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Wilsdruffer Tageblatt : 14.06.1939
- Erscheinungsdatum
- 1939-06-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193906144
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19390614
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19390614
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1939
-
Monat
1939-06
- Tag 1939-06-14
-
Monat
1939-06
-
Jahr
1939
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 14.06.1939
- Autor
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Ich blicke auf, taumele zurück, halte mich am Geländer. Ich Mle, wie mir das Blut aus den Wangen weicht, meine Augen sind starr, ich habe das Gefühl, als träten sie aus ihren Höhlen. Aus dem Stuhl unter dem Fernrohr sitzt ein Mann, ein alter Mann, mit grauem Haar und glattrasiertem Gesicht. Benjamin Pitt. Grauen ist in mir, furchtbares Grauen, ich stthle, wie meine Hände wie im Krampf an dem Geländer rütteln, der Mann wendet mir sein Gesicht zu. Ein seltsames, bleiches To- tengesicht, aber in ihm sind zwei grotze. runde, funkelnde Augen. „Benjamin Pitt!" Ich schreie, so laut ich zu schreien vermag, aber aus meinem Munde kommt u»r ein säst tonloser Hauch und jetzt — ich fühle, Wle unter meinen rüttelnden Armen die ganze Wendeltreppe bebt: Benjamin Pitt steht aus — seine Arme strecken sich — er wird groß — riesengroß und dann — das alles geschieht in Sekunden — springt Benjamin Pitt mit slügelartig ausgebrei- tetcn Armen auf mich zu, springt von der Plattform herab — ich höre einen kreischenden Schrei — weiß nicht, ob ich ihn aus- gestoßen habe oder Benjamin Pitt — ich breche zusammen. — Ich öffne» die Augen — Evelhn kniet neben mir. Ich liege am Boden, sie hat mich ausgerichtet, mein Kopf schmerzt, ich fühle etwas Feuchtes, Heißes an meinem Arm. Ich habe mich jedenfalls bei meinem Sturz an einem Nagel gestoßen. „Was ist geschehen?" „Ist dein Pater zurückgekehrt?" Ich frage ganz leise, weil ich ja selbst weiß, daß es Unsinn ist, daß ich Aage, denn Benjamin Pitt ist ja tot. „Wie kommst du darauf?" Ich zeige ganz langsam mit dem Finger auf den Sitz am Fernrohr. ,Dort hat er gesessen." Wer?" ^,Dein Vater." „Wie kommst du auf solche Gedanken?" Ich sage — ich sühle —, daß meine Lippen dabei beben — ich schäme mich dessen, was ich sage —. „Er hat dort gesessen und wie er mich sah, ist er aufge- standcn und aus mich heruutergesprungen." Jetzt lacht Evelpu leise auf. „Aber Lieber, ist dein Pelzrock vielleicht mein Vater?" Sie hebt meine dicke Pelzjoppe vom Boden auf und hält sie empor, dann spricht sie weiter. „Was wolltest dn auch im Dunkeln hier in der Sternwarte? Ich erwachte und glaubte dich rufen zu hören, mir klang es fast wie ein Schrei — Vaters Schlafzimmer liegt ja unter diesem Raum. Ich lief herauf, öffnete die Tür, da sah ich im Mond licht etwas von oben herabsliegen. schaltete die elektrische Birne ein und fand deine Joppe. Hast du sie nicht gestern abend dort oben gelassen, als du nach dem Monde und der Rakete sahst?" Ich erinnere mich. Ich habe wirklich gestern abend, um be weglicher zu sein, meine Joppe dort oben ausgezogen und über den Sessel gehängt, trotzdem schüttele ich den Kopf. „Ich habe doch ganz deutlich seine leuchtenden Augen gesehen." Wieder lackt Evelhn. „Du meinst diese beiden großen blanken Knöpfe, auf denen das Mondlicht lag." Ich sehe Evelhn an. Sehe ihr liebes, lächelndes