Suche löschen...
Wilsdruffer Tageblatt : 28.06.1939
- Erscheinungsdatum
- 1939-06-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193906286
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19390628
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19390628
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1939
-
Monat
1939-06
- Tag 1939-06-28
-
Monat
1939-06
-
Jahr
1939
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 28.06.1939
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Das Siws öe? »1 Ich höre Benjamin Piits Stimme und trete in das Haus zitrück. Augenblicklich schließt sich das große Tor hinter mir, obgleich niemand da ist. Ich zerbreche mir nicht den Kopf dar über. Ich gehe durch das Arbeitszimmer in die Sternwarte. E- ist hier überall sehr kalt, und das ist nicht verwunderlich, denn alle Türen sind offen und ebenso die große Kuppel der Sternwarte. Die Rakete ist nicht mehr da. die eiserne Treppe steht wieder in der Mitte des Raumes und ich höre Beniamin Pitts Stimme oben aus dem Dach. Ich steige auch hinauf und überzeuge mich, daß es aufgehört har zu schneien. Ich sehe jetzt zum erstenmal ein riesiges Gestell aus eisernen Stäben, das heißt, es sind eigentlich nur zwei lange Arme aus starkem Bandeisen und jeder dieser Arme bat an seinem Ende einen weiten Ring. Diese beiden Arme stehen waagerecht vom Hause ob, der eine vielleicht drei Meter stirer der Erde, der andere drei Meter höher. In diesen Ringen steht jetzt die Rakete, die augenscheinlich vom Dache in dieselben hinunter gelassen wurde. Ich kann jetzt überaus deutlich die drei Teile unterscheiden, aus denen die Rakete besteht. Die Düse der untersten Abteilung, in der zuerst die Explosion erfolgen soll, ist also etwa drei Meter über dem Erdboden, aber in diesem ist noch ein tiefer Schacht gebohrt. Natürlich war er schon da und jedenfalls nur verdeckt. Eine elektrische Drahtleilung geht zu dieser unter sten Rakete herab und endet oben in der Sternwarte. Die Spitze der Kabine bat jetzt eine gcössnetc Tür, eine Lausplanke führt zu der Tür hinüber. Ich sehe Evelyn. Sie steht in ihrem grauen Mantel und spricht eifrig mit ihrem Vater. Auch jetzt sehe ich wieder keinen Menschen außer den beiden, obgleich mir ist, als seien lauter raunende Stimmen und arbeitende Hände um uns herum. Ich gehe über die Laufplanke in die kleine Kabine. Es ist ein seltsamer, aber nicht unbehaglicher Raum. Er ist genau viereckig. Etwa drei Meter hoch, ebenso breit und lang. Seine Wändet die Decke, der Fußboden und die Tür sind sehr dick gepolstert. Ein Polster, das überall auf kräftigen Sprungfedern ruht. Ich sehe, wie Beniamin Pitt eben Evelyn noch einmal alles erklärt. Aus dieser Polsterung ragen eine Unmenge kleiner Hebel hervor. Jeder von ihnen trägt eine Ansschrift: oben, unten, vorn und hinten sind runde Fenster von überaus dickem Glas, aber über all diesen Hebeln, über all diesen Fenstern sind ebenfalls dickgepolsterte Kissen, die Benjamin Pitt jetzt sorg fältig festknüpst. Und endlich ist eine Bank in dem Raum, die eigentlich ein einziges viereckiges Polsterkisscn darstcllt. Wir sehen nacheinander alle diese verschiedenen Dinge. Dieser kleine Raum erinnert mich mit seinen vielen Schaltern und Hebeln, mit den kleinen, eingebauten