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Wilsdruffer Tageblatt : 17.10.1936
- Erscheinungsdatum
- 1936-10-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193610174
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19361017
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19361017
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1936
-
Monat
1936-10
- Tag 1936-10-17
-
Monat
1936-10
-
Jahr
1936
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 17.10.1936
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Vie Aakrlagung. krrSblung von »Ich war", begann der Doktor, „lange Jahre als junger Arzt in F., einem kleinen Dörfchen im Sauerland, praktisch tätig, Mein Haus stand etwas außerhalb an der Dorfstraße und recht einsam, aber das war mir gerade recht. Da ich einen kleinen Wagen hatte, spielten Entfernungen keine Rolle, und ich hatte meine Einsamkeit, wie ich sie zu meinen weiteren Studien brauchte. An einem kalten und windigen Dezemberabend war ich in meine medizinischen Zeitschriften vertieft, als es schellte. Bor der^Tür stand ein Mann, der schon beim Schein des Flur lichtes recht vagabundisch und wild aussah: es war ein Zigeuner. In ungeschickten und aufgeregten Worten bat er mich, mit ihm zu kommen, fein Kind liege schwer krank draußen in ihrem Wa gen. Ich hatte, rndem ich ihn musterte und ausfragte, das Ge fühl, daß er :n ernster Sorge und sehr erregt war, und ich ent schloß mich, oa die Symptome, von denen er erzählte, ein un klares und bedenkliches Krankheitsbild gaben, mitzukommen. Ich machte mich fertig und ncchm den Mann zu mir in den Wagen, und wir fuhren hinaus zu ihrem Lager am Waldrand. Ich fand das zweijährige Mädchen mit einer Angina, die nicht leicht war, aber vorläufig nichts Ernstes befürchten ließ. Einige Medikamente hatte ich immer bei mir, gab Anordnungen und beruhigte die zerzauste, in Tränen aufgelöste, laut jam mernde Frau, indem ich ihr gut zusprach und versicherte, das Kind werde gesund werden, wenn sie nur gewissenhaft alles An geordnete befolge; morgen früh würde ich wieder nachsehen. Sie wischte ihre Tränen ab, und ich konnte beim Licht des elenden Oellämpchens erkennen, wie sich ihr hübsches dunkles Gesicht mit den schwarzen Augen verwandelte aus einer Verzweifeltey Zer rissenheit zu einer gläubigen Zuversicht. Ihr Blick war io voll heißen Dankes, daß er mir Dank genug schien für die geringe Be mühung meinerseits und ich auf die Frage nach den Kosten eine ausweichende Antwort gab, des Inhalts, es iei nicht der Mühe wert. 'Ich ging durch Regen und Wind zu meinem Wagen, wo zwei Burschen standen und sich bei meinem Nahen scheu zurück zogen. Ich saß schon an meinem Platz und wollte den Hebel eben ziehen, da sah ich cm Licht der Scheinwerfer das junge Weib aus mich zustürzen. Ich dachte, es sei mit dem Kind etwas geschehen, aber als ich die Tür öffnete, fuchtelte sie heftig mit den Händen und brachte schließlich mit Vieten Unterbrechungen her aus: Ich solle mich in acht nehmen, sie habe vorhin zufällig und flüchtig meine Hand gesehen; diese Nacht sei gefährlich für mich. Weil ich ihr Kind gerettet habe und ein guter Mann sei, müsse sie es mir sagen, was sie gesehen habe; es sei sehr schlimm; ich liege in meinem Blut, ehe drei Stunden vergangen seien. Ich solle ihr noch einmal die Hand zeigen, damit sie