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tichtensteinLallttbexgerTageblatt SS. Jahrgang. -— — - > » — , ... Beilage zv Nr. 213 Sonntag, den 14. September ' 1919. ScheitMM Ml tlk »MW tW. Der früliere Ministerpräsident Sckcidc»nan>. hielt am Donnerstag Abend, nach seiner Rückkehr aus der Schweiz, im Stadtpark in Kassel in ^iner Veryamm- lur.a eine Rede, in der er mit seinen ch°gnera und den Kritikern an den heutigen Zuständen abrechneke Die Versammlung war von etwa 10—i2 000 Mensänu besucht, hie sich zuM Teil, da der Stadtpark nickst glle sassen konnte, aus den Dächern der uunietenoen Häuser und wo sich sonst irgendwo Gelegenheit fand, aufgestellt hatten. Tie Versammlung oerlief ruhig. Scheidemann führte u. a. folgendes aus : In wenigen Wochen wird sich ein Jahr vollenden, feit die Sozialdemokratie in die Regierung eingetre ten ist. Man hatte uns in einer Stunoe der Ver zweiflung an das Sterbebett des alten Dents.vland geholt, nachdem man vier Jahre lang beharrlich unsern Rat mistachtet hatte. Die Revolmion ' des November hatte uns eine führende Stelle cec.'.Mn, in der uns beide Rätekongresse bestätigten. Die Wah len Des Januar lwben uns dann zwar nichr d Mehrheit gegeben, aber doch ein Ergebnis gebracht, das aller Welt zeigte, das; es ohne oi- Sozialoeme- , kratie nicht geht- Eine Regierung, in der die Sv- » zialdemokratie fehlt, komme sie von rechrs oder I links, würde eine neue Katastrophe für nufer un glückliches Land bedeuten. Eine Regierung v m rechts bedeutet die Monarchie, eine Regierung von links bedeutet die sogenannte Rätedittatur. Beide find obne schwerste innere Kämpfe nicht denkbar. Ich verlange den den Monarchisten nicht, dast sie mit einem Ma le oufaeben, was den ÄefühlSiuhalt ihcM Levens bnoet, und bin, solange ich an leitender Stelle stand, ein ebenso entschiedener Gegner jedes Eefinnungo- zumnges gewesen, wie ich es sebt bin. Ich verlange aber von diesen Herren, dast sie sich »'.ht in Gc» «gensast stellen zu den lebendigen Interessen ihres Vol tes und dast sie nicht neue Krisen herau'befcv.nerrn, die unser an Leib und Seele erschüttertes Volk nicht mehr vertrügt. Tie deutschnationale Partei hat sich auf ihrem leisten Vorteiiage offen zur monarchinischen Staats fora! bekannt. Sie belundet damit, dast De die be stehende Verfassung und die bestehenden KePyc nicht zu respektieren gewillt ist, sondern auf oie nächste GeDg->"l)eit lauert, sich mit Gewalt über re himveg- zuschen! Dem Oberst Reinhart ist öffentlich der Vorwrrs gemacht »vordem dast ec dec Monarchie vorarbeite, das; er gesagt haben soll: Erzberz_-r sei ein Lump! Tie Regierung sei Gesindel. Hat Inc Regierung nicht die Macht, diesen Mann van seinem Postei'^ zu entfernen? Tann wäre tatsächlich Herr Reinhart der Noske, der über die Militärgcha Macht oerstigt, Noske aber nur der Inhaber einer pqpierqen Vollmacht. In den Kasernen wird nichr ;,oc bffcn Monarchistische Propaganda getrieben, es wird auch in Judenlnste gemacht und Progromstimnning er zeugt! Tie Regierung von rechts bedeutet die Monarch e. sagte ich. und damit den Bürgerkrieg. Tie Regie rung von links bedeutet die sogenannte Rist-oikca- tur und damit abermals den Bürgerkrieg! Ich sa ge: die sogeirannte Rätediktatur, weil es eine wirk liche in der ganzen Welt nicht gibt, auch in RnhlnS »richt! Es ist ein Märchen ans längst entschwunde ner Zeit, dast Rustland von den gewählten Ve'tr?- Krn dec Arbeiterklasse regiert wird, anv das; das, was in Rustland geschieht, Ausl tust des Wi lens Lrr Arbeiterklasse ist. »In Rustland herrscht dir nactte Tcivotie einiger Parteiführer, die weder durch eine allgemeine Volksvertretung, noch auch durch 'die Preise kontrolliert wird. Tas ist ein System, das sich das deutsche Volk, die deutsche Arbeiterklasse kei ne vierzehn Tage lang gefallen liege. Wer will seine Einführnng in Deutschland^ Alle bürgerlichen Parteien lehnen es ab. die Sozial!», Mc- kratcn leimen es ab, und selbst die Unahhingchen sind in dieser Frage gespalten. Was die Unabhängi gen wollen, — außer uns Sozialdem »krai-m her- unterzureiben —, ich meine, was sie positiv wollen, und was sie tun würden, wenn sie an oer Regie rung »vären, das weist ich nicht. Srtzcn Sie an Bruers, an Eberts, ar» Noskes Stelle einen ande ren Sozialdemokraten ein, er heiste wie er' »volle, und Sie werden das unabhängige Äeschroj von der nst^rtrücbtigen, arbeiterverr.