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Sie sah ihn totl Das stolze Siegfriedsgesicht von mattem Kerzenschimmer umflackert. Mit reglosen, über der Brust gefalteten Händen, die ein anderer ihm zurechtgelegt hatte. „Joachimi" Ihre Zähne gruben sich in die Knöchel der Finger und hinterließen tiefe, ovale Eindrücke. Gehörte sie denn zu den Verfluchten, die für eine einzige Stunde der Schuld für alle Ewigkeit vom Schicksal verfolgt wurden mit nimmerenden- dem Leide? — „Joachimi" Mit heiserem Weinen bettete sie das Gesicht in die Hände. Er hatte vielleicht noch nach ihr verlangt, noch um ihr Kommen gebeten, als er fühlte, daß es zu Ende ging und sie — sie hatte, während er im Todeskampfe rang, in Mailand in Konzerten und Theatern gesessen und Shimmy und Foxtrott getanzt, um sich zu betäuben und Vergessen zu finden. Und dann wie in jäher, fürchterlicher Gewißheit: „Er hat selbst Hand an sich gelegt I —" sagte eine Stimme in ihr. Sie wurde ganz ruhig. Niemand war schuld daran, als sie allein. Dann gab es auch für sie nur noch dieses eine. Die Räderpaare des Schnellzuges hatten sich längst in Bewegung gesetzt. Sie merkte es erst, als bei einer mächtigen Kuros ihr Körper sachte gegen die Wand gelehnt wurde. Ein Blick auf di« Uhr an ihrem Handgelenk zeigte ihr die elfte Nachtstunde. Wie die Minuten schlichen! Ewigkeiten lagen zwischen jeder einzelnen derselben. „Lugano!" rief draußen eine Stimme mit scharfem Akzent. „Lugano!" Wonnen von Erwartung und Freude hatte dieses eine Wort sonst in ihr ausgelöst. Palmen und Schnee! Blauender Frühlingshimmel und tändelndes Wellen geplätscher des Sees. In dieser Stunde regte sich nichts in ihr. Bellinzona! Wann würde endlich eine Stimme den Namen dieser Station in die Nacht rufen. „Bellinzona!" ein leises Klopfen. „Eine kleine halbe Stunde noch. Gnädigste." Eine halbe Stunde noch dann kniete sie vor ihrem Toten!" Mit Fingern, die ganz starr und ungeschickt waren, begann sie sich zurechizumachen. Das gerippte Rouleau flog in die Höhe. Draußen log der Zauber einer Mondnacht über dem Gelände. Unten im Tale glänzten Lichter. Von grün- weißem Schimmer umflossen, starrten die schneebedeckten Häupter der Berge hernieder. „Wo bist du, Liebster?" Mit brennenden Augen sah sie zu den ewig schweigenden, majestätisch sich zur Höhe reckenden Gipfeln empor. „Wenn ich bei dir bin! — Immer bei dir! — Wirst du dann vergeben können — wenn nichts Erdenhaftendes mehr zwischen uns liegt? Auf den Knien will ich dir durch die Ewigkeit folgen, wenn du es mir zur Buße auferlegst." „Bellinzona, Gnädigste!" Ihre Finger griffen nach der kleinen Handtasche, legten eine Zehn-Frankennote auf das Eck-Tischchen und schoben dann den Riegel der Türe zurück. Und noch immer drehten sich die Räder und wollten nicht stillestehen. Nun endlich! — Nachtlust strömte in den langen schmalen Korridor! Jemand half ihr über die beiden Trittbretter und hielt ihre Hand fest, bis sie auf dem Bahnsteig stand. „Danke !" Menschen liefen an ihr vorüber, überquerten das Gleis und verschwanden. Draußen standen zwei Hotelwagen. Nie mand benützte sie. Maria trat zu dem Chauffeur, der sie das erstemal bei ihrer Ankunft nach Bellevue gebracht hatte. „Können Sie mich zur Villa Jankes fahren?" Er erkannte sie wieder und bejahte zustimmend. „Wenn ich keine Gäste zu befördern habe, werde ich Sie sofort hin bringen, ohne erst nach dem Hotel zu fahren." Es kostete wieder Minuten, bis der Wagen endlich die menschenleere Straße hinunterglitt. Dor dem Eingänge zum Parke, der sich um das Haus des Kommerzienrates dehnte, entlohnte sie den Chauffeur. Die Klinke des Tores gab sofort nach, als sie die Finger darauf- legte. Der breite Kiesweg lag von dem Lichte einex viel- kerzigen Birne hell beleuchtet und versprühte grünschillernde Lichter, die wie tanzende Silberfunken wirkten. Ehe sie die Hand nach der Glocke streckte, die in dem dunklen Holz der Türfüllung eingefügt war, lehnte sie noch nach Fassung ringend den Kopf gegen den kalten Stein pfosten. Der Schlag ihres Herzens versagte vollkommen. Schweiß tropfen perlten langsam die Stirne herab. Ihr Finger muhte die Glocke berührt haben, denn ein grelles Signal gellte durch die Stille des Hauses Schritte kamen über eine Treppe herab. Licht flammte auf. Maria starrte in das Gesicht, das vor ihr im Rahmen der Türe stand. „Womit kann ich dienen, Gnädigste?" „Ich bin Maria Richthofen!" Der ;ine der beiden Flügel des Einganges glitt weit zurück. „Das gnädige Fräulein werden seit Tagen erwartet!