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Wilsdruffer Tageblatt : 19.12.1936
- Erscheinungsdatum
- 1936-12-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193612197
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19361219
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19361219
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1936
-
Monat
1936-12
- Tag 1936-12-19
-
Monat
1936-12
-
Jahr
1936
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 19.12.1936
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MRKMMgß und MMMNiKWMMM Gestalten der Weihnachtszeit Von Konrad Han mann Wenn lichte Adventsfreude in den verschneiten Dörfern des deutschen Nordens, in den Mittelgebirgen und Alpenlanden eingezogen ist, dann reiten und wandern seltsame Gestalten durch die verschneiten deutschen Lande. Gütige Advcntsheilige, segnend und strafend, und schreckhafte Mittwinterdämoneu, Ahnengötter, die zu würdevollen Trabanten des Christkindes wurden, und geheimnisvolle Gestalten des nordischen Winters und des wilden Geiaides, die in schreckhaftem Aufputz die deutsche Weihnachtszeit durchtollcn. Auch der leibhaftige Beelze bub, der Pelznickel fehlt nicht darunter! St. Nikolaus, der gute Adventsheilige, reitet an seinem Namenstage stolz zu Rotz durch nordwestdeutsche und süddeutsche Lande. Hopp — hopp geht es über die verschneiten Dächer, da mit er seine Gaben in die Schornsteine purzeln lassen kann. Seinem Pferd aber wurden Wassereimer und Heubündelchen vor die Tür gestellt zur Labe für den anstrengenden Ritt. Die ostfriesischen Kinder empfangen Nikolaus mit dem Spruch: Sümmerklas, du gooder Bloot, Geof mi'n Stückje Sükkergood, Steel so vööl un meet to mien, Smiet mi't man do Schöstecn in. Neben dem Heiligen schleicht sich der schwarze Krampus mit ein, der gehörnte Teufel, ein bösartiger Geselle, Her auch Sack und Rute trägt und einen glühenden Span im Munde trägt wie höllisch Feuer. Durch Mittel- und Norddeutschland Papst der weitzbärtige Knecht Ruprecht, ein gutmütiger Poltrtan, durch die Gassen. „Von drautz von: Walde komm ich her und muß euch sagen, es weihnachtet sehr . . " In rotem Pelzmantel und solcher Pelzmütze, den Gabensack über der Schulter, die Rute in der Hand kommt er daher. Wotan selbst soll es sein, dieser Ruprecht oder Ruchtperacht, der Ruhmpräch tige. So führt er sich im Erzgebirge ein: Gottflitz, Gottflatz, Gottfladerwisch, Kriechen die Kinner alle unnern Tisch Un wenn es glei drei Mandeln sei, Der Ruprach steckt se in Sack Hinei. Die Kinder aber fragen ihn dreist: Ruprich, Ruprich mit'n Sack Hast de mir was mttgebracht? In Franken, Schwaben, Baden vertritt Pelzmärte den Nikolaus auch der Buzegrale, und in der Pfalz ist es der Belsnickel mit umgestülpter Pelzmütze und umgedrehtem Schafspelz. In Hessen haben Wurstnickel und Kraut nickel die Mission Überstommen, beim weihnachtlichen Schwei neschlachten zu erscheinen und ihren Anteil zu heischen. Ein etwas mißratener Bruder der Adventsheiligeu, äußerlich mehr Teufel als Heiliger, ist der pommersche Bullkater, der mit rußgeschwärztem Gesicht und Hörnern am Kopf einhergeht und aus einem Sack den Unartigen Sand und Steinchen hinwirft, aus dem andern Sack aber Aepsel und Nüsse den Guten. So viel von den Adventsheiligen... Aber noch zahlreiche andere geisterhafte Wesen aus der ger manischen Mittwinterzeit