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Wilsdruffer Tageblatt : 30.10.1936
- Erscheinungsdatum
- 1936-10-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193610308
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19361030
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19361030
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1936
-
Monat
1936-10
- Tag 1936-10-30
-
Monat
1936-10
-
Jahr
1936
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 30.10.1936
- Autor
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i Der kleine Rauchsalon der ersten Klasse schien sich i stuhl verwandelt zu haben, der rasch ins Bodenlc graben. s über Wenn Deutschland sich die Nahrungsfreihcit erkümpsen will, gilt es in Zukunst nicht nur die Erzeugung zu steigern, sondern auch das Er zeugte sparsam zu verwenden. Darum der Appell: „Kamps dem Verderb." „Schiffsbrände...?" sagte jemand. Der Wasserspiegel in einem Glas stand mit einemmal schief, in einen Fahr Strahlen der Sonne herein, zurückgehalten von den Gardinen, und zerteilten den Fußboden. Ich stolperte leicht über die Schwelle und rannte, die Form in der einen Hand umkrallt haltend, auf das linke Bett zu. Dort mutzte Mutter liegen. Endlich war ich an dem Bett angelangt. In den Kissen lag Mutters Kopf, tief eingedrückt. Aber sie schlief wohl, ihre Augen waren geschlossen. Ich kletterte behutsam, immerfort Mutter an sehend, am Bettrand hoch. Ich tastete mit der freien Hand nach ihrem Gesicht und strich über ihre Wange. Das hatte Mutter gern, gleich würde sie die Augen aufschlagen und verwundert und dann lächelnd mich anschauen. Ich wartete, bei ihr kauernd, darauf. Aber nichts von alledem geschah: die Augen blieben ge schlossen ... In der einen Hand fühlte ich die Form, sie war so kühl in der heißen Hand. Ich rüttelte die Mutter an der Schulter. Der weiche Körper, an den ich mich so oft trostsuchend geschmiegt hatte, rührte sich leicht, er gab nach. Und wie ruhig Mutters Gesicht war! So ganz fern von all dem, was sie immer bedrückt hatte: ihre Krankheit und die Sorge. Angst befiel mich plötzlich, ich wußte nicht, weshalb. Eigentlich mußte ich mich doch freuen über meinen Fund. Aber jetzt hatte ich die Angst in mir, die langsam hochwanderte in meinu- Innern und fraß. Vor mir auf dem Linnen lagen Mutters weiße Hände, die abends keim Schlafengehen über mein Haar gestrichen waren. Ich griff nach ihnen und hob die eine hoch. Ste ließ sich willig heben, sie leistete keinen Widerstand, sie fiel schließlich, mir ent gleitend, zurück zu der anderen. Da fielen mir nun auch Vaters Worte ein, diese seltsamen Worte, die ich nicht verstanden batte. In diesem Augenblick hörte ich Schritte. Jemand Weintz ganz deutlich war es zu vernehme:,. Betroffen blickte ich zur Tür« Ja, was war denn geschehen? Jemand weinte. Hier lag dis Mutter und schlief solch seltsamen Schlaf. Draußen aus der Straße glitten rollend die Autos vorüber wie sonst. Der Lärm scholl herauf — aber irgend etwas hatte sich doch verändert? Ich starrte den großen Mann an, der näherkam. Es war Vater, ich erkannte ihn erst jetzt. Er erfaßte mich und führte mich vom Bett weg, seine Hand leitete mich. — Der Sand haufen, wollte ich sagen, Vater, du mußt ihn sehen! Aber beim Gehen beugte sich Vater zu mir herab, ganz