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Bor und nach dem A ftreUs in Attentat ans Dr. Seipel - Italienische 1 SchMndorf-Ahreiisdors (Von unserem Berliner Vertreter.) Berlin, 19. Juli. Pvy Wunde au Stunde beweisen die aus Oester, reich eintreffenden Nachrichten deutlicher, wie recht Wenigen chatten, die drlngenv davor warnten; Ue VorgänFe in Oesterreich als „spontane Er- UgunZ der Volksseele" aufzufassen. Davon kann Mr keine Red« sein. Es handelt sich hier nicht M zufällige Zusammenstöße, sondern um Pin« ganz bewußte systematische Auf wiegelung der Massen. Wir sind in der Hage gewesen, Berichte von Augenzeugen zu hören, pus denen ganz eimvandfrei hervorgeht, daß Huch an dem kritischen Freitag auf den Straßen Drahtzieher am Werke waren und daß die Massen keineswegs zufällig nach dem Justizpalast hin- Mtrömt sind, sondern nach wohldurchvachtem Plan Ifindingiert wurden. Ebenso steht jetzt fest, daß auf Seite der Auf- pändtschen die ersten Schüsse gefallen sind. Es ist geradezu ungeheuerlich, wenn reichsdeutsche linksstehende Zeitungen es wagen, angesichts dieser Tatsachen noch von einer „Schuld der Polizei" zu sprechen. Das ist die alte Taktik der Berliner Wwesen Jungen: „Wenn ick jemand auf de MyMdogen trete, vastshste, dann hau ick ihm Mich hinterher eins in de Fresse, bevor er mir duhrm kommt." Mit diesem Rezept mag man vielleicht auf den: Berliner Wedding auskommen, rvüm aber im volitischen Leben. Es scheint, als wejju dies« Erkenntnis auch bereits der öster- teichMen Regierung aufgedämmert ist, die bisher versucht hat, des Aufruhrs durch ein Alkohol- Verbot Herr zu werden, sich aber doch inzwischen hat Überzeugen müssen, daß der Gewalt nur Ge walt entgegengesetzt werden kann. Das Standrecht M über Wien verhängt worden, und die Polizei fängt endlich an, energisch mit Verhaftungen durch- Mgreisen. Schon die ersten Feststellungen haben ergeben, dß ekn großer Teil der Festgenommenen Kommunisten sind, und damit dürste wohl der Charakter des Aufstandes hinlänglich gekennzeich net sein. Es kann gar nicht genug verurteilt werden, wenn eine gewissenlose Presse sich noch kmMr bemüht, die Vorfälle auf den Schatten- WkM Prozeß zurückzuführen und deutliche Pa- raMen zwischen „Schattendors" und „Ahrens dorf" zieht. Ist politischen Kreisen ist man sich völlig klar darüber, daß diese Tendenz, deren Absicht ja gar nicht zu verkennen ist, darauf hinausläuft, auf das deutsche Gericht, das sich ylit den Ahrewsdorser Vorfällen zu beschäftigen Haben wirb, einen Druck in dem Sinne auszuüben „Wehe Huch, wenn . . ." Alle, die das schreiben ünd dWit wissentlich oder unwissentlich dieselben WyMtHe provozieren, die jetzt in den Straßen WWS ilstzählige Opfer gefordert haben, sollten doch selber wissen, daß die Sache bei uns noch etwas anders kommen würde. Sie können ja jetzt sehen, daß die Sozialdemokraten selbst in Oesterreich durch den Aufstand in eine so un- halibare Lage geraten sind, daß sie heute schon hlle Förderungen auf Eintritt m die Regierung sind Rücktritt des Bundeskanzlers und des Polizei präsidenten fallengelassen haben und krampfhaft hach einer Komproinißlösung suchen, die ihnen «inen anständigen Rückzug sichert. Soweit wir unterrichtet sind, besteht nicht der leiseste Zweifel darüber, daß die Vorgänge in Wien jetzt endlich das österreichische Bürgertum aus seinem traditionellen Phlegma aufgerüttelt haben und daß es langsam einsieht, wem es durch seine Gleichgültigkeit die Wiener Verwaltung in vle Hände spielte. Auch die österreichische Ne- gieruW dürfte aus den Erfahrungen, die sie jetzt Mit ihrem Bundesheer machen mußte, die nötigen Könseguenzen ziehest- Entgegen anderslautenden Meldungen haben wir sichere Nachrichten, daß ein Leit der Truppest sich Mit geweigert hat, gegen Lie AusständiMl porzugehen — kein Minder, wenn iijan weiß, daß fast diel Viertel des Heeres, Mannschaft«!, wie Offiziere, sozialdemokratisch or ganisiert sind. Wie wir erfahrest, ist es IM auf die Unzuverlässigkeit des Heeres MückMÜhren, daß Truppen und Polizei aus der Stadt zurück genommen werden mußten- Vicleant consulas! des General- Die Beisetzung der Opfer Amtliche Mitteilungen über die Lage Wien, 19. 