Schränken und Fächern an den Maschinenraum eines Unterseebootes, nur daß in diesem die Polsterung fehlt. Wir sehen auch, gleichfalls durch Kissen geschützt, den Sender, das heißt das Mikrophon des in dem Hinteren Teil eingebauten Senders. Wir sehen auch den ebenso geschützten Lautsprecher. Jetzt sagt der Professor: „Ihr werdet die Polsterung nur während der ersten Minu ten gebrauchen, wenn der Andruck bei der Erplosion der ersten Rakete euch in die Höhe reißt, und dann noch einmal, wenn ihr oben die zweite Rakete entzündet, dann aber wird eS weniger schlimm sein, weil der Erdkörper euch nicht mehr so nahe ist. — Weißt du auch die Hähne der Lnkternenerung zu bedienen?" „Ich glaube, wir wissen alles." Benjamin Pitt faßt unsere beiden Hände. „Dann also, mit Gott. Wir können andauernd miieinander sprechen. Ihr selbst habt Elliots Botschaft gehört. Ihr wißt alles, wißt auch, daß ihr durch einen Druck auf den Knopf die Metalläden der Fen ster öffnen könnt. Jetzt schließt sorgfältig die Tür und sorgt, daß überall die Kissen vor jedem Gegenständ sind, der euch ver letzen könnte. Dann setzt euch auf die Bank nieder und löscht das Licht. Ich werde noch fünf Minuten vergehen lassen, dann entzünde ich den Wasserstoff in der letzten Rakete. Ihr werdet es besser haben als ich. Ihr werdet den Feuerstrahl und die Wut des ausbrechenden Gases nicht sehen. Ihr braucht keine Angst zu haben. Auch Elliot ist nichts geschehen." Er drückt nns noch einmal die Hand, dann geht er hinaus, und wir schließen die Tür. Wir arbeiten hastig, um überall die Polster zu knüpfen. Es muß wieder Sturm draußen sein, denn die Rakete schwankt. Wir löschen das Licht und setzen uns dicht aneinander. Die weichen Kissen sind fast wie ein Bett, Evelyn hat mich mit beiden Armen umschlungen. Wir sprechen nicht, aber wir hören das laute Pochen unserer in Erwartung beben den Herzen. Wir harren, wie lang sind Minuten, in denen der Mensch ein Schreckliches erwartet. Dann ein wahnsinniger Ruck, ein Ruck an unseren Gliedern, als sollten wir rückwärts hnrch die ganze Rakete gerissen werden. Unser Atem stockt. — Wir vergessen uns selbst. Siebentes Kapitel Wie eine unglaubliche Last bat es aus unserer Brust gelegen. Mir ist es glühendheiß, meine Lungen ringen nach Luft, ich glaube zu ersticken, dann läßt der Druck nach. Ob ich die Zeit über die Augen aufgehabt habe, weiß ich nicht, jedenfalls habe ich nichts gesehen: es war ja auch dunkel, denn wir hatten die elektrische Lampe ja gelöscht. Jetzt brennt sie wieder. Evclvn hat sie eingeschaltet. Sie hat auch die Kissen von den Hebeln genommen, auch von der Uhr, die uns gegenüber in die Polstcrwand eingelassen ist. Evelyn ist so sehr viel frischer als ich. Ich blicke auf die Uhr. Fast ist es mir eine kleine Genug tuung, daß diese Uhr noch empfindlicher ist als wir Menschen. Sie stand genau auf sechs Uhr morgens, als wir absuhren, jetzt zeigt sie drei Minuten nach sechs und wir müssen doch Stunden unterwegs sein. Evelyn liest die Aufschriften der ver schiedenen Hebel und vergleicht sie mit einer Tabelle, die ihr der Pater gegeben hat. „Wie lange sind wir wohl unterwegs?" Sie lächelt: „Drei Minuten, du siehst es ja an der Uhr." „Sind cs wirklich erst drei Minuten?" „Nein, jetzt sind es schon zehn Sekunden mehr." Mir