nah war sein Ge sicht, und ich sah nun auch, daß es verweint war wie das eines Kindes. Ich starrte ihn aus weiten Augen an. Der Vaier weinte? Gab es denn das? Da sagte er, gleichsam erklärend, mit leiser Stimme: „Sie kann nun nicht mehr ausstehen, die Mutter." Ich begriff es zunächst nicht, ich wandte mich, nun schon an der Tür, um und blickte zu dem Bett zurück. Dort zeigte sich das weiße Gesicht, schwarz vom vollen Haar umrahmt, in den Kissen. Und ich erkannte nun mit gereiftem Blick, daß dies« Augen 'schon Abschied genommen hatten von jenem Zimmer, von Vater, von mir, von der Straße und von der Stadt, daß sie nach innen gerichtet waren, unbeschwert von den Schatten des Lebens. Ich sah das und erwartete, daß nun die Wände aus einanderbrechen und tosend zusammenstürzen würden, denn was sollten sie nun noch, was sollte dgs Zimmer, was das Haus, in dem wir wohnten, was die Stadt? Aber nichts geschah. Die Sonne schien ins Zimmer, und in ihren Strahlen sah ich den Staub golden zu Boden tanzen. Ich wollte aufschreien, es war mir, als sei ich verschüttet worden von ungeheuren Erdmassen, aber da zog man mich for . Die Form entfiel meiner heißen Hand. Klirrend schlug sie auf dem Fußboden auf und sprang ein paar Schritte weiter. Dann rührte sie sich nicht mehr. stuhl verwandelt zu haben, der rasch ins Bodenlose niedersank, um jäh mit einem harten Ruck aufzuschlagen. Gleich darauf setzte das stete Ziehen jener Aufwärtsbewegung ein, die das Kenn zeichen einer schweren Welle ist. „Ja, Schiffsbrände!" rief die kleine Miß Long und warf Noch hielt ich sie in den Händen, wie man etwas Schönes hält, das einem nicht gehört, aber langsam begriff ich, daß dies pr mein war; ich hatte es mir doch unter Schweiß ergraben. Freude stieg in mir auf. Ach, sie war viel größer als ül.. ein Geschenk von Vater. Selbst der heißersehnte Roller hätte mich nicht freudiger machen können. Denn es war doch so: einen Roller bekam man Weihnachten, und man mußte das Jahr mit einer Bewegung von etwas gewaltsamer Forschheit ihre platinblonden Locken aus der Stirn. „Wie interessant... Huh Sie müssen doch etwas von Schiffsbränden erzählen können/, Mister Selford?" Henry Selford war der Zweite Offizier des Fracht- und Paffagierdampfers „Neptun", der eine der langsameren Routen zwischen Southampton und den südamerikanischen Häfen befuhr., Er horchte auf die dumpfen Laute des Orkans, der an den Türen und Fenstern des Salons rüttelte. „Brände?" sagte er zerstreut. „Lächerlich! Gibt es bei uns nicht. Unsere erstklassigen, modernen Löschanlagen " , „Hoho!" unterbrach ihn der immer etwas laute Plantagen- befitzer aus Pernambuko. „Wir reden nicht von Ihrem alten Kasten. Wir meinen die Brände, die in letzter Zeit auf einigen der großen Liner ausgebrochen sind, auf der .Atlantis' zum Beispiel..." Selford gab sich einen Ruck. Zwölf Stunden Dienst auf der Kommandobrücke bei schwerem Sturm und nun noch die außerdienstliche Aufgabe, die nervös gewordenen Fahrgäste zu zerstreuen, waren etwas viel. Er warf einen forschenden Blick durch den Salon. Von den zwanzig Reisenden der ersten Klasse waren sieben hier versammelt: Miß Long, der Plantagenbesitzer, ein Universitätsprosessor aus Rio, ein Geschäftsreisender einer Londoner Firma und drei Kaufleute, die Selford nicht näher