7. (Funkspruch.) Die Einstellung des Berkehrsstreiks in Oesterreich ist zweifellos durch eine Reihe von Ereignissen hervorgerufen worden, die sich vor allem in den westlichen Ländern Tirol und Vorarlberg abgespielt haben. Die BerkehrsaufnahNie, die dort selbständig durch plötzliche Besetzung der Bahnhöfe durch Wehr macht und Heimatwehr und Einsatz der Tech nischen Nothilfe erfolgte, hat eine große Wirkung auf Pie Wiener Sozialdemokraten ausgeübt. Nicht weniger energisch als di« Tiroler haben di« Kärntner gehandelt, woselbst im Postverkshr über- Haupt keine Unterbrechung stattgefunden hat. In Steiermark brach zuerst der Streik aus, wurde aber auch bereits während des Sonntags und Montags zum Teil abgebrochen. Der Verkehr ist jedoch nicht so regelmäßig, wie in den beiden genannten westlichen Ländern. Am Montag morgen war die Situation so, daß die Sozial demokraten damit rechnen mußten, bei weiterer Aufrechterhaltung der Streikparole den Durch bruch auch in Salzburg und Oberüsterreich zu erleben, was einen vollkommenen Zusammenbruch des Streikes gegen ihren Millen bedeutet Hätte. Es ist ferner festzustellen, daß mm, kn Wien ver hältnismäßig stets die genaue Lage in den Län dern erfahren konnte. Berichte, die durch Radio hierher gelangt find, darunter auch diejenigen deutscher Nachrichtendienste, haben das Bild von der wirklichen Situation vervollständigt Auf beiden Seiten, sowohl bei den Führern des Streiks als auch bei der Regierung, haben sie dazu beigetragen, daß man die Situation richtig erfaßte. Während man indessen in Regierungskreifen in der Lage war, trotz der bisherigen vollen Verkehrsruhe weiter die Entwickelung abzuwarten, haben die So zialdemokraten, die noch am Sonntag abend unter dem Druck ihrer radikalen Opposition zu einer scharfen Tonart neigten, am Montag eine plötzliche und für Uneingeweihte geradezu erstaun liche Wandlung durchgemacht. Die Bedingungen, die sie in der Ngcht von Sonntag zu Montag der Negierung überreichten, wärest »»diskutabel. Dies wurde ihnen bekanntlich auch am Montag vormittag vom Bundeskanzler erklärt. Am Nach mittag haben die Sozialdemokraten dann den Beschluß gefaßt, den Streik abzubrechen. Das war aber mcht das Ergebnis weiterer Verhand lungen mit der Regierung. Die Einstellung des Streikes ist vielmehr bedingungslos erfolgt unter dem Druck von Tatsachen, denen sich memand verschließen konnte. Die amtliche Mitteilung über die Lage am Abend wurde einen, Kreise ausländischer Presse vertreter im Namen der Regierung durch den Finanzminister Dr. Kienböck gemacht. Der Mi nister begann seine Erklärung mit den, bezeich nenden Satz, die Regierung Atte die Mitteilung erhalten, daß der Streik um Mitternacht zu Ende gehen würde. Dr. Kienböck hob weiter hervor, daß man im In- und Ausland wohl den Eindruck erhalten habe, daß Oesterreich imstande sei, ver brecherischen Anschlägen wie denen am Freitag wirksamen Widerstand cntgegenzusetzen. Er be tonte mit Recht, daß durch die Vorkommnisse weder die österreichische Währung erschüttert noch das Budget und die Kreditfähigkeit Oesterreichs im Auslande geschwächt worden seien. Während auf sozialdemokratischer Seite begreif licherweise Bedrücktheit herrscht, versuchen die Kommunisten noch weiter zu agitieren. Ein Flug blatt der „Roten Fahne", dqs übrigens noch im Laufe der Nacht beschlagnahmt wurde, fordert die Arbeiter auf, an, Mittwoch, dem Tcme der Beisetzung der am Freitag Gefallenen, in den Generalstreik zu treten. In dem Flugblatt wird erklärt, daß die SozialdemokräM nicht eine ein