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Dor einem frischen Erdhügel standen sie stil!. Sie räumten dre Kranze beiseite. Der Alte grub mit Schaufel und Händen ern Loch in die Erde. Dann richtete er das hölzerne Kreuz darm auf, sah, während der Junge es hielt, ob es lotrecht stand, und festigte den Fuß des Males. Auch hierbei sprachen sie fast kein Wort. Des Alten Ge danken gingen weite Wege. Immer war es so gewesen, daß die Gräber der Sieberts Kreuze aus der eigenen Werkstatt bekamen. Die Söhne zim merten sie ihren Vätern. Des Meisters Großvater hatte das Kreuz vom Vater, der Vater hatte es von ihm. Als er damals das Kreuz für den toten Vater auf der Werkbank hatte und es dann, ein Meisterstück, zum Friedhof trug, neben sich den Anton, seinen Sohn und Lehrjungen, da meinte er zu wissen, wer ihm einmal das Kreuz zimmere. In Umkehrung der Ahnenreihe batte nun der Vater dem Sohn das Kreuz gestellt. Der Menst des Lebenden für den Toten war getan, aber die Reihe der Lebenden erlosch. Namenlose Leere ergriff den Vater. Die Gedanken sprengten das Herz. Den breiten Körper durchschüttelte ein Schluchzen. Behutsam legte sich eine Hand auf seinen Arm. Leise sagte die Stimme des Jungen: „Meister...! Meister...!" Mehr wußte der Junge nicht zu sagen. Er hatte noch nie seinen Meister weinen sehen, er hätte es ihm nie zugetraut, und er hatte, wie aNe Jungen, gemeint, das Weinen tauge nicht für einen Mann. Nun spürte er es anders. Im unbeholfenen Trost des Jungen richtete sich der Alte auf, faßte ihn mit der Rechten um die Schultern und sagte: „Junge... Ihr seid eurer sechs zu Haus... Im nächsten Jahr gehst du auf Wanderschaft... dann kommst du wied-r... und dann bleibst du... immer..." Langsam schritten sie wieder der Werkstatt zu. Fritzchen mit derSammelbuchse Skizze von Christa Broehl-°Delhaes. Heute sind die letzten Sammelbüchsen ausgegeben worden. Wie ein sonderbarer Bienenschwarm umtoben die Jungen den Mann, der seines Amtes waltet. Die hohen, schmalen Büchsen bedeuten mehr als eine Dose voll Leckereien, ein Glas voller Fische oder krabbelnder Käfer. Mit den Büchsen jagen die Jungen über die Straßen, die Plätze, rütteln und schütteln sie, damit die paar winzigen Erstgroschen klimpern. Und ihre Hellen Stimmen schmettern wie Fanfaren... Heute also wird wieder gesammelt. Und diesmal hat auch Fritzchen eine Büchse bekommen. Bisher war er zu klein, zw schwach. Er hatte alle Kinderkrankheiten durchzumachen und' wurde von oer durch vicleit Schaden kluggewordenen Mutter gehütet wie ein rohes Ei, wurde überbehütet und überbeschützt,, wurde zu dick angezogen, daß er sich kaum bewegen konnte,! wurde dadurch ungelenk, wurde aus diesem Grunde scheu, stand, mehr und mehr abseits, und Vordrängen lag ihm schon gav nicht. Aber heute hatte auch er eine Büchse bekommen. Geschah es darum, weil er heute endlich einmal nicht gefehlt hattet weil er endlich einmal auch dabei war? Kurzum, er hatte auch, feine Büchse, und er hielt sie in seinen dünnen Händen wie! etwas Heiliges und starrte sie immerzu an, ob sie auch nicht als ein Traumbild zerfließe... So hörte er an den Worten des Amtswalters vorbei, so gingen alle Ermahnungen und Anleitungen unverstanden vor über. Nur eines sprang in sein plötzlich erwachtes Ohr: „Nun will ich sehen, wer mir heute abend am meisten abliefert...!" Damit war der weihevolle Akt beendet, die Jungenschar stob auseinander, in des Wortes wahrster Bedeutung in alle vier Winde. Und spritz stand allein... Der Schulhof war grau und leer mit seinen kahlen Bäumen und den vielen Regenpfützen, die der Wind aufwellte. Am großen Gebäude waren alle Fenster geschlossen, und das Glas der Scheiben war matt und dumpf. Da warf sich Fritz herum und ließ den