genau sehen könne. Ich lächelte und wollte abwinken: ja, es sei gut, ich danke ihr, aber es sei nicht nötig; morgen früh könne das nachgeholt werden. Aber sie ließ nicht ab, sie ergriff meine .Hand, und ich konnte sehen, wie sich ihr Gesicht, dieses sehr wandelbare und sehr ausdrucksfähige Gesicht verzog. Spielte sie so gut? Oder sah sie wirklich etwas? Ich habe nie die Möglichkeit der Prophe- Ue grundsätzlich geleugnet, wenn ich auch alle mir bekannt ge wordenen derartigen Versuche als unwahrhaftig und gefälscht von mir gewiesen habe. Diesmal aber, beim Anblick des. er regten und zitternden Weibes, das keine Veranlassung haben konnte, mir etwas vorzumachen, zudem etwas sehr Schlimmes, befiel mich doch eine merkwürdige und ungewohnte Unruhe. Sie nahm noch zu, als die Zigeunerin in ihren wirren Reden Von der Nähe des Todes und immer wieder von meinem Blut sprach. Ich ging nun auf ihre Rede ein, stellte mich aber un gläubiger und überlegener, als ich war, und lachte nur: Ob ich Wohl einen angenehmen Tod haben werde, oder ob ich mir mit meinem Rasiermesser den Hals abschneide. Sie nahm das, was ich scheinbar im Hohn sagte, ganz ernst und sagte, ich werde in meinem Hause liegen. Und Plötzlich stotterte sie: ,Die Kugel wird fahren in die Brust!" Dann flehte sie mich inständig an, nicht nach Hause zurückzukehren. Aber gerade diese merkwürdige Be hauptung, daß mir eine Kugel in die Brust fahren werde, gab mir wieder Sicherheit, denn ich konnte mir nicht denken, wie mir in meinem Hause eine Kugel in die Brust fahren könne. Ich lachte daher laut und sagte, morgen früh werde ich mit ihr Weitersprechen. Ich schloß die Tür und fuhr weg. Aber, wie es zu gehen pflegt, ich wurde die Sache nicht los. Während ich durch die einsame, stürmische Nacht surrte, wirbel- ien in mir die unheimlichen Weissagungen herum, die ich, so unsinnig sie waren, nicht abschütteln konnte. Daß sie von dem Weib ernst gemeint waren, daran war für mich kein Zweifel, «ber schließlich konnte auch sie sich irren und vielleicht gerade dadurch die ganze Weissagerei aus der Hand widerlegt werden. Doch jeder weiß, daß man mit Vernunftgründen gegen Be- brückungen nicht angehen kann, die sich einmal der Seele be mächtigt haben. Ich kam nach Hause und setzte mich wieder an meine Arbeit, Uber ich konnte mich nicht sammeln. So sehr ich mich auch dar- Otto Smell«. Wer ärgerte, immer wieder kreisten meine Gedanke« um die Wahrsagung des Zigeunerweibes, und immer wieder ertappte ich mich auf Ueberlegungen, wie eine Kugel in meine Brust kommen könne — hier in meinem Hause... Plötzlich fuhr ich hoch; es kam mir zum Bewußtsein, daß ich allein im Haus war. Wie, wenn die Zigcunerburschen in dieser Nacht einen Anschlag auf mich beabsichtigten? Es schien mir jedenfalls die einzige Möglichkeit, wie die Wahrsagung sich erfüllen könnte. Vielleicht hatte das Weib von dem Plan ge hört und hatte mich warnen wollen aus Dankbarkeit. Was war zu tun? Aber natürlich, es gab nur einen Weg: ich mußte augenblicklich die Polizei des nahen Städtchens anrufen und meinen Verdacht mstteilen. Ich zögerte nicht und ergriff den Hörer. Aber ich hatte ihn kaum abgehoben, als mir auch schon mein Hilferuf an die Polizei wie eine ausgemachte Feigheit eines Narren erschien und der Gedanke des Zigeunerüberfalls als eine lächerliche Ausgeburt meines