Volltext Seite (XML)
zwei Monat« müssen Sie Ihre Eramensmeldung abgeben. Und über das „nachher" — nun, es wäre hier auch für einen Privatarzt noch Platz. Der alte Sanitätrat macht's nicht mehr lange und hat reinen Medizinmann als Nachfolger bei der Hand. Durch und durch kinderlos. — Ich sag' Ihnen das im Vertrauen. Werd' mal gelegentlich wieder aus den Dusch klopfen." Hans von Schlieben drückte ihm impulsiv die Hand. „Doktor — wenn das möglich wäre! Es wäre ein An fang!" „Nu — und ob! 'n ganz hübscher Anfang! Sie haben jq der groben Karriere abgesagt. Es geht auch anders!" „Mit Renate — geht alles!" sagte Schlieben fröhlich lachend. — So wurden hier heimliche, bescheidene Jukunstspläne ge sponnen und der geharnischte Brief der Frau von Schlieben, den sie nach der Rückkehr ihres Gatten geschieben hatte,, blieb vorerst unbeantwortet. Was,war auch darauf viel zu erwidern? Hans von Schlieben wichte nicht, was er aus diese Mischung von mütterlicher Sentimentalität und ver steckter Drohung hätte antworten sollen. Dafür aber hatte er an Renate geschrieben und ihr mit- geteilr, daß sie fest zu ihm stufen solle, er habe die Brücken hinter sich abgebrochen. Vor ihnen aber läge eine schöne Zu kunft voll Arbeit und Freude. Renate Raimund blühte wie der Sommer. Der erstzs Trennungsschmerz war längst vorbei und das stolze Be wußtsein, daß der Gebebte treu zu ihr hielt, erfüllte sie mit Stolz und Frohsinn. Wenn ihr auch manchmal bang ums Herz wurde und eine eigene, fremde Angst sie zuweilen aus schönen Träumen emporrieß, so brauchte sie nur die Briefs Schliebens vorzuholen und zu lesen und eine tiefe, sehnsüch tige Zärtlichkeit machte ihre Seele reich und glücklich. Dann saß sie eine Weile ganz still und hielt im Herzen Zwiesprache mit dem Geliebten und schließlich wurde ihr so froh zumute, daß sie zu Papier und Feder greifen mußte, um ihm aus ihres Herzens Ueberschwang treue Grüße zu schicken und eine besonders freudvolle Stunde zu schenken. Frau von Schlieben begann einzusehen, daß ihr Sohn wirklich seinen eigenen Kops hatte. Mit Vorstellungen und Warnungen war da nichts zu erreichen. Wäre he eine Frau von tiefem Menschlichkeitsgefühl gewesen, hätte sie sich wohl sagen müssen, daß dieses kleine Fräulein Renate Raimund doch wohl ein beachtenswertes Wesen sein müsse, wenn ihr Sohn so treu zu ihr hielt. Und sie hätte sich dieses Wesen nun ohne peinliche Vorurteile angesehen. Aber allzu sehr war sie von ihrem eignen Willen besessen, allzusehr hatte sie der Ehrgeiz gepackt. Hans dennoch diesem ihrem Willen zu unterwerfen. Und so kam sie auf einen Gedanken, dessen Ausführung — sie glaubte sre — zu ihrem Ziel führen könnte. Ls war bereits Anfang September — noch zwer Wochen, und Hans mußte aus der Festungshaft zurückkommen. Wenn er nicht von Renate losließ — nun, so mutzte es eben Renate tun. Sie war ja noch ein junges Geschöpf und sicher ru beeinflussen. Man mußte sie nur richtig zu fassen ver stehen. Diese Bürgermädchen hatten ja oft ein absonderlich ausgeprägtes Ehrgefühl oder — eine zu jeder Entsagung bereite schwärmerisch gesteigerte Liebeskraft. Frau von Schlieben beschloß, selbst die kleine Universitäts stadt aufzusuchen und — mit Renate zu sprechen. Und Jutta von Lengefeld sollte sie begleiten. Das sollte ein besonder LH Bluff sein. Die Erzellenz wurde über diese Reise im unwissenden ge halten. Frau von Schlieben ahnte, daß er mit dieser Art, Hans von seiner Liebsten zu entfernen, wohl doch nicht ganz einverstanden gewesen wäre. - — Es war ein prächtiger Nachsommertag, voll Reife und Vogelsang, der über der kleinen Stadt lag. In den engen Gassen saßen die Leute vor den Häusem und drautzen in den Bergen und Wäldern wanderte die junge Welt, um diese letzten Schönheiten des Sommers noch zu genießen. Renate sah mit ihrer Mutter am Abendtisch. Die Fenster waren weit geöffnet und der herb-süße Geruch der Spät- rosen, die in den kleinen Vorgärten der Häuser schon ver blühten, strömte in das Zimmer. Es wurde nicht viel zwischen ihnen gesprochen. Renate hing ihren eigenen Gedanken nach. Schon seit über einer Woche hatte sie von Hans keine Zeile mehr bekommen. Das bedrückt« sie. Wer da war noch etwas anderes, was