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weil Iw klia. Ü^L^SL<2L^L^2<VV»V»2^>L<v2^»»2^2^VIXVL^>ZXvr^rV» dem altertümlichen Gutsschloß, mehrere Unterbeamten, die vorzüglich eingearbeitet seien, ständen ihm mit praktischen Erfahrun gen zur Seite, und daß Otto Eberhard ein zwar strenger, aber niemals knauseriger Herr war, darüber waren kaum noch Worte zu ver lieren. Der behagliche Wohlstand aller seiner Untergebenen zeugte zur Genüge dafür. Freilich würde der Nachfolger eines so ge wissenlosen Schurken, wie der ehemalige Ver walter von Groß-Werder es gewesen war, eine scharfe Aufsicht sich gefallen lassen müssen, bis er überzeugende Beweise seiner Treue und Redlichkeit gegeben habe, doch dies würde ein ehrlicher Mann ja nicht zu scheuen haben und nach dem Vorangegangenen auch begreiflich finden. Leontine hatte diesen erregten Bericht mit größerer Aufmerksamkeit angehört, als Frau Eberhard ahnen konnte, und immer wieder drängte sich ihr der Gedanke auf, daß Robert mit seiner peinlichen Gewissenhaftigkeit sicher lich der rechte Mann für einen solchen Posten sein würde. Aber schon der Gedanke an die Möglichkeit, bah sie ihrem unglücklichen Bru der zuliebe sich zu einem so demütigenden Gesuch an Herrn Eberhard wenden müsse, trieb ihr die Röte der Scham in die Wangen. Wochenlang hatte sie nur den einen heißen Wunsch gehegt: „Ach, möchte dieser Bittgang, dieser Kreuzesweg dir erspart bleiben! Möch ten sich für Robert doch andre Türen auftun! Möchte er doch auch ohne mich finden, was er wünscht!" Doch dieser Wunsch wurde nicht erhört. Leontine hatte den Ihrigen Roberts Ent schluß mitgeteilt, und Frau von Helldorf bil ligte denselben mit einer Ruhe und Opfer freudigkeit, welche ihre Töchter in Erstaunen setzte. Sehr bald erkannten die Damen auch, wie begründet das Verlangen des jungen Offi ziers war. In derselben Nacht, da er jenen aufge regten Brief schrieb, erkrankte er an einem heftigen Nervenfieber, er brachte die größte Zeit feiner Festungshaft im Lazaret zu und weilte feit seiner Entlassung auf den drin genden Rat des Arztes in einem Luftkurort, um körperlich und geistig gänzlich zu gesun den. Man hatte zeitweis das Schlimmste für ihn befürchtet, und ärztlicherseits war sein Abschiedsgesuch auf das Lebhafteste befür wortet worden. Da Frau von Helldorf überzeugt war, daß nichts günstiger auf den Gemütszustand ihres Sohnes wirken konnte, als wenn er so bald wie möglich sichere Auskunft für seine Zukunft erlangte, wendete sie sich mit zahl losen Gesuchen an Verwandte und Bekannte, welche Güter besaßen oder zu angesehenen Landwirten in Beziehung standen. Uber immer dieselbe Antwort! Unter Ausdrücken der herzlichsten Teil nahme und des aufrichtigen Bedauerns wurde ihr versichert, daß die in Frage kommende Stellung auf das Vorzüglichste ausgefüllt sei, auch Robert nach so kurzer Ausbildungs zeit einem solchen Posten kaum gewachsen sein dürfte. Als Volontär würde er dagegen überall willkommen sein. Auch empfehle man ihm einige Semester gründlichen Studiums an einer landwirtschaftlichen Hochschule. „Das alles hätten wir uns selbst sagen können," seufzte Frau von Helldorf, „und so hart es für Robert ist, mit siebenundzwan zig Jahren von vorn anzusangen, so werden wir schließlich diesen Ratschlägen doch folgen müssen. Wer etwas Tüchtiges leisten will, der muß auch etwas Tüchtiges gelernt haben. Und — lieber Gott!" Sie sah mit banger Sorge gen Himmel. „Du wirst weiter helfen, wie Du bis heut geholfen hast!" In diesem Sinn hatte sie auch an Ro bert geschrieben, doch antwortete dieser mit all dem verzweifelten Eigensinn eines Kran ken, daß er lieber Tagelöhner werden, als seinen Angehörigen noch weitere Opfer auf erlegen wolle. Sobald er nur wieder fest auf seinen Füßen stehe, wolle er sein Schicksal selbst in die Hand nehmen, und er bäte Mutter und Schwestern dringend, die großen Aus gaben, die ihnen seine Erkrankung verur sachte, als die letzten zu betrachten, die er ihnen jemals bereiten würde. Aus jeder Zeile sprach der Schmerz da rüber, daß sie für ihn arbeiteten und kargten, die drei an jede Bequemlichkeit gewöhnten Frauen, und der heiße Wunsch, sobald als möglich eine bescheidene Stellung zu finden. Leontine verbrachte nach dem Empfang dieses Briefes eine schlummerlose Nacht. Nun bot sich ja nur noch eine Möglichkeit, das Versprechen einzulösen, welches sie dem armen Jungen gegeben hatte. Und war es nicht Torheit, auf diefe Möglichkeit irgend welche Hoffnungen zu bauen? Der Mann, dessen ersten Annäherungs versuch sie als Zudringlichkeit abgew-iesen hatte, den ihr spöttisches Lächeln wie ein Peitschenhieb verwundet hatte, und der ein ganzes Jahr hindurch die eisigste Gleichgül tigkeit ihr gegenüber zur Schau trug, — der sollte ihr gewähren, was die nächsten