ist das alles so unwirklich. „Ich begreife gar nicht, daß wir so lautlos abfahrcn konnten. Ich habe keinen Knall, kein Sausen oder Pfeifen gehört." Evelyn lacht wieder. „Das ist doch sehr einfach. Wir fahren doch sehr viel schneller, als die Schallwellen sind. Der Schall legt bei dieser Kälte und dieser trockenen Luft etwa dreihundert dreißig Meter in der Sekunde zurück, und wir sind mit fünf hundert Meter in der Sekunde angefahren. Das ist ja das Wunderbare an unserer Rakete, das Geräusch, das sie ver ursacht, bleibt bald um Minuten hinter uns zurück. Hast du nie aus der Entfernung jemanden hämmern sehen? Je weiter er ist, desto größer ist der Zeitunterschied zwischen dem Nieder fallen des Hammers, das dein Auge sieht, und dem Dröhnen des Schlages in deinem Ohr. Unsere Rakete verlangsamt die Fahrt, die Schubrakete hat ihre Explosivkraft verströmt. Wir müssen sie abstoßcn und die zweite Rakete entzünden, setze dich fest hin, der Andruck wird jetzt noch stärker werden. Wir müssen es noch drei Minuten ertragen." Blitzschnell arbeiten meine Gedanken. Drei und eine halbe Minute. In jeder Sekunde fünfhundert Meter — wir sind in drei und einer halben Minute hundertfünftausend Meter ge fahren, dieselbe Geschwindigkeit, die ein Eisenbahnzug aus ganz freier Strecke im allexgünstigsten Falle in einer Stunde erreicht. Währenddessen hat Evelyn, die jetzt gewissermaßen der Kapitän Unserer Rakete ist, zwei Hebel niedergedrückt. Der eine bewirkt, daß scharfe Stnhlmcsscr die Drähte durchschnciden, die die Schubrakete nur ganz locker mit dem Hauptfahrzeug verbinden, der andere Hebel setzt den zweiten Teil unserer Rakete in Be trieb. Das Wasserstosfgas strömt aus vcn Düsen. Wir würden es nicht ahnen, wir hören wieder durchaus kein Geräusch, aber wir werden in das Polster zurückgeschleudert, mein Atem ver siegt, meine Lungen keuchen. Blutiger Schaum ist auf meinen Lippen, ick winde mich in wahnsinnigen Schmerzen, ich glaube vor innerlicher Hitze zu vergeben. Wir haben diesmal das Licht brennen lassen. Ich blinzele zu Evelvn hinüber. Ein roter Schleier liegt vor meinen Augen, ich sehe nichts mehr. Ich ahne sie nur, sic liegt bleich in der Ecke der Polsterbank. End lich, es scheint mir, als seien wieder Stunden vergangen — ich begreife nicht, daß wir noch leben — läßt der Druck nach, hört er ganz auf, und es scheint mir, als ob mich ein kühlerer Luft zug umwebte. „Komm, trink." Sie hat aus einem kleinen Wandschränkchen eine Flasche aenommen und süllt zwei Gläser. Wie wohl tut der eiskalte Sekt, den sie mir bietet, sie macht ein vergnüates Gesicht. „So, Lieber, das Schlimme unserer Fahrt ist vorüber, jetzt komm' der Genuß. Allerdings hat der letzte Augenblick ein wenig Willenskraft erfordert —." „Wie schnell fahren wir jetzt?" „Nur lausend Meter in der Sekunde, jetzt vergrößert sich die Geschwindigkeit nicht mehr, es war nicht leicht, bei dem furchtbaren Andruck der stets sich vergrößernden Kraft unserer zweiten Rakete unsere Hebel richtig zu stellen. Wir sind sieben Minuten unterwegs" Hundertfünsiausend Meter haben wir in der ersten Hälfte dieser Zeit znrückgelegt, mindestens zweihundertzehntausend in der zweiten. Jetzt braucht der Schnellzug schon zwei Stunden für die Strecke, die wir in drei Minuten bezwingen. In