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„Sind Sie noch immer so fest davon überzeugt, daß es Roy gelingen wird, Mister Bredow aufzufinden?" „Wer ganz fraglos, liebste Mssis! Ich bin meiner Sache so sicher wie Harrison selbst." „Dann, mein Lieber, können Sie keine Häuser darauf bauen, denn der gute Roy ist gegenwärtig etwas abge kämpft," gab Roy seine stumme Ergänzung zu der Unter haltung- „Wenn nur Roy nicht immer so alles auf die leichte Schulter nähme, dann würde ich auch mehr Vertrauen zu ihm haben! Er ist aber so entsetzlich leichtsinnig." „Schwesterseele, zieh' dich gefälligst an deiner eigenen Nase, aber nicht so heftig, datz du sie dir dann putzen mutzt, denn, Süße, du hast kein Taschentuch mehr." Roy ver gnügte sich zwar göttlich über die Unterhaltung, aber er filrchtete, damit zu viel Zeit zu verlieren, und beschloß, die zwei zu verlassen. Doch sich einfach still und leise zu drücken, widerstand seiner Natur, uüd so drückte er sich an Dasy vor bei und trat ihr ganz leis und sacht, aber merklich spürbar, auf den kleinen Fritz. Ehe Daisy aber nur den schmerzenden Fuß heben konnte, war der „verfluchte" Kerl schon weg. „Ich halte es doch für ratsamer, Missis, wenn wir uns bei der eintretenden Dunkelheit in sichere Gegenden begeben,'^ sagte Mister Hartung und reichte Daisy, die eine Mordswut auf den Kuli in iAem Busen hegte, dm Arm. „Es wird wohl auch so langsam Zeit, uns zum Essen ein zufinden?" „Ich bin ja zu gespannt, ob Harrison heute abend wirklich mit Bredow ankommt?" „Ein Segen wäre es, denn in unserem netten, vergnügten Kreis herrscht jetzt so eine Begräbnisstimmung." — — — Und Roy indes? Er frönte zwei gleich lästigen Beschäfti gungen, — er hatte Hunger, mä> er dachte nach.. Und der Erfolg war, dah er vor Hunger denken konnte und das Denken sich nur mit seinem Hunger beschäftigte. So zwiefach stark beschäftigt, kam er in Lo Lungs Ammer an, hatte eine Laune, die er selbst bei anderen mtt einer „Saulaune" bezeichnet hätte. Er suchte sich in der Nähe des sogenannten Büfetts einen Platz, erstens in der Hoffnung, daß ihm ein kühner Griff etwas Eßbares einbringen würde, zweitens hofft« er, daß Lo Lung, der noch durch Abwesenheit glänzte, sich mit Tse Hai, der schon an dem Büfett saß, unterhalten würde und datz er da einiges aufschnappen könnte. Wenn die liebe Vorsehung ihn schon mit Hunger plagte und ihm keinen kühnen Griff gelingen ließ, so entschädigte sie ihn doch auf anderem Gebiet in großzügigster Weise. Lo Lung kam aus den Hinteren Räumen mit allen Zeichen der Aufgeregtheit und redete in großer Hast auf Tse Hai ein; und zwar in englischer Sprache, da er sich mit einem Blick überzeugt hatte, datz augenblicklich in den Räumen nur Ein geborene sahen. „Was sagst du dazu, Tse Hai, dieser deutsche Schuft behauptet, er sei gar nicht Mister Bredow, als ich von ihm verlangte, dah er mir einen Scheck ausstelken solle auf dir hiesige Bank!" „Was?! — Er sei nicht Mister Bredow? — Wer will er denn sein?" „So eine schlaue Kanaille! Damit will er sich nur um das Ausstellen des Schecks drücken! Wie will er denn be weisen, dah er nicht der richtige Mister Bredow ist?!" „Er erklärte mir hohnlachend, dah ich einen Scheck mit seiner Unterschrift gar nicht bezahlt bekäme, da ja die Unter schrift doch falsch sei!" „Verdammt! — Wo steckt denn dann der richtige Mister Bredow?! Halt, ich habe es, das wird dann eben der andere sein, der jetzt die Rolle des Sekretärs fpielt, denn nur der ist doch mit ihm an Bord gegangen m Bremen." „Auch das kann nicht stimmen, denn er hat mir gesagt, daß Mister Bredow in Indien geblieben ist und er hier nur die Geschäfte für Mister Bredow erledigen soll!" „So, und an Bord kannte ihn jeder als den Stahlkönig! Nein, nein, mir macht er das nicht weis, ich kann mir schon denken, dah er uns gerne an der Nase herumführen will, um hier aus diesem Loch zu kommen. Wer wäre denn dann der andere Deutsche, der immer mit ihm zusammen ist und der doch auch über die Geschäfte der Stahlwerke unter richtet ist? Und an Bord hat man mich doch zu ihm ge wiesen, als zu dem Stahlkönig Bredow? Nein, ich gehe nicht in seine Falle, er ist Mister Bredow und wird den Scheck unterschreiben, sonst werden wir ihn dazu zwingen müssen!" - stM» war er drauhvl und fein