ihre Gedanken nicht zur Ruh« kommen ließ. In seinem letzten Bries hatte Hans von einer Ueberraschung geschrieben, dis Renate Mgedacht sei. Von einer frohen Ueberraschung, auf die sie nun warten solle. Was konnte er kamst meinen? Und warum steh er damich nicht» mehr von fich hörarv Es war so seltsam. Wollte er ste mit seiner Ankunft überrasch«? Er konnte ja nur noch eins ganz kurze Spam« Zpit hm sein, daß er wiederkam. Aber nein — dann brauchte er nicht so geheimnisvoll zu tun. — Da schrillte plötzlich die Flurklingel. Frau Raimund su^ ersAocken hoch. „Mem Gott — wie heftig da gezogen wird. Wer kann denn das sein?" Auch Renate blickte voll Spannung auf, während ihre Mutter den Korridor durchschritt, um zu öffnen. Eine Frauenstimme draußen — «in kurzes Schweig« — ein leises, girrendes Au flachen. Renate erhob sich langsam vom Stuhl und starrte nach der Tür. Frau Raimund erschien — blaß im Gesicht — und hinter ihr zwei Damen, Frau von Schrieben, hoch und vornehin, das Gesicht zu einer etwas starren Freundlichkeit verzog««, und Jutta von Lengefeld, fast zu schlank, das etwa» Hage« Gesicht mit kosmetischer Hilfe „hübsch" gemacht, in einmv totschicken Promenadenkostüm, unter dem die Seide leise knisterte. Eme Welle feinen Parfüm, wehte durch dos Hanmer. „Ah - Fräulein Tochter?" Frau von Schlieben mustert« Renat« etwas ungeniert dvrch das Lorgnon, während Jutta von Lengefeld em mocharte» Lächeln aussetzte, das herzlich sem sollte. Das Mädel war schön — ohne Zweifel — jung und voll unbeschreiblicher Anmut. Frau von Schliebe» sah es sofort, lieber den Geschmack chres Sohnes konnte sie aHo un besorgt sein. Immerhin — es war für sie beo«tung»Ior. (Fortsetzung folgt.) Var Strafgericht Humoreske aus dem Jahre 1726 von Fritz Dahl. „Komm rasch, Mann," rief Krau Malwine Leberecht aus der offenen Küchentür zur Werkstatt hinüber. „Seme Majestät der König kommt, das Grundstück revidieren!" „Ach Gott, ach Gott," jammerte Johannes Leberecht, „jetzt kommt das Strafgericht, rch bin «in verlorener Man«!'' Mit zitternden Händen band «r die Schürze ab und lief über d« Hof ins Haus, um wenigstens rasch noch den blau« Sona- tagsrock überzuziehen, ehe das schon lange gefürchtete Donner, wetter Hereinbrechen würde. In der Kammertür kam domi aufgeregten Männchen schon die Frau entgegen. Ihr rundes, resolutes Gesicht war von Eiser gerötet. Sie hatte stch knapp Zeit genommen, die Küchenschürze mitsamt den schon halb geschälten Kartoffeln unters Bett zu stecken und eine «och ganz steife, neue Schürze aus glänzendem, geblümt« Kat tun um die stattlichen Hüften zu binden. Dann hatte sie den Staatsrock des Eheliebst« aus dem Schrank gerissen und half ihm nun ohne Federnlssens gleich zwischen Tür und Angel in die Aermel. Das geschah an einem warmen Oktobertage des Jahres 1726 in dem mit roten Ziegelsteinen gepflasterten Flur des bescheidenen Leberecht'schen Hauses im Hintergrund« eines großen Gartengrundstückes am Eendarmenmmckt. Durch die offene Haustür konnte man über die letzt«, in der nmd« Herbstsonne träumenden Georginen hinweg die wuchtige Ge stalt des Soldatenkönigs scheu, der mit dem Stock zornig aus die kaum einen Meter Hohm Mauern des kläglich im Anfang stecken gebliebenen Neubaues deutet«. „Ach Gott, ach Gott," stammelte Johannes Leberecht von neuem, „jetzt sind wir verloren. Was soll ich ihm bloß .antworten?" Frau Malwine gab ihm «in« gelind« Puff irr dm Rück«. — „Nimm dich doch zusammen, Mann! Zu fein« laugen Kerl« wird er dich schon nicht stecken, dazu bist du Zwei Fuß zu kurz gerat«, genau wie dein Geldb«utel. Daß wir arm lind und deswegen das Haus nicht fertig bau« könnt«, ist doch noch kein Staatsverbrechen." Damit schob sie den am ganz« Leibe zitternd«: Ehehernr aus dem niederen Hause hmaus aus den sauber geharkt« Gartenweg. Da stand, kaum hundert Schritte vor den beiden, zwischen den herbstselrg im Sonnenglast duftenden Sträuchern eine Gruppe von Herren respektvoll hinter dem König und bekachtete das unter fortgesetzten tief« Bückling« sich nähernde Männchen. Die stattliche Frau hatte es mit oer rosigen Rechten fest am linken Ellenbogen gepackt und schob es bis auf fünf Schritte Abstand vor den König.