zige Kampfparole ausgcgeben hätten und daher Nicht zu einer weiteren Führung der Massen ge eignet seiest. EäW zutreffend ist diese Kritik der Koimnuniste» qn den Sozialdcinokraten nicht- Zweifellos hätte ejn erheblicher Teil der sozial demokratischen Führer cs vorgezogen, eine der artige von den Kommmristen gewünschte Kampf parole auszugeben. Es hat nur an einem Haar gehangen, daß diese Sttömung sich durchgesetzt hätte. Es ist bezeichnend, daß Friedrich Adler, der sich im übrigen ja aus dem poMischen Leben zurückgezogen hat, vom gemäßigten Flügel seiner Parteigenossen als letzte Hilfe herangezogen wurde, um sowohl im Partoivorstand als auch m der Vertrauensmännerkonferenz das Zünglein an der Wage zu bilden, das dann nach rechts ausgeschla- gen hak. Mglültter Anschlag auf «andeskanzler Seipel München, 18. 7. Nach einer Meldung der „München-Augsburger Abendzeitung" aus Wien wurde das Automobil des Bundeskanzlers Serpel gestern in der Mariahilfer Straße von einer hundertköpfigen Menge aufgehalten. Die beleidi gendsten Schimpfworte gegen den Bundeskanzler wurden laut. Gin herkulisch gebauter Mann schwang sich auf Vas Auto, um Seipel herunter- zureiben. D«r begleitende Detektiv war geistes gegenwärtig genug, um seinen Revolver zu ziehen und Unordnung zu schnellster Fahrt zu geben. Nach eine,» Ringkampf gelang es ihm schließlich, dm Eindringling' aus dem Auto zu werfen. Stein- würfe folgtm dem Auto. Neue Zusammenstöße in Wien Abgeordneter Pieck verhaftet. Berlin, 18. 7. Wie das „Acht-Uhr-Abend- blatt" aus Wien meldet, ist es heute morgen in einigen Außenbezirken Wiens zu erneuten Zu sammenstößen zwischen Arbeitern und der Polizei gekommen. Die Wachtmannschaften mußten von ihrer Waffe Gebrauch machen. Mehrere Per sonen wurden verwundet. Wie es heißt, sollen auch Todesopfer zu beklagen sein. Die Beisetzung der Wiener vpser Wien, 19. 7. T U. (Funkspruch.) Es ist anizunehmen, daß trotz der von den Kommunisten für Mittwoch ausgegebenen Generalstreikparole dl« Beerdigung der an, Freitag Gefallenen ohne großes Aufsehen vor sich gehen wird. Die Be erdigung wird in aller Still« erfolgen. Es wird kein Leichenzug von der Stadt ausgehen. Sam melpunkt ist vielmehr aus dem weit außerhalb gekHen«» Zentralfriedhof selbst. An der Leichen feier werden nur die Angehörigen der Getöteten, wie verschiedene Abordnungen der sozialdemokra tischen Partei und der gewerkschaftlichen Organi- lationen teilnehmen. Dle Brennergrenze für vesterreW gesperrt Innsbruck, 18. 7. Wie die österreichischen Grenzgendarmerieposten mitteilen, hat der ita lienische Grenzpolizeikommissar heute vormittag eine Anordnung erlassen, wonach Oesterreichern, auch wenn sie im Besitz des ordnungsmäßig aus gestellten Passes und des italienischen Einreise visums sind, die Einreise nach Italien verweigert wird. Die Einreise nach Italien wird Oester reichern nur möglich sein auf Grund einer beson deren Einreiseerlaubnis, die in Rom nachgesucht werden muß. Der Einreise aller übrigen Aus länder über die Brennergrenze steht dagegen nichts im Wege. Die faschistische Presse zu den Wiener Ereignissen Rom, 18. 7. Zu den Vorgänge» in Wien schreibt heute der faschistische „Tcvero", die christ- lichsozialc Regierung" in Oesterreich sei unfähig, große Probleme zu lösen- Selbst wenn sie heute nochmal Herrin der Situation bleibe, so werde Oesterreich in einem weiteren Jähr unter der Regierung Seipel entweder zum Anschluß oder zum Bolschewismus kommen. Die Großmächte, besonders Italien, müßten darauf dringen, daß solche bestialischen Experimente einer christlich- sozialen Negierung im delikatesten Punkte Euro pas aushörten, Experiments, die nur einer krank haften Mentalität einer gewissen vatikanischen Diplomatie entsprächen. Auch das „Giornals d'Jtalia" macht die österreichische Negierung und die christlich-soziale Partei für die Vorgänge in Wien