äterischen Negierung wieder büren! Ich gehe noch einen Schritt weiter uno sage: Machen Sie heute einige der unabhängi gen Kritiker zu Ministern, so wird es keine vierzehn Tage dauern, dast sie angefeindet werden, wie ich «».gefallen worden bin und wie Mmistecpcäfioent Bauer jetzt angeiallen wird. Was die Unabhängigen unv Kommunisten predigen, ist nicht Sozialismus, beim es ist nicht Wissenschaft, sondern Aberglauben mit dem sie hausieren gehe»: im Vertrauen ans die Unwissenheit der Masse! ! Kie AM-e d^r UnteHeichmmg -er SriedelltLedivg- nngen war vielleicht nicht weniger verhängnisvoll als die Frage der Bewilligung der Kriegskredite! Ein Deck der Fraktion, zn dem ich gehäcto war oer Meinung, dast dieser Vertrag nicht unterz uch- net Wersen dürfe, und er hoffte — wie ich sagen darf auf Grund sehr wichtiger Berichte ans dem A»»s- Gnde —. dast einige Wochen der Weigerung genügen würfen, um eine gründliche Revision des ÄMkc wes dnr hzuführen. Was wir in unserer Verfassung schreiben, macht Herr Clemenceau von seiner Zu- stimmmw abhängig. Einen solüwn Vertrag wollte ich nicht unterzeichnen! Ter andere Teil, der erst die Minderheit war, aber bald znr Mehrheit wuri.e. war anderer Meinung. Wir haben daraus die demo- lratifGen Konsequenzen gezogen und haben uns ob wohl es uirs nicht leicht ankaM, der Mehrheit gesägt. Um kein Missverständnis aufkommen Zu lassen, will ich klar und deutlich hinzusügen: Ich selbst hatte den Vertrag nimmermehr unterschrieben; nachdem er aber unterzeichnet worden ist, Müssen »vir bemüht sein, die -n' gegangenen Bedingungen zn erfüllen." Red ner trat dann weiter dafür ein, dast die Temorratcn wieder an dec Regierung teitnehMeu mnsttm und »uhr fort: WBni »vir schon »richt allein regieren konucn. ich meine: wenn »vir nicht eine Arbeitcc- regicrung 'bekommen können, zu der die ganze Ar beit: rkwsse Vertrauen hat, sondern auf sie Mitwir kung bürgerlicher Parteien angewiesen sind, so ha.te ich es für gm, wem» zwei bürgerliche Parteien v'm- hanoeu sind, die M gewissen Fragen sich gegenseitig oie Woae »alten, svdaß wir wenigstens nicht einem einseitigen Truck ausgesetzt sind. Tie Rede Scheidemanns wurde oft durch die Un- abhä' säge» gestört, von denen drei Rhöner auftra- ten, die Scheidemann den Vorwurf machten, -r habe sich mit den Ralionalen verbrüdert und fei selbst ein Hurcapatriot gewesen. Scheidemann gao dann in einer zweiten Rede eine Erklärung Bekhmanns «hm uno staase gegenüber jm Tezcmbcr 1911 bekannt, die n.^h Sclnidemauils eigenen Worten bisher noch nicht veröffentlicht worden ist- Ter Reichskanzler sagte: „Wenn es Ihnen gelingt, gemeinsam mit un S zialisien in Frankreich und England für den Frieden zu wirken, bitte, tun Sie das!" So spräche nur ein Kanzler, der damals wenigstens nich vom deulscben Verteidigungskrieg überzeugt war. Sckei- lem'nn fuhr fort: „Was die Unabhängigen und Spartakisten jetzt tun und wollen, nähM wie in Rußland, nur zum Banditentum. WaS Sie Revv- luti n erreicht hat, die Demokratie, das wollt' er ohne oie Revolution erreichen und ohne das elende Blut vergießen, das sie mst sich gebracht hat- Tie sich jetzt geltend machende Reaktion letzte erst ein, als die Taktik der Unabhängigen und Spartakisten die Cinicstest der Arbeikermassen zerwühlt hatte. Ter Geiselmord in München »er ein Schandfleck d>r deu> scheu Revolution. Ei,re Gemeinfchaft mit den Kom munisten sei sür die sozialdemokratische Pickel u n- möaiic». — Mit überwiegender Mehrheit wurde schließlich