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Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt Nr. 244. — Sonnabend, de« 47. Oktober 183« Tagesspruch. Man sollte sich nicht schlafen legen, ohne sagen M Mmen, -aß man an dem Tage etwas gelernt hätte. Die erste Siraßensammlung Die Helfer des WHW. verkaufen die Grenzlandwappen Im Rahmen des großen OpferwerkcS des deutschen Bölkes, des Winterhilfswcrks 1936/37, beginnt die erste der sechs Rcichsstratzensammlungen. Nachdem am letzten Sonntag bereits der erste Eintopssonntag durchgesührt und Tausende von Beträgen für die Spendenliste des Winterhilsswerks gezeichnet wurden, wird heute und mor gen die Deutsche Arbeitsfront einen neuen gewaltigen Baustcm für das große Hilfswerk legen. Die Männer und Frauen der Deutschen Arbeitsfront werd«.: als Sendboten der Volksgemeinschaft mit ihren Sammelbüchsen hinaus auf die Straßen und Plätze ziehen und jeden einzelnen Volksgenossen aufrufen, sich an dem Opferwerk des deutschen Volkes zu beteiligen. Mit freu digem Herzen haben sich die Leiter und Mitglieder der Organisation zur Verfügung gestellt und werden mit allen Kräften die erste Reichsstraßensammlung durchführen. Unter der Parole „Schaffende sammeln — Schaffende geben!" sammeln auch alle Amtsleiter der Deutschen Arbeitsfront. Die erst« Stratzenfammlung In der Reichshauptstadt muffen über 160800 Sammel büchsen, wie es aus unserem Bild zu sehen ist, plombiert werden. (Scherls Neuer Gouverneur m Memel Kurkauskas durch Obernotar Kubilius ersetzt. Zum neuen Gouverneur des Memelgebietes ist der bisherige Kownoer Obernotar, Oberstleutnant der Reserve Juras Kubilius, ernannt worden. Kubilius ist Landwirtssohn, 46 Jahre alt und war bis zum Ausbruch des Krieges Volksschullehrer in Nord litauen. Er besuchte während des Krieges die Junkerschule in Moskau und war zwei Jahre lang russischer Frontoffi- Zler. 1919 kam er nach Litauen zurück und trat als Frei williger in die litauische Armee ein und nahm an den Kämpfen gegen den Bolschewismus aktiv teil. Bis 1931 be kleidete er verschiedene höhere Aemter der litauischen Armee Von 1931 a-b war er drei Jahre Kreischef in Schämen. Seit drei Jahren ist er oberster Notar von Kowno. Kubilius ist Mitglied des Zentralvorstandes des TautlNtnkai-Verbandes und führendes Mitglied einer Reihe anderer nationaler Bereinigungen. Er gilt allge mein als eine sachliche, ruhige Persönlichkeit. Hungerkatastrophe m Rußland Die furchtbaren Folgen der Dürre an der Wolga und in Zentralrußland Im November des vorigen Jahres hatte Stalin aus der Tagung der Mähdrescherführer in Moskau die Losung ausgegeben, in den kommenden Jahren einen Ernteertrag von 6 bis 8 Milliarden Pud (1 bis 1 Milliarden Doppel zentner) zu erzielen. Schon damals war es klar, daß diese Parole bis auf weiteres nach Zukunftsmusik bleiben würde. Aber niemand ahnte, daß auf die gute Ernte des Vor jahres, die insgesamt — nach Abzug der Einbringungs verluste — 600 Millionen Doppelzentner Getreide ergeben haben mag, im Jahre 1936 bereits eine furchtbare Miß ernte folgen würde. Bis jetzt schweigt sich die Sowjetpresse noch geflissent lich über den Ertrag der diesjährigen Ernt* aus. Nur zu Anfang September wurden zahlreiche Beschwerden und Klagen über die Verzögerung der Ernteeinbringung in Westsibirien und Kasachstan laut. Seitdem erschienen in den Blättern nur noch kurze Nachrichten über den Vollzug der