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MMmKer Tagsdlatt 2. Blatt zu Nr. 36. Sonnabend, den 11. Februar 1939 Lagesspruch Zu dieser frischen, mutigen Oeffentlichkeit, zu diesem freien, männlichen Leben drängt die Zeit hin, und wir werden sie haben und müssen sie haben, wir müssen wieder öffentlich sprechen, handeln und leben lernen. Es heißt: herunter mit der Schlasmütze und den Männerhut aufgesetzt. Ernst Moritz Arndt. Eine Seuche wir- besiegi! Maul« und Klauenseuche muß 1939 - überwunden werden Ministerialdirektor Dr. Weber, Leiter der Vete rinärabteilung des Ncichsinnenministcriums, hat sich über die Maul- und Klauenseuche geäußert, die seit dem Herbst eine abnehmende Tendenz zeige. Wahrend am 1. Januar 1938 im Reich 35 000 Gehöfte verseucht waren, sind es Anfang 1939 nur 19 000 gewesen. Bis zum 15. Januar ist ein weiterer scharfer Abfall auf 14 700 Gehöfte erfolgt, bis zum 1. Februar auf nur noch 9863. Der Zugang an «euverscuchten Gehöften, der am 1. Januar noch 10 000 betrug, ist am 15. Januar auf rund 6500, am 1. Februar auf 5500 znrüllgcgangen. Alle Anzeichen deuten daraus hin, daß die Seuche an Gefährlichkeit erheb lich eingebützt hat. Wenn auch im Frühjahr mit der Aufnahme der Feld arbeiten und mit dem Weideauftrieb nochmals eine Aus breitung zu erwarten ist, so ist man doch überzeugt, daß der Gipfel des Vorjahres — 140 000 verseuchte Gehöfte im August — bei weitem nicht mehr erreicht werden wird, daß im Gegenteil das Jahr 1939 das Ende der Maul- und Klauenseuche als Seuchenzug bringen wird, wenn auch vereinzelte Ver seuchungen noch immer Vorkommen werden. Im Herbst 1937 wurde aus den westlichen Nachbar staaten die Seuche ins Reich eingeschleppt, deren Schaden dank unserer fortschrittlichen Abwehrmaßnahmen in keinem Verhältnis zu dem ähnlichen Seuchenzug von 1920/21 steht. Immerhin waren die Verluste nicht unbedeutend. Rund 80 000 Rinder und 78 000 Kälber, ferner etwa ebenso viele Schweine und Ferkel sind eingegangen. Man kann voll damit zufrieden sein, daß die Verluste noch nicht 1 Prozent unserer Bestände betragen haben, wäh rend früher beispielsweise Württemberg allein 10 Prozent seiner Klauentiere verlor. Unsere Nachbarländer hätten ungleich schwerer unter der Seuche zu leiden, aber dank der vorbildlichen deutschen Veterinärverwaltung hat die Maul- und Klauenseuche erfolgreich in Deutschland bekämpft werden können. Schutzimpfungen bewähren sich Die aktive Immunisierung gegen die Seuche durch Schutzimpfung ist erfolgreich ge wesen. Das neue Mittel, das im Vorjahre von Forschern auf der Insel Riems gefunden wurde, ist vorwiegend in Ostpreußen eingesetzt worden nnd hat sich ausgezeichnet bewährt. Die Produktion des Schutzmittels ist inzwischen aus der Insel Riems vervielfacht worden. Sie beträgt heute 1000 bis 1200 Liter in der Woche. Ein Liter reicht für 20 Tiere, so daß wöchentlich auf Riems für 25 000 Tiere der Schutz gegen die Seuche gesichert wird. Nach Schleswig-Holstein und Niedersachsen werden Schutz impfungen auch in weiteren Gebieten erfolgen. Zum Schluß erklärte Ministerialdirektor Dr. Weber, daß entscheidend für den Enderfolg die wirksame Mit arbeit der Bauern ist. Tic wichtigsten Forderungen sind: rechtzeitige Anmeldung, Aufstallung der Tiere, Sicherung der Stätte gegen das Betreten durch fremde Personen und strengste Absperrung der verseuchten Gehöfte. -apsi Mrs 71?. Rom unter dem Eindruck der Todes botschaft Die Botschaft vom Tode des Papstes Pius XI., der am Freitag früh verstarb, hat der Stadt Rom völlig ihren Stempel aufgedrückt. Die Papststadt ist das Ziel zahlloser, insbesondere geistlicher Persönlich keiten; die Seelenmessen in St. Peter finden eine gefüllte Kirche. Der Bildhauer Mistruzzi fertigt die Totenmaske des Verstorbenen an. Mit dem Bilde des Papstes sind die Titelseiten der römischen Blätter versehen, die in ihren Nachrufen die Gestalt des Papstes und sein Wirken