eine Entschlictznng angenommen, die Sem Abgeordneten Scheidemann ein BectrauenZvotum cc- teilt- . z« öeMMMW. Das Reichswirtschaftsministcrium hat auf Grund neuer licher Beratungen durch Verordnung vom 26. August 1919 mit scholliger Rechtskraft die durch 8 1 t der Webwaren oerordnung festgesetzte Bezugsscheinpslicht außer Kraft gesetzt, und im Zusammenhang damit auch das seinerzeit zur Kontrolle der Einhaltung der Bezugsscheinvorschriften elnge- sührte Verbot des Verkaufs von Web-, Wirk- und Strick waren an Verbraucher durch Personen, die damit nicht gewerbsmäßig Kleinhandel treiben. In Wegfall kommen auch die Vorschriften über Einkaussbücher v. 8. Dez. 19VH Web-, Wirk- und Strickwaren dürfen demnach künftig nicht nur von Gewetbetreibenden und auch ohne den bisher vor geschriebenen Bezugsschein an Verbraucher zu Eigentum öder Benutzung überlassen werden. Die Reichsbekleidungsstelle hat daraufhin die von ihr auf Grund selbständiger gesetzlicher Befugnis erlassenen Be- stimmungen über die Bezugsscheinpslicht, soweit sie der Be seitigung des Bezugsscheines durch das Retchswirtschafts- ministertum entgegenstehcn, ausgehoben. Lediglich der ordentliche „Bezugsschein" sür Web«, Wirk- und Strickwaren im Sinne des t; 11 der Webwaren oerordnung ist beseitigt, dagegen bleiben die kommunalen „Berechtigungsscheine" für den Bezug sog. „Kommunalware" für die Versorgung der wirtschaftlich Schwachen bestehen. Bestehen bleiben auch noch die Bestimmungen über den Handel mit gebrauchten und getragenen Kleidungs- und Wäschestücken, nur sind durch den Fortfall der Bezugsschein- Pflicht naturgemäß Vorschriften über die sogenannten „Adgabe- bescheinigungen" sür Altkleider, die zum Empfange eines Bezugsscheins berechtigten, gegenstandslos geworden; wegge- sallen sind gleichfalls die Vorschriften der Retchsbekleidungs- stelle über die Einkaussbücher der Schneider, Schneiderinnen und Wandergewerbetreibenden. Damit hat dir Reiche bekleidungsslelle den Zeitpunkt für gekommen erachtet, auch die Bestimmungen über ein Höchstmaß von Stoffoerbrauch bei der Kleideranferttgung, ferner über die Einschränkungen bei der Verwendung von Gastwirts» wüsche, insbesondere also das Mund- und Tischtuchoerbot, endlich über die Verwendung gewißer Waschmittel in gewerblichen Wäschereien zu beseitigen. Mit diesen neuen Bestimmungen ist eine in weilen Kreisen seit längerer Zett begehrte Erleichterung für den Berkehr mit Web-, Wirk- u, ytrickwaren -«schaffe« «vorhin. Ml Me Müll m Wer W kWWtil MWkll AsWMM In Frankreich weiß Herr Gerhard Frucht, Sohn des Plnnemn Kinderarztes Dr. Frucht, der kürzlich nach abenteuerlicher Flucht über Holland zu den Seine» zurückqekeyrt in, zn berichten. Im Oktober 1918 geriet der junge Mann, der mit dem Inf.<Regt. 473 ins Feld gezogen war, in Gefangenschaft. All' seiner Habe beraubt, ohne Geld und Wertsachen Kan, ins Gesangenlager, wo er mit seinen Kameraden »hart zn arbeiten hatte. Unzureichende Bekleidung, Ungeziefer. Kälte und ungenügendes Essen nahmrn die Gefangenen furchtbar mit. und so mancher der gesund Eingeliefecten'hat das Lager entweder gar nicht oder schwerkrank verlassen. Im Marz 1919 Kam Gerhard Frucht in das Gefangenlager zu Ribecourt. wo er bald danach als Dolmetscher Verwendung sand. Hier besserte sich seine Lage ein wenig, doch der Wunsch, die Freiheit so schnell wie möglich zu erreichen, war mächtiger denn je. Wohl kamen Briefe aus der Heimat, wohl erreichten ihn einzelne Päckchen undPakete, die von den Lieben daheim gesandt waren, doch oft des besten Inhalts beraubt. Die Kost war wohl so eben hinreichend, einen Menschen vor dem Verhungern zu schützen, aber bei der völlig salzlosen Zu bereitung auf die Dauer kaum zu genießen. Anfang August hatte F. sich mit einem anderen Dolmetscher, einem Königs berger Studenten, Zioilzeug zu verschaffen gewußt, auch einige Büchsen Konserven, von einem gutherzigen Koch ge stiftet, waren in Bereitschaft, und der