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16166 Svrsenblaü f. d Dtschn. vuch-anbel. Nichtamtlicher Teil. 295, 19. Dezember 1912. seine Frau, die unkontrollierbare Wutausbrüche hatte, und flüchtete nach Frankreich. Hier lernte er eine Französin ken nen und lebte mit ihr bis zu seinem Tode in einer wenig glück lichen Gewissensehe. Mr. Morley sagt in einem Vorwort, das; Gissing ihn beauftragt habe, sein Leben wahrheitsgetreu zu beschreiben und daß er diesen Auftrag nach bestem Gewissen ausgeführt habe. James Douglas, der vorzügliche Kritiker des »8tar«, protestiert in einem längeren Artikel gegen Ent hüllungen solcher Natur seitens der Schriftsteller, sei es nun in Biographien oder Romanen nach dem Tode von Personen, die mehr oder minder in der Welt eine Rolle gespielt haben, und deren Gedächtnis bei ihren Mitmenschen dadurch in den Schmutz gezogen würde. Im allgemeinen kann man solch einem Protest nur beistimmen. Eine gelinde Sensation wurde den Theater-Liebhabern Londons durch die Nachricht, die die Blätter durchlief, be reitet, daß Professor Reinhardts Schauspiel »L Venetian kkiZllt« von Lord Chamberlain, dem Zensor der Aufführungen, verboten worden sei. Alle Welt war erstaunt und fragte sich, warum? — Professor Reinhardt selber konnte keinen Grund für diesen Schritt angeben und schrieb es einem Mißverständnis zu. Die Verwaltung des »Lalaes Tkoatre« und vr. Reinhardt unternahmen sofort die notwendigen Schritte, um den Zensor zur Zurücknahme des Verbotes zu bewegen, Schritte, die auch von Erfolg begleitet waren. Lord Chamberlain selber wohnte einer Kostümprobe bei, und was er da gesehen hat, mutzte den Allzugestrengen wohl von der Ungefährlichkeit einer »Venezia nischen Nacht« überzeugen, da die Ausführung infolgedessen erlaubt wurde, überhaupt wird der Ruf nach dem Zensor überall lauter, da neuerdings auf den Londoner Bühnen Stücke aufgeführt werde^, die vor etwa zehn Jahren nicht er laubt worden wären. Viele Theaterdirektoren sollen eine strengere Zensur willkommen heißen, da manche aus dem Französischen und Deutschen adaptierten Schauspiele und Komödien den offiziell anerkannten hiesigen »Sittlichkeits begriffen« zuwiderlaufen. Der Hauptgrund aber ist, daß die puritanische Partei, die auch in Regierungskreisen großen Einfluss besitzt, einen großen Feldzug gegen das Theater plant; daher haben sich auch die Fabrikanten der Films für Kinematographen und die Bilder-Theaterbesitzer zusammen geschlossen und den früheren Thcaterzensor Mr. Redsord zum Zensor der Films für Großbritannien ernannt. Diese frei willige Zensur zum Schutz der Interessen der Kinemato- graphen-Theater-Besitzcr wird von jedermann gutgeheißen! In dem freien Amerika, Dänemark und Norwegen sollen ziemlich strenge Gesetze in dieser Hinsicht exi stieren und in Österreich ein solches am 1. Januar 1913 in Kraft treten. Unbegreiflich ist es, daß die Autoren und das englische Publikum eine derartige Zensur seitens der Kine matographen billigen, aber in Aufregung geraten, wenn sich die Buchhändler und Leihbibliotheken zusammentun und sich weigern, gewisse Publikationen des inländischen und aus ländischen Buchhandels zu verkaufen oder zu verleihen, um sich so gegen Unannehmlichkeiten, die ihnen die Polizei und die Zollbehörden bereiten können, zu schützen! Hierzu kommen noch die Verleumdungsklagen und die Überwachung seitens der »Vigilance-Society« in Betracht. Was dem einen recht ist, ist dem andern billig! Aber hat das Publikum jemals Sinn für Logik oder Gefühl für Gerechtigkeit ge zeigt? Gewisse Bilder und unsittliche Bücher mit Illu strationen können nach dem hiesigen Gesetz von der Polizei ohne weiteres mit Beschlag belegt und von den Zollbeamten an der Grenze konfisziert werden, ohne daß den Betroffenen irgendein Schadenersatz gewährt wird, ja sie können von gro ßem Glück sagen, wenn sic nicht vor Gericht