kannte. Die übrigen lagen seekrank in den Kabinen. „Schiffsbrände..." sagte er und zündete sich bedächtig eine Zigarette an. „Hm!" Die Wendung im Gespräch kam eigentlich recht gelegen. Eine Möglichkeit, die Fahrgäste abzulenken, dachte er und fühlte, wie sie sich aller Augen aus ihn richteten. Aber es war immer besser, man ließ sich ein wenig bitten. „Also!" sagte Miß Long ungeduldig. „Nicht so geheimnis voll Mister Selford. Schießen Sie los!" „Brennen Schiffe von selbst, oder werden sie angezündet?" fragte jemand treuherzig. Selford mußte lächeln. „Das kommt darauf an." ,,AH! Wieso...? Gibt es Leute, die daran interessiert sind, Schiffe anzuzünden?" „Sicher." „Wer zum Beispiel?" fragte der Treuherzige. „Die Konkurrenz oder... Versicherungsschwindler." „Wie interessant!" rief Miß Long, die hatte plötzlich viel Farbe verloren und sah bleich aus, was ihr aber nicht schlecht stand. «Wissen Sie nichts Bestimmtes, Mister Selford?" Wieder schlug das Schiff mit einem harten Ruck in ein Wellental auf, doch diesmal legte es sich gleich beängstigend stark auf die Seite. Drei Kognakgläser fielen um und entleerten ihren Inhalt auf den Boden, aber niemand achtete darauf. Der Zweite Offizier zuckte vielsagend die Achseln. „Es gibt da eine seltsame Sache, über die in der Oeffentlichkeit nichts be kannt ist", sagte er langsam. „Und die wäre? fragte ein Vorlauter. Selforder sog nachdenklich an seiner Zigarette und stieß dann den Rauch, wie mit einem plötzlichen Entschluß in einer dicken Wolke aus. „Man redet über solche Dinge nicht gern, weil sie nicht völlig verbürgt sind", sagte er zögernd. „Aber es ist eine in Schiffahrtskreisen allgemein bekannte Tatsache, daß bei den Bränden, die vor einiger Zeit in kurzen Abständen auf drei großen Passagierdampfern ausbrachen, jedesmal eine halbe Stunde vor Ausbruch der Katastrophe ein Mann gesehen wurde, der auf dem Schiff unbekannt war. Dieser Mann wird über einstimmend als groß und auffallend schlank geschildert. Seine besonderen Kennzeichen sollen brennrwes Haar und eine Narbe auf der rechten Wange sein " Selford verstummte und blickte bestürzt auf den Kreis seiner Zuhörer. Die Gesichtsfarbe der Passagiere haue sich im Laufe seiner Erzählung auffallend verändert. Miß Long war fast gelb geworden und starrte ihn aus Augen an, die tief in ihre Höhlen gesunken zu sein schienen. Der Plantagenbesitzer sah plötzlich käsig aus, und auch die andren waren merkwürdig bleich ge worden. „Sollte es sich vielleicht um einen Agenten gehandelt haben?" fragte der Professor, ehe Selford seiner Verwunderung Ausdruck geben konnte. Er war ebenso bleich wie die anderen, seine Augen hatten einen fiebrigen Glanz, er er schien von seinem Zustand nichts zu merken." „Es ist anzunehmen." Der Professor schüttelte nachdenklich den Kopf. „Nebrigens, was haben Sie für eine geheimnisvolle Ladung im Vorschiff?" fragte er da unvermittelt. „Es sind Kisten von "so merkwürdiger Form, und die Matrosen lassen einen überhaupt nicht in die Nähe des Buges kommen." „Das...?" sagte Selford. „Ach, das ist das Pho 5." Was war das nur? Wie hatte er sich so verraten können! Er hatte doch strengsten Befehl, über die Ladung keine Auskunft zu geben. Wie hatte er es nur vergessen können? Kalte Schweiß tropfen standen plötzlich auf seiner