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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.03.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-03-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050323021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905032302
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905032302
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-03
- Tag 1905-03-23
-
Monat
1905-03
-
Jahr
1905
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Annohmrschlutz für Anzeige«: Abeud-AuSgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind stet« an die Expedition zo richten. Extra-Beilage« «nur mit der Morgen- AuSgabe) nach besonderer Vereinbarung. Die Expedttia« ist wochenrag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« abends 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Paiz in Leipzig lguh. vr. B„ R. L W. Lltukhardtl Nr. 150 Donnerstag den 23. März 1905. 99. Jahrgang. Var Wichtigste vom Lage. * Der Kaiser hat heute morgen vou Cuxhaven aus die Mittelmeerfahrt augetreten. * Heute Abend wird «ach dem „B. T." Rudini in Rom erwartet, der plötzlich von seiner Afrikareise zurück kehrt. Rudiui dürfte eventnell in daS Ministerium ein treten. * In Kntno im Gouvernement Warschau sind sieben Bauern infolge eine« Zusammenstoßes mit Militär getötet worden. (S. die^isis in Rußland.) Nach dem Daily Telegraph sieht daS japanische Flotteuprogramm den Bau von 12 Linienschiffen und 12 Kreuzer» vor. (S. russ.-jap. Krieg). Lu« sächsische« 6emein<letage. Heute hat sich in Dresden der sächsische Gemeindetag zu einer außerordentlichen Tagung versammelt, um zu -er von der Staatsregierung geplanten Neuregelung des Gemeindesteuerwesens Stellung zu nehmen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, -aß die Beschlüsse des Ge- meindetageS von großem Einfluß auf die Staatsregie- rung und den Landtag sein werden. Ist doch der Ge meindetag, -em allerdings eine stärkere Teilnahme rein ländlicher Gemeinden zu wünschen wäre, die berufenste Vertretung der Gesamtheit -er sächsischen Gemeinden, und seine Stimme hat entschieden Anspruch darauf, bei der Neuregelung des Gcmeindesteuerwesens gehört zu werden. Natürlich sind, wie bei allen solchen Tagungen, die Referenten schon vorher bestellt, und da die zu -en Referaten aufgestellten Leitsätze bereits vorliegen, so dürfte es, obwohl ihrs teilweise Aeniderung nicht ausge schlossen ist, für weitere Kreise von Interesse sein, wenn wir -isse Leitsätze in ihren wichtigsten Punkten hier be- sprechen. Eine grundlegende Bedeutung hat gleich der erste Satz: „Der sächsische Gemeindetag hält eine gesetzliche Regelung des Gemeinde- steuerwesens für notwendig." Darin liegt nicht nur die. Anerkennung desRechts -er Staatsregie rung zur Regelung des Gemeindesteuerwesens, sondern es wird zugleich die Notwendigkeit einer solchen Regelung betont. Es bedarf keines Hinweises, wie wich- tig es für die Regierung ist, bei ihrem Vorgehen sich darauf stützen zu können. Eine allgemeine Bedeutung hat dann der Satz: „Die Gemeindesteuerreform hat sich auf das Schul st euerwesen mit zu erstrecken." Dem kann ohne weiteres beigepflichtet werden, denn die politische Gemeinde ist der Grundpfeiler für die Schul- gemeinde. Sollte der letzteren mit ihren starken Bedürf- nissen ein Sonder steuerrecht zugestanden werden, so wüvde die gesetzgeberische Regelung des Gemeindesteuer- wessnS zu einem großen Teile illusorisch gemacht. Was sodann das Kirchensteuerwesen anbelangt, so wird —nach Verabschiedung der Gemeinde- und Schul steuerreform — eine Neuregelung auf Grund vorheriger eingehender statistischer Untersuchung für wünschens- wert erklärt. Man hätte hier ruhig das Wort „not- wendig" setzen können. Gehen wir nun zu den einzelnen Steuern über, so soll nach den vorliegenden Leitsätzen „die Einkom - men st euer im System der Gemeindesteuer dieHaupt- steuer sein." Das ist sie schon in den Städten und auch in allen den Landgemeinden, die mehr oder weniger Industrie aufzuweisen haben. Daneben waren aber nach der letzten Gemeindesteuerstatistik 1391 Landgemeinden mit 348 107 Einwohnern vorhanden, die keine Ein kommensteuer erhoben. Sie behelfen sich in der Haupt sache mit der Grund- und Kopfsteuer, zwei Steuer arten. die den rein ländlichen Verhältnissen ganz gut angepaßt sind. Für diese würde die obli gatorische Einführung dar Einkommensteuer einen völligen Umschwung im bisherigen Steuersystem