Gesicht, ihre ruhige Ueberzcugung. Ich bin jetzt wieder ganz ruhig und nicke. „So ist es sicher gewesen Evelyn." „Bist du krank?" „Ich habe schlecht geschlafen. Es ist so furchtbar heiß im Hause. Gott sei Dank, jetzt ist es kühler." „Ich habe die Heizung abgestellt." „Was ich für ein Tor bin, und was ich für schwache Ner ven habe." Sie streicht mir liebevoll über die Stirn. „Du hast dich überanstrengt, als du mich so lange trugst. Komm, es ist nicht mehr so warm, jetzt wirst du schlafen." Wir gehen hinunter. Evelyn mischt mir noch ein Glas Li monade, dann nickt sie mir zu, wird dunkelrot und verschwin det in ihres Vaters Schlafzimmer. Auch ich weiß plötzlich, daß sie im Untergewand vor niir gestanden, mit bloßen Armen. Sie hat unwillkürlich innen den Riegel vor ihre Tür geschoben. Evelyn, wie wenig du mich doch kennst! Ich habe mich noch nicht wieder nievergelegt, ich sitze auf dem Divan und habe das Haupt in die Hände gestützt. Ich sehe jetzt vollkommen klar, ich bin nicht krank, ich habe keine Gespenster gesehen! Es ist richtig, am Boden hat meine Joppe gelegen. Aber trotzdem — dort oben bat ein Mann gesessen. Ich weiß es ganz gewiß, daß es ein Mann war, nur daß er nicht aus mich heruutergesprungen ist. Ich weiß jetzt auch, wa rum er so groß war, er ist ausgestanden, hat die Joppe ausge breitet, um sich dahinter zu verstecken und hat sie nach mir geworfen. Dann hat er meinen Schreck und meinen Fall benutzt, um irgendwohin zu verschwinden. Es ist ganz natürlich daß Evelyn nichts bemerkt hat, sie war ja zu sehr mit mir beschäftigt. Ick überlege weiter: Ich weiß nicht, ob dieser Mann Benjamin Pitt war, oder ob Benjamin Pitt der Tote da draußen ist. Jedenfalls will dieser Mann sich vor uns verbergen. Warum sollte Benjamin Pitt sich vor seiner Tochter versteckt halten? Warum vor mir? Dieser Mann ist un ser Feind. Ein neuer Gedanke: Hat dieser Mensch vielleicht Bcniamin Pitt ermordet: Aber warum sah er durch das Fernrohr? Was ist hier sür eine Tragödie geschehen? Hat dieser Mann Benjamin Pitt ermordet, um ihm seinen Ruhm zu stehlen? Jedenfalls ist er im Hause, er bedient die Apparate. Er hat ein Interesse daran, sie im Gange zu halten. Er hat sicher auch die Wellen des Funkapparates so eingestellt, daß ich die Musik aus San Franzisko nicht mehr höre, sondern nur noch die Aetherwellcn. Muß dann, nachdem das Morse zeichen gekommen, wieder umgestellt haben. Wahrscheinlich wa ren die abgerissenen Worte, die mich so entsetzten, ein paar Sätze ans irgendeinem Theater und dann hat dieser Unbe kannte eben so rasch wieder ausgeschaltet. Es ist ein unheimliches Gefühl, zu wissen, daß ein Frem der, ein Feind, vielleicht ein Mörder mit uns das Haus teilt. Ich siebe noch einmal auf, schleiche zur Tür, die in den Vorraum führt und schiebe den großen Riegel vor. Es ist mir eine Erleichterung, zu wissen, daß bas Zimmer, in dem Evelvn schläft, stark vergitterte Fenster und nur eine Tür in den Raum, in dem ich bin, besitzt. So kann ich über sie Wachen. Ich bin froh, daß ich ihr nichts gesagt habe, daß sie sorglos und ruhig schläft, aber ich beschließe, gleichfalls, ohne ihr et was davon zu sagen, morgen das ganze Haus zu durchsuchen. In den Kellern, die sicher vorhanden sind, und in ven Ncbcn- räumen bin ich ja noch gar nicht gewesen. Ich lege mich wieder nieder und lösche das Licht. Es ist jetzt angenehm lauwarm im Zimmer und ich sül'le mich so wohlig müde. So sehr