treiben durch unsere Weihnachten; sie haben versäumt, sich ein christliches Mäntelchen umzuhän gen. Durch Anhalt spaziert der in Weitzes Bettlaken gehüllte „Storch" mit Vorliebe zu jungen Bäuerinnen; wen er be rührt, wird fruchtbar. Auch der in Erbsenstroh gehüllte Erb ¬ se n b ä r ist hier daheim. Und der Schimmelreiter, der auch durch die Mark und andere Gaue trabt. In den mecklen burgischen Spinnstuben trat um Mitternacht Herr Rumm e l- mann aus; sein Pferd band er draußen vor die Hoftür, wenn er drinnen mit den Mädchen tanzte. In glocienklingendem Pelz mantel trabt der Weitze Reiter durch Pommern. Durch Niedersachsen ziehen Perdsklaas und Rauhknecht. Der Sünnerklaas ist der friesländische Nikolaus, neben den Teller legt man am Nikolaustag ein Stück Brot oder Zucker fürs Pferd; Sünnerklaas aber legt einen drolligen Stutenkerl mit Rosinenaugen ans den Teller. Der Adventsjäger mit den drei Witten durchzieht das Schlesierland. Durch Ostpreußen aber rumpelt und poltert der K l a p p e r b o ck an drei Advents tagen in den Stuben, ein mit weißem Bettuch behängtes Pferd aus allerlei Sieben, die die Küchen lieferten. Schreckhaft sind die Gestalten, die lärmend durch die Weih nachtszeit der Alpenlande toben. In Berchtesgaden tritt am Nikolaustag der Heilige Bischof mit dem Nicoloweibcheu auf, aber draußen um die Lehnshöse lärmen und springen die schreck lichen Butt'nmandl in ihren Strohgewändern, schwarz- vcrlarvt und mit Ketten und Kuhglocken behängt. Wild ist ihr Betragen, und die Frauen gehen ihnen möglichst aus dem Weg. Durch die Allgäudörfer jagen niit Kuhglockenlärm die Klausen, die mit Kuhhäuten und Hirschfellen behängt sind nnd Kuh hörner auf dem Kops tragen. Gefährliche Nächte sind die Rauh nächte, wo die Wilde Jagd durch die Luft braust und die armen Seelen Umgang halten. Unheildämoucn, die Machen Perchtn, treiben ihr Wesen in diesen Tagen, sie werden von den mas kierten R a u ch n a ch t g ä n g e r it lärmend Vertrieben. Den Beschluß dieser Weihnachtsgestalten bilden wiederum fromme Männer und zwar die Drei Heiligen Könige Kaspar, Baltasar und Melchior, die bis Dreikönigstag mit ihrem leuchtenden Stern singend und frierend von Hof zu Hof zogen, ihre Gaben sammelnd. Die Heiligen drei Könige mit ihrem Stern, die essen und trinken und zahlen nicht gern.... Von Wannen sie kamen, die Heiligen und Dämonen der deutschen Weihnachtszeit? Er hat schon recht, jener Herzog Gustav Adolf von Mecklenburg, der anno 1682 in seinem Land Mecklenburg den Weihnachtsmann verbot, „da in der Tat die Sache im stockfinster» Heidentum den Ursprung hat..." Mitt- wintergestalten aus der Wilden Jagd Wotans und der Frau Holle sind es, alte Götter, die zu guten Heiligen wurden und schenken oder strafen, der Teufel selbst wird bemüht, Gestalten aus dem weißen Reich des nordischen Winters wie Dämonen der Bayrischen Berge treten auf, Erinnerungen aus den Tagen der Mittwintersonncnwcude, da die Götter in Menschengestalt zur Erde herniederkamen, um nach dem Rechten zu schauen. Jede Landschaft stattete ihre Weihnachtsgestalten mit eigenen Charakterzügen aus. Sie sind Verkörperer des Guten und Bösen, die den Frieden von Hof und Herd hüten oder zu stören suchen. Uns aber blüht in diesen Adventsheiligen und Mittwinter- dämonen und ihren kleineren Ebenbildern aus schmackhaftem Weihnachtsbeiwerk wie