bedeu ten. Eine absolute Notwendigkeit vermögen wir hierfür nicht anzuerkennen. „Diese Einkommensteuer" — so wird in den Leit sätzen fortgefahren — „erfordert grundsätzlich eine Er gänzung durch eine allgemeine Vermögens steuer, um das fundierte Einkommen nach der Leistungsfähigkeit stärker zu treffen." Und gleich im Anschluß hieran heißt cs: „Jedenfalls ist eine Grundsteuer obligatorisch zu fordern". Hieraus wird man sehr schwer klug. Neben einer Grund steuer kann es doch niemals eine allgemeine Ver mögenssteuer geben, sondern nur — unter Weglassung des immobilen Vermögens — eine Ergänzungssteuer. Soll also etwa in erster Linie die allgemeine Ge meinde-Vermögenssteuer. und dann etst in zweiter Linie, wenn diese allgemeine Steuer nicht erreicht wird, die obligatorische Grundsteuer gefordert werden? Fast scheint es so — und doch: Sollten die Gemeinden der noch umherfliegenden Taube halber den feiten Spatzen aus der Hand geben wollen? Wir glauben es nicht. Im übrigen wollen die Gemeinden auf dem Gebiete des Einkommen- und des Grundsteuerwesens völlig freie Hand behalten. Die Staats skala wollen sie zwar bei der Einkommensteuer akzeptieren, nicht aber den dazu gehörigen Tarif, vielmehr ist den Gemeinden nachzu- lassen, selbständige Steuersätze aufzu stellen, jedoch unter Wahrung einer progressiven Be lastung." Diese letztere Bestimmung ist ganz belanglos, denn sic würde die Steuerzahler vor Uebcrbürdung nicht schützen. Da war der Deputationsbeschluß der II. Kam mer viel besser, wonach die Gemeindeeinkommensteuer einen bestimmten Prozentsatz der Staatseinkommensteuer nicht übersteigen darf. Das scheint den Ge meinden aber ein Stein des Anstoßes zu sein. Was die Grundsteuer anbelangt, so wird in den Leitsätzen nur eine Minde st grenze (der Betrag der Staatsgrundsteuer) gezogen, nicht aber eine Höch st grenze. Letztere wäre doch wenigstens da not- wendig, wo der Grundbesitz schon bei der Veranlagung zur Einkommensteuer getroffen, also doppelt.herange- zogen wird. Auch hierin müssen wir einen Mangel er blicken. Hinsichtlich der übrigen Steuerarten ist wenig zu be merken. Mit der obligatorischen Besitzwechselab- gäbe kann man sich einverstanden erklären, ebenso mit ihrer Höhe (0,5—2.0 Proz.). Desgleichen ist der fakul- tativen Einführung der Wertzuwachssteuer für unbebautes Gelände beizustimmen. Fakultativ soll ferner sein die Betriebssteuer für Branntwein- und Spiritus-Kleinhandel, sowie die Gewerbesteuer. Endlich soll auch die U m s a tz st e u e r nicht obligatorisch, sondern nur gestattet sein, so daß auf diesem heiß um strittenen Gebiete alles beim Alten bleiben würde. Als obligatorisch wird dagegen die Einfüh- rung einer Biersteuer und einer Tanzsteuer gefordert. Der Stand der Gastwirte und Saalinhaber dürfte hierüber hübsch erregt werden. waS den Herren im Grunde genommen niemand verargen wird. Ob es ihnen freilich bei der stetig wachsenden Finanznot der Gemeinden gelingt, auf die Dauer einer Besteuerung zu entgehen, ist zweifelhaft. Es hat den Anschein, daß von den Gemeinden gewünscht wird, die Regierung möge ihnen zur Erlangung dieser recht er- tragreichen Steuern helfen. Dann vermeidet man den Kampf in der Gemeinde. Im ganzen gewinnt man aus den Leitsätzen den Eindruck, daß die Gemeinden die von der Regierung an- gestrebte Neuregelung des Gcmeindesteuerwesens be nutzen wollen, um sich nun ihrerseits an einen gedeckten Steuertisch niederzulassen. Das ist aller dings bei Einbringung des Gesetzentwurfs nicht die Absicht der Regierung geivcsen, und so dürfte der „ge meinsame Boden" für die Wünsche der Regierung und der Gemeinden sich nicht leicht finden lassen. Vie Krisis in Knsrlanü. Ktknumen -er Ltnkehr. Man schreibt uns aus Petersburg: Unter dem Wust von Betrachtungen, Vorschlägen und Interviews, von denen die russische Presse zur Zeit über- fließt, sind zwei Aeußerungen ganz bemerkenswert. Die eine Stimme, die zur Einkehr mahnt, ist die des Metro politen von Petersburg und Ladoga, Antonius, der m einem „Die jetzige Trauer Rußlands" betitelten Artikel in der „Now. Wr." die schwere Zeit der Prüfungen auf die inneren Streitigkeiten und den Mangel an Liebe zur Kirche zurückfübrt. Der russische Fasching, die „Butterwoche", wird in Lustbarkeiten verbracht. Kein Wunder, daß wir dem Auslande als Zielscheibe für den Spott dienen. Hierin liegt der wahre Schmer; und das Unglück Rußlands. Für uns existiert nichts Heiliges und Unantastbares mehr. