Volltext Seite (XML)
Beilage z»n» Frai»kenl»erger Tageblatt Nr. 4S Dvnnerstag, den SS. Februar IS28 87. Jahrgang «eWpkSjident und Reichstagr- auslSlunn Van Frhvn. V. Freytag h-Loring Hoven, M. d. R. M» die ersten Anzeichen der Krise zutage traten, in der wir heute stehen, richtete der Reichs- DvLsidsnt einen Brief an den Kanzler, in dem Wc mit allem Nachdruck auf die Notwendigkeit Diner Einigung unter den Regierungsparteien chinwies. Es fei vor allein eine Verständigung Lber das Schulgesetz anzustrebon, aber selbst wenn Diese nnßlinge, habe der Reichstag dringende Mnd wichtige Aufgaben zu erledigen: die Hilfs- »ltton für die Landwirtschaft, die Gesetze über Die Liquidationsfchäden und das Strafgesetzbuch. flbeuMch klang aus dem Bries heraus, daß diese ^Pflichten erfüllt sein müßten, bevor eine Auf- DKfung in Frage käme. Die Regierungsparteien nahmen diese Mahnung niit der gebührenden Achtung aus und versuchten, -um Teri sicher in aller Aufrichtigkeit, sich zu verständigen. Im Gegensatz dazu unternahm es !dio sozialistische Presse, den Bries »licht nur als politisch unzweckmässig zu bekümpfon, s>mdern ihn auch als verfassungswidrig zu bemängeln; sie, die dem Präsidenten Ebert stets die größte Hand lungsfreiheit zugestandsn und z. B. gegen die vom ihin geübte, über den Willen der Verfassung weit Hinausgehande Anwendung des Diktalur- artkkels 48 nie Einspmch erhoben hatte, wollte ekun den Reichspräsidenten zu einer rein dekora tiven Figur herabwürdigon. Sie behauptete einerseits, er bedürfe für jede seiner Handlungen der Gegenzeichnung, anders ausgedrückt, der Ge nehmigung des Kanzlers, lind sei schon deshalb nicht befugt, diesem Weisungen zu erteilen. An dererseits berief sie sich auf die Vorschrift, das; der Kanzler die Richtlinien der Politik bestimme. Beide Behmrpinngon können zwar den Nicht- juristen täuschon, sind aber vollkommen haltlos. Wmn es heißt, daß der Kanzler die Richtlinien der Politik bestimme, so bezieht sich das einzig und allein aus sein Verhältnis zum Ministerium, wie sich aus dem ganzen Zusammenhang, iirsbe- isonder« auch aus der unmittelbar daran an- Ailüpfenden Regel ergibt, daß innerhalb dieser Michflinien ioder Minister sein Ressort selbständig leitet. Wollte man die Auslegung der sozm- Wrschsu Presse gelten lasse», so müßte man die Richtlinien des Kanzlers auch als für den Reichs tag verbindlich erkläre». Das aber wäre offen barer Widersinn. Noch unbegründeter ist die Berufung auf die Notwendigkeit einer Gegen zeichnung. Eine solche ist nur für „Anordnungen und Verfügungen" des Reichspräsidenten notwen dig, d. h. für Handlungen, die auf rechtliche Wirkung Anspruch erheben. Davon ist hier nicht «die Rede. Der Reichspräsident ordnet nicht an und verfügt nicht. Er mahnt. Er vollzieht keinen ! rechtlichen Akt, sondern will politischen und mora- , Asche» Einfluß ausübon. Das ist zweifellos sein ! gutes Recht, wenn es auch in der Verfassung, 'die nur Rechtsfragen regelt, nicht festgelegi ist. Es ergibt sich aus der allgemeinen Stellung des Staatsoberhauptes, von der besonderen Stellung des greisen NationalheldM ganz zu schweigen. Es ergibt sich aber auch unmittelbar aus seiner Befugnis, den Reichstag aufzulösen oder nach seinem Ermessen die vom Reichstage selbst ge wünschte Auflösung zu verweigern. Man stelle sich einmal vor, daß der Reichstag seine "Pflicht »sicht erfüllt, ohne daß der herr schenden Mehrheit an einer Auflösung gelegen wäre. Wer wollte da bestretten, daß der Reichs präsident, bevor er zu dem äußersten Mittel der Auflösung greift, berechtigt wäre, mahnend und warnend daraus hinzuweisen, daß er nötigenfalls dieses Mittel anwendon werde? Ist dem aber so, so inuß dein Reichspräsidenten auch im um gekehrten Falle das Recht zugestanden werden, zu