Stutenkerlen, Springerle, Pflaumen- ruprechten, all diesem festlichen Kleingebäck in Menschen- und Tierform, ein geheimnisvolles Stück Jugendland und Weih nachtsfreude auf, die Vielfalt wundersamen Brauchtums deut scher Weihnacht. »re SchrenenstvMe Skizze von Hans Stolzenburg. Der Lokomotivführer Martin Maaß hatte sich nach der Wohnung seines Bruders erkundigt. „Vorstadtsiedlung, GneisenaustraßL 33", hatte man ihm gesagt, und jetzt trat er in das angegebene Haus, stieg die schmale Treppe ins erste Stock werk hinauf und las auf dem kleinen Weißen Schild den Namen: Wilhelm Maaß. Einen Augenblick zögerte Martin noch, dann drückte er auf oen Klingelknopf, und er» scharfes Klingelzeichen schrillte auf. Als die Tür geöffnet wurde, sah Martin in das bleiche Antlitz einer noch jungen Frau. „Martin, du?" „Ja. Ich wollte einmal sehen, wie es dir und Wilhelm geht." „Wilhelm ist heute nicht da. Er ist verreist und wird vor morgen mittag kaum wieder zurück sein. Aber komm doch herein!" Martin ließ die Hand der Frau los und trat ein. Marie führte ihn in die Wohnstube, nötigte ihn aufs Sofa, machte schnell Kaffee und Brot zurecht, und während er atz, hörte sie ihm.schweigend zu, wie er beim Essen erzählte, datz er nur ganz zufällig einmal hier herunter in die Industriestadt geraten wäre, um einen Kohlenzug nach Berlin zu bringen. Morgen in aller Frühe müsse er damit fort. Ja — und sonst? Heute hier, morgen dort, immer unterwegs! Unverheiratet, war er immer dazu ausersehen, hier und da auszuhelfen. Während er erzählte, glitt sein Blick über das bleiche Gesicht d.r Schwägerin. Als Martin sie vor sechs Jahren das letzte Mal gesehen hatte, war es noch nicht so bleich gewesen! Ob dieser Mund noch lachen konnte so wie damals? Ein dreijähriger Junge schob sich herein und schmiegte sich an die Mutter. Am späten Nachmittag gingen alle drei hinaus in den Schrebergarten vor der Stadt, der nahe an einem Bahndamm lag. Marie und Martin saßen auf der rohgezimmerten Bank vor der grünen, alten Laube, während der Junge abseits mit Blumen und Sand spielte. Marie sah still vor sich hin. Ab und zu rollte ein Güterzug vorüber und legte seine graue Rauch fahne über die Gärten. ,Jhr lebt nicht gut miteinander?" fragte Martin. ' „Nein. Er jst hart zu mir und dem Kind und «ft jähzornig." „Es hätte alles anders werden können. Warum hast du nicht gewartet auf mich?" Marie se .kte den Kopf und sagte leise: „Du warst so lange weit weg, und er kam jeden Abend, redete auf mich ein, wie e- alle taten, meine Mutter, der Vater, die Schwestern — bis ich nachgab." Es wurde wieder still zwischen den beiden, und als nach einer Weile der Junge zur Mutter kam, gingen sie heim. Als sie vor dem Haus in der Gneisenaustraße standen, war es dunkel geworden, und die kleine Laterne an der Straße schuf nur einen bleichen Lichtkreis in ihrer nächsten Umgebung. „Ich muß morgen früh um 4 Uhr mit meinem Zug fort. Wir sehen uns also nicht mehr. Laß es dir gut gehen, Marie!" Als der Lokomotivführer Martin Maatz am nächsten Mor gen den Maschinenschuppen betrat, begann der neue Tag eben erst zu dämmern. Wie ein riesiges Tier lag der Koloß Maschine, grauweißen Dampf aus dem Schornstein stoßend, auf den Schie nen. Martin stand an seinem Platz. Seme Hand lag auf dem Hebel des Regulators, bewegte ihn, und langsam schob sich die Maschine aus dem Raum. Draußen