unbegreiflichen Aberglaubens. Warum sollten diese harmlosen Leute gerade mich überfallen wollen, wo ich einem ihrer Kinder geholfen hatte und weiter helfen mußte? Und selbst wenn sie sich von einem Ueberfall auf mein Haus einen lohnenden Gewinn versprachen, wie sollten sie so dumm sein, daß sie sich nicht selbst sagten, diese Tat werde schnell bekannt und man wurde sie auf alle Fälle verdächtigen. Der ganze Gedanke schien mir vollkommen unsinnig, und ich lachte mich aus wegen meiner Feigheit. Ich legte den Hörer wieder hin und setzte mich wieder an den Schreibtisch, um in meinen Zeitschriften weiterzulesen. Aber auch dieser Versuch, zur Ruhe zu kommen, schlug fehl. Zwar beobachtete ich meinen eigenen Zustand gleichsam wissenschaftlich als eine psychiatrisch nicht uninteressante Tatsache, aber das änderte nichts daran, daß das Geschwätz des Weibes mich in eine Aufregung hineingesteigert hatte, die mir sonst fremd war und mit der ich nicht fertig wurde. Da ich bald merkte, daß es mit gewissenhafter Arbeit an diesem Abend doch nichts mehr war, beschloß ich zu Bett zu gehen. Ich räumte noch etwas auf, begab mich in mein Schlaf zimmer und begann, mich auszukleiden. Aber immer wieder erschien das Bild des von Erregung zitternden Weibes vor meinen Augen, und ich mußte, ob ich wollte oder nicht, darüber grübeln, ob und wie sich die Wahrsagung erfüllen könne. Ich war schon im Schlafanzug und im Begriff, ins Bett zu gehen, da hörte ich ein Geräusch von der Straße her; es mußte an meinem Haus sein. Ich fühlte mein Herz pochen; atemlos lauschte ich in die nächtliche Stille. Ja, jetzt war es wieder da, es war ganz deutlich; es mußte sich jemand an der Haustür etwas zu schaffen machen. Vielleicht wollte man mich zu einem Kranken rufen. Aber warum schellte man nicht? War da doch irgend ein Einbruch oder ähnliches im Gang? Meine Hände zitterten. Eine ungeheure, kaum noch zu ertragende Spannung war in mir. Jetzt mußte es sich ja her ausstellen. Trotz meiner wahnsinnigen Erregung benahm ich mich aber vollkommen beherrscht, oder wenigstens glaubte ich es zu tun. Für alle Fälle nahm ich meinen Browning aus der Nachttischschublade und eilte zum Fenster. Wer da geschah etwas Unerwartetes: Ich rutschte aus, schlug hin, fluchte, hörte im selben Augenblick einen Schuß. Mein letzter Gedanke war: Nun hat sie doch recht behalten! Ich fand mich wieder im Krankenhaus des nahen Städt chens. Was war geschehen? Ich hatte die Pistole in der Hand gehabt, als ich ausrulschte; beim Fall war der Schuß losgegan gen, sei es, daß sie sich selbst entsichert hatte, sei es, daß sie, wessen ich mich aber nicht entsinne, von mir schon entsichert, worden war. Die Kugel war in die Brust gedrungen, hart an der Lunge vorbei, hinten atz einer Rippe abgeglitten und halbseitlich wieder herausgekommen. Durch das Aufschlagen des Hinterkopfes auf die Tischkante hatte ich die Besinnung verloren und eine leichte Gehirnerschütterung davongetrcgen. Drunten vor der Haustür hatte die Zigeunerin gestanden, die in ihrer Unruhe vor mein Haus-gekommen war und die Klingel in der Finsternis nicht hatte finden können. Als sie den Schuß gehört, hatte, war sie ins Dorf und zur Polizei gelaufen. Man hatte Mich stark blutend und bewußtlos gefunden, an der Erde liegend, und ins Kranken haus gebracht. Hätte die Frau nicht vor der