Volltext Seite (XML)
Redaktioneller Teil. /ik 218, 19. September 1916. stadt Hermannstadt flatterten im Winde. Der Bahnhof stand schon zwei Tage öde und verlassen, kein einziger Waggon, keine Lokomotive war zu sehen. Noch einen Blick über den in viel jähriger, entsagungsvoller Arbeit erworbenen Besitz von Haus und Garten, ein Gedanke der Wehmut an meine beiden Buchhand lungen, die zum Schulbeginn am 1. September reichlich ergänzte Lager aufwiesen, dann packte ich noch Mundvorrat für zwei Tage ein, überzeugte mich, daß ich alles Bargeld am Leibe geborgen hatte, nahm Überzieher, Stock und mein leichtes Gepäck und zog hinaus aus der alten deutschen Vaterstadt, die vor 890 Jahren die Väter — von König Geisa II. »all retinsnäam oorouam« vom Rhein und der Mosel hergerufen — als Kulturträger ge gründet und in zäher Arbeit ausgebaut halten zum Kulturzen trum Siebenbürgens, all die Jahrhunderte hindurch, sich ihrer Mission bewußt, fest und treu zu Kaiser, König und Vaterland stehend. Diese Abschiedsstunde werde ich niemals vergessen! Nun ging's hinaus, ins Ungewisse, »ins Elend«. Zu Fuß, zu Pferd und Wagen, zuletzt im Militärauto langte ich nach drei Tagen hier in Klausenburg — jenseits der vorbereiteten großen Maros- Verteidigungslinie an und fand bei einem Verwandten freund liche Aufnahme. »Ins Elend« — —wie wenig sagt doch das Wort, wenn man gesehen und erlebt hat, was in diesen Wander tagen an meinen Augen vorüberzog. Zahllose blühende deutsche Gemeinden evakuiert, die Straßen überfüllt von Vehikeln jeglicher Art, beladen mit erbärmlichen Stücken Hausrats der Armut, mit Wertsachen der Wohlhabenheit, mit Menschenkindern vom Säuglings- bis zum Greisenalter, gezogen von Menschen, Pfer den, Ochsen, Büffeln, dazwischen Herden und Haustiere aller Art. Der Krieg! Das also ist der Krieg und seine Folgen, ging's mir immer wieder durch den Kopf; Tausende von Bildern hatte ich in diesen zwei Jahren in Büchern und Zeitungen gesehen wie weit blieb doch die Vorstellung gegenüber dieser Plastik brutaler Wirklichkeit zurück. Meine erste Tätigkeit hier bestand in der Mitteilung meiner hiesigen Adresse an große deutsche und magyarische Zeitungen Ungarns, die einzige Möglichkeit, den Aufenthalt meiner Frau und der vier jüngeren Kinder einerseits, jenen meiner beiden ältesten Töchter und zweier Enkelkinder andererseits ausfindig zu machen. Meine weitere Tätigkeit erstrebt einen Erlaubnis schein zur Benutzung der Züge an und die Bewilligung des Mili tärkommandos, gegebenen Falles auch einen nach Hermannstadt zurückfahrenden Militär- oder Panzerzug benutzen zu dürfen. Wann werde ich beides erlangen? An beiden Amtsstellen harren täglich viele Tausende der Erfüllung ähnlicher Wünsche. Heute stand ich von 6 Uhr früh an dort, dis ich zum Umfallen müde wurde: Taufende warten — und es kann täglich nur ein Bruchteil befriedigt werden, weil selbstverständlich Militärzwecke Vorgehen. Seit mehreren Jahren schon habe ich mir einen Urlaub ver sagt — nun habe ich ihn, vielleicht allzureichlich bemessen. Aber nein, — es kann nicht sein, daß Lug und Trug, Heimtücke und gemeinster Egoismus, Schurkerei und Gewissenlosigkeit sonder gleichen triumphieren über reinste Heimatliebe, edles Menschen tum, Wissenschaft und Kultur. Schon rollen zahllose Züge heran von West nach Ost, gefüllt von mutigen, erfahrenen Kämpfern und Waffen der Verbündeten Zentralmächte; bald, sehr bald schon vielleicht sehe ich dich wieder, du teure Heimat, du liebe Vater stadt, euch; ihr Stätten meiner Lieben, meiner vieljährigen Ar beit! Kopf hoch und klar! Ist der Schaden auch unermeßlich: zähe deutsche Arbeit und Ausdauer werden die tausendfältigen Wunden wieder heilen, und uns und unseren Kindern wird eine lange Periode friedlicher Kulturarbeit beschieden sein. »An deut schem Wesen soll die Welt genesen« — das ist die Hoffnung, an die wir heute und zeitlebens glauben, daran wir uns festhalten und emporrichten wollen! Der deutsche Buchhandel Siebenbürgens würde selbst bei länger dauernder Invasion der Rumänen weniger zu leiden haben, als andere Handelszweige; dafür sorgt der Umstand, daß unsere Geschäfte »geistige Nahrung in nicht tropfbar flüssiger Form« enthalten, für die der Feind wenig Interesse übrig