Stirn. Er griff nach seinem Taschentuch und bemerkte zu seinem Erstaunen, daß seine Hände zitterten. „Pho 5?" fragte der Professor erstaunt. „Was ist Pho'5 eigentlich?" „Ja, was ist Pho 5 eigentlich?" gab Selford zerstreut zurück und griff sich an den Kopf: was war Pho 5 wirklich? Pho 5 — Pho 5 — Pho 5 rollte ein rasendes Band in seinem Hirn ab. Was war das nur? Zum Teufel, er hatte es doch gewußt,.. Selford wich dem Blick des Professors aus, und plötzlich legte sich etwas um seine Brust, wie eine schwere, erstickende Eisenklammer. In dem Lehnstuhl hinter dem Professor, der eben noch leer gewesen war, saß jemand. Es war ein großer, auf fallend schlanker Mann mit roten Haaren und einer Narbe auf der rechten Wange. Selford wollte sich erheben, aber es ging nicht. Seine Glie der versagten. Mechanisch, wie er es in aufregenden Lagen ge wöhnlich tat, zog er feine Dose und entnahm ihr eine Zigarette, er wußte selbst nicht, warum. In diesem Augenblick bewegte sich der Rothaarige in seinem Stuhle. „Feuer?" fragte er mit einer dünnen, schneidenden Stimme. Niemand schien ihn zu bemerken. Der Professor saß mit einem grüblerischen Ausdruck da, als dächte er krampfhaft dar über nach, was Pho 5 sei. Der Plantagenbesitzer aus Pernam buko machte eine Bewegung, als wollte er sich erheben, sank aber, als hätte er es sich anders überlegt, wieder auf seinen Sitz zurück. Miß Long hatte den Kopf auf den Tisch gelegt und schien zu schlafen. Die anderen lagen ausgestreckt in ihren Stühlen, den Kopf an die Rückenlehne gestützt. Offenbar hatte sie schließlich doch die Seekrankheit übermannt. „Danke", sagte Selford verstört und mit Mühe, denn die Eisenklammer schloß sich immer fester um seine Brust. „Nicht Feuer... nein!" Der Rothaarige schien nicht auf ihn zu hören. Er erhob sich und kam auf Selford zu. Er hatte ein Streichholz in der Hand und machte Anstalten, es zu entzünden. Selford wollte abwehren, aber das Würgen in seiner Kehle war so stark geworden, daß er keinen Ton hervorbrachte. Da »nachte der Rothaarige eine Bewegung, dün>«, bleckte eine rote Flamme empor... Mit letzter Kraft sprang Selford auf. Im selben Augen blick fühlte er einen Schlag und fiel zu Boden. Dann legten sich zwei Hände um seinen Hals und würgten, würgten... Verzweifelt schlug Selford um sich. Zweimal gelang es ihm, der tödlichen Umklammerung zu entkommen. Immer sich am Boden wälzend, näherte er sich der Tür. Mit einer über menschlichen Kraftanstrengung riß er sich los und sprang auf. Mit der linken Hand erreichte er die Klinke und drückte sie nieder. In diesem Augenblick preßte ihn eine übermenschliche Gewalt zu Boden. Wieder legte sich das Würgen um seinen Hals, so stark, daß er sich nicht mehr rühren konnte. „Luft!" keuchte er. „Luft! Luft! Luft!" Dann wurde es schwarz um ihn. Als Selford wieder die Augen öffnete, sah er in das Gesicht« des Schiffsarzles, der sich über ihn beugte. „Fatale Sache, das neue geruchlose Pho 5, was?" bemerkte der Arzt in seiner gleichmütigen Art. „Zwei Phosgenbehälter der Ladung für Südamerikcüsind infolge Beschädigung durch den Sturm ausaeblasen, und eine Gaswolke hat sich in den Rauch salon verschlagen. Wenn es Ihnen nicht geglückt wäre, die Tür zu erreichen, hätte ich keinen Pfifferling für Ihr Leben ge geben ... so aber haben wir Sie