dieser Geschwindigkeit würden wir auf der Erde etwa in fünf Viertel stunden von Hambnrg bis nach New Bork fahren. „Wir haben die Luftschicht der Erde bereits verlassen?" „Seit ungefähr drei Minuten." Ich stehe auf, in demselben Augenblick schlage ich mit dem Kopf gegen die Wand gegenüber, aber nicht etwa in der ge wöhnlichen Höhe, sondern oben an der Decke. Der Anprall tut mir durchaus nicht Web, aber ich fliege wie ein Gummiball wieder zurück, hätte mich beinah auf Evelyns Kopf nieder gelassen, wenn diese m'ch nicht mit einer leisen Bewegung ihrer Hand lachend zu sich hinunlergezogen hätte. Ich sehe zu meinem Entsetzen, daß auch Evelvn mft ihren Füßen nicht auf dem Fußboden steht, ich habe mein Taschentuch aus der Hand fallen lassen — nein, cs ist gar nicht gefallen, es schwebt ganz ruhig in der Luft, an derselben Stelle, an der es meiner Hand entglitten. Ich fühle, daß ich wahnsinnig geworden bin. „Warum hast du nicht Vaters Werk aufmerksamer gelesen? Wir sind doch über die Grenze der Erdanziehung hinaus und die Schwerkraft ist überwunden für uns." Ich schäme mich vor Evelyns Wissen — freilich, ich weiß das selbstverständlich auch, mich überrascht nur die Schnelligkeit, mit der dies alles geschieht. Wir drücken auf die elektrischen Knöpfe an den Fenstern, und die metallenen Rollwände gleiten zur Seite. Unsere Augen sehen durch das dicke Glas in das unendliche schwarze Weltall. Dunkelscbwarz ist dieser Himmel, aber größer, sehr, sehr viel größer, als wir sie jemals gesehen, leuchten an diesem Himmel die Sterne. Sie erscheinen wie ganz scharf umrissene Kreise, Sicheln oder Punkte. Keine Luft schicht umgibt sie hier mehr mit flimmernden Schein. Wir blicken nach unten. Ein wunderbarer Mechanismus miteinander korrespondierender Spiegel gestattet es uns, gleichsam durch unsere Rakete hindnrchznsehcn. Oh, dieser gewaltige, dieser überwältigende Anblick. Unter uns liegt die Erde. Wir sind längst von ihr so weit entfernt, daß es unmöglich ist, sie zu übersehen. Sie ist eine riesenhafte, helleuchtende Sichel. Ist nicht mehr eine Kugel oder Scheibe, bisher waren wir gewohnt, vom Halbmond zu sprechen, unter uns ist zur Zeit „Halberde", aber, wie wir es ja auch beim Mond zu sehen gewöhnt sind, deutet eine leise leuchtende Linie die Kreisform an. Und über dieser Erde zucken wie sprühende Raketen eines Feuerwerks glühende Punkte. Es sind Funken, die unter uns fliegen, die dann plötzlich ganz hell aufleuchten, wie die sprühen den Sternchen am Weihnachtsbaum und verschwinden. Im ersten Augenblick bin ich gewillt zu glauben, daß diese Funken von unserer Rakete verrühren, dann weiß ich es besser. Es ist die Zeit der Sternschnnppenfälle. Ganz kleine Meteore, letzte Trümmer irgendeiner Weltkatastrophe sind es, die zur Erde herniederstürmen, die im Bereich der Luftschicht sich ent zünden und helleuchtend verbrennen. Wir richten den Blick nach oben. Riesengroß, wenn auch zwölsmal kleiner als die Erdsichel da unten, leuchtet der Mond. Es ist etwas unbeschreib lich Großartiges in diesem Schauspiel. Wir sprechen nicht. Es würde uns wie eine Entweihung erscheinen, wollten wir diese ewige, heilige, feierliche Stille des Weltalls, durch das nun, ebenso lautlos, unsere Rakete als der kleinste, winzigste der Weltkörper