erklären, daß er die Auflösung nicht bewilligen werde, bevor der Reichstag gewisse dringende Aufgaben erledigt hat. Formell ist es selbstver ständlich, daß er diese Mahnung an den Kanzler kickstet, der verfassungsgemäß seinen Verkehr mit dem Reichstage vermittelt und der amtlich als der Vertrauensmann der Mehrheit gilt. ! Darüber hinaus muß gerade heute betont werden, daß es das gute Recht, ja unter Um ständen die Pflicht des Reichspräsidenten ist, seine , Warnung zur Wirklichkeit werden zu lassen und trotz Drängens der Parteien die gewünschte Auf- löslmg zu verweigern. Maßgebend hierfür ist die Tatsache, daß die vierjährige Wahlperiode sehr wohlüberlegt in der Verfassung festgesetzt ist. Die Unabhängigen Sozialdemokraten verlangten in Weimar eine zweijährige, die Regierungspar teien eine dreijährige Periode, während die Rechten für fünf Jahre eintraten. Diese erstrebten eine stabile Reich-Politik; jene wollten zugleich den Massen stärkeren Einfluß sichern und die Möglichkeit haben, diese Masson durch häufige Wahlen in Erregung zu halten. Die jetzt gel tenden vier Jahre waren das Ergebnis eines nicht leicht erzielten Kompromisses. Es geht nun nicht an, die so gewährleistete Stabilität durch leichtfertig herbeigeführte Wahlen zu erschüttern. Da« stünde im unmittelbaren Widerspruch zur Verfafstmg. Da nun die Entscheidung über die Auflösung in den Händen des Reichspräsidenten liegt, ist er damit zum Hüter der Verfassung in dieser, wie in mancher anderen Frage bestellt. Er kommt deshalb nur keiner Pflicht nach, wenn er durch Verweigerung ' er Auflösung einen Druck auf die Parteien ausübt und sie zwingt, zunächst die dringlichen gesetzgeberischen Aufgaben zu er- ledigen. Gewiß, die'Parteien können sich wider setzen. Sie können ihre Minister abberufen, kömron ein Beanrtenkabinett durch ein Miß trauensvotum stürzen, können alle Vorlagen ab- lehnon. Aber woim sie so handelten, würden sie nach der dadurch unvermeidlich gewordenen Auf lösung den Lohn in den Neuwahlen enrpfangen. s So «liegen die Dinge rechtlich und tatsächlich. Und weil sie so liegen, ist der Reichspräsident in der gegenwärtige» Krise stärker als dis Par teien. Selbst diejenigen unter ihnen, dis aus die Auflösung hingoarbettet haben, müssen sich ihm fügen und der Aufstellung eines Arbeitspro gramms zustimmon, das noch vor dsn Neuwahlen erledigt wird. Mr das Wohl des Reiches und ! Volkes aber ist es zu begrüßen, daß dem Reichs- präsidsirton solche Möglichkeiten offen stehen und daß er irr Pflichtbewusstsein und Verantwortungs- bereitschaft den Entschluß gefunden hat, von die sen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Mit Ent schiedenheit muß es jedenfalls zurückgewieson wer den, wsnn kn durchsichtiger Absicht versucht wird, mit unhaltbarer, pseudowissenschaftlicher' Begrün dung sein Recht anzuzweifeln. Der Rlam rührt sich Von Rud. Brühl, Konstantinopel. Mehr als einmal hat die Türkei erklärt, daß sie ein „unreligiöser Staat" sei. Aeuszerlich be trachtet, besteht diese Erklärung sicherlich insofern! zu Recht, als die Angora-Republik das Kalifat abgeschafft, die Macht der Geistlichkeit sehr be schränkt und den Begriff der religiösen Feiertags sehr eingeengt hat. Mehr als das: Kürzlich wandelten unter der Führung des ersten Mufti Geistliche und Staatsbeamte durch die Straßen Stambuls, um die Moscheen zu bestimmen, die „in Anbetracht der immer mehr abnehmenden ! Zahl der Gläubigen geschlossen werden sollten." « Es gibt aber auch eine andere Seite. Amerika nische Lehrkräfte der amerikanischen Schule M Brussa (Kleinasien) waren jüngst so töricht, bei ihren Schilerinuen heimliche Belehrungen vorzu nehmen, die einen Sturm der Entrüstung gerade inden Kreisen hervorriefen, die gesteigerten Wert aus ihre Ungläubigkeit und