und die sieben Passagiere wieder so weit auf die Beine gebracht." Der Vater sagte nach dem Mittagessen, während er mich anblickte und mir mit seiner Hand über das Haar strich: „Lauf auf die Straße, Junge, laß Mutter, sie braucht Ruhe; sonst kann sie niemals wieder ausstehen." Ich hob den Kopf, um in das Gesicht des Vaters zu sehen. Aber er hatte sich schon wieder aufgerichtet, nun war er groß und ich so klein gegen ihn; ich zählte etwa acht Jahre. Ich dachte daran, während es mich freudig-heiß durchflutete, daß die Jungen auf dem Kirchplatz Wohl Fußball spielen würden, daß ich nun also unter ihnen sein durfte, eben hatte es Vater doch erlaubt. Ich lief rasch aus der Stube. Im Vorsaal wollte ich die Wohnungstür zuwerfen, wie ich es sonst getan halte, das Plauzen machte mir immer solche Freude, aber da besann ich mich aus das, was Vater gesagt hatte: Mutter brauche Ruhe, sonst könnte sie niemals wieder aufstehen. Was waren das doch für seltsame Worte! Man konnte Wohl krank sein, so sehr wie Mutter, aber daß man nie wieder aus dem Bett könnte, das hatte ich noch nicht gesehen. Ich schüttelte den Kopf. Die großen Leute waren doch wunderlich mit den Dingen, von denen sie sprachen. Die verstand unser einer gar nicht. Man durfte sie nicht zu ernst nehmen, sie sagten ja oft „Sonst kommt der schwarze Mann" oder „Sonst bringt der Weihnachtsmann nichts für dich". Aber ich hatte ihn nie gesehen, diesen geheimnisvollen schwarzen Mann, und der Weih nachtsmann war niemals zu uns gekommen, ohne eine Kleinig keit für mich zu bringen. So drückte ich hinter mir behutsam die Wohnungstür zu und sprang die Treppe hinab. .Wie ich unten aus dem Hause schoß, fuhr gerade unter Geratter ein großer Kastenwagen vor, von zwei starken Pferden gezogen. Ich hielt jäh inne im Lauf und sah, noch keuchend, daß Ler Kutscher, der neben dem Ge spann gegangen war, anhielt, indem er die Pferde mit den Zügeln zurückriß. Der Wagen stand im Nu, die Tiere waren froh, daß sie haltmachen durften. Nun stand also dieser Wagen vor unserem Hause, und ich stand gleichfalls noch hier, obwohl ich doch eigentlich auf den Kirchplatz hatte laufen wollen. Indessen wartete ich, es fiel mir ein, daß ich vor Tagen ein Gespräch des Hauswirtes erlauscht hatte. Da war von Vorrichten, von Kalk und Sand die Rede gewesen. Vielleicht kam deshalb dieser Wagen. Der Kutscher verschnaufte, knotete die Zügel an den Wagen und begann, was ich neugierig beobachtete, eine eiserne Stange über dem Vorder rad am Kasten des Wagens anzusetzen. Dann schwang er sich gleichsam darauf und drückte die Stange nach unten. Es knirschte. Ich verging vor Ungeduld, zu sehen, was nun kommen würde. Unter dem Druck der Eisenstange schob sich das Seitenbrett des Wagens hoch, und durch den entstandenen Spalt floß brauner Sand auf den Stein der Straße herab. Der Sand rieselte über das Pflaster hinweg bis an meine Füße. Ich rührte mich nicht, aber dann bückte ich mich und griff danach: es war richtiger Sand, von dem so viel zu lesen war in den Büchern, die vom Meere erzählten. Eine Weile stand ich still betrachtend und voller Entzücken. Der Kutscher wußte wohl nicht, was er ausgeladen hatte, er stapfte schwerfällig um den Wagen herum, kletterte schließlich hinauf und kratzte mit einer Schaufel den Rest des Sandes