es mich erregt bat, zu wissen, daß noch ein dritter Mensch dessen Sinn ich nicht kenne, bier im Hause ist, so sehr bin ich sroh, daß dieser Schrecken eine natürliche Er klärung gefunden hat. Ich schließe die Augen. Der Schlas kommt langsam heran, aber im Einschlummern sehe ich Evelyns Gestalt. Ihre schlanken, weißen Arme, den An satz ihrer zarten Brust. Ich liege ganz regungslos. Ich habe keinen Wunsch, es ist gewiß kein unreines Verlangen in mir, aber mir ist, als hielte ich meine liebe kleine Evelyn in meinen Armen, als ruhte ihr Kopf an meiner Brust, als hörte ich das laute Pochen ihres Herzens neben mir. Ich schließe die Augen, ich vergaß alle schreckhaften Bilder und Sorgen über diesem lieblichen Frauenbild und schlase ein. Viertes Kapitel Es ist früher Morgen. Ich fühle mich vollkommen klar und frisch. Ich stehe auf, aber es ist eine seltsame Scheu in mir, aus dem Fenster zu sehen. Ich schelte mich selbst und lache mich aus. Es ist heute ein wundervoll Heller und sonniger Wintertag. Das weiße Schneefeld glitzert. Ich schüttele den Kopf. Ich muß doch wirklich gestern krank gewesen sein. Die Landschaft ist genau wie am ersten Tage. Dort auf der einen Seite die Bergkuppe, auf der anderen die Felsen. Wie konnte ich mir gestern nur einbilden, daß dies alles ver ändert sei! Es pocht an die Tür und Evelyn fragt: „Darf ich herein?" Ich bin vollkommen angekleidet und beseitige schnell die Spuren meines Bettes und öffne die Tür. Sie sieht entzückend rosig und hübsch aus, aber wie sie ein tritt, fliegt ein roter Schimmer über ihre Wangen. Ich sühle ihr an, daß sie sich schämt, daß ich sie gestern nur halb bekleidet gesehen habe. Wie töricht das ist, auf den großen Bällen in Frisco sah ich sie doch oft viel entblößter. „Bist du wieder vollkommen Wohl?" Ich will harmlos erscheinen und lache. „Ich war doch nicht krank?" Sie sieht mich ausmerksam an, sie hat etwas Besorgtes in ihrem Auge. Sie sieht mir an, daß ich etwas Unangenehmes denke. Ich denke in diesem Augenblick an den verborgenen Feind, den ich suchen will, aber ich bezwinge meine Ungeduld und versuche zu plaudern. „Weißt du, daß ich gestern nacht noch Radio gehört habe? Hast du den Kopfhörer oben auf dem Schreibtisch bemerkt?" „Aus dem Schreibtisch?" Sie läuft zu dem Lautsprecher in der Ecke. „Es ist gar nichts zu hören, er scheint vollkommen stromlos, sonst ist doch um diese Stunde ein Morgenkonzert. Hast du ausgeschaltet?" , „Vielleicht gestern nacht." Ich will sie nicht beunruhigen, will ihr nicht sagen, daß ich ja noch gar nicht weiß, wo ich schalten könnte. Voraussichtlich befinden sich alle diese Dinge im Keller, und ich Weitz ja nur allzu gut, wer den Strom ausgeschaltet hat. Davon darf Evelyn nichts wissen. Sie bereitet das Frühstück. Wie sie mit ihren flinken Fin gern die Kaffeemaschine bedient, wie sie die Kekse, die wir anstatt Brot genießen, mit der Konservenbutter streicht und mir dann zuschiebt, wie sie die Tassen füllt, das alles ist so hausfraulich lieb, daß ich für Minuten alle Sorgen vergesse. „Was befiehlst du heut zu Mittag? Vater hat gut vor gesorgt. Da ist eine ganze Auswahl leckere Dinge." „Dann überrasche du uns." Wir essen mit gutem Appetit, dann führe ich Evelyn in das Arbeitszimmer hinauf. Während sie an den Schreibtisch tritt, gehe ich in die Stern warte. Jetzt, wo die Sonne bereiuscheint, begreife ich selbst meinen Schreck in der Nacht nicht. Die Sternwarte