legte sich ihr dicker Qualm über das Dach des großen Schuppens. Ueber quietschende Weichen ging es vorwärts und dann wieder zurück, nachdem He Weichen umgestellt waren. Ein Pfeifen ertönte, und das Räderwerk blieb wieder stehen. Die Lokomotive wurde an eine lange Reihe kohlenbeladener Güterwagen gekoppelt. Marlin sah. wie vor ihm Vas Signal zur Ausfahrt hochging. Das Zeichen galt ihm! Das Zeichen seines Lebens! Ausfahrt! Immer wieder Ausfahrt! Wo er auch hinkam, immer hob sich dieses Zeichen vor ihm empor. Nirgends war Rast, Heimat und Einkehr! Ein Schüttern ging durch die Wagen, und langsam setzte sich der Zug in Bewegung. Er fuhr an der großen Bahnhofs halle vorbei, in der die Personenzüge ein- und ausliefen, rollte über Bahnüberführungen, dann ging es an grauen, verqualmten Hinterhäusern vorbei. Da — eine große eiserne Brücke wuchs auf, unter der' der Zug durchfahren mußte. Eine schlanke Frauengestalt stand oben und sah herab. Plötzlich erkannte Martin, daß es Marie war. Richtig, dort drüben mußte ja auch die Siedlung liegen, in der sie wohnte! Einen Augenblick war es Martin, als müßte er die Maschine zum Stehen bringen. Dann grub sich eine Härte in sein Gesicht, die Hand wurde wieder ruhig, und schon war die Maschine unter der Brücke durchgefahren. Martin sah im Zurückblicken, wie der Qualm die Gestalt oben ganz einhüllte, und nur, als der Rauch sich zerteilte, konnte er noch einmal Maries wehenden Rock er kennen. Dann blieb die Brücke weit hinter dem Zug zurück. Lsn den letzten Häusern der Vorstadt ging es vorbei, dann tat sich groß und unermeßlich die Landschaft vor ihm auf. Wie ein Feuer ball erhob sich im Osten die ausgehende Sonne. Ueberall auf den Dorfbahnhöfen waren die Ausfahrtssignale gezogen. Martin spürte nichts als das Schüttern und Stampfen der Maschine und sah nichts vor sich als das endlose Band der Schienen, das im Lichte der aufgehenden Sonne wie ein glühender Strom in ihn wuchs. Schön war dieses Leben halt auch! Der Lokomotivführer Martin Maaß stand unbeweglich und sah geradeaus. Das gleichmäßig ratternde Lied der Maschine kam wie ein Rausch über ihn. An den Bahnübergängen warteten vor den niedergelassenen Schranke« Menschen, Wagen und Autos, bis der Zug vorüber war. Dev Mlsnkel. Eine frohe Geschichte von Alfred Richter. „So", sagte Lutz Vollandt und machte einen Strich unter die Zahlenreihe, „und nun gehen wir und kaufen dir einen neuen Mantel!" Ein neuer Mantel! Fran Margot sah an sich herunter. Wenn man in eines der großen Geschäfte gehen wollte — welches Kleid sollte sie dann anziehen? Sie besaß ja auch kein ordentliches Kleid mehr! Lutz war zu lange stellungslos ge wesen, und die ersten Verdienstmonate hatten die nicht eben großen Ueberschüsse für noch viel Wichtigeres verlangt, für die Bezahlung kleiner Schulden, für Anschaffungen im Haushalt — Lutz sah seine Frau an und verstand ihre Gedanken. „Oder sollen wir zuerst ein Kleid kaufen?" fragte er. Da aber wehrte sie ab. „Nein nein, das Kleid ist noch lange gut. Von einem Kleid kann jetzt nicht die Rede sein! Nein, ich dachte an etwas anderes —" „An was dachtest du denn?" So war er nun. Man konnte ihn niemals belügen, diesen Mann. Und auch jetzt wußte er sicherlich, haß seine Lrau an nichts anderes äks an ihr dürftiges Kleidchen gedacht Haise. Sie lenkte ihn ab: „In welches Geschäft wollten wir den« wegen