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^Wilsdruffer Tageblatt" 2. Blatt Nr. 16.' Montag, den 13. Januar 1SZS Der Sieg an der Saar! die Kolonne nach der Wartburg in Bewegung durch Straßen, die von berittenen Landjägern und blauer Polizei scharf be wacht sind. Erst vor der Wartburg wird diese Reserviertheit etwas aufgegeben. Ein Tonfilmwagen ist aufgefahren. Zehn, zwölf Magnesiumfackeln flammen auf, die Photographen sind an der Arbeit, und Hunderte von Saarbrückern geben ihrer Meinung mit erhobener Hand unmißverständlich Ausdruck. Dann rollt Lastwagen um Lastwagen auf den Hof der Wart burg. Morgens um vier Uhr tun wir dann einen Gang durch den Keller, in dem die Urnen bezirksweise mit den dazu gehöri gen Protokollen ausgestellt sind. Auch hier wieder Soldaten mit schußbereitem Gewehr, als gelte es den Tresor der Bank von England zu bewachen. Ehe man das Haus betritt, wird man von Kopf bis Fuß auf Waffen untersucht. Am Montag geht dos Leben in Saarbrücken seinen alten Gang. Aber über allem liegt eine verhaltene Spannung. Es werden hauptsächlich von Ausländern Wetten über das vor aussichtliche Ergebnis abgeschlossen. An manchen Stellen sind richtige Totalisatoren entstanden. Die Schätzungen schwanken zwischen 60 und 95 Prozent für Deutschland. Doch je weiter die Stunde vorschreitet, desto höher steigen die Ziffern für Deutschland. Denn es spricht sich jetzt herum, daß vor dem Hause der sozialistischen „Volksstimme" bereits Möbelwagen stehen, daß Herr Eisenbahnpräsident Nicklaus und der katho lische Separatist Johannes Hoffmann bereits ihre Koffer nach Basel geschickt haben und daß überall in den Wohnungen der Separatistenführer gepackt wird. Matz Braun allerdings führt noch das große Wort und erklärt in einer Pressekonferenz bom bastisch, daß er und seine Freunde auf jeden Fall bleiben wür den, wie es auch käme. Nach 24 Stunden allerdings ist er end- gültig ausgerissen. Die Separatistenzeitungen erscheinen mit Schlagzeile: „Sieg des Status quo!", den die Bevölkerung übrigens längst „Status Quatsch" getauft hat. Die Deutsche Front und die Deutsche Gewerkschaffsfront geben Aufrufe heraus, in denen sie den Dienstag, den Tag der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses, zum allgemeinen Arbeitsfeiertag erklären. Handel und Gewerbe schließen sich an und teilen mit, daß ihre Geschäfte geschloffen bleiben. Die großen Werke legen Feierschichten ein. Selbst die französische Bergwerksverwaltung kann angesichts der Stimmung der Saarkumpels nicht umhin, ebenfalls Feierschichten anzuordnen. Die Zeitungen werden an diesem Tage den Händlern fast aus den Händen gerissen. Man stellt aus den ausländischen Preffe- stimmen zunächst fest, daß die geradezu bewundernswerte Dis ziplin der Deutschen Front, durch die auch der kleinster Zwi schenfall am Abstimmungstage vermieden wurde, allgemeine Anerkennung findet. Lediglich in Neunkirchen verübten Sepa ratisten einen Bombenanschlag auf das Verkehrsbüro der Deut schen Front, durch den ein Mann verletzt wurde. Gegen fünf Uhr nachmittags stauen sich die Menschen um die Wartburg herum. Auto um Auto fährt vor, bringt die Mitglieder der Regierungskommission und der Abstimmungs- kvmmifsion, Offiziere der im Saargebiet anwesenden fremden Truppenteile und Hunderte von Journalisten aus aller Welt. Es ist ein fast babylonisches Sprachengewirr. Die zwei Tage vor der Abstimmung eingetroffenen neutralen Stimmzähler und Abstimmungsvorsitzenden sind im Saal bereits an die einzelnen Zähltische verteilt. Ein Teil der Urnen sicht zur Leerung be reit, auf den Tischen die Kästen für die gezählten Stimmzettel. Auf den Galerien Journalisten, Offiziere, zahlreiche Angehöri ge der Völkerbundsbeamten, Photographen und Filmopera, teure. Die Jupiterlampen flammen auf, auf der Bühne sitzen Vertreter der Reichsregierung und der französischen Regie rung, davor mit dem schwedischen Präsidenten Rodhe in der Mitte die Abstimmungskommission. Vor dem Platz des Prä sidenten Rodhe ein Gewirr von Lautsprecherleitungenr und Mikrophonen. Denn fast alle Rundfunksender der Welt wollen teil haben an dem Augenblick des Beginns der Stimmzählung dieser Volksabstimmung, die die ganze Welt bewegt hat. Punkt fünf Uhr steht Präsident Rodhe auf und teilt mit, daß nun die Stimmzählung durch neutrale Stimmzähler be ginnt. Er stellt fest, daß die Volksabstimmung programmäßig und in vollständiger Ordnung stattgefunden hat. Stunde um Stunde wird nun gezählt, Urne um Urne entleert. Wir kön nen von der Galerie aus sehr genau erkennen, in welchem der drei Kreise sich die Kreuze befinden. Schon nach einer Stunde stellen wir zu unserer Freude fest, daß die Stimmzettel für Deutschland sich zu Bergen häufen, während für den Status quo nur wenige Stimmen abgegeben sind und die erste franzö sische Stimme nach weit mehr als einer Stunde als Sehens würdigkeit herumgereicht wird. In den Speisesälen der Presse Von Alfred-Ingemar Berndt. Am 13. Januar jährt sich zum ersten Male der' gewaltige deutsche Abstimmungssieg an der Saar. Wir entnehmen den nachfolgenden spannenden Augen zeugenbericht dem Buche „Wir erleben die Befrei ung der Saar", herausgegeben von Alsred-Jngemar Berndt und Dr. Otto Kriegt (Verlag August Scherl G. m. b. H.). Draußen im Lande steigen die letzten großen 'Wahlkund- gebungen. Am 9. Januar spricht Gauleiter Bürckel in Kaisers lautern vor Tausenden von Arbeitern und einer Abordnung von der Saar über alle deutschen Sender zum Saarvvlk. Die Deutsche Front hat einen Gemeinschästsempfang organisiert, der Hunderttausende erfaßt. Gleichzeitig halten die Separati sten ihre letzten Kundgebungen ab, von denen nicht wenige mangels Masse abgesagt werden müssen. Vom 10. Januar ab sind dann alle öffentlichen Kundgebungen verboten. Im Gebälk der Separatistenfrvnt knistert und bröckelt es. Die Austritte werden von Tag zu Tag umfangreicher. Matz Braun gibt in einer Pressekonferenz etwas verblümt den Kampf schon verloren. Ein Verzweiflungsmanöver der Sepa ratisten jagt das andere. Bon Stunde zu Stunde ändert sich die Lage. Zuerst erfahren deutsche Journalisten durch Ver trauensmänner von einem Beschluß der „Einheits"-Frvnt, am Sonntag mittag ihre Beisitzer aus den Wahllokalen zurückzu ziehen und dadurch die Fortführung der Wahl unmöglich zu machen. Die Mstimmungskommission ordnet an, daß dann je der beliebige Saarländer in den Abstimmungsvorstand berufen werden kann. Damit ist dieses Manöver zusammengebrochen. Drei Tage vor der Wahl sammelt Matz Braun Hakcn- kreuzfahnen! Erstaunte Gesichter, als wir es der Deutschen Front melden! Dann erfährt man, daß am Sonntag durch Provokateure trotz des Verbots geflaggt werden soll und daß dann wegen Vergehens gegen die Wahlbestimmungen die Se paratisten Einspruch gegen die Abstimmung einlegen wollen. Vor dem Gebäude der Deutschen Front täuschen Separatisten eine Schlägerei untereinander vor und lasten die Szene von mitgebrachten Photographen aüfnehmen als „Terrorüberfall des Ordnungsdienstes auf Separatisten". Die Luft ist diese letz ten Tage mit Hochspannung überladen. Keine Nacht vergeht ruhig. In jeder Nacht Ueberfälle, durchschnittene Telephon leitungen, Terrorakte, abgerissene Wahlplakate. Minister Heim- burger läßt auf dem linken Saaruser den größten Teil der Polizeikräfte einziehen und gibt die Ortschaften dem Terror lothringischer Kommunisten preis, bis schließlich Militär patrouillen eingesetzt werden. Erneute Erregung in der Be völkerung. Darein knallen mit großen Ueberschriften und knap pen eindringlichen Worten die Aufrufe der Deutschen Front, Ruhe zu bewahren und nicht auf die Straße zu gehen. Am 11. Januar tritt der Rohrbacher Hannes, der rote Bergarbeiterführer, nach einem Besuch in der Pfalz und in der Kaiserslauterner Ausstellung zur Deutschen Front über und spricht nun mehrmals über den Rundfunk zu seinen saarländi schen Genoffen. Das gibt der in völliger Auflösung befindlichen „Einheits"-Front den Rest. Jetzt kehren bekannte Funktionäre der Roten in Massen ihren Parteien den Rücken und bekennen sich zu Deutschland. Das Ende für den Separatismus ist ge kommen. Der Rohrbacher Hannes allerdings wird von der französischen Bergwerksverwaltung entlasten. Der Abend vor dem Abstimmungstag steht im Zeichen der Verbrüderung und Versöhnung. Noch einmal wird allen Volks genossen die Hand geboten, die guten Willens sind und ver führt falschen Parolen folgten. Rings um bas Saargebiet auf den Bergen lodern die Feuer, und drüben aus der Pfalz und von der Mosel grüßen sie als Antwort ins Saargebiet hinein. Alle Glocken