sieht nüch tern und kahl aus, und die Joppe liegt noch immer am Boden. Ich trage sie hinaus und lege sie wieder über die Lehne des Stuhles am Fernrohr. Dann gehe ich wieder hinab und stelle mich an die Tür. Wie die Joppe dort oben hängt, mit den beiden großen blanken Knöpsen an der Brusttasche, kann ich mir jetzt vorstellen, daß der Mondstrahl diese Knöpfe wie Augen leuchten ließ und daß das Knopfloch und ein vernähter Riß in der Tasche wie Mund und Nase eines Gesichtes erschienen. Ich atme auf, es fällt mir wie ein Alp von der Brust. Ich habe mich zwar in meiner gestrigen Nervenschwäche blamiert, aber es war wohl doch kein dritter Mensch mit uns im Hause. Ich trete in das Arbeitszimmer zurück, Evelyn ruft mir entgegen: „Sagtest du nicht, aus Vaters Schreibtisch habe ein Kopfhörer gelegen?" „Dort aus den Büchern." „Es ist nirgends ein Kopfhörer zu sehen." Ich eile hinzu, ich suche den Tisch ab, ich sehe auf den Boden, an die Wand. Eine Steckdose ist dort — aber ein Kopfhörer nicht. Mich überrieselte es eisig kalt. Der Kopfhörer ist fort, der dritte Mensch, der Feind ist doch im Hause. Er ist in der Nacht wieder in diesem Zimmer gewesen, hat den Kopfhörer vom Tisch genommen und den Empsangsapparat abgestellt. Ich versuche vollkommen gleichgültig zu sein. „Ich habe ihn vielleicht gestern abend mit hinunter genommen." Evelyn, die ja meine Sorgen nicht kennt, scheint den Kops- Hörer schon vergessen zu haben, sie hält das Hest ihres Vaters in ihrer Hand. „Lichtstrahlen, die sich in Lautschwingungen umsetzen und im Radio wiedergegeben werden? Hast du das gelesen?" „Ich sah gestern nur flüchtig hinein." „Das muß ich lesen." Ich schämte mich fast wieder vor der kleinen Evelvn, die als Tochter ihres gelehrten Vaters mehr von diesen Dingen zu verstehen scheint als ich, aber ich bin froh, daß sie be schäftigt ist. Sie hat sich sofort in die Abhandlung vertieft und merkt gar nicht, daß ich hinausgebe. Ich habe im Wohnzimmer an der Wand einen Revolver hängen gesehen. Ich nehme ihn, überzeuge mich, daß er mit sechs scharfen Patronen geladen ist und entsichere den Lauf. Ehe ich das Zimmer verlasse, fällt mir etwas auf. Früh am Morgen schienen die Sonnenstrahlen gerade durch das Fenster in das Zimmer. Jetzt zeigt meine Taschenuhr die elfte Stunde, und die Strahlen der Sonne liegen noch immer ganz genau auf derselben Weise auf dem Fenster. Ich blicke hinaus und pralle unwillkürlich zurück. Bin ich schon wieder nicht klar? Die Landschaft ist wieder verändert, diesmal entgegengesetzt. Der spitze Bergkegel ist aus der linken Seite verschwunden, und die Felszacken, die sonst ganz rechts waren, sind jetzt gerade in der Mitte der Landschaft. Sie zeichnen große lange Schatten in den Schnee. Ich fahre mir über die Augen, ich bin doch vollkommen ruhig. Soll ich Evelyn rufen? Rein, ich würde mich doch nur wieder blamieren. Ich muß mich beschäftigen. Ich muß irgend etwas Ablenkendes tnn. Ja so! Ich wollte -ja in den Keller. Ich halte den Revolver in meiner Hand, gehe hinaus und suche nach einer Treppe, ich finde eine kleine Tür, die mir bis dahin verborgen geblieben ist. Ich finde an der Wand einen Schalter und drehe auch hier das Licht an. Koms» vo« VMS von AkMel« Crbeberrecktssckutr äurck Kar! liöbler L Lc>., Koriin-2ekknclork Ter Keller ist sehr tief in den Felsen hineingearbeitet, und in ihm stehen seltsame grotze Maschinen. Ich höre auch hier wieder ganz laut das