fliegt, durch den Klang unserer irdischen Stimmen entweihen. Wir fühlen jetzt nichts mehr von den Beschwerden des An drucks. Die Luft ist in unserer kleinen Kabine vorzüglich. Die verbrauchte Luft strömt durch ein schwarzes Rohr auf der Schattenseite der Rakete. In diesem Rohr schlagen sich die Verunreinigungen nieder, dann wird die gereinigte Lust durch ein Helles Rohr auf die Sonnenseite hinübergeleitet, dort erwärmt sie und fließt uns wieder zu. Ein ewiger Rundlauf, wie das Wasser in einer Zentralheizung, ohne unnützen Verbrauch. Jetzt weiß ich auch, was ich zu tun habe. Auf allen Seiten des Schiffes drehen sich Kreisel. Mit ihnen ist es zu steuern. Ich habe fast wie in einem Auto das Steuerrad vor mir. Mack Elliot hat alles bequem konstruiert. Ich brauche nur das Rad zu drehen, und das andere besorgen die Hebel und Drähte. Um uns ist immer dasselbe Bild, die erhabene Größe des Weltalls, der tiefschwarze Himmel, die leuchtende Sichel der Erde, die hart aus diesem Schwarz hervorstechenden Sterne. Es ist kalt um uns herum. Sehr kalt, so kalt, daß es mir vorkommt, als seien meine Glieder abgestorben, als sollte mein Herz langsam erlöschen. Wir sind jetzt ganz außerstande, irgend etwas im Interesse unserer Fahrt zu unternehmen. Wir sind in diesem Augenblick ein neuer, kleiner Meteor, der die Bahn beschreibt, unweiger lich beschreiben muß', die der Wille Benjamin Pitts bei der Abfahrt ihm ausgedrungen hat. In meinem durch die Kalte, gegen die unser elektrischer Ofen vergebens ankämpft, däm mernden Geiste erscheint mir die Gestalt Benjamin Pitts in übergewaltiger Größe. Diese Rakete und ihre Bahn folgen dem Willen Benjamin Pitts. Alle die Sterne, alle die Sonnen des allmächtigen Weltalls folgen dem Willen der großen, allmäch tigen Weltordnung, folgen den ewigen natürlichen Gesetzen, nach denen das Weltall besteht. Nach diesen Gesetzen kreisen die Planeten um ihre Sonnen, nach diesen Gesetzen stürmen die Kometen in ewig gleichmäßigen Ellipsen durch den Welt raum. Nur wir, nur dieser kleine Meteor, in dessen Mitte wir atmen, hat ein anderes Gesetz, hat das Gesetz, das Ben jamin Pitt ihm vorschreibt. Die Menschen glauben, ein gewal tiger, allmächtiger Schöpfer habe das ganze Weltall mit all seinen Sternen erschaffen und ihnen ihre Bahnen vorgeschrie ben. Allen Himmelskörpern, nur einem einzigen nicht, dem einen, den Benjamin Pitt erschaffen hat und der die Bahn beschreibt, die Benjamin Pitt ihm befiehlt. Und in diesem Augenblick dämmernder Erschöpfung steht Benjamin Pitt vor meinen Augen in riesiger Größe. Ein Mensch, der in Wett streit tritt mit dem ewigen Schöpsungsprinzip des Weltalls, Koma» vo/r oo» vrkederrecbtssckutr ckurck Karl Köbler L Lo., Lerlin-2eklenckork das wir Gott nennen. Ein Mensch, der sich selber anmatzt, Gott zu sein. Wird er es vermögen? Oder wird sein Wille an dem der Allmacht zersplittern? Und wir? Wir, die wir in diesem Meteor seines Willens den Flug in die Ewigkeit mitmachen, die wir ein kleiner Teil dieses Willens sind, wer den wir mit ihm in nichts zerstieben? Wir sind Stunden gefahren, Stunden und aber Stunden. Und jede dieser Stunden hat uns um dreitausend Kilometer weiter hinaus in das All geschleudert. Wir haben gegessen, wir haben feurigen Wein getrunken, um die Kälte zu