läuten, die Stadt Saarbrücken prangt festlich ge schmückt wie eine Braut zur Hochzeit in einer Fülle von Licht, ffeber alle Straßen zieht sich Lichterkette um Lichterkette. Die Fassaden sind festlich illuminiert, und selbst in den ärmsten Ar beiterwohnungen hat man rote, grüne und blaue Lichter vor die Fenster gestellt. Häuser und Straßen prangen in Tannen grün. Es hat zum ersten Male richtig geschneit und gefroren. Cs ist eine Stimmung wie am Heiligabend. Wir erleben diesen Abend auf dem Homburger Schloßberg, sehen unten das glit zernde Gewirr der Straßen und den brennenden Lichterbaum auf dem Markt. Am Wahltag ist schon morgens um sechs Uhr in allen Straßen pulsierendes Leben. Jeder Saarländer muß dort ab stimmen, wo er am Stichtag vor fünfzehn Jahren gewohnt bat, und so müssen ganze Familien reisen, oft nach sechs und sieben verschiedenen Orten. Die Eisenbahn und Straßenbahn können es kaum schaffen. Die Deutsche Front hat einen ausge zeichneten Motordienst organisiert, der mit Hunderten von Autobuffen und Autos die Wahlberechtigten von ihren Wohn orten abholt und wieder heimfährt. Es wird nach Bürger meistereien abgestimmt. In tiefem Schnee müssen die Einwoh ner von sechs und sieben Orten nach einem achten Ort sahren oder gehen, um dort abzustimmen Aus dem dichten, tiefen Saarwald kommen die Waldbauern und gehen oft acht und neun Kilometer weit hin und ebenso viel Kilometer zurück zu Fuß, um ihre Stimme abzugeben. Alles ist festlich bewegt. Vor den Abstimmngslokalen stehen Männer der Deutschen Front mit Schildern, auf denen zu lesen steht: „Erstes Gebot: Maul halten!" eine Aufforderung, die einhellig beachtet wird, so daß es kaum ungültige Stimmen gibt. Um acht Uhr morgens hat die Abstimmung begonnen, und um acht Uhr abends erst wird sie geschlossen. Aber schon gegen sechs Uhr nachmittags haben fast alle Abstimmungsberechtigten ihre Stimme abgegeben. Dann herrscht gähnende Leere in den Abstimmungslokalen. In den Vormittagsstunden aber stehen die Menschen in langen Schlangen, Stunde um Stunde, ge duldig ausharrend, und kernige Witzworte machen das War ten leichter. Wir fahren gemeinsam rund durch das ganze Saargebiet führen durch den tief verschneiten Warndt, fahren auf den Gau, nach Merzig und Mettlach, St. Wendel und Neunkirchen, Ottweiler und Blieskastel. Es ist überall dasselbe. Bild. Alle Schreckensgespenste sind verflogen, und der ganze Abstimmungstag verläuft in einer vorbildlichen und muster haften Ruhe. Es folgt der nächtliche Urnentransport. Vor dem Rathaus in Saarbrücken begrüßen Tausende von Menschen die Urnen aus den Abstimmungslokalen I bis III, die sich dort befanden, mit dem Deutschlandlied. In maschinengewehrgespickten Waggons werden die kreis weife gesammelten Urnen aus dem Lande nach Saarbrücken transportiert. Englische Militärkommandos bewachen die Züge. Wir stehen bis drei Uhr morgens am Zaun des tief verschneiten Güterbahnhofs: vor uns stapfen englische Posten mit schuß bereitem Gewehr durch den Schnee, der alle Geräusche dämpft. Lange englische Lastautokolonnen sind vorgefahren und übernehmen aus den Sonderzügen die Urnen, Auf den Trittbrettern der Lastkraftwagen wiederum Soldaten mit schußbereitem Gewehr, bei den Urnen mit hochgeschlagenem Mantelkragen fröstelnd die Vertreter der Bevölkerung. An der Spitze und am Schluß des Auges Panzerwagen. So setzt sich Freude über den Sieg an der Saar spricht aus dem Gesicht des Führers, der in Haus Wachen- seld in Berchtesgaden vor Jahresfrist die Meldung vom Abstimmungsergebnis am Fernsprecher enigegennahm. (Heinrich Hofsmann.) Saarlouis wird Großgemeiude unter neuem Namen. Vor Jahresfrist lehrte die Saar heim zum Mutterland. m wirkungsvoller Ausschnitt vom Saarbefreiungsmal in Hei- vewerg, das an die Rückkehr des Saarlandes zum Reich er- E" (Löhrich — M.) Im Zuge der großen Verwaltungsreform im Saarland haben die Gemeinderäte von Lisdorf, Schönbruch, Pikard und Frau lautern beschlossen, unter Wahrung des Eigenlebens ihrer Ge meinden sich mit der Stadt Saarlouis zu einem neuen großen Gemeindewesen zusammenzuschließen. Die neue Stadt, die etwa 32 000 Einwohner zählen wird, erhält am 13. Januar, dem Jahrestag des deutschen Wahlsieges an der Saar, durch Gou- leiter Bürckel einen neuen Namen. (Scherl-Bilderdienst — M.)