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Frankenberger Erzähler Unterhaltungsbeilage zum Frankenberger Tageblatt Ar. A Mittwoch, des 31. März ISA Die lustigen Leute auf Unverzagt Bo« E. Fischer-Mark-raN Amerikan. Copyright 1923 by Lit. Bur. M. Linie, Dresden 21 3 Nachdruck verboten s „Dein guter Wagen war dir. wohl zu schade für mich?" Die zarte Stimme war merklich empfindlich und sehr spitz geworden. Der Bruder, der ihre Hand gefaßt hatte und neben sich aus dem Polster sesthielt, machte große Augen: „Unser guter Wagen?" sagte er verwirrt, „was meinst du?" Dann schlug er eine ungeheure Lache auf, so daß sie erstickt zusammenzuckte. „Du Johann, hast's gehört? Gnä' Fräulein fragt, ob dies unser bester Wagen ist. —" Vom Bock herab kam der knurrende Baß des alten Kut-- - schers, der Mechthildis schon als Steckkissenkindchen gekannt: „Gueter Wagen? Ach gar. Nee, gnä' Fräulein, dies is uns bester, das is die Staatskarosse, wie der junge Herr Jaköble immer sagt ..." Sie saß ganz still und bmommen, und ihr Blick schweifte über die reifenden Saatfelder zu beiden Seiten des Weges. Und urplötzlich stieg heiß und beklemmend der Wunsch in ihr auf, umzukehren und den nächsten Zug zur Rückreise nach Berlin zu benutzen. Es war alles so neu und fremd, und der Bruder — er ! hatte so gar keine Aehnlichkeit mit dem verstorbenen, vor- s nehmen Vater und dessen aristokratischer Lautlosigkeit. Schon die starken, sonnenverbrannten Züge, und wie er immer mit der Hand durch den gescheitelten Kotelettbart fuhr — und gar das laute Sprechen und Lachen! Beinahe beklemmend heruntergezogen erschien sie sich seit einer Viertelstunde. Und dann kam es doch wieder über sie, als sie die Plätze streiften, da sie als Kind gespielt, als junges Mädchen ge- . träumt hatte — eine leise, zage Sehnsucht nach dem, was einst gewesen, nach den Tagen der Kindheit, nach dem über alles . geliebten und verehrten Vater. Sie sah ihn wieder unter der großen Buche dort sitzen, im , bequemen Stuhl, die durchsichtig bleichen Hände ausgestreckt s auf der pedgefütterten Decke. Und über der schwerseidenen, > wattierten Krankenjacke das blasse, edelgeformte Antlitz, dessen ! Augen so blitzartig ausleuchten konnten, wenn sie etwas künst- ° lerisch Vollendetes sahen. Der Wagen hatte das große Gittertor am Ende des . Parkes passiert und näherte sich in rasender Eile dem Schloß gebäude, das in dem Ausschnitt der Ulqrenwipfel wie ein duftiges, hellbeleuchtetes Bild von Aquarell stand. ^.Gott sei Dank — wenigstens das Tempo war ein herr schaftliches . . ." Mechthildis dachte es mit verstohlenem Seufzen. Und dann nahm Johann eine scharfe Kurve um einen mit einer Fülle von Rosenstämmen bestandenen Rasenplatz — da stand auch schon Adelgundes stattliche Gestalt, lebhaft winkend, aus der obersten Stufe der Freitreppe. „Willkommen, liebste Schwägerin — von Herzen will kommen!" Di« beiden Damen lagen sich in den Armen und wieder war es, als wollten an dem Herzen der jüngeren eiserne Reifen sich dehnen, die pressend darum gelegen, während der Bruder, prustend znd den Tränen wehrend, daneben stand, und Johann mit wahrhaft bewunderungswürdiger Schwenkung dem Wirtschaftshofe zubog. Aber Mechthildis war Zärtlichkeitsbeweisen zu lange ent wöhnt, um sich mehr als eine kurze Spanne darin wohl zu fühl«. Mit ein« schnellen, vornehm wehrenden Bewegung hatte sie sich von den Armen der Schwägerin sreigemacht. Ihre Stirn krauste sich, ihre zarte Gestalt reckte sich in ihren Linien. ,„ .. wie der Vater," dachte der