bannen, die von der Macht der Ewigkeit in unsere Glieder dringt. Unsere Augen sind geschlossen. Ich Weitz es nicht, ob ich schlafe oder wache. Ich stehe auf der Spitze unseres Luftschiffs. Warum soll ich dort nicht stehen, da es keine Schwerkraft gibt, die mich Hinabstürzen läßt, um mich ist der schwarze Himmel mit seinen leuchtenden Sternen. Und dieser gewaltige, dieser unermeßliche, dieser lautlos erhabene Sternenhimmel bewegt sich um mich. Die Sterne kreisen, und mir ist es, als würden ihre Bewegungen schneller. Um mich, der ich hier stehe, los gelöst von allem, was lebt, kreisen jetzt in furchtbarer Schnellig keit all diese Sonnenwelten des Himmels, ziehen die Stern bilder herauf und wieder herab, fliegt der Mond m schnellen Kreis um die Erde, ist alles wie ein schwindelhaft furchtbares namenlos herrliches Schaubild. Ich zucke zusamm-n. Eine Stimme dringt an mein Ohr. „Mut, Mut. meine Lieben, ich bin ja bei euch." Benjamin Pitts Stimme! Wie der allmächtige Gott nach dem Glauben der Menschen allgegenwärtig ist in der Welt, so ist Benjamin Pitt bei seinen Geschöpfen, ich wundere mich nicht, seine Stimme zu hören. Evelvn steht aufrecht an meiner Seite. „Hörst du den Vater?" Kleine Evelvn, die du immer mit beiden Füßen auf der Erde stehst. Dir ist es nicht der Gottversucher, dessen Stimme durch das Weltall schallt, dir ist es der Vater, der die Gamma strahlen gebändigt bat und durch den Lautsprecher des Radio ruft. Evelvn arbeitet wieder an ihren Schaltern. Diesmal setzt sie unseren Sendeapparat in Bewegung. Sie össnet das Fach, in dem das Mikrophon steht, und spricht hinein. „Alles gesund, gute Fahrt, nur grauenhaft kalt." Unmittelbar klingt die Antwort zurück. „In wenigen Minuten wird es euch warm werden." Der Lautsprecher verstummt, ich falle wieder in mein Däm mern zurück, und dann beginnt mein Herz wieder zu pochen. Durch die Fenster, die noch eben in dem Dunkel der Nacht gelegen, dringt Heller Schein. Ein Schein, der in jedem Bruch teil einer Sekunde zunimmt und wächst, und es wird warm um uns bernm. Ich schauere unwillkürlich zusammen. Evelvn weiß genau, was geschieht. Weiß, daß die lange Weltnacht vorüber und daß die Sonne uns jetzt ihr Gesicht zeigt. Ich weiß es anders. Unser Schöpfer, der Schöpfer unserer kleinen Welt hat besoh len: Es werde hell und warm. Ich presse meine Hand gegen die Stirn, ein schreckliches Gefühl kriecht in mir empor, ich habe Angst, wahnsinnig zu werden. O mein phantastischer Geist und meine empfindsamen Nerven! Nur wer in kühler Unbefangenheit die Dinge einfach nimmt wie sie sind und nüchtern bleibt allem Unfaßbaren gegenüber, ist fähig, den Dädalusflug in den Acther zu wagen. Die Kälte ist vorüber, dafür erfaßt uns jetzt glühende Hitze. Unvermittelt springt das Thermometer die Skala hinauf. „Komm, wir drehen das Schiff." Wir ziehen an den Hebeln, die Steuerkreisel drehen sich. Unser Schiff vollzieht eine Wendung, dann wird es wieder kühler um uns, Heitz, doch aber immer erträglich. Wir haben die Rakete um ihre Achse gedreht, jetzt ist die grellweitz gestrichene Seite der Sonne zugewandt und fängt ihre Strahlen ab. Unser Schöpfer hat an alles gedacht, als mordender Dämon erschien uns die Sonne, wir bändigen ihren versengenden Strahl. Es ist wieder Nacht. Wir haben