Getreideablieferung an den Staat aus einzelnen Ge bieten. Bis jetzt hat die Sowjetpresse es noch nicht gewagt, die Oeffentlichkeit davon zu unterrichten, daß in diesem Jahr über die Hülste der gesamten Anbaufläche der UdSSR, von einer furchtbaren Dürre heimgesucht worden ist. Das Dürregebiet umfaßt fast das ganze euro päische Rußland, besonders das Schwarzerdegebiet des Kursker und Woronesher Gebietes, sowie das gesamte Wolgastromland (Nishnij-Rowgorod, Samara, Saratow, Stalingrad) und erstreckt sich noch weit nach Kasachstan hinein. Durch die ungewöhnliche Sommerhitze ist saft überall in den genannten riesigen Gebieten die Sommer frucht nahezu völlig verdorrt. Besonders gelitten haben Kartoffeln und Futtermittel. Etwas besser hat sich die Wintersaat gehalten. So wurden, nach vorläufigen indivi duellen Erhebungen, in den Dürregebieten von der Win terfrucht wenigstens Mitzernteerträge erzielt, im Durch schnitt etwa 4 bis 5 Doppelzentner je Hektar. Vorläufige Schätzungen von ausländischen Sachver ständigen errechnen den Gesamtaussall auf rund 360 Millionen Doppelzentner, was beispielsweise rund 50 v. H. der vorjährigen Ernte gleichlommt. Beobachtungen, die erst in den allerletzten Tagen in einem Teil der Mißerntegebiete angestellt wurden, ergaben für den gegenwärtigen Zeitpunkt ungefähr folgendes Bild: WWMWWMWMWWWMMKMWMMMMMIWMMWMMMWWW Nach Aussagen von verantwortlichen Funktionären de« betreffenden Landwirtschaftsverwaltungen soll der durch schnittliche Ernteertrag im Saratower Gebier beispiels weise 2,5 bis 3 Doppelzentner je Hektar ausmachen, in der Republik der Wolgadeutschen 3 Doppelzentner, im Stalin grader Gebiet 4 Doppelzentner je Hektar. Im Woro nesher Gebiet, in dem die amtlichen Stellen jegliche Aus kunft über den Ernteertrag verweigerten, muß der Durch schnitt noch erheblich tiefer liegen. Selbst nach solchen amtlichen Auskünften der maßgeblichen Sowjetsunk- tionäre hat man es alfo dort mit einer schweren Mißernte zu tun. Wenn man berechnet, daß bei einem Durchschnitts ertrag von 3 Doppelzentnern je Hektar 1 Doppelzenmer an den Staat und 0,7 Doppelzentner an die Maschinentrak torenstationen abgeliefertwerden müssen, während l Doppel zentner der Saat und 0,3 Doppelzentner der Viehfütte rung Vorbehalten werden sollen, so geht die Rechnung gerade auf, und für den Kollektivbauern selbst bleibi so gur wie nichts mehr übrig. Demgemäß schwanken dis Erträge, die dem Kollektivbauern in den Dürregebieren in diesem Jahr für die „Arbeitseinheit" ungerechnet werden, zwischen 0 und 800 Gramm Korn auf die Einheit, das heißt: seine Löhnung für die Arbeit eines Jahres beträgt (bei durchschnittlich 200 Einheiten im Jahr) 0 bis 16 Doppelzentner Korn! Beobachtungen an Ort und Stelle, sowie die Aussagen der Kollektivbauern selbst enthüllten ferner ein geradezu tra gisches Bild. Wie in den Hungerjahren l92l und 1932/33, so setzt auch bereits jetzt, einen Monat nach der Ernie, eine starke Wanderungsbewegung der Bauern- fchaft nach den Städten ein. Wer noch Hühner, Kar- löffeln, Aepfel u. dgl. zu verkaufen hat, der schlägt seine letzte Habe aus den Märkten der Städte los und kauft sich dafür Brot. Einzelne Zentren, so z. B. Saratow, sind schon überflutet von bettelnden Bauern. Da der Geldlohn des Kollektivbauern im allge meinen über acht bis zehn Kopeken auf den Arbeitstag (also rund 20 Rubel im Jahr!