herunter. Er knotete sodann die Zügel ab und trieb die Pferde, die mit hängenden Köpfen still gewartet hatten, an, ohne sich noch einmal umzusehen. Ich zögerte nun zu dem Sande hin, der als merkwürdig geformtes Gebirge sich vor mir ausbreitete. Ich faßte mit der Hand Hinern, anfangs scheu und tastend, dann zutraulich. Er war feucht und klebte an meiner Hand. Da kniete ich nieder und vergrub meine Arme tief darin, während die groben Körner sich in meine Knie preßten, oaß es schmerzte. Mich kümmerte dieser Schmerz nicht, ach, es war wunderschön auf diesem Sandgebirge. Man konnte Löcher graben und Wälle errichten, Hvgar eine Brücke gelang mir. Ich betrachtete sie stolz, da sackte Je plötzlich Vor meinen Augen in sich zusammen. Ich war deshalb nicht traurig, ich legte Straßen an und kleine Pfade, ließ Plätze er stehen und eine Burg, auf die ich ein Scheit Holz steckte, gleich sam als Fahnenstange. Ich grub unablässig. Die Hände hatten schon das Braun des Sandes angenommen, bis unter die Fingernägel waren die Körner gekrochen. Da stieß ich auf einmal an einen harten Gegenstand. Ich befühlte ihn in der Tiefe eines Schachtes: er stellte fest, er rührte sich nicht von der Stelle, so sehr ich ihn auch wegzudrücken versuchte. Vielleicht gar eine Muschel vom Strand des Meeres, meinte ich, eine jener silberschillernden, wie? Ach, ich fieberte vor Neugier. Es war reine Muschel, nein. Ein verklebtes Ding hielt ich kn den Händen, nichts vom Meer, nichts Silberschillerndes. Ich saß, enttäuscht und kratzte mit meinen Fingern, mehr in wehmütigen Gedanken eigentlich, an dem Stein. Der Sand löste sich, bröckelte ab, und dann zeigte sich etwas Rotes. Ich erschrak ein wenig und begann emsiger zu kratzen. Das Rot gmg in Gelb über, und das führte ins Blaue, lauter schönglasierte Farbe, die auf Blech aufgetragen war. Und jetzt erkannte ich eine Form, eine buntbemalte Form, wie sie die Kinder in den Sandkästen der Spielplätze zum Kuchenbacken nehmen. Ich rieb sie an meiner Hose. Blitzblank zeigte sie sich nun und lachte mick an: in Grün, in Blau und auch in Gelb. Es war eine Freude, sie anzusehen. zuvor immer ganz artig gewesen sein, sonst hörte man „Da gib: es eben den Roller nicht, gut." Das war nun bei dieser Form ganz anders, sie war ohne Hilfe der Erwachsenen in meinen Besitz gekommen. Ich muß jetzt lausen, sagte ich mir, und es Mutter zeigen. Was wird sie für Augen machen! So erhob ich mich eilig und hastete, die Form an meinen Kleidern blank' reibend, ins Haus, die Treppe hinauf. Die Wohnunastür stand offen, es verwunderte mich, aber ich trippelte durch die Stuben. Aus dem guten Zimmer klangen liefe Männerstimmen. Vielleicht war Vater dort und der Doktor, per an jedem Tage kam. Ich lief vorüber, man würde mich doch «ur festhalten. Und ich mußte doch zu Mutter, ihr die Form zeigen, meinen Fund. Sieh, wollte ich sagen, was ich ergraben habe, ganz allein, hörst du? Es steckte ganz tief im Sand. — Uebrigens stand auch die Tür zum Schlafzimmer offen. Ich durfte also hineingehen. Mir sprang das Herz vor Freude, gleichermaßen über das er wartete Staunen der Mutter wie über meinen Fund. Das Zimmer, in dem Mutter krank lag, zeigte sich in feinem Weik wie an anderen Tagen auch. Matt sielen die
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