Tür gestanden und gleich Hilfe geholt, so hätte nach Aussage der Aerzte Verblutung eintreten können. Aber hätte die Frau nicht vor der Tür die Klingel gesucht, so hätte ich nicht die Pistole ergriffen So erfüllte sich die Wahrsagung des Zigcunerweibes gerade deshalb, weil sie mir gegeben war und weil ich ihr hatte ent weichen wollen. War auch für mich dieser Unfall als solcher bedeutungslos, er hat mich doch gleichsam einen Blick in die Werkstatt des Schicksals tun lassen, das wie im Unwichtigen und Nebensächlichen auch im Großen uns lenkt, freilich meistens ohne daß wir die geheimnisvollen Verschlingungen seiner Fäden zu Gesicht bekommen." es in seinem Ge' Lehnerhaas hängt das lange Schüreisen an einen Haken., Jetzt taumelt er durch Dunst und Rauch und stickige Schlacken-! glut der Tür zu. Es ist ein altes, schmieriges Tuch, mit dem' er sich flüchtig Gesicht und Oberkörper trocknet. Die Haares Neben wirr auf der Stirn. Aber es grbt kein Verschnaufen.' Zkur ein paar Mal die Lungen bewegen m frischer, freier! Luft, einen Blick hinauf tun nach dem Wald, der über diel Berge herüber, bis dicht vor die Fabrik kommt. Nein, der. Wald paßt nicht hier her in das Geheul der Maschinen und' das Gedröhn der Hämmer, er ist wie etwas Fremdes, wie; ein aufdringlicher Sonnenstrahl im Keller. Der Heizer nimmt die eiserne Radkarre die vor dem- Kesselhaus steht, fährt hinein vor die Feuerung und schippt die schwere Schlackenglut auf. Nur raus mit dem Dreck! Nach zehn Minuten ist es geschafft. Die Umriffe des, Kessels werden wieder sichtbar, die blitzenden Manometer, die runden Wasserstandsgläser. Der Rauch hat sich verzogen, vor' der Feuerung herrscht wieder wassergespülte Sauberkeit. Da kommt ein Mann zwischen den Keffelgängen hervor- tzeflucht. Der Maschinist. „Mensch! Wir brauchen Dampf! Maschinensaal fünf ist angeschlossen, die Maschine schafft es nicht mehr! Dampf! Dampf!" Der Maschinist und der Heizer sind einander spinnefeind. Nicht wegen de; Arbeit. Arbeit macht nicht uneins, da »mer Irr VszzelÄiuukglsz rrrbrickt Zkirre von Seokg Veaewann-Lbemnilr Lehnerhaas sieht die zwölf Atmosphären. Wieder zuckt es in seinem Gesicht. „Verflucht! Ich bin nicht blind! Der Kesselstein! Ich krieg keinen Druck mehr drauf! So, nun aber raus, du Oelschwein!" Es macht ihm schon lange bittere Qucck, daß alles Mühen und Schuften vergeblich ist. Selbst das Schimpfen und Fluchen hat keinen Sinn mehr. Das einzige, was helfen könnte, das sind zwei Wochen Ruhe für den Kessel und zwei ordentliche Keffelreiniger. Der Lehnerhaas nimmt die große Schippe, reißt die Feuertür auf. Eine Helle Glut verwandelt seinen Körper in Bronze. Aber die Brouze lebt. Wie die Muskel sviele« beim vom andern abhängt. Nein, wegen eines Mädchens' im Dorf, wegen der Lydia, das ist es, was die beiden entzweit hat. Der Heizer tut. als sähe er den andern gar nicht. Er stellt das Pumpwerk ab, daß es Plötzlich ganz stille ist im Raum, und prüft mit unbeteiligtem Blick die Apparaturen. „Mensch, hörst du nicht, du Ochse! Dampf brauche« wir!" Jetzt dreht der Lehnerhaas dem Dill die Weißen Augapfel zu. Seme Zähne mahlen. Er spuckt in hohem Bogen in die Kohle. „Scher dich fori, du Affe!" Der Maschinist überhört es. Er zeigt verächtlich auf das Monomerer. „Dampf! Mensch! Lumpige zwölf Atmosphären! Wir Heizen doch keine Puppenstube!" Lehnerhaas