Freiherr, „eine richtige Massenbach" und etwas beklommen setzte er bn sich hinzu, „was nun wohl kommt?" zind es kam wirüich- „Wo sind deine Kinder?" Die mädchenhaft weich« Stimme hatte wieder einen beträchtlichen Grad von Schärf« angenommm, „hielten sie es nicht für nötig?" Herrn von Massenbach' war das Blut siedendheih zu Kopf geschossen. „Na, das konnte ja gut werden. — Innerhalb zehn Minuten die zweit« Uebelnrhmerei. Hol's der Geier! Md gerade wollt« er lospuften: „Jawohl, sie hielten es für nötig, aber wir . . Da hatte seine Frau mit einem warnenden Blick nach ihm hin schon die Hand du Schwägerin «griffen hielt sie mit einem warmen Druck: „Sie wären so gern zugegen gewesen, liebste Thilde, aber die Arbeit hielt sie noch fest. — Sie werden sich das Vergnügen machen, dich baldigst aus deinem Zimmer zu begrüßen ..." „Arbeit?" gegenfragte Fräulein von Massenbach mit großen Augen, „ach, ich verstehe — Unterrichtsstunden . . „Unterricht?" griff der Freiherr auf. Er sprach in seinem tiefsten Baß, in den er bei Anwandlungen von 'Verlegenheiten herabzusteigen pflegte. „Ne, dazu sind das Jaköble, die Suse und Traute doch wohl noch ein bißchen zu abgewogen. Der Große ist aus dem Felde, die Mädels in der Milchwirtschaft und Konz ist beim Gärtner mit Raupeuabsuchen beschäftigt." „Mit Raupen . . .?" Mechthildis Augen waren imm« weiter und erstaunt« geworden. Es klang, als ob eine Ohn macht lähmend an ihr herauf zu kriechen begänne. Den Bruder wollte die Besonnenheit schon wieder ver lassen. „Jawohl, Raupen," polterte er heraus, „oder glaubst du, dies Biesterzeug fürchtet sich vor dem freiherrlich Massen- bachschen Besitz? — Ja, prost, hat sich was. — Million« sag' ich dir. — Wenn wir nicht von morgens bis abends klauben, kriegen wir die Hälfte Marktpreis. Das Gesindel will ja nichts bezahlen ..." „Marktpreis? Ihr züchtet Gemüse für dm Markt?" In dem Hals des Fräuleins quoll etwas würgend empor. Sie fühlte, wie es rhr heiß und schwer unter dm Lidern hervorzudrängen begann. Was war aus Massenbach geworden, diesem Sitz un nachahmlicher, aristokratischer Vornehmheit? Das war der Geist Adelgundes — dieser Familie, wenn auch von gutem Adel. — Aber wie alt — vielleicht hundertfältig Iah«. . . . Ihr Urgroßvater . . ." Sie hob fast unnrerkkch die Achseln. Der ganze Stolz ihrer Ahnen bäumte sich in ihr empor. Frau von Massenbach ahnte em wenig, was is der Seel« ihres Gastes vorgehen mochte. Den Kopf hinter Mechthildis Rücken mit leisem Tadel gegen den Gatten schüttelnd, faßte sie freundlich herzlich den Arm der Schwägerin: „Komm auf dein Zimm«," sagte sie begütigend, „du wirst der Ruhe bedürftig sei» nSch der langen Fahrt." „Ja, bitte sehr, klingle dem Diener." Mechthildis zarte Stimme hauchte es so schwach, als wäre sie zehn Stunden lang über Stock und Stein gewandert. Sie waren in die Dochalle zetteten, in da »och alles wie damals war. Die schön gemalten Scheib« des Treppenhauses, die blank geputzten Schild« in den Pfeilernischen, und am Trep penaufgang, gerade der wappengezierten Tür gegenüber, der Morgenstern, mit dem Reynadus von Massenbach km Kampf gegen die Sorben in einer Schlacht acht Krieg« und «inen Anführer «legt hab« sollte — so erzählte die Chronik. Gott sa Dank!' Hier wenigstens die aristokratllche Lust, die Tradition der Massenbachs begann sie anzuweh«. Aber die Erregung der letzten Minuten wirkte noch be unruhigend in ihr nach. Sie fühlte, wie ihr die Füße zittert«. ,Dcn Diener," sagte sie schwach. Der Hausherr drückte auf den nächst« Giockrnknopf