das Schiff noch einmal mit Sonnenhitze gesättigt, jetzt nehmen wir die Pelzjacken und legen sie uns zurecht. Wir werden beide im Lause der Zeit noch besonnene Weltallpiloien. Wir wissen, daß jetzt die Zeit und die Nacht der Kälte kommt, wissen, wie lange sie dauert und daß auch hier der Tag auf die Nacht folgt. Wir haben anderes zu tun. Wir haben die Stunden der Muße benutzt, um die Glieder und Kräfte des kleinen Weltalls, das uns die Rakete geworden, zu untersuchen und zu studieren. Wir lassen ein Uhrwerk schnurren und sehen, daß unter dem einen unserer Fenster ein langer Arm hervorwächst. Zwei ganz dünne Mctall- stäbchen, das heißt, jeder eine unendliche Zahl von Stäbchen, die ineinandergeschobcn sind und nun zu einem einzigen langen Stabe auscinandergereckt werden. Am Ende tragen diese Stäbchen einen blanken Hohlspiegel. Diesen Hohlspiegel be trachten wir mit unserem Fernrohr, nach dem wir ihn so gestellt, daß der Mond sich in ihm widerspiegelt. Wir starren rn das Fernrohr hinein. Ein wild zerklüfteter Bergkessel liegt vor uns, ein Gebilde gigantischer Krater und wild zerrissener Gründe. Gelb, grün, blau und rot leuchtet es in den Tiefen und Schlünden dieser erloschenen Vulkane. Das Aellowstone- Gebtet ins Unendliche übersetzt. Mondlandschaft! Durch unser seltsames Weltallteleskop, das unser Fernrohr in Verbindung mit dem Spiegel uns bietet, sehen wir alles, als sei es in greifbarer Nähe. Wir sehen die schroffen, von bunten, vulkanischen Ablagerungen glänzenden Kraterwände jäh abstürzen; wir sehen gewaltige, vor Jahrbunderttausenden erstorbene Lavaströme auf selsenstarrende Ebenen herunter- zivhen. Wir sehen im tiefen Schatten der Berge leichte Nebel als letzte Ueberbleibsel erstorbener Luftschicht. Wir sehen etwas anderes. Etwas, das uns viel mehr ergreift, etwas, was uns erzittern läßt in uns selbst. Wir sehen auf der Zacke eines Berges, der uns am meisten zugeneigt ist, ein winziges kleines Ding. Ein Ding, das unserem kleinen Weltall gleicht wie ein Ei dem andern. Mack Elliot und seine Rakete. Wir sind unendliche Weiten von ihr getrennt und doch ist es uns ein beglückend?^ Gefühl. Nicht eine — zwei Welten gehorchen dem Willen Benjamin Pitts, und beide sind noch nicht von der Allmacht zerschmettert. Wir lassen einen anderen Mechanismus spielen. Wir drehen den Spiegel so, daß er abwechselnd dem Mondlicht zugewendet ist und dann wieder im Schalten verschwindet. Evelyn bedient den Apparat, und die Lichtscheine, die unser Spiegel in das Weltall und zum Monde hinüberwirft, gleichen den Zeichen des Morsealphabets. „Wir kommen, Evelyn Pitt." Wir schauen wieder gespannt hinüber. Lichter zucken auf. Durch den Weltraum kommt die Antwort zurück: „Ich erwarte euch, Elliot." Wir haben durch das Weltall hindurch signalisiert, zu sprechen wissen wir nicht nach dem Monde, wir haben nur die Wellenlänge, die uns mit unserem Schöpfer verbindet. Mit Benjamin Pitt! Glückliche Kreaturen, die imstande sind, mit Worten mit ihrem Schöpfer zu sprechen und von ihm Antwort zu erhalten. Verwirrt sich mein Geist schon wieder? Evelyn hat die kleine Schreibtischplatte beruntergeklappt, macht eifrig Notizen und läßt dabei unsere Mahlzeit aus dem elektrischen OsLn kochen. (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)