Freunde ihr wohlmeinend versagt hatten? Und nur um sich eine schroffe, höhnische Abweisung zu holen, wollte sie sich zu einer Bitte erniedrigen, — einer Bitte, die sie kaum in Worte zu kleiden vermochte, so peinlich war sie ihr! Sollte sie lieber schreiben? Nein, nein! Feige war Leontine von Helldorf nicht. Geradeaus! Das war für alle Fälle der nächste und beste Weg. Als der Morgen dämmerte, lag Leontine immer noch wach und rang mit ihren Ge danken. Nie, niemals hätte sie sich einer solchen Demütigung ausgesetzt, wenn es sich um ihr eignes Wohl gehandelt hätte. Das wußte Gott! Aber ihren Bruder, der sein Leben für ihre Ehre eingesetzt hatte, dem war sie jedes Opfer schuldig, — ja, auch dieses! Ueberwacht und matt war sie aufgsstan- den, um mit schweigsamem Ernst den ge wohnten Pflichten obzuliegen. Immer naher rückte die gefürchtete Nachmittagsstunde, und nun kämpfte sie sich durch Sturm und Wetter dem Elsenhof zu. Das Städtchen lag hinter ihr. Mit rasender Gewalt brauste der Sturm über die Stoppeln und peitschte die schlanken Obst bäumchen, ganze Neste aus ihren Kronen bre chend und zu Boden schmetternd. Vornübergebeugt, mit versagendem Atem arbeitete Leontine sich Schritt für Schritt weiter. Ihre Schläfen hämmerten, die Glie der wurden ihr schwer, aber sie mußte vor wärts, sie mußte heut den Herrn des Elsen hof sprechen, denn nicht zum zweitenmal wollte sie die Qualen durchmachen, welche dieser Entschluß ihr seit gestern abend ge kostet hatte. Noch auf diesem Weg schalt sie sich hun dertmal eine Närrin, die eines Wahnes we gen sich peinigte, denn ein Erfolg ihrer Bitte war ja von vorn herein ausgeschlossen, aber wie von einer krankhaften Idee beherscht, sagte sie sich immer wieder: „Ich bin es Ro bert schuldig!" Ach, es ging nicht mehr. Keuchend klam merte sie sich an einen Baumstamm. Ihre Brust schmerzte. Ihre Füße versagten den Dienst. Das war die durchwachte Nacht, das war die gräßliche Aufregung, deren Wir kungen sie jetzt so völlig lähmten. Was war das nur? Feld und Himmel und Weg ver- schwammen vor ihren Blicken zu einem un durchdringlichen Nebel, und dann verließ sie das Bewußtsein. Nach etwa einer Stunde erwachte sie aus ihrer Ohnmacht. Verwirrt richtete sie sich.auf und blickte um sich. Ruhe und milde Wärme umgab sie. Ein köstliches Bild in breitem Goldrahmen, — eine Dorfstraße im Mondlicht darstellend, — schaute von hoher Wand auf sie herab. Sie lag in weichen Decken, feine weiße Seide schmiegte sich um ihre Glieder, und in gold- nen Wellen rieselte ihr gelöstes Haar auf den Teppich. Ach, und da saß Frau Eberhard und sah sie mit besorgten Mienen an. Gottlob! Sie war in dem großen, prachtvoll eingerichteten Schlafzimmer der Gutsbesitzerin. Leontine lächelte, und eine feine Röte stieg in ihre Wangen. Ein selt sames Wohlbehagen kam über sie, und in köstlicher Müdigkeit schloß sie wieder die Augen. Die alte kränkliche Dame blieb still bei ihr sitzen und betrachtete mit fast andächtiger Bewunderung das entzückende junge Gesicht, das ihr mit diesem weichen, träumerischen Ausdruck ganz fremd erschien. Sie hatte ihrem Sohn oft geklagt, daß sic trotz des häufigen Zusammenseins mit ihrer jungen Vorleserin dieser innerlich nicht näher komme. Trotz aller liebenswürdigen äußern Formen sei das Fräulein von Helldorf eine so verschlossene und wenig anschmiegende Na tur, daß von einem herzlichen gegenseitigen Verstehen nicht die Rede sein könne. Und nun lag sie hier so hilflos, die schö nen Züge voll kindlicher Reinheit und Güte, — tiefe Wehmut und stille Ergebenheit in dem Ausdruck des sonst so hochmütigen klei nen Mundes, der jetzt ein paarmal bange nach der Mutter rief. Frau Eberhards Augen feuchteten sich. Welche Kämpfe und Gedanken mochte diese weiße Stirn bergen? Welches würde das Schicksal dieses reizenden Mädchens sein, das nur für Glück und Liebe geschaffen schien? Leontine hatte ihr nur sehr karge Mit teilungen über ihre häuslichen Verhältnisse gemacht, doch war Frau Eberhard durch Dritte recht eingehend über die Familie von Helldorf unterrichtet worden und war voll Teilnahme für das Schicksal der drei vor nehmen und tüchtigen Frauen. Aber schienen nicht Leontines kühle Augen täglich zu sagen: „Wir bedürfen dieser Teil nahme nicht. Wir würden einem Fremden niemals gestatten, auch nur mit einer ver traulichen Frage in unsere Angelegenheiten sich zu mischen!" Ja, es war für Frau Eberhard wie ein Wunder, daß das steife, adelsstolze Fräulein von Helldorf heut als eine völlig andre auf ihrer Ruhebank lag. Ein süßes, trauriges, banges Kind hatte sich zu ihr verirrt, ein gutes unschuldiges Kind, in dem kein Arg war, und welches ihr mütterliches Herz in dieser Stunde für immer besiegte. In einem solchen Zustand vermag der Mensch nicht zu täuschen, und man brauchte