gestellt und wegen Verbreitung unsittlicher Bücher, Bilder usw. zu Gefängnis strafe verurteilt werden. Neuerdings mußte der Verleger Werner Laurie ein Werk des Schriftstellers Adams: Vornan anü Orims (10/8 not) aus dem Verkehr zurllckziehen, da Madame Steinheil, die jetzt in Norwood bei London lebt, die Verleumdungsklage (Iübsl-8mt) gegen ihn anstrengte. Die Leihbibliotheken ent fernten das Werk aus ihren Katalogen. Weihnachten wirft seine Schatten voraus. Die Obristmas dlumdsrs der verschiedenen Zeitschriften sind schon erschienen und in den Zeitungsläden und Buchhandlungen zum Verkauf ausgestellt, über die große Frage, ob die modernen Kinder bücher wirklich an das Herz und Gemüt der Kleinen appellieren, sind die Meinungen sehr geteilt. Mr. Owen hat sich der Mühe unterzogen, die Kinderbücher des letzten Jahr- Hunderts zu sammeln, und wird etwa 2000 verschiedene Er zeugnisse dieser Art auf der Olnlckron's Velkaro Lxllibiticm, die im Januar 1913 in Olympia abgehalten wird, ausstellen. Es ist Wohl keine Frage, daß sie, was künstlerische Auf fassung, Farbengebung usw. anbetrifft, sich nicht mit den von Arthur Rackham, Edmund Dulac usw. illustrierten Märchen büchern messen können, aber es ist doch wahrscheinlich, daß die älteren Bücher durch ihren ungewollten Humor und naive Auffassung mehr zu dem Kinderherzen sprachen, als die neueren, schön ausgestalteten, aber textlich den Schulmeister verratenden Bücher. Etwa 400 sind zwischen 1800 und 1830 in gutem Farbendruck gedruckt und bilden einen nicht unwill kommenen Beitrag zur Kostümkunde dieser Zeiten. Ein Sammler von Kinderbücher bemerkt in einer Kritik von Joseph Shaylors Werk Tke kÄsciimtion vk Looks (Limxkins. 6/net), daß Kinderbücher um 1780 und 1770 in englischer Sprache äußerst selten waren, daß aber schon um 1825 eine stattliche Anzahl zu finden sind, er selber besitze etwa 2000 derselben. Das hier erwähnte Buch Shaylors, des leitenden Direktors der Firma Simpkins, Marshall L Co., des englischen Barsortiments, ist ein äußerst spannendes Fachwerk, das allen an der Buchproduk tion interessierten Fachgenossen empfohlen werden kann. Deutsche Buchhändler und Verleger können durch seine Lektüre einen Einblick in das englische Buchgewerbe und seine Absatz quellen erhalten, den sie auf keine andere Weise gewinnen können, so daß eine Übersetzung des Buches im allgemeinen Interesse zu wünschen wäre. Jeder deutsche Buchhändler kennt das vor etwa zwei Jahren erschienene Werk Bleibtreus »Zur Lösung der Shakespeare-Frage«. Bleibtreu stellte in diesem Werke die Behauptung auf, daß Lord Rutland der Schreiber und Ver fasser der Werke Shakespeares sei und nicht Bacon. In England nahm man verhältnismäßig wenig Notiz von der Behauptung des deutschen Shakespeare-Forschers. Jetzt wird dieselbe Entdeckung von einem Belgier gemacht, und selbst das literarische Supplement der Times nimmt dazu Stellung. Monsieur Cölestin Demblon mag die Ent deckung unabhängig von Bleibtrcu gemacht haben, und auch die Artikel, die neuerdings im Figaro über die Shake speare-Frage erschienen, mögen ohne Kenntnis der Schrift des deutschen Verfassers geschrieben sein. Jedenfalls soll hier festgestellt werden, daß die Priorität dieser angeblichen Entdeckung einem deutschen Schriftsteller gebührt. Cölestin Demblons Buch führt den Titel: »Lorä Lutlanck est 8tmke- spoaie« und erschien zum Preise von 3.50 Frcs. im Verlag der Inbraiiie cles Liblioptülos karisiens, Lneienno dlaison 6ar- rinAton. In dem versandtenProspektheißtes, datzes demBclgier Demblon Vorbehalten gewesen sei, die große Entdeckung des Jahrhunderts zu machen, daß Roger Manners, der fünfte Lord Rutland, der Verfasser der Werke Shakespeares ist! Was wird Herr Bleibtreu zu der Enthüllung seines Kollegen Demblon sagen? Kannte Demblon das Buch Bleibtreus? Oder ist dies wieder eine jener sonderbaren Zufälligkeiten, wo zwei unab-