die Abschaffung aller kirchlichen Einrichtungen zu legen scheinen. Gewiß ist dieser Widerlnruch kulturell und politisch be gründet; gewiß ist er zu verstehen und in seiner Refften Quelle gar kein Widerspruch in unserem! Sinne; das ändert aber nichts an der Tatsache, daß auch die ungläubigsten islamitischen Kreise immer wieder auf das Kulturland des Islams zurück grellen, wenn sie diese Kultur, die sie selbst' untergraben, von anderer Seite angegriffen sehen. Die Abschaffung des Kalllats aber hat es mit sich gebracht, daß alle wirklich muselmanischen Fragen heute nicht Mehr auf türkischem, sondern! auf arabischem Boden behandelt werden: Mekka, Hauptstadt der Hedfchas und seines außerordentlich klugen Fürsten Ibn Sckud, ist der Sih der wirklich islamitischen Ratgeber. Be zeichnend genug erscheint es, daß der aufgeklärte; Ibn Saud bis heute keinem Ungläubigen ohne Weiteres den Zutritt zu dieser geheimnisvollen Stadt gestattet, daß er sogar „Neu-Muselmanen^ den Zutritt verweigert. Es wäre sonst zu leichk möglich, „daß christliche Politiker und Journalisten! unter dem Deckmantel ihres zu diesem Zweck« erworbenen islamitischen Scheinbekenntnisses in die heftige Stadt eindringen." Der Hedfchas arbeitet hellte mit allen Mitteln gegen die europäische Politik, wie sie sich kn de» Bemühungen Frankreichs und Englands zeigt. Hinter dem Fürsten aus Mekka stehen alle gute» Mohammedaner von Angora bis Kairo, von Mekka bis Jerusalem, und diese politische Kampf, stekluirg hat eine Einigung hervorgebracht, dia ebenso stark ist, wie eine volle Einigung zwischen Protestanten und Katholiken es für die christlich«! Welt wäre: Ibn Saud und die Seinen siM> Wahabiten, gehören einer Sette an, die in dep nmselmanische» Welt etwa dem Protestantismus !zu vergleichen ist. Und doch stehen die er- ! bittertsten Feinds dieser Lehre hinter ihm. Man denke nicht, daß es sich hier letzten Endes doch wohl um wilde Kerle handelt, die, ihre KnalÜ- büchse über der Schulter, durch die Wüsten rasen; 'man nehme sie als das, was sie sind: al- außerordentlich kluge und weitsichtige Politiker, die ihre Fäden bis Indien auf der einen urü» bis in die europäische Welt auf der anderen Seite spinnen. Wem das unglaubwürdig erscheint, den möge der gerade jetzt spielende Kampf um die Hedschas-Bahu eines Besseren belehren. Die Hedschas-Bahn hatte bekanntlich der Sultan Abdul Hamid als Pilgerbahn erbaut, und dl« ' ganze islamitische Welt war dabei der Geldgeber^ ; auch der Aermste gab seinen Beitrag für di- fromme Tat. Vor einiger Zeit hatte die R«. gierung des Hedfchas Wei den Verhandlungen mit England um ven Vertrag von Dschidda ge fordert, daß England offiziell die Hedschas-Recht« auf die Bahn anerkenne und die Bahn voll unter! arabische Verwaltung gestellt werde. London er klärte jedoch damals, daß es ohne die Zustim mung Frankreichs nicht unternehmen könne; «» wurde eine Konferenz vorgeschkagen, in der das — für beide Parteien politisch wie strategisch — sehr wichtige Vahnobjett behandelt werden sollt«. Inzwischen verstand es die Hedschas-Negierung, sich alle Dokumente zu verschaffen, auf die si chre Rechtsansprüche stützen konnte, und wartet* die Einberufung der Konferenz ab. Jetzt geht ein Wutschrei durch die gesamt» islamitische Presse. In Damaskus und Jerusa lem, in Kairo und im Sudan einigen sich di« Stimmen, die vor den englischen und französischen Machenschaften warnen: die beide» Staaten hät ten — heißt es — die Konferenz nicht abgehalten, sondern beschlossen, als Mandatarniächte aufzu treten und die Bahn mA allein Inventar im Namen Transjordaniens, Syriens und Palästina« aufzuteilen, das heißt, in eigenen Besitz zu nehm«» und dieses Vorgehen vom Völkerbund sank tionieren zu lassen. Der Plan dürste trotz aller Vorereitung an