Ticken der Uhr. Es ist ein einziger, weiter Raum, der sich unter dem ganzen Hause hinzuziehen scheint und den nur einige starke Stein säulen unterbrechen. Es ist vollkommen hell, und ich kann sofort sehen, daß sich kein Mensch hier unten hefindet, trotzdem eile ich sprunghaft von Säule zu Säule. Niemand ist da, aber das Rasseln der Maschinen und das Ticken irgendeines gewaltigen Uhrwerks vereinen sich zu einem gleichförmigen Liede. Ich mutz mich erst sammeln, ehe ich imstande bin, unter dieser Fülle der verschiedenartigen Geräusche klar zu denken. Da sind ein paar gewaltige Rohre, die aus dem Felsen her ausragen. Sie sind seltsamerweise ziemlich dicht beieinander, aber das eine ist glühend heiß und das andere eiskalt. Das sind also die beiden abgesangenen Quellen, von denen die heiße unsere Zentralheizung speist und die andere die übrigen Rohr« bedient. Es ist dies nicht so unerklärlich. Joe White hat mit oft von den heißen und kalten Quellen im Aellowstonepari erzählt, die es ermöglichen, in der einen eine Forelle zu saw gen und sie sofort in der anderen zu kochen. Mir ist es, als sei ich plötzlich selbst zum Erfinder geworden- Nicht zum Erfinder, sondern zum Ausbauer dieser geniale« Idee Benjamin Pitts. Warum baut man nicht isolierte Röh ren und leitet die heißen Quellen bis in die Städte. Gratisheizung durch Geiserwasser. Daneben ist ein dumpfes Dröhnen und Brüllen unter einer blanken Metallkuppel, in der ein durch eine innen angebrachte Glühbirne erleuchtete Glasplatte ist, dort befindet sich eine Turbine. Wieder speist sie ein gefangener Vergguell, und daneben arbeitet die Dynamomaschine, die uns elektrische Kraft und Licht gibt. Es ist eine erstklassige Maschine mit selbsttätiger Oelung. Sie kann Monate arbeiten ohne eine menschliche Hand. Ich sehe auch die großen Rohre, die hinaufgehen, um das Wasser für die hydraulischen Hebewerke in die Sternwarte zu leiten. Aber das alles ist nicht das Merkwürdige. Viel seltsamer ist dieses Uhrwerk. Da ist an der einen Seite ein Fenster. Es muß ganz genau unter unserem Wohn zimmer liegen. Von diesem Fenster führt ein schräger Schacht hinauf. Unten, fast am Boden, befindet sich das Uhrwerk. Es ist genau so angeordnet, daß ein Strahl der Sonne auf einer viereckigen Platte liegt. Diese Platte ist aus einer mir un bekannten Masse und mit Strichen und einem Netz von Qua draten versehen. Ich starre aus diese mir rätselhafte Vorrich tung. Ganz natürlich gleitet der Sonnenstrahl, während ich mein Auge auf die Platte gebannt habe, ganz langsam nach Westen. Immer nur ein ganz kleines Stück, dann gibt es hinter mir ein kurzes Rattern von Rädern, und der Sonnen strahl steht wieder genau auf der Stelle, auf der er zuerst war. Ich kann mir das nicht erklären. Dreht dieses Uhrwerk die Platte? Draußen zieht eine Wolke über den Himmel. In demselben Augenblick, in dem der Sonnenstrahl erlischt, hört auch das Uhrwerk zu ticken auf. Jetzt kommt die Sonne zurück, ein gutes Stück weiter westlich — ein langes Rollen der Räder und er ist wieder auf der alten Stelle. Ich wende mich um und erfasse des Rätsels Lösung. Ich weih jetzt auch, welche Bedeutung der gewaltige Mittel pfeiler hat, der mir zuerst auffiel. Ich Weitz jetzt, warum der Fußboden des Hauses, der die Decke des Kellers bildet, ein Netz von eisernen Streben hat, die alle von diesem Mittel pfeiler ausgehen. Das ganze Haus steht nach Art einer Wind mühle auf