WMdesien drin! Wenn er «« wenigst«» einen Liemen cm feiner Toilette gehabt Hütte, den er enger schnallen konnte! Wer auch diese Er- «Kterung wurde seine« knurrenden Magen nicht, und so «g Roy, nicht ck« sonnig« Laune, aus dem Hotel weg die Straße entlang. Doch dann siegte sein gesunder Humor, und er lachte vor sich hinr > „Na, wenigsteus habe ich den klaren Beweis, daß mich niemand erkennt, denn wenn mich der Franzose, dieser g«. mein« Kerl dem ich die Fußtritte noch eintränken werde, in meinem eigenen Zimm« rächt erkennt, so wird mich Lo Lung in der Verkleidung bestimmt nicht erkennen. Also — auf in den Kampf! Und Gnad« Gott dem Schurken, wenn ich heute nicht zu meinem Ziel komme und etwa noch lange hungern' mutzt'' — — — In den halbdunllen Straßen war noch reges Leben, die mehr oder weniger sauberen Kaufstände waren den Käu fern noch zugänglich, und in Roy, der da so still und froh als Kuli sich durch die Menge schob, keimte der Plan, sich doch «och etwas Eßbares zu erstehen, denn sein Hunger wurde iuwl« brennend«, und er fühlte schon so langsam die Schärf« und Genauigkeit seines Verstandes unter den Hungerempfindung en dahinschwinden. An dem Kaufstand «ne» Sühigkeitshäudlers hielt er an und sah sich die Aus lagen an. Sanz besonders lockten ihn die appetitlichen Back waren, und « griff m die Taschm sein« Hosen — und stellte fest, datz « keine« Pfennig Geld bei sich hatte. So iss« richtig! Run hört ab« die Gemütlichkeit auf! Acht w«d« ich zmn Löwen! Was mm? Essen muh ich, da» steht f«k also «uh ich klauen!" Roy schlich sich möglichst unauffällig an den Verkaufsstand heran, um sich etwa» Eßbares zu verschaffen auf dem sonst für ihn nicht «blichen Weg«; doch hatte die gütige Vorsehung «» «ders mit ihm im Sinne, er sollte semen Hunger leidensweg bis zum EM>« gehen. Im Augenblicke, da er sich etwas von der Backware greifen wollte, hüte er hinter sich «ine ihm merkwürdig bekannte Stimme, dir in deutscher Sprache sagte: „Wenn dies« verfluchte Kerl dort nicht im Begriff steht zu stehlen, dann will uh Hans heißen!" Roy drehte sich vorsichtig um, und siehe da, der verfluchte Kuli war «, und der Sprech« war Mister Hartung, der mit Daily Sörensen langsam die Straße entlangbummelte. Brü derlich waren Roys Gedanken bei Daisys Antwort nicht, dos konnte man nicht behaupten. „Mau sollte diesen Verbrecherburschen einfach der Polizei übergeben, damit er seine wohlgemessene Rutenstrafe ab- bekäme! Man ist ja nie sicher, ob emem dies Gesindel nicht den Hui vom Kopfe stiehlt." ,M«nn auch das nicht, sühes Schwesterherz," sagte Roy zu sich selbst, „so werd« ich dir deine Handtasche mausen, die du da so unvorsichtigerweise am Arm hängen hast." Er schlich sich im Gedränge an Daisy heran, und es gelang istn tatsächllch, sich ihr« Tasche zu bemächtigen, ohne daß Daih etwas davon merkte. „So," sagt« Roy und machte sich schnell davon, „nun geb« Gott, dah Daisy ihr« alten Gewohnheit getreu geblieben ist und datz sie etwas Ehbares in ihr« Tasche hat." Aufgeregt untersuchte er den Inhalt, und siche da, er fand etwas — „Ausgerechnet Sahnebon bon»! — Eine Sache, die ich nicht essen kann, und hinge mein Leb«« davon ab. — Himmeldonnerwetter! Warum ißt Daisy denn nur ewig dieses scheußliche Zeug?" Er verstaute Daisys Handtasche in den tiefen Taschen seiner weiten Hosen und gmg schwerbetrübt weit«, denn erfand auch kein Geld darin. » Ein Blick aus eine Uhr zeigte ihm, daß es hohe Zeit für ihn fei, sich zu Lo Lung zu begeben, wo schon sicher der Hochbetrieb eingesetzt hatte. Einen festen Plan hatte Roy sich »och nicht gemacht, wie er zu Bredow gelangen könne, « wolle sich von der Eingebung d«s Augenblicks letten lassen. Er ging nur von dem Gedanken aus, daß es ihm, als Thinese verlleidet, wohl leicht« werden würde, in die Hinteren und intimeren Räume des Hauses zu kommen, da Lo Luag doch jetzt sich« doppelt vorsichtig war, keine Euro pa« hinter seine Kissen sehen zu lassen, da er bezüglich fein« Gefangenen «in sehr schlechtes Gewissen hatte. Der Zufall führte ihn noch einmal seiner Schwester Daisy und Mist« Hartung über dm Weg, die wohl vor dem Essen noch einen kleinen Spaziergang machten. Es bereitete Roy ein großes Vergnügen, hinter den beiden herzugehen und estriges von der Auterhaltung aufprschnappen.. Er hörte