gehen, Herr Doktor!" stieß sie hervor! „Ich " Hettingen war schon an die Bank getreten und sah auf sie nieder. „Fühlst du dich wohler? Entschuldige mein Benehmen vorher! Ich scheine nicht mehr ganz normal zu fein! Gestatte, daß ich mich verabschiede!" Sie legte, ohne ihn anzusehen, die Hand in die seine. Feß- mann blickte ihm mit wortlosem Vorwurf ins Gesicht. „Wo kann ich dich treffen? Ich fahre abends nach Hause. — Ich habe ganz vergessen, Ihnen zu sagen, gnädiges Fräulein, daß Ihr Bruoer im Bellevue auf Sie wartet." Sie erblaßte vollends. „Sie haben keinen Grund, sich irgendwie zu ängstigen. , Leopold war nur in Sorge und ist gekommen. Sie heim zuholen. Wir fahren dann zusammen." Ein schwaches Kolorit stieg wieder in ihre Wangen. „Lassen Sie sich nicht mehr stören, Herr Doktor!" bat sie. „Ich komme in einer halben Stunde ins Bellevue. Wenn ! Sie das Leopold bestellen wollten." Er stand auf und bot ihr, als habe er die Worte gar nicht gehört, den Arm. „Ich habe einen Wagen vorne an der Ecke stehen. Der Chauffeur wartet schon über Gebühr lange. ! Kommen Sie, bitte! — Begleitest du uns noch das kurze Stück, >