verantivortlich, die man allerdings nicht als Revolution, sondern nur als kommunistische Straßendemonstratioucn bezeichnen könne. Doch bewiesen die letzten Ereignisse, wie in gewissen Wiener politischen Kreisen die destruktiven Kräfte hätten wachsen können. Regierung und Christ- lich-Soziale sollte» einmal darüber Nachdenken, daß nur §in unabhängiges Oesterreich, das im Zentrum Europas sein ruhiges wirtschaftliches Leben führe, «in Element des europätsche» Frie dens sei. Myer Tagesspiegel Der Machtkampf zwischen der Re gierung Seipel und den Sst«rr«1- chischen Sozialdemokraten hat mit etvem Siege Seipels geendet. Das Gewerkschafts- komitee und die Sozialist«nfühvsr sind gestern abend übereingekommen, die Einstellung des Der- kehrsstreiks anzuordnen. Die Wiener Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil im Schattendorfer Prozeß die Nichtigkeitsbeschwerde angeordnet. AufBundeskanzlerSeipel soll gestern m Wien ein Attentat verübt worden sein, da» jedoch völlig mißglückt ist. Die Wiener Polizei ist, wie jetzt ver- lautet, ohne Zustimmung der Regierung Seipel eingesetzt worden. Die italienische Regierung hat «im Einreiseverweigerung für alle Oesterreicher nach Italien ausgesprochen. Von italienischer Seit« werden dk Meldungen über eine angebliche italienische De- marche in Wien gegen die Gemeindewache de mentiert. Die deutsche Antwort auf die belgische Note ist kn Brüssel überreicht worden. Auf Wunsch der belgischen Regierung werden die Noten vor läufig nicht veröffentlicht. Nach der «nglisch-japanischen Eini gung in Genf werden dis Aussichten der Gee- abrüsttlngskonferenz günstiger beurteilt. In Oberschlefien ist ein neues Dynamit- Attentat auf die Wohnung eines Arbeiters ver übt worden. Auf Java ist eine neue Komnnmistenver- schwörung aufgedeckt worden. In dem Münchener Prozeß gegen de» Lokomotivführer Aubel« ist der Angeklagte frei gesprochen worden. Zusammens-W (Eigener Informationsdienst) Berlin, 19. Juli. In politischen Kreisen schenkt man den Bor- güngen starke Beachtung, die sich im Laufe der letzten Tage im Lager der Wehrverbände ab gespielt haben. Eine große Anzahl kleinerer bayerischer Bünde haben sich dem „Stahlhelm" angeschlossen, während die Roßbach-Organisa tionen im ganzen Reiche — insgesamt etwa 5000 Mann — erklärt haben, daß sie sich jetzt dem „Wehrwols" anschließen werde», nachdem ihr Führer Roßbach sich ins Privatleben zurück gezogen hat. Mit diesem Zusammenschluß ist eine Bewegung beendet, die man schon seit ge raumer Zeit beobachten konnte und die darauf hinauslief, daß sämtliche rechtsstehenden Wehr verbände im „Stahlhelm" aufgehen. Vom „Wehrwols" abgesehen, der ja größtenteils durH semr Führer Personalunion mit dem „Stahl helm" hat, ist der „Stahlhelm" heute — na türlich außer dem „Jungdsutschsn Orden", der bekanntlich seine eigene Politik treibt —, der einzige wirklich große Wehrverband, mit dem ernstlich zu rechnen ist. MstzliO der rusf. »erteidlzungs- woche London, 18. 7. Nach Meldungen aus Mos kau hielt Bucharin bei der Abschlußfeier der sowjettussischen Verteidigungswoche «ine Ned«, in der er sagte, daß sich der Funke des Ansstandes, der in Wien entzündet worden sei, über ganz Europa ausbreiten werde. Ei» »euer europäi scher Krieg, an dem auch Sowjetrußiand betet- ligt sein werde, werde allenthalben die Arbeiter- revolutio» entfesseln, bis die halbe Welt unter der Herrschaft der proletarischen Diktatur stehe. Der Wiener Zwischenfall sei ein Zeichen für di* große Unruhe in Europa und Asien. Im Anschluß an diese Rede fand «ine Parade statt, an d«r etwa 10V ONO Soldaten und NM» glkder der russischen Verteidigungrorgaiiisatiou«» teilnahmcn, darunter zahlreiche Gewerkschaftler und Frauen, di« sämtlich mit Gcwchren und Ga«» masken ausgerüstet waren. Es folgte eine Ge fechtsübung mit Flammcnwkkfcrn, künstlichem Ne bel, Tanks und Flugzeuge».