- nicht hinausgeht, da ferner der dem Kollektivbauern verbleibende Ernteertrag infolge des Mißjahres so gering ist, daß oft nicht einmal die schon vor der Ernte erhaltenen Brotvorfchüsse abgedeckt werden können, steht die Millionen zählende Masse der Kollektivbauern i« den Dürregebieten bereits jetzt vor dem Nichts. Nur in durchschnittlich 50 v. H. der kollektivierten Bauern wirtschaften ist — beispielsweise in den Wolgagauen —, um ein Sowjetschlagwort zu gebrauchen, die „Kuhlosigkett liauidiert". Es ist nunmehr allgemein dort zu beobachten, wie die Viehbesitzer ihre Schweine und Kühe mangels Futtermittel notschlachten. Ist der Erlös für das ge schlachtete Vieh aber aufgezehrt, so sind auch für den Vieh« besitzenden Kollektivbauern die letzen Mittel erschöpft. An der Wolga und in Zentralrußland sind schon jetzt hungernde, ziellos umherwandernde Bauern mit ihren Familien keine Seltenheit mehr. Natürlich ist auch die Stimmung unter der Bauernschaft dement sprechend. Daß diese Stimmung für den Staat nicht ge fährlich wird — dafür haben die in den betreffenden Ge bieten besonders zahlreichen, sehr beweglichen GPU.» Truppen zu sorgen. In den nächsten Monaten, ja Wochen Wird es sich entfcherden, ob die Moskauer Regierung ge willt und in der Lage sein wird, der drohenden allge meinen Hungersnot in den Mißerntegebieten abzuhelfen. Ob die Ernteüberschüsse in einigen Gebieten genügen wer den, durch außerordentliche staatliche Beihilfen die Ernäh rung der Kollektivbauern der Dürregebiete auch nur einigermaßen sicherzustellen, erscheint immerhin zweifelhaft. Nach dem Beifpiel der letzten Hungerjahre (1932 bis 1933) ist eher anzunehmen, daß zuallererst die Versorgung der großen Städte und Industriezentren geregelt wird, und daß man — vielleicht abgesehen von einzelnen und ver späteten Hilfsaktionen — die Landbevölkerung im wesent lichen ihrem schweren Schicksal überläßt. Bilder klagen an. Furchtbar sind die Folgen der sowjetischen Mißwirtschaft: KiMer mit den charakteristischen Zeichen übersteigerten Hun- gerefends, die sich gierig auf einen Blechnapf Suppe und einen Kanten trockenes Brot stürzten. (Scherl Bilderdien Ras RaMu m Genf gestorben Der ehemalige abessinische Heerführer RaS N a s s i b u, der sich in letzter Zeit inGenfam Sitz des Völkerbundes aufhielt, wo sich jetzt der Negus ein Schloß gekauft hat, ist an Lungentuberkulose gestorben. Ras Nasfibu hatte im Abessrnienkrieg den Oberbefehl a« der abessinischen Südfront. Hungerkatastrophe in Rußland. müssen und viele Hunderttausende Folgenschwere Mißernten in der Mraine und im Wolgage biet sowie unglaubliche Mißstände bei der Ernteeinbringung führen nach den eigenen Berichten der Sowjetpresse Rußland an den Rand einer neuen Hungerkatastrophe. Millionen Rus sen werden erneut die Folgen der Sowjetwirtschaft erleiden Das Bish verhungert in Sowjetrußland. Nach den eigenen Berichten der Svwjetpresse steht Rußland am Rande einer neuen Hungerkatastrophe durch Mißernten in der Ukraine und im Wolgagebiet. Millionen droht daher in Sowjetrußland der Hungertod. Unser Bilddokument zeigt ein Pferd, das buchstäblich vor dem Wagen infolge Hungers um gefallen und verendet ist. (Scherl Bilderdienst — M.) werden sicherlich wieder, wie bereits vor einigen Jahren, vor Hunger umkommen. Im Bilde: fowjetrussifche „Arbeiterwohnungen", wie man sie ab seits von den großen Propagandastraßen der Sowjetregierung überall antrW. (Scherl Bilderdienst — M )