leeren Hof weit hinter sich, mischte sich unter die Leute auf der Straße, lief über den Fahrdamm und von einem Bürgersteig auf den andern und versuchte Be freundung mit einer West zu erhalten, die ihm fremd und neu und fern war. Er starrte in die Gesichter der Erwachsenen, deren Weg er kreuzte, und er erkannte in ihnen Gleichgültigkeit und Ermüdung, Banguis und manchmal auch Unfreundlichkeit. Ach, daß man mich doch in Ruhe läßt, schrie es böse und lautlos aus so manchem dieser verschlossenen Gesichter. Aber die Büchse war leer, und Fritz mußte sie gefüllt bekommen. So streckte er da den Arm ans, hielt sie unglücklich einem dicken ,Herrn vor de« Bauch und bettelte: „Gebt, gebt... für das Winterhilfs werk!" Und lispelte, daß sein Sümmchen unterging im Lärm der Straße und hielt seinen dünnen Arm so ungeschickt, daß er nicht bemerkt wurde. Der dicke Herr lief gegen die Büchse, fluchte erbärmlich, und die Büchse rollte mit einem blechernen Klang über den Bürgersteig. Wie ein Blitz war Fritz hinterher und barg das Heiligtum — Tränen in den Augen — wiederum an seiner Brust, ohne Kraft nud Mut zu einem neuen Angriff. Auch war der dicke Herr mit dem gewaltigen Bauch langst seiner Wege gegangen. Aber eine alte Frau hatte das Spiel beobachtet und sie, die seit urewigen Jahren Mutter war und Kinderaugen kannte, verstand das Leid des Knaben und seine stumme Ängst. Sie näherte sich lächelnd, wobei die Abgeklärt heit ihres friedlichen Wesens alle Sorgenrunzeln ihres müden Gesichtes glättete, streckte ihre Hand mit einem Zweipfennigstück aus und sägte: „Mehr Mut, Junge, viel mehr Mut!" Und ließ das kleine, kleine Geldstück in die große Büchse plumpsen: „Wer gehört werden will, muß Stimme haben!" Noch ehe der Kleine zur Besinnung gekommen war, hatte sie ihren Weg wieder ausgenommen, und al- er ihr nachsah, da klangen ihre Worte in seinem Ohr. Stimme! Stimme! Was hatte sein Lehrer immer gesagt? Fritz, du hast die beste Stimme ... und ließ ihn Vorsingen und ließ ihn einzeln singen und stellte ihm in Aussicht, mehr aus ihm herauszuholen, wenn er endlich kräftiger wäre. Kräftiger wäre? Lächerlich. Er war doch kräftig. Er stand hier und wollte sammeln, war noch nicht nach Hause ge gangen und fühlte sich ohne die gewohnte Mahlzeit kein biß chen schwach. „Gebt!" schrie er plötzlich und stürzte vor ein Paar hin, das Arm in Arm dahcrgeschlendcrt kam. Die Ucberrnmpclten zogen fast gleichzeitig ihre Börsen, das zweite und dritte Geldstück fielen in Fritzchens Büchse. Aber was war das? So wenig! Er würde gewiß am wenigsten haben, wenn Sammelschluß war! Warum gelang den anderen alles besser? „Wer gehört werden will, muß Stimme haben ..." Und da kam Fritz in seinem Lauf an einen großen Platz. Darüber hin flitzten die Autos, klingelten die Straßenbahnen, tuteten die Omnibusse. Und ein Denkmal war da von irgend einer schönen Göttin, mit wasserspeienden Tieren, mit Löwen und Vögeln, und das war wie eine kleine Insel des Friedens, weil hier der Lärm weniger schrie und doch recht viele Menschen vorüber kamen. Hier stellte sich Fritz auf einen kleinen Treppenstein, so daß er etwas erhoben war und doch noch seine Büchse unter die Leute strecken konnte, und begann laut zu singen. Es war das Lied, das sie zuletzt in der Klasse gelernt hatten, und es erforderte einen schönen, Hellen Knabensopran, eine eindringliche Stimme, die festhielt und sich im Ohr ein nistete. Zuerst erschrak Fritz vor seinem eigenen Ton, aber dann, als seine Stimme leuchtend cmporstieg und alle Hinder nisse des Lärms einfach überrannte und wie ein Glöcklein, hell und herb, in der Luft hing, da bekam er solch einen Mut und solches Selbstvertrauen, daß er sich nur noch steigern, nicht mehr absinken konnte... Und alle, die