sieht die zwölf Atmosphären. Wieder zuckt Schwung der Kohlenschippe! Wie der Schweiß in schwarze»' Rinnsalen über Gesicht und Körper rinnt! Der Heizer schippt und schippt. Es ist eine gute Glut in der Feuerbuxe, das läßt sich nicht leugnen. Das Dampsstrahlgebläse zischt. Lehnerhaas winkt mit der Kopf nach der Feuerung. „Ist das ein Feuer?" brummt er. Dann fliegt die Feuertür zu. Dill antwortet nicht. Ein böser Trotz steckt in ihm. Er lacht. Das ist dem Heizer wie ein Hohn. Wenn er ihn jetzt an die Wand drücken könnte, so mit beiden Fäusten! Das zuckt und krampft in den Fingern, und man muß es doch Wohl bleiben lassen. Freilich, bei Lydia ist der Till stark im Vorteil. Die Hände sind nicht so eckig, seine Bewegungen so geschmeidig, und mit der Fresse ist er wohl auch ein bißchen besser weggekommen. „Was stehst du hier herum?" knurrt Lehnerhaas. Aber der Dill lacht wie lauter Spott, und sein Blick ist noch -mmer bei den Manometern. „Das rührt und regt sich nicht!" stichelr er. ,Kannst du es ändern, Toffel?" „Ich will sehen!" bemerkt der Maschinist. Er ergreift eine Letter, lehnt sie an die Kefselwand, klettert hinauf, dicht beim Wasserstandsglas vorbei. Der Heizer hat einen derben Fluch auf der Zunge. Aber der erstickt in einem seltsam zischenden Knall. Im Augenblick steht das Kesselhaus unter Dampf. Ein verzweifelter Schrei kommt von der Leiter he^ dann ein dumpfes Fallen. Sekunden steht Lehnerhaas wie versteinert im Dampft Dann kommt Bewegung in ihn. Mit Blitzesschnelle rastet sich sein Körper durch die zischende, heiße Wand. Jetzt erreicht, er die Leiter. Am Boden liegt Dill und windet sich wie ein Wurm. Der Heizer erklimmt die Leiter, ein kochender Wasser strahl peitscht ihm über den Leib. Er schreit auf vor Schmerz. Ihn schwindelt. Doch schon erreicht seine Hand den Sicher heitshahn des Wasserstandsglases. Mit letzter, verzweifelter Kraft drückt er ihn herum. Das Zischen verstummt. Langsam taumelt Lehnerhaas die Leiter herunter. Noch kämpft sein zäher Wille gegen ein Unterliegen. Seine Ver brühungen sind schwer. Aber mit kräftigem Arm Packt er den Dill, schleift ihn hinaus aus dem Kesselhaus, auf eine Bank. Dann legt er sich lang auf die Erde und brüllt, brüllt vor Schmerz In der Sanitätsstube liegen sie nebeneinander, der Lehnerhaas und der Dill. Vor einer halben Stunde wurden sie von einem Arzt gehandelt. Sie liegen da und starren nach der Decke. Der Sanitäter sitzt mit im Raume. Eine Uhr tickt. Eine Weiche, weiße Stille.,, Lehnerhaas wendet den Kopf ein wenig dem andern zu. „Er hat mich rausgeschlcppt", denkt Dill. Er wendet auch den Kopf, nur ein winziges Stück, wie es die Umstände er-i lauben. Die Blicke begegnen sich, fragende, suchende Blicke,, sie sind wie ein sanftes, vergebendes, abbittendes Lächeln.! Dann gehen sie wieder der Decke zu. Es ist alles gut, alles vergessen. Vielleicht sogar die Sache mit Lydia. Für beide.' „Sowieso", denkt einer wie der andere. Und dann werden die Augenlider schwer. Die Stille hat sie in einen wohltuende«!, Schlaf gehüllt. Der forsche Aillv. Heitere Skizze von Th. v. Hanfstengel. Willi war das, was man eine Seele von einem Menschen' nennt. Er würde sich selbst gegen hohe Belohnung geweigert' haben, einer Fliege ein Bein auszureißen. Seit acht Tagen aber nennt ihn niemand mehr anders als den „forschen