des Mantels gehen, Lutz? Denn wir wollen doch billig kaufen, gelt?" „Billig und gut", sagte er in seiner etwas Pedantischen Art und verlor nun keine Worte weiter. Lange strichen sie vor lockenden Schaufenstern herum und prüften mehr die Preise als die Modelle. Dabei redeten sie kaum. „Welchen sie wohl nun will?" dachte er und blickte sie verstohlen an. — „Wieviel er wohl au^eben kann?" war ihr Gedanke, und sie wagte jetzt nicht, seinen Arm zu drücken, wie sie sonst Wohl tat, wenn er sie führte. Ganz steif stand sie neben ihm. Sie folgte nur klopfenden Herzens, als er plötzlich sagte: „Komm!" und der schimmernden Drehtür zuschritt, hinter der ein Portier sie empfing, als wären sie ein Grafen paar. „Damenmäntel? Zweiter Stock, bitte, gnädige Frau — dort drüben ist der Fahrstuhl, bitte!" Droben stand schon ein Geschäftsführer und eÄvartcte dir Herrschaften am Lift. Und ringsher lockten und leuchteten in allen Modefarben Mäntel, Mäntel — Mäntel - — Eine grelle Beleuchtung überstrahlte alles, was sich den Blicken darbot. Es war beklemmend. „Wie lange bin ich eigentlich nicht in ein solches Geschäft gekommen?" dächte Frau Margot. Aber da schob ihr schon die Abteilungs vorsteherin einen Sessel sanft in die Knie, und eine Bedienerin legte mit einer gehauchten Geste einen Mantel vor ihr auf den Tisch. Eine zweite stand hinter ihr, die Arme voller Muster stücke. Der Geschäftsführer verweilte noch eine Sekunde, ver abschiedete sich dann mit einer tiefwinkligen Verbeugung. Und nun waren Margot und Lutz hier Teilkönige in einem großen Geviert zwischen hohen Schirmen, die rasch zurechtgerückt wurden und ein abgeschlossenes Gemach vor täuschten, ein Boudoir bei reichen Leuten. Die Diele eines Welthotels konnte man sich darunter vorstellen. Frau Margot tat es. Sie las viel, Lutz tat es nicht. Sie ließen sich vorlegen und vorlegen, Prüften, wägten, und Margot probierte, drehte und wendete sich vor dem hohen Stehspiegel, kritisierte hier den Aermelansatz, dort die Länge, da die Farbe, dort wiederum die Knöpfe. Lutz saß dabei und erkannte seine kleine Frau nicht wieder. Harte, bange Jahre, Grübeln und machtloses Rechnen, Verzichten, Müdewerden wie? War das alles überhaupt gewesen? Dort stand jedenfalls eine kleine selbstsichere Frau, zwei Verkäuferinnen eilten um sie herum wie Hofdamen um eine Prinzessin, schlüpften selber in die Mäntel, führten sie ihr vor und nahmen ihre sicheren Bemerkungen mit Lächeln hin. Sie sahen nicht diese hartgewordenen Hände. Sie bemerkten es nicht, wie alt das Kleidchen war, das die verehrte Dame trug. Sie bedienten, selber kleine Damen eine größere, eine große, ganz große Dame. Sie bewegten sich, kleine Nebenmonde, um eine neu« Sonne, von der alles abhing, gut Wetter und Luft zum Leben in dieser halben Stunde Lutz sah das alles, ein kleiner Wimpel des Stolzes ging auf seinem Kutter hoch. Margot vergaß ihn mitnichten vor lauter herrlichen Män teln, sie ivarf ibm immer einmal einen Blick zu. Und nun war sie auch mit ihrer Wahl fast im klaren. In einem schlichten, aber Prächtig sitzenden modefarbenen Mantel stand sie da. — Oder sollte sie schließlich doch noch lieber den schwarzen nehmen? Nein, er war ja überhaupt dunkelblau! So täuschte also doch die künstliche Beleuchtung! — „Was soll ich nehmen, Lutz?" Er zuckte die Achseln und war ratlos. „Aber gnädige Frau