^ Sie ertrug die Ungewißheit nicht länger. Ihre zittern den Finger lehnten sich auf den Arm des Bedienten. „Was ist — mit Baron — Hettingen?" Mit 'sichtlichem Erschrecken wandte er den Blick von ihr ab. — „Darf ich Sie bitten, gnädiges Fräulein?" Er ging ihr voran. „Was ist mit ihm?" Ihre Stimme war ein schluckendes Würgen. „Ich — Herr Doktor Feßmann wird dem gnädigen Fräu lein alles mitteilen. — Der Herr Baron — ist zurzeit — nicht hier!" „Nicht hier!" nun wußte sie ja, wo sie ihn finden würde. VoN oben kam die Stimme des Doktors. „Ist Nachricht eingetroffen?" „Fräulein Richthofen — ist angekommen," wollte der Diener melden, aber Maria war schon an ihm vorbeigelaufen und die Treppe nach oben gehetzt, wo Feßmann stand. Er war über ihr unvermutetes Erscheinen für den Augen blick derart außer Fassung, daß er ihr nur die Hand zu Mieten vermochte, ohne einen Gruß zu finden L>ie sah, wie seine Augen ganz voll verräterisch glänzendem schimmer in die ihren blickten und gab den letzten Rest des ' Hoffens auf. „Tot!" ! Ohne jeden Laut glitt sie vor ihm in die Knie, fühlte, wie , sie zwei Arme hochhoben und nach einem Zimmer führten, das von einer matten Helle überflutet war. Behutsam legten sich zwei Hände um ihre kalten reglosen. „Wenn Sie sich etwas erholt haben, wollen wir zusammen reden!" ging Feßmanns Stimme über ihre Betäubung hin weg. „Jetzt!" sagte sie und hielt den Kopf gegen die Lehne des Sofas gedrückt damit er nicht zur Seite glitt. „Nein, Fräulein Maria! Erst ruhig werden! Ganz ruhig. Auch ein junges Herz vermag nicht jeden Schlag aus zuhalten, der es trifft." „Wann haben sie ihn fortgebracht? Nur das, Doktor! Nur das, wenn Sie mir sagen." Er war erstaunt. Sie schien also doch darum zu wissen. „Vor sechs Tagen schon! 2n der Nacht, in der Sie bei ihm waren!" „Vor sechs Tagen! " Ohne daß er es hindern konnte, war sie aufgesprungen und hielt seine Füße um klammert. „Und ich habe getanzt und Sekt getrunken, während er draußen auf dem Friedhof bereits verfault. Doktor ich " Er hielt ihre Gelenke fest und zwang sie auf den Diwan zurück. „Sie müssen vernünftig fein, Maria! Wie soll ich Ihnen das andere sagen können, wenn Sie sich mit solch grauenhaften Bildern tragen er lebt ja noch!" „Sie belügen mich!" weinte sie haltlos. „Nein, Maria, ich belüge Sie nicht. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, wollen Sie mir nun glauben?" In lautlosem Weinen grub sie das Gesicht in die Hände. Als sie etwas gefaßter wurde, zog er ihr dieselben herab. „Warum sind Sie nicht früher gekommen, Fräulein Richt hofen?" „Ich habe es erst diesen Abend im Zuge erfahren, daß Sie mich suchen." „Joachim befindet sich schon seit dem achtzehnten in Unter suchungshaft." Völlig entgeistert, starrten ihre Augen zu den seinen auf. „Herr Doktor haben Sie Erbarmen." — Er nahm ihre unruhigen Finger zwischen die seinen und zwang sie, still zu liegen. „Er soll ein junges Mädchen er mordet haben! Man fand Blutspuren in seiner Baracke so wie an seinem Hemde und an seinen Kleidern. An seinem Mantel ist, in die Knöpfe verwickelt, blondes Haar entdeckt worden, wie es die Tote trug. Da er nicht angibt, wer diese Nacht bei ihm in der Baracke war, nimmt das Gericht an, daß es die Ermordete gewesen sein muh!" „Doktor! —" „Man hat also lückenlose Beweise gegen ihn — gefesselt wurde er eingeliefert. Er ist nicht zu bewegen, den Mund aufzutun und sich zu verteidigen. Die Richter sagen, wenn er sich nicht reinwäscht, wird er unter das Beil kommen!" Weit aufgerissen starrten die Augen des Mädchens ihn an. „Kommen Sie, -Herr Doktor!" „Wohin?" „Zum Gerichte!" „Jetzt Fräulein Maria?" „Wenn kein Richter wach ist, kann ich meine Aussagen auch,auf der Polizei machen."