würdigen. Die Bestürzung in der Vatikanstadt ist um so größer, als die vorgesehenen Feierlichkeiten, für die bereits über all Festschmuck angebracht war, nun nicht stattfinden können. Der Papst hatte beabsichtigt, anläßlich der Feier des 10. Jahrestages der Lateranverträge und seines 17. Krönungstages eine wichtige Ansprache zu halten. Mit dem Tod Papst Pius XI. ist Kardinalstaats sekretär Pacelli nach den Gepflogenheiten des Vatikans sofort aus seinem Amt ausgeschieden und hat gleichzeitig als Kardinalkämmerer der Katholischen Kirche die Ver waltung des weltlichen Besitzes und die Wahrung der Weltlichen Rechte des Heiligen Stuhls bis zur Wahl des neuen Papstes übernommen. Während seines Pontifikats hat Pius XI. 71 Kardi- näle kreiert, von denen noch 52 am Leben sind. Diese bilden zusammen mit zehn noch von seinen Vorgängern, Benedikt XV. und Pius X. ernannten Kirchenfürsten das Kardinalskollegium, das im bevorstehenden Konklave die Wahl des neuen Papstes vornehmen wird. Beileidstelegramm des Ouce Der Duce hat anläßlich des Ablebens des Papstes au Kardinalstaatssekretär Pacelli in dessen Eigen schaft als Kämmerer der katholischen Kirche ein ^-ileids- telegramm gerichtet. Papst Pius' Wirken Papst Pius XI., mit seinem bürgerlichen Namen Achille Ratti, war der Sohn eines Webereibesitzers in Desto bei Mailand. Der Einfluß seiner frommen Mutter und seines Onkels war maßgebend dafür, daß sich der junge Ratti dem Studium der Theologie zuwandle. 1879 erhielt er die Priesterweihe in Rom, und 1882 kehrte er nach Mailand zurück. Allgemein war er damals unter dem Namen „der Bergsteiger-Kaplan* bekannt, denn er war ein begeisterter Bergsteiger, der neben an deren Niesen der Bergwelt auch das Matterhorn be- zwang- Seine Berufung als Präfekt der be- rvhmr?« Ambrosius-Bibliothek in Mai land öffnete ihm den Weg zum höchsten Amt der katho lischen Kirche, denn in seiner Mailänder Stellung kam er mit allen hervorragenden Gelehrten der Kirche zusam men. 1911 wurde er zum Vizepräfekten der vatikani schen Bibliothek ernannt und 1914 vom Papst Benedikt ganz nach Rom berufen. Sein Verdienst war die Siche rung der historischen Institute in Rom während des Krieges. Im April 1918 wurde der Gelehrte, der sich als Diplomat bisher noch nicht bewährt hatte, überraschender weise vom Papst in das damals noch von deutschen Truppen besetzte Polen als apostolischer Visi tator entsandt. Wenn Achille Ratti auch Unparteilich keit zu wahren suchte, so konnte es doch nicht ausbleiben, daß er auf beiden Seiten anstietz. Nach Errichtung der Republik Polen wurde der Beauftragte des Papstes im Juli 1919 zum Nuntius in Warschau unter Er nennung zum Titular-Erzbischof von Sevanto ernannt 1922 wurde der inzwischen zum Kardinal von Mai land Ernannte als Nachfolger Benedikts XV. zum Papst gewählt und nahm als solcher den Namen Pius XI. an. Der neue Papst war zunächst bemüht, eine Politik der Versöhnlichkeit zwischen Vatikan und italienischem Staat zu treiben. Nach vorangegangenem Abschluß eines Konkordats wurden schließlich 1929 zwischen dem Heiligen Stuhl und Mussolini die Lateranverträge ge schlossen, durch die der seit 1870 bestehende Zustand, in dem sich der Papst als „der Gefangene der italienischen Krone im Vatikan* betrachtete, aufgehoben wurde. Aber schon im Jahre 1931 kam es zum ersten Konflikt. Die Kirche erhob den Anspruch auf die völlige Beherrschung der italienischen Jugend. Immerhin war Pius XI. klug genug, in einer Versöhnungsaktion mit Mussolini 1932 und später bei dem Abessinienkrieg 1935 den tatsächliche» Verhältnissen in Italien Rechnung zu tragen. Der Frieden Christi im Reiche Christi, den herzustel len Pius XI. als seine Lebensaufgabe ansah, hat sich nicht verwirklicht. Wohl fallen in das Pontifikat Pius' XI. die Abschlüsse verschiedener Konkordate, darunter auch das Konkordat mit dem nationalsozialistischen Deutschland. Aber in S o w j e 1 r