haben doch sicher noch einen schwarzen Wintermantel zuhause, und da würde ich raten " Die Verkäuferin verstummt« wieder. Lutz geriet in Unruhe. Doch, wie? Was sagte sei« Muttchen da? Was phantasierte sie zusammen? Mit einem Blick in weite, weite Fernen strich sie an sich herunter: „Ja, allerdings! Ich habe ja noch den schwarzen — und dann den bunten ", und sie wandte sich zu Lutz und sagte kindlich: „Nicht??" Sie nahmen dann den mo^efarbenen, zahlten «nd ginge«. Der Mantel hatte drei Mark mehr gekostet, als Lutz veran schlagt hatte. Ader was tat das? Neben ihm ging, eng an ihn geschmiegt und aufgeregt plaudernd, die entzückende kleine Frau, die da arglose Verkäuferinnen durch Phantasien über Mäntel, die sie nie besessen hatte, verblüffte. Und dieses köst liche Geschöpf — war seine Frau! Als Margot nur einen einzigen Blick im Borübergehen in das vollbeladene Fenster einer Feinbäckerei Warf, besann Lutz sich nicht erst, ging hinein und kauft« ein. Nicht viel, aber es war eine Verwegenheit, denn auf jeden Fall über schritt es seinen Haushalt. Lutz blickte, während eingepackt wurde, durch die Scheibe hinaus; draußen stand Margot «nd spiegelte sich in der großen Fcnsterfläche. Er ließ noch ein Stückchen Torte zulegen und dachte ganz verwegen: „Ach was, ganz einerlei, heute ist eine Ausnahme!"' Draußen hängte sich seine kleine Frau bei ihm ein und flüstert« ihm zu: „Du — ich habe doch den allcrjchönsten!" Sie meinte den Mantel. Wagner gibt nach. Auf Bitten der Gräfin Schleinitz, einer großen Wagner- Verehrerin, wohnte Kaiser Wilhelm I. der Erstaufführung des „Ringes der Nibelungen" in Bayreuth bei. Der Kaiser war zwar kein Freund der Wagnerschen Musik, dennoch fühlte er sich verpflichtet, dem Meister ein paar freundliche Worte über die Aufführung zu sagen, und beauftragte seinen Adjutanten, de« Grafen Lehndorff, Wagner herbeizuholen. Der Meister weigerte sich hartnäckig, vor dem Kaiser zu erscheinen, und erklärte, für die Vorstellung keine Zeit mehr zu haben. Der kaiserliche Adju tant indessen faßte die Angelegenheit höllisch dienstlich auf und bedeutete dem Meister, daß, wenn der Kaiser befohlen habe, er Lehnhoff, gewohnt sei, einfach zu gehorchen, und wenn Herr Wagner nicht gutwillig auf der Stelle mit ihm komme, so werde er ihn auf den Arm nehmen und zum Kaiser tragen. Das half, Wagner gab nach. Etz soll sich allein duellieren' In Mecklenburg gibt es bekanntlich außerordentlich viele Sonderlinge. Zu ihnen gehört auch der wegen seiner Eigen arten weithin vekannte Gutsbesitzer K. Eines Tages bekam er im Spiel einen heftigen Streit mit dem Baron von V. Dieser, auf's äußerste empört, beschloß, den alten K. auf Pistolen zu fordern. Der sieht am andern Morgen, gemütlich am Frühftückstisch sitzend, den Beauftragten seines Gegners, einen Grafen, auf dem Hof einreiten. Am nächsten Tage srüh um sieben Uhr soll die Sache losgehen. Der Gutsbesitzer ist mit allem einverstanden; auch die schärfsten Bedingungen sind ihm recht. Der Graf verabschiedet sich recht förmlich, besteigt sein Pferd und will fortreiten. Da öffnet sich oben ein Fenster; das Gesicht des alten K. wird sichtbar, der dem Grafen nach- ruft: „Ach, Herr Graf! Sagen Sie doch, bitte, dem Herr« Baron, wenn ich um sieben Uhr nicht da bin, soll er ruhig allein «»fangen zu schießen!"
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