hat. Immerhin werden auch Sortiment und Verlag in Siebenbürgen an den Folgen des rumänischen Einbruchs schwer zu leiden haben, 1214 schon durch die Arbeits- und Verdienstlostgkeit während dieses Interregnums, die großen Kosten der Flucht und des Lebens mit Familie auf Wegen des »Elends«, vielleicht auch durch die Kämpfe an den Stätten unserer Tätigkeit selbst. Aber wir ver trauen unseren Verbündeten kampferprobten, sieggewohnten Trup pen, vertrauen dem uns Deutschen innewohnenden Drang zu ge wissenhafter, zielbewusster Arbeit. Sie wird uns aufrecht er halten und die Wunden dieser ungeheuren Menschheitskrise ver narben lassen und heilen! Das walte Gott! Meinen lieben persönlichen und Geschäftsfreunden im deut schen Buchhandel draußen entbiete ich treudeutsche Grütze! Auf der Flucht in Klausenburg, am 8. September 1916. G. A. Seraphin aus Hermannstadt. Lehrlingsausbildung. Die in Nr. 211 des Bbl. abgedruckten Vorschläge zu einer An regung des Herrn Illing, nämlich die Erteilung von Fach unterricht in besonderen Buchhandelsklassen an Handelsschulen, dürften wohl aus einigen Widerspruch, stoßen. Der Gedanke an sich: die Bildungsmöglichkeiten für den Jungbuchhandel zu ver vielfachen, .ist entschieden erwägenswert; vor dem angezeigten Wege muß jedoch gewarnt werden. Zunächst dürfte die Zahl der Teilnehmer in mittleren, erst recht aber in kleineren Städten kaum genügen, um Abteilungen an Handelsschulen — sind die überall vorhanden? — oder gar besondere Bildungsstätten für Lehrlinge und junge Gehilfen zu errichten und durchzuhalten. Ich glaube nicht, daß die Beiträge von 4—K Lehrlingen und vielleicht ebensoviel jungen Gehilfen dazu ausreichen werden. Ein Fachlehrer, geschweige denn ein älterer Gehilfe, der im Kampf ums Dasein steht, wird sich aber kaum ohne genügendes Entgelt, lediglich um der guten Sache willen, diese Bürde noch auferlegen. Man muß da nüchtern denken und mit der Wirklichkeit rechnen. Ob sich die Lehr- und Brot firmen zu Unterstützungen in ausreichendem Maße bereit finden lassen werden oder können, ist Wohl auch mindestens fraglich. Für durchaus verwerflich halte ich aber den Gedanken, »in sogenannten, 4—6 Wochen dauernden Ferienkursen» Fachlehrer aus dem Laienstande für Buchhandelsbetriebslehre, Buchgewerbe kunde, buchhändlerische Buchführung, buchhändlerische Korre spondenz, buchhändlerische Gesetzeskunds auszubilden. Die Gegen überstellung der Universitätsserienkurse und der vorgeschlageuen Fachlehrerkurse ist verfehlt. Dort handelt es sich vornehmlich um Erweiterung eines Wissensgebietes, sür das zumeist auch reichliches Schrifttum vorhanden ist, das neben derAnregung, die die Kurse nur bieten können, jederzeit zu Gebote steht. Die vorgeschlagenen buchhändlerischen Fachkurse sollen aber von Laien besucht werden, die vom Buchhandel und Buchgewerbe meistens kaum mehr als verworrene Anschauungen haben. Was können die Herren wissen von unserm so vielverzweigten Betriebe und vom vielgegliedertsn Buchgewerbe, welches Verständnis können sie haben für unsere beruflichen Aufgaben in Gegenwart und Zukunft? Daß es mög lich ist, all das und alle oben genannten Zweige in 4—6 Wochen einem Laien so vertraut zu machen, daß er dann als »Autorität« unfern Nachwuchs über seine berufliche Tätigkeit aufklären kann, bestreite ich. Ich fürchte vielmehr, daß dann mancherlei Unver standenes oder schief Erfaßtes zum Vortrag käme, über das schon ältere Lehrlinge und junge Gehilfen den Kopf schütteln würden. Wir setzen Jahre daran, um die wechselvollen Möglichkeiten unseres Berufes verstehen und verwerten zu lernen: hier sollen 24—36 X 4 Stunden den vollendeten Fachmann hervorzaubern! Die pädagogischen Leistungen, Begabungen und Erfahrungen jener Herren in allen Ehren. Ob sie aber nach dem Besuche eines der vorgeschlagenen Ferienkurse sich getrauen würden, eine angebotene wissenschaftliche Arbeit aus ihre ideelle und materielle Brauchbar keit, finanzielle Tragkraft und auf die Druckfähigkeit hin zu beur teilen, die gebotene drucktechnische Gestaltung zu finden, anzu ordnen und durchzusühren, einen erfolgversprechenden Preis festzulegen und den Vertrieb sowohl für den Verleger wie den Sor timenter zweckdienlich einzurichten? Wahrscheinlich nicht. Die