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Frankenberger Erzähler Unterhaltungsbeilage zu« Frankenberger Lageblatt A. r öosstag, d« s. Zasssr M Rornsri von LLsdHtd Sorodsrl Urheberrechtsschutz durch Hermann Berger, Roman-Verlag, Berlin SO. 36. 26 Nachdruck verboten Kein Laut ließ sich vernehmen; alles blieb Ml. — Doch horch — was war das? Konrad hielt vor Spannung und Erregung den Atem an. Da klang ein Ton, leise und unter- drückt wie ein qualvolles, verzweifeltes Ausschluchzeu. Sein HeOlut stockte, seine Nerven bebt«,. — Noch einmal der selbe Ton und — noch einmal. Wie elektrisiert sprang er auf: Hm zu ihr, sie trösten, sie nicht allein lassen in ihrem Schmerz: „Sie, hier bin uh an deiner Seite, komm an mein Herz, Geliebte, weine deinen Kummer aus — ich leide mit drr!" Schon war er an der Air, als er plötzlich innehielt und schmerzlich aufleufzte. Diese qualvollen Gebote der Schick lichkeiten, die rhm nicht gestatteten, in ihr Zimmer zu eilen und sie zu trösten, die ihn hier atemlos auf die Folter spannten! Wenn es nur aus ihn ankäme, so würde er die Schranken zerreißen, aber der-R if der Geliebten war ihn« heilig. ' Schwer wankte er in das Zimmer zurück und lauschte angstvoll gespannt. Da — wieder der herzzerreißende Laut, der ihm in die Seele schnitt. War er schuld an diesem Jammer? — Er grübelte und sann und konnte nicht erraten, welcher verzweifelte Kampf die junge Menschenseele über ihm durch- Mühlte, welche Selbstanklagen, welche furchtbare Reue ihr HK zerrissen. Treulos geworden — dem Verlobten die Treue ge brochen, nicht mehr im wissenschaftlichen Kampfe allein, nein ganz und gar — mit Leib und Seele war sie in das Fein- j desleger gerieten. Hie Wels — hie Waiblmg! Du hast gesiegt, Waibling! „Warum war ich denn blind bisher, warum erkannte ich die Gefahr, die nm drohte, nicht? Ich wandelte ahnungs los am Abgrund, bis es mich hinabzog mit furchtbarer Gewalt. Die einzige Viertelstunde, wo ich an seiner Brust ruhte, wo sein Mantel müh schützte, sein Arm mich hielt, die mühte es mir sag«. Wie verlockende Seligkeit zog es mir in mein He^, ich empfand Nur eins und in ihm «sie Wonnen des Lebens: Konrad! Da kam ich zur Besinnung, zur verzweifelten Besinnung — ich eines andern Braut, in seliger SelbstvergefföNheit pn der Brust dieses Mannes ruhend! O, die Schmach und die Qual! — Ich ritz mich los — ich floh. — Umsonst — im Herzen sicht es, dieses heiße, unerfüllbare Sehnen. — Sieht so Liebe aus — so voll Jammer und Leid — so ohne Hoffnung, ohne Ruhe und Frieden —?" Ilse kniete am Boden und barg den Kopf in den Kissen ihres Bettes, damit kein Ton, kein Laut ihres Schluchzens hinausdringen sollte. Aber es sprengte ihr die Brust — es muhte hinaus, sich einen Ausweg schaffen. Und da schrie sie aus und wühle nicht, datz der einsame Mann da unten die Schmerzenstöne auffing. Auch in diesem Schmerze sprach sich die ganze Kraft ihrer Natur aus — der Kampf muhte sich austoben, auswettern, um endlich wieder in ruhigere Bahnen zu lenken. Aber noch war sie nicht so weit. In ihrem Herzen rang die Pflicht, die sie an den Verlobten band, mit der Liebe der ersten leidenschaftlichen Liebe in ihrem Leben für den anderen Mann, doch diese Liebe stand fest, sie lieh sich nicht aus dem Herzen drängen. „Konrad — Konrad!" Wild und verzweifelt ttef sie den Namen, diesen heiß- geliebten Namen. Hatte sie je so nach Heinz gerufen, auch Nur ähnlich fiir ihn empfunden? Nein, niemals! Was sie beide aneinander gebunden hatte, das war kameradschaft- lich Zuneigung, Freundschaft, und sie hatte geglaubt, dah dar Wr die Ehe ausreichend so. .Sie hatte ja die Wede noch nicht gekannt, nichts