vorüberkamen, schauten jetzt nach ihm hin, und immer mehr blieben stehen, und allen streckte er seine Büchse hin, oder er beendete Nützlich sein Lied und sprang unter sie, keck und ohne jegliche Scheu, mit dem Selbstbewußtsein dessen, der etwas geleistet hat. Dann klingel ten die Münzen wie neue Glöcklein gegen die Büchsenwänd, und die Leute lachten und schüttelten die Köpfe und — gaben. Und erneut sprang der Fritz auf den Denkmalsvorsprung und fand immer neue Lieder... Das Geben und das Nehmen war wie ein Rausch über den Keinen, scheuen Schuljungen gekommen. Seine Büchse wurde schwer, und es kam einer, ein alter Herr mit einem gold- knaufigen Spazierstock, der bereits eine halbe Stunde vor'dem singenden Jungen gestanden hatte, — der steckte ein Fünfmark stück in die Büchse. Fritz war trunken vor Seligkeit. Er wußte nichts mehr von Angst und Schüchternheit. Er brachte die reichste Büchse nach Haus. Begegnung. Ein Erlebnis von Cbristoph W. D r e y - Hamburg. Mein Reisegefährte, mit dem ich seit „wci Stunden das D-Zug-Abteil teilte, gefiel mir nicht. Er hatte ein struppiges Aussehen, langen schwarzen Bart und stechende Augen. Aber nun mochte ich mich nicht mehr in ein anderes Abteil setzen; hier hatte ich eine ganze Bank für mich. Bequem rollte ich mich in meine Rcisedecke, um ein wenig zu schlafen... Wie lange ich geschlafen habe, weiß ich nicht. Als ich aber die Augen wieder aufmache, sehe ich den Mann mit dem Voll bart im Wagen stehen, und in der Ecke, wo er gesessen hat, sitzt eine Frau. Er ist mit ihr beschäftigt, zupft an ihren Kleidern, rückt ihr den Hut zurecht. Da hört sich doch alles auf...! Aber nein, man soll nicht gleich das Schlimmste denken. Ich will beobachten und rühre mich nicht. Jetzt setzt er sich neben sie. Ich kann ihr Gesicht sehen, wenigstens die untere Hälfte. Es ist ein starres, gelbes Gesicht. Unheimlich! Das Paar paßt zusammen. Und beide sind so geheimnis voll still. Aber er blickt sie immer ganz verliebt an. Auf einmal blitzt ein Dolchmesser m seiner Hand.., Ich will mich schon aufrichten. Da nimmt er aus einem Papier Brot und Wurst und fängt an zu essen. Liebe macht hungrig. Aber ein rücksichtsloser Kerl — ihr bietet er nichts an. Sie verlangt auch nichts, sitzt schweigend in ihrer Ecke, wendet nicht einmal den Kopf nach ihm. Die beiden haben sich anscheinend gezankt, und nun schmollt sie. Ich käinpfe mit meiner Müdigkeit, sehe alles nur mühsam und verschwommen, aber die Neugier hält mich einigermaßen munter. Als er mit dem Essen fertig ist, stellt er sich wieder vor sie hin und streichelt ihr Kinn. Er will sich Wohl wieder mit ihr vertragen. Einmal höre ich ihn was brummen. Von ihr keine Silbe. O die Frauen! Ist es denn seine? Er war doch vorhin allein. Wann und wo ist sie cingestiegen? — Verwandte Seelen finden sich zu Wasser und zu Lande, warum also nicht im fahrenden D-Zug... Wieder bin ich beinahe eingeschlafen. Schwer sinken meine Augenlider... Da sehe ich, wie der Mann die Person anpackt, hochhebt! Was hat er vor? Aber schon setzt er sie wieder hin. Und nun greift er ins Gepäcknetz, holt einen Sack aus braunem Segeltuch herunter. Ich erinnere mich, ihn vorhin dort oben liegen gesehen zu haben, aber da war er voll und prall, jetzt ist er leer. Und er stülpt den Sack über das Weib, zieht ihn herab bis zum Knie, dis zu den Füßen, bindet ihn unten zusammen. Sie läßt alles willenlos mit sich geschehen. Aber noch ein mal habe ich flüchtig ihr Gesicht erspähen können — ein blut leeres, lebloses Leichcnantlitz. Mir graut. Vorsichtig legt der Fremde die braune Hülle mit dem offenbar entseelten Körper ins Gepäcknetz zurück. Ein Verbrecher? Im Sack das Opfer seiner Mordsucht, das er beiseite schaffen will? Ein Blaubart, ein