Willi". Von allen Seiten war Willi geraten worden: „Mehr Forsche, mein Lieber! Man muß auch mal auf den Tisch schlagen können." Willi hatte in seinem Leben nie daran gedacht, auf den Tisch zu schlagen. Er wußte gar nicht, wie man das macht. Aber er nahm sich vor, es bei passender Gelegenheit zu versuchen. Denn er hatte eine hungrige Familie zu Hause, und vielleicht war er nur deshalb ohne Verdienst, weil er nicht den Mut ge funden hatte, im passenden Augenblick auf den Tisch zu schlagen. Es ist jetzt gut acht Tage her, da sah man Willi dem Bank haus zustreben, offenbar in der Absicht, sein bescheidenes Gut haben abermals zu verkleinern. Aber man merkte ihm seine Not nicht an. Forsch wollte er sein, forsch um jeden Preis! Das hatte noch einen besonderen Grund: Bei F. W. Weber war eine Stelle frei, er hatte sich vorgestellt, war vornotiert, aber mit der Bemerkung, man brauche eine erste Kraft — Schneid, Forsche seien Vorbedingung... Willi betrat den Schalterraum der Bank. Beim Anblick der vielen Menschen wollte ihn schon der Mut verlassen. Aber er besann sich rechtzeitig. Dori drüben lud ein Ecksofa zum Sitzen ein. Ein Plätzchen war noch frei, oder genauer, es war besetzt mit einem umfang reichen Korbe, einer Aktentasche und einem Herrenhut. Willi wäre früher vor diesen drei Gegenständen zurück geschreckt und hätte sich bescheiden in den Schatten eines Pfeilers gestellt. Heute aber ging er auf den Sofaplatz zu, ergriff den Korb und stellte ihn auf die Erde, nahm die Aktentasche und lehnte sie an das Sofabein, faßte den Hut und hängte ihn an einen Haken. Ein junger Bursche, der daneben stand, sah sich wortlos nach dem forschen Willi um. „Man muß diese-jungen Leute zur Ordnung erziehen", sagte Willi zu seinem Nachbar, während er sich auf das frei- aemachte Plätzchen zwängte. „Wie kommt so ein junger Mensch dazu, seine Sachen hier auf dem Sofa abzulegen!" Der Herr schien keine Unterhaltung zu wünschen. Da griff WM, forsch wie er war, nach einer Zeitung. Der junge Mensch War abgesertigt. Er nahm de« Korb und entfernte sich. Willi wurde stutzig. Die Aktentasche, der Hut — gehörten sie etwa jemand anders, etwa gar dem schweigsamen Nachbar? Der stand gerade auf und trat an den Schalter. WM sah ihm nach, wurde blaß — denn der da mit wuchtigen Schritten zum Schalter ging... war es nicht der Chef des Haufes F. W. Weber, der eine erste, forsche Kraft brauchte und Willi vor notiert hatte?! Die Höllenqualen der Ungewißheit, die Willi ausstand, waren fürchterlich, aber kurz. Schon nach wenigen Minuten hatte er die schreckliche Wahrheit. F. W. Weber war es, er kam zurück, griff nach der von dem forschen Willi an das Sofabein gelehnten Aktentasche, nahm den von Willi aufgehängten Hut und entfernte sich schweigend. Heute ist Willi zu F. W. Weber befohlen worden. Der Chef des Hauses steht mit strenger Miene vor ihm: „Sie haben sich da neulich etwas, sonderbar aufgeführt, mein Lieber. Sie er innern sich, nicht wahr?" „Jawohl", haucht der forsche Willi. „Wie würden Sre sich heute in demselben Falle verhakten?" Pocht da bei Willi das Schicksal an? Ruft da auf einmal eine Stimme in seinem Herzen: Forsche — Forsche! Willi sieht dem Chef in die strengen Augen, dann sagt «r „Ebenso, Herr Weber." „Sie sind angesteüt", sagt F. W. Weher.
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