von jenem großen Gefühl, jener bMr- neu den SeAi sucht und jenem unstillbaren Berlairgen, das jetzt in ihrer Brust lebte, gewußt. Bis jener Mann mit dem hohen Geist und dem ernsten, ruhig gebietenden Wesen ihren Lebensweg kreuzen mußte. Sie hatte sich mit aller Kraft gegen die fremde Gewalt aufgelehnt, sie hatte für Heinz und seine Sache gekämpft bis zum äußersten — nun war sie erlern. Sie gehörte nicht mehr sich selbst, sie war dem Manne mit Leib und Seele verfallen, wie die alte Marianka es noch heute so schauervoll gewerssagt hatte. And er hatte doch nichts getan, sie zu bestrick« und zu be tören, er war ruhig und freundlich, wenn auch unendlich gütig zu ihr geweftn. Er hatte ihr nie von Liebe ge sprochen, aber seit heute wußte sie, datz er sie liebte. Wer dieses Bewußtsein beglückte sie nicht; es beschwor tausend neue Qualen herauf. Eine unüberwindliche Schranke wuchs zwischen ihnen auf. Wenn er erfuhr — und er muhte es erfahren — daß sie die Braut eines anderen war, daß sie als solche an seiner Brust, in seinen Armen gelegen hatte, wie mußte er sie verachten und verurteilen! O, hätte sie aus Heinz gehört, wäre sie nie unter der Bedingung des Geheimhaltens ihrer Verlobung nach Tworrau gegangen! Es hatte sich zu bitter gerächt. Was sollte nun werden? llebermorgen reiste sie nach Berlin, und wie ein Trost erschien ihr diese Aussicht. Sie wüßte aber, daß sie nie, nie wieder nach Tworrau zurück kehren umrde, und ihr Herz brach dabei. Sie durfte ihn nicht Wiedersehen, nie mehr — vielleicht, dah sie daheim den Frieden widerfand, datz sie an Heinz Sette — mein Gott, konnte sie denn noch an eine Verbindung mit Heinz, denken, mit der Liebe für einen anderen im Herzen? Wäre das nicht «ne Sünde, für die es kein Bezechen gab? So zermarterten sie die quälenden Gedanken und ver- folgten sie bis in die Nacht. Sie fand kemen Schlaf, und als sie sich am nächsten Morgen erhob, waren ihre Augen lider rot und geschwollen, und ihr Kopf schmerzte zum Zerspringen. Glücklicherweise war sie vom Unterricht ent bunden. Die Gräfin hatte ihr den Tag freigegeben, damit sie packen könne. Mechanisch legte sie Stück um Stück in ihren Koffer. Die Mamsell, die ihr s«t ihrem ersten Eintritt auf Tworrau stets freundlich begegnet war und für ihr leib liches Wohl Sorge getragen hatte, kam auch heute, um ihr persönlich ihre fein und sauber gewaschene und geplättete Wäsche zu bringen. Als sie in Ilses bleiches, übernächtigtes Antlitz sah, erschrak sie. „Mein Himmel, Fräulein Römer, wie schaun's denn aus? Sie werden halt doch nicht krank werden?" Ilse beruhigte sie und sagte, sie habe nur heftige Kopf schmerzen, die bald besser werden würden. „Hier im Zimmer gewiß nicht," erwiderte die Mamsell. „Sie sollten ein bissel spazieren gehn! Die Sonne scheint so schön, und der Sturm von gestern hat nachgelassen!" Ilse nickte freundlich: „Sie haben recht, ich werde eine Stunde in dem Park spazieren gehen." Sie zog ihr Winterzackett, das sie schon für die Reise zurechtgelegt hatte, an, setzte den Reisehut, ein englisches Filzhittchen, aus und ging die Treppe hinunter, ganz leise, daß niemand sie höre. ' Die kräftige, kühle Luft erfrischte sie in der Tat etwas, und immer weiter dehnre sie Ihren Spaziergang aus. Da — plötzlich stockte ihr Futz — wie gelähmt sanken die Hände am Körper herab, und das Blut in ihren Adern hemmte seinen Lauf. Aus einem Seitenwege, den sie gerade kreuzte, trat soeben, ohne dah sie ihn vorher bemerken konnte, Graf Konrad. Einen Augenblick dachte sie an Flucht, aber es war zu spät. Er blieb schon mit kurzem Gruß vor ihr stehen. Nur einen einzigen Bstck hatte sie aus ihn ge-