Landru! Ich springe auf, eile zum Ausgang, will um Hilfe rufen. Da sind ja auch noch Menschen. "Ist Ihnen nicht Wohl?" fragt der Verbrecher schein heilig. „Was haben Sie dort?" stoße ich heiser vor Erregung heraus und zeige auf den Sack im Gepäcknetz. „Ach, Sie haben mich belauscht? Was ich da habe? Eine Sensation, mein Herr! Einen Clou! Adele Knietschmaul, die zehnfache Giftmischerin!" „Die Sie umgebracht haben...?" „Nein, sie hat mehrere umgebracht. Ein Biest, sage ich Ihnen, aber eine Attraktion ersten Ranges für meine Schau bude. Habe sie auf der Auktion von dem großen Panoptikum erstanden, was da dieser Tage unter den Hammer gekommen ist. Adele Knietschmaul, Nummer eins in der Schreckens kammer! Ich habe sie mir eben noch mal runtergeholt und angesehen. Tadellos, als ob sie leibt und lebt!" „Eine Wachsfigur —?" „Aber ja doch! Und ich habe sie als Gepäck mitgenommen, damit mir nichts daran zerbrochen wird. Eine Adele KnietH- maul in der Ausführung gibt's nicht zum zweiten Mcste. Wollen Sie sie sich auch mal ansehen?" Ich lehne höflich ab... Aber geschlafen habe ich nicht mehr. Wenn sich der Stromzähler irrt... Jedermann im lieben dcutjchen Valerlande wecß: Der Beamte, der alle vier Wochen mit wichtiger Miene die Gas uhr und den Stromzähler ablicst und dann die entsprechenden Rechnungen ausstellt, dieser Beamte irrt sich nie. Aber anderswo... In Preßburg zum Beispiel. Da hat jetzt ein erbitterter Streit sein Ende gefunden, der sich um die Höhe der Stromrechnung drehte. Es lohnte sich. Nicht weniger als zehn Strommesser standen in dem Keller der Molkerei. Aber sie taten ihre Pflicht trotzdem nicht. Sie irrten sich ganz ge hörig. Sie stellten für die Jahre 1930 bis 1932 einen Ver brauch von etwa 12 000 Kronen fest. Uird das war ein Irr tum. In Wahrheit hatte die Molkerei für 60 000 Kronen verbraucht. Es dauerte eine Weile, aber dann kam das Mek- trizitätswerk dem Fehler auf die Spur. Und sie forderte Nachzahlung. Die Molkerei weigerte sich ganz entschieden. Sie hätte das Geld ja gar nicht mehr. Alle Ucberschüfse des Betriebes seien am Schluffe jedes Jahres an die Aktionäre abgeführt worden. Weshalb habe sich das Werk denn auch nicht eher gemeldet? Natürlich kam es zum Prozeß. Und natürlich wälzte der sich durch alle drei Instanzen. Und natürlich erging das Urteil dahin, daß beide Parteien im Unrecht seien. Das Elektrizitätswerk solle gefälligst dafür sorgen, daß seine Zähler richtig arbeiten. Und die Molkerei, bitt schön, die hätte es sicher doch gemerkt, daß die Strom- rechnungen keinesfalls stimmen könnten. Also: es müsse alles nachbczahlt werden, die zu wenig entrichteten 48 000 Kronen und auch die Kosten des Streites. Die Moral von der Ge« schicht: Freu dich nicht zu früh, lieber Hausvater, wenn sich der Herr Stromzähler mal zu deinen Gunsten irrt! Wer zu letzt lacht, lacht am besten. Wobei vor allem zu beachten ist, daß sich diese Geschichte weit weg drunten an der schönen blauen Dona« Mgetragen hat. 7"'" M . A MOJO;. Ein Rennwagenmodell, das 30 Stundenkilometer fährt. Auf der iwternationalen Auwmobist und Motorradausstellung in Berlin wurde auch dieses Rennwagenmodell gezeigt, das ein Meister des Kraftfahrzeughandwerks gefertigt hat Der 38- Kubikzcntimeter-Motor hat kopfgesteuerte Ventile, macht 7900 Umdrehungen in der Minute und leistet 0,7 PS. Der Wagen entwickelt eine Geschwindigkeit von 30 Stundenkilometern mit Anhänger und Wagenführer. (Schirner — M.) Vom Bau der Autobahn Berlin—Stettin. Zwischen den Orten Lanke und Althüttendorf ist die große Reichsautobahnstrecke Berlin—Stettin bereits sertiggesteilt: auf unserem Bilde sieht man die große Brücke der Autostraße die bei Finowfurth den Finowkanal überquert. (Scherl Bilderdienst — M >