Entschluß zur Flucht gedieh zur Reise. Drei deutsche Kameraden'unternahmen am 10. August eineu Fluchtversuch, doch wurden sie dabei sofort erwischt und gefesselt ins Arrest gebracht. In der da rauffolgenden Nacht kamen der englische Oberleutnant Gretton und ein Sergeant« Major Wilson in angetrunkenenem Zustande in die Arrestzelle, ließen die festgcnonimcncn Flüchtlinge nackt ausztehea und mißhandelten sie so schwer mit Reit peitsche und dicken Knüppeln, daß sie ins Revier eingcliefert werden mußten. Diese üblen Erfahrungen konnten aber unseren Plauener Landsmann und seinen Kameraden nicht abhalten, den nun einmal fest beschlossenen Fluchtplan cmsznsührcn. In der Nacht zum 1 I. August gelang es den beiden, aus dem Gefangenlagcr zu entkommen und den Ort zu verlassen. Nur einige Büchsen Konserven als Proviant, ohne Geld, ohne Kompaß, mit selbstkopiertcn, unzulänglichen Karten ver- jchen, im wesentlichen angewiesen aus die Gestirne des Himmels; unternahmen es die beiden in langen, schmierigen Nacht morschen durch Frankreich in der Richtung auf Gent und von da weiter nördlich nach Holland zu gelangen. In Bel gien wären sie bald als Flüchtlinge erkannt worden, nur ihre Sprachkenntnisse schützten sic vor Inhaftierung; sie gaben sich als Blomen aus. Tagsüber mußten sie sich in Haferfcldcrn, in Gebüschen und Hecken verbergen, die mitgenommenen Konserven waren bald nusgezehrt, uud mit Hilse von Obst und Feldfriichtcn konnten sie notdülstig ihr Leben fristen, bis sie am W. Aügust in Saas van Gent holländischen Boden betraten und wahrhaft herzliches Entgegenkommen bei den Holländern sanden, die sie drei Tage beherbergten und reichlich beköstigten, lieber Blissingen erfolgte die Heimkehr und Anfang dieser Woche di« Ankunst in Plauen. Vermischtes. s 62 enttäuschte Franzöfwuen, die amerika« nische Soldaten geheiratet hatten, sind an Bord des Dampfers „Ola" aus Neuyork bereits in die alte Heimat zurückgekehrt. Sie sagen, die Ver einigten Staaten patzten nicht für ihr Tempora« ment. Ihre Männer hätten sich, nachdem sie die Uniform ausgezogen, nicht mehr um sie geküm mert, sondern seien nur ihren Geschäften nachge gangen. Darum ließen sie sich scheiden und kehrten nach ' Frankreich zurück, „wo die Männer den Frauen die Rücksichten entgegenbringen, die ihnen gebühren." ch Aus der Gefangenschaft entbommen. Aus Karlsruhe wird gemeldet: Dec bekannte Jagdflieger, Oberleutnant d. R Karl Menckhoff, der Führer der Iagdstasel 72,. ist am 2. September nach einer abenteuerlichen Flucht aus der fran zösischen Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt Menckhoff, der 36 Fahre alt und von Beruf Kauf« mann ist, war bei einem Weitflug im Juli 1918 bei Chateau Thierry in französische Gefangenschaft - geraten. Nun ist es ihin gelungen, auf abenteuer- i Uche Weise in einem selbstgcfertigten Zivilanzug ' am 23- August d. Z bei eintretender Dunkelheit ' aus dem französischen Gefangenenlager zu entfliehen Nachdem er einige Kilometer zu Fuß zurück gelegt - hatte, legte er sich an den Waldrand in ein dichtes - Gebüsch, um auszuruhcn Alsbald bemerkte er, , daß er von französischen Autos verfolgt wurde, s Eines dieser Automobile hielt in seiner Nähe, und i die Insassen, Offiziere und Mannschaften, machten , sich daran, den Wald abzusuchen. Menkhoff be- i nutzte die Gelegenheit, um das unbewachte Auto 1 anzukurbeln und damit davon zu fahren. 15 Ki- j lometer weiter stellte er den Wagen tu einem Wald i unter und gelangte dann zu Fuß, teils mit der ; Eisenbahn nach Gens, wo er von der deutschen s Kolonie herzlichst empfangen wurde. Die Unter« . bringung und Verpflegung im französischen Lager - war nach seiner Aussage sehr schlecht und die Be« ' Handlung entwürdigend. f f Beim Pferdetränken ertrunken. Aus ! Landsberg a. W. wird uns gemeldet: Der Fuhr« k mann Hennig, Vater von sieben Kindern, ertrank ' beim Pferdetränken an der Warte mit 2 Pferden, ' die scheu geworden waren.