einer Drehscheibe. Die Masse, aus der die Platte des Uhrwerkes gebildet ist, muß irgendeine besonders licht empfindliche Materie sein. Sie wird durch die Sonnenstrahlen erwärmt und reguliert ihrerseits das Uhrwerk. Der Betrieb ist mir klar, aber nicht der Zweck. Ich Weitz jetzt, daß das Haus selbsttätig immer so gedreht wird, daß die Sonnenstrahlen genau in das Wohnzimmerfenster treffen. Ich habe mich also gestern nicht geirrt. Zwar haben die Berge ihre Lage nicht verändert, aber unser Haus hat sich fort während unmerklich gedreht. Wir werden wohl auch noch ergründen, warum dies ge schieht. Sicherlich nicht allein, um das Wohnzimmer sonnig zu machen. Ich habe sehr, sehr lange diesen Apparat beobachtet. Jetzt fühle ich erst, daß es hier im Keller furchtbar Heitz ist. Die Rohre sind glühend, alles um mich her scheint zu sieden und zu dampfen. Entweder ist der Lärm der Maschinen und das Ticken des Uhrwerkes lauter geworden, oder die Hitze und die dumpfe Luft hier im Keller hat meine Gehörsnerven empfindlicher gemacht. Mir ist es, als sei es kein Ticken mehr, sondern als seien es dröhnende Glockenschläge, die mein Gehirn schmerzen lassen. Nur einen Gedanken kann ich noch fcsthaltcn, während ich die Stufen wieder emportaumcle: Hier ist gewiß kein Mensch. Das ganze Haus ist wieder so furchtbar Heitz wie gestern. Wir müssen es doch nicht verstehen, diese Heizung zu bedienen. Ich Will zu Evelyn, sie hat es doch gestern gekonnt. Wie ich die Treppe zum Arbeitszimmer emporsteige, habe ich wieder wie gestern das furchtbare Gefühl, als berührten meine Füße den Boden nicht, als seien meine Hände unendlich groß, meine Arme überlang. Der Aufenthalt in dem Keller, der vielleicht auch von der Ausdünstung mir unbekannter Chemikalien erfüllt ist, hat meinen Nerven nicht gut getan. Ich öffne die Tür. Evelyn sitzt an ihres Vaters Schreibtisch, hat ein stillvergnügtes Gesicht und hat den Kopfhörer um. Sie sieht mich nicht an, aber sie ruft mir lächelnd zu: „Die Musik ist ganz herrlich. Ich glaube sicher, es ist das Morgenkonzert aus dem Cliff House in Frisko. Ich seh« ordentlich den Kapellmeister Smith dirigieren." Ich starre sie an, ich höre ihre Worte — ich sehe nur den Kopfhörer um ihre Schläfe. „Du, du — du hast den Kopfhörer?" „Du hast ihn mir ja doch selbst hingelegt, während ich vor hin in der Sternwarte am Himmel nach der Rakete gesucht habe. Bitte, latz mich hören. Die Musik ist so schön." Ich taumele zurück, ich schließe die Tür, es ist mir nur lieb, daß Evelyn mich jetzt kaum beachtet. Mein Hirn häm mert zum Zerspringen. Ich bin im Vorraum, alles dreht sich um mich. Plötzlich sehe ich eine große Schaufel dicht vor mir stehen, ich fasse sie, ich benutze sie wie einen Stab. Meine Brust glüht wie im Feuer. Ich begreife nicht, wie Evelyn imstande ist, in dieser Hitze zu atmen. Oder ist es vielleicht oben in dem Arbeits zimmer weniger heiß? Ich öffne die Tür. Der eisige Hauch des kalten Wintertages kommt mir entgegen. Der Schnee liegt fast bis zur halben Höhe der Tür, aber die oberste Schicht ist in der Sonne geschmolzen. Ich lege mir Schnee auf die Stirn, reibe Gesicht und Hände damit, o wie das wohltut, wie das kühlt. Ich nehme eine Handvoll Schnee und stecke sie unter das Gewand aus mein Herz. Einen Augenblick ist es mir, als rüttele mich ein Schüttel frost, daun wird mir klarer. (Fortsetzung folgt.)
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