u tz l a n d ist der Katholizismus schweren Verfolgungen ausgesetzt, in Mexiko besteht immer noch Feindschaft zwischen Negierung und katho lischer Kirche, und in Spanien erlebte der Katholizis mus eine Terrorwelle, die ihresgleichen in der Geschichte sucht. Priestermorde, Zerstörung von Kirchen und Klöstern und Kirchenraub waren das Werk der Roten^deren Greuel- taten nun durch Franco ein Ende gemacht worden ist. Der Bolschewismus ist der ärgste Feind der Kirche. Das hat der Papst in seinen letzten Lebensjahren bitter erfahren müsse». Aber er hat nicht die Konsequenz daraus gezogen. Die antibolschewistische Front des Nationalsozialismus uns Faschismus fand den Papst stets auf der Seite der Gegner. In der Judenfrage machte der Verstorbene sogar offen Front gegen die Rassengesetzgebung des Faschismus und ging damit offenkundig von der Rasseauffassung der Päpste früherer Jahrhunderte ab. Des Führers Veiletd Aus Anlaß des Ablebens des Papstes Pius XI. Netz der Führer und Reichskanzler durch den Staatsmini ster und Chef der Präsidialkanzlei, Dr. Meitzner, dem apostolischen Nuntius, Monsignore Orsenigo, sein Beileid aussprcchen. Der Reichsminister des Auswärtigen von Ribbentrop begab sich in Begleitung des Chefs des Protokolls Ge sandten von Dörnberg, in die apostolische Nuntiatur und sprach dem apostolischen Nuntius seine und der Reichs regierung Anteilnahme zum Ableben des Papstes Pius XI. aus. Die Präsidialkanzlei, die Reichskanzlei, das Auswärtige Amt und der Reichstag flaggten in der üblichen Weise Halbmast. !»».U-—'--w—.—! Morgen Sonntag Gintopf (35. Fortsetzung.) ' Als ihr Entzücken still wurde, als der aufgestörte Rhythmus ih-es Blutes sich beruhigte, als sie, in seliger Gelöstheit zurücksinkend, sich dankbar dem zuwandte, dem sie diese Wunderstunde verdankte, bat er schlicht: »Wollen Sie mir von Ihrer Mutter sprechen, Ursula? In diesem Wagen sah ich sie zuerst. Sie schritt auf der Landstraße. Sie trug schwer. Noch einmal tauchte sie auf und entschwand. Als sie zum dritten Mal am selben Tage in meinen Gesichtskreis trat, war es wieder auf Sekundendauer. Ich fragte nach ihr. Da schallte es im Kmderchor: „Die Lichtfrau". Seitdem geht sie als lichte Frau durch meine Erinnerung. Ich habe nicht geforscht. Ich glaube daran, daß ein ^oeg zwischen uns vorgezeichnet ist. Wollen Sie mir diesen Weg ein wenig erhellen, Kind? Wenn dies aber zu gewaltsam über Sie kommt, will ich warten." Ursula Stolz hob die Augen in einem großen Blick zu dem Manne. „Ich will ganz ehrlich sein. Es kommt nicht gewaltsam. Ich habe das schon damals auf dem Fuchsturm mit mir abgemacht. Da freilich hat es mich überfallen wie eine Springflut. Ich sah, daß meine Mutter jung ist und schön. Ich dachte daran, daß sie entsetzlich schwere Jahre für uns auf der Landstraße ge pilgert ist und es weitere endlose Jahre für mich tun will. Ich hatte es hingenommen. Seit ich selbständig denke, geht Mutter diesem Berufe nach, wahrscheinlich deshalb war es mir selbstverständlich. Die Schwere die ser Erkenntnis stürzte förmlich über mich an jenem Tage. Seitdem habe ich mich hart damit auseinander gesetzt. Ich habe sogar die Aufgabe meines Studiums erwogen, obgleich . .. Niemand außer meiner Mutter weiß, wie ich in den Drang zur Medizin hineingewachsen bin — damit ge boren, sagt sie. Meine Puppenverbände haben unseren Hausarzt in Erstaunen versetzt. Als er nach Vaters trauriger Heimkehr sehr häufig zu uns kam, hat er mir kleine Verrichtungen für ihn aufgetragen und mich Fräulein Kollege genannt. Darauf war lch wahnsinnig stolz. Ich kannte die Bedeutung des Wortes nicht, aber es schien mir eine hohe Auszeichnung. Um keinen Preis hätte ich mich befragt. Tas Wort war mir so heilig, daß ich es nie aussprach. Als dann einige Zeit später eine alte, verhaßte Lehrerin mit Fräulein Kollega anaeredet wurde, war meine Enttäuschung so grenzenlos, daß ich schreiend aus dem Unterricht lief. Die Ev natürlich ebenso geräuschvoll hinterdrein. Sicher war der Frieder damals mit Masern oder Mumps beschäftigt, sonst hätte er die Prozession verstärkt." Beide lachten, aber das Mädel wurde gleich ernst. „Mutter würde mir den Abbruch des Medizinstudiums nicht erlauben, um keinen Preis." Nach einer längeren Stille sagte Knud Peters: „Darf ich noch etwas fragen, Fräulein Ursula, nur um das Bild völlig abzurunden? Denken Sie einmal an eine eigene Praxis, obgleich Sie mit Ihrer Heirat rechnen?" „Eine solche würde mir der Frieder bestimmt nicht zu gestehen. Er wird ja auch weitaus der bessere Arzt. Er ist um so vieles klüger. Aber in seiner Praxis werde ich den mir eingeborenen Wirkungskreis finden. Es gibt doch Gebiete genug, wo die Frau wertvolle Dienste leisten kann." „Schön, dies wollte ich noch wissen." Die Studentin sah ihn beschämt an. „Verzeihen Sie, Herr Professor^ statt Ihren Wunsch zu erfüllen, habe ich wieder von mir gesprochen." „Genau so ist es recht, Kind. Alles, was Sie mir von sich anvertrauen, sagt von Ihrer lieben Mutter aus." Leise: „Mir ist, ich gehe den Buchenpfad zum Sounentor. Dahinter steht die Erfüllung. Es ist schön, darauf zuzugehen." Die Ursula wußte keine Antwort. Ihr Herz schlug dem Manne entgegen, der ihre Mutter liebte. „Ehe ich Ihnen die Lichtfrau künde," begann sie stockend, „möchte ich etwas berichtigen. Ich bin unzu frieden mit mir. Ich habe Dinge aufgebauscht, die doch nur ganz zweitrangig sind. Frieder Brinkmann und ich benehmen uns nicht dauernd so albern, wie ich wohl den Anschein erweckte. Wir lernen wirklich mit großem Eifer. Gewiß, die vorklinischen Semester geben einem viele Steine anstatt Brot. Aber das wird ja schon im Winter besser, wenn das Präparieren beginnt. Mutz meint auch, daß der Frieder, wenn er erst im richtigen fruchtbaren Studium ist, wieder vernünftig wird. Ich mutz halt sor gen, daß die Spannungen, die ihn jetzt quälen, sich in Wutanfällen gegen mich abreagieren." Der Professor lachte herzlich. „Weise gesprochen, Fräu lein Marabu." Er griff nach der warmen Mädchenhand und hielt sie fest. Sie ließ sie ihm, und so, in körperlicher Verbunden heit, sprach sie ihm von ihrer Mutter. * * * Es schlug Mitternacht, als Ursula stehenblieb. „Ich danke Ihnen, Herr Professor. Es war so schön bei Ihnen. Darf ich mich hier verabschieden? — Frieder Brinkmann hat noch Licht," flüsterte sie beklommen. Sie hielten in einiger Entfernung von dem Hause. „Und da wollen Sie mich lieber unterschlagen, Ursel?" lachte Knud verständnisvoll. „Wenigstens heute nacht. Sonst macht er mir noch eine Szene." Vor der Autzentür des zweiten Stocks kämpfte d^ Ursch einen Augenblick mit sich. Das Herz siegte: „Gute Nacht, Frieder." Keine Antwort. Ein bißchen lauter: „Gute Nacht, lieber Frieder!" Kein Laut, der verraten hätte, daß da drinnen ein blasser Junge noch immer mit Zorn und Sehnsucht kämpfte. Sie zuckte die Schultern. „Na, denn nicht." In ihrem Zimmerchen schlich sie auf Zehenspitzen ans Fenster. Das Rechteck unter dem ihren lag dunkel. Also hatte der Trotzkopf gewacht und soeben das Licht ver löscht. Schönchen, wenn er bocken wollte — sie hatte den ersten Schritt getan. Mit einem sehr guten Gewissen bewaffnet, schlüpfte sie auf ihr — ach, so hartes Lager. Aber auch das Ruhekissen erwies sich nicht von der zu erwartenden Sanftheit. Es war da irgend etwas Boh rendes, Quälendes. Obgleich sie von einem wunder schönen Erleben kam — irgend etwas stimmte nicht. Plötzlich wußte sie es, sprang aus dem Bett und lief durch das lange Zimmer hin und her, und ihre nackten Sohlen gaben einen feinen klatschenden Ton. Der müd- gekämpfte Junge unten hob den zerwühlten Schopf vom Kissen. Sie konnte nicht einfchlafen. Es war doch sehr richtig, daß er ihr nicht geantwortet hatte. Nun sollte sie sich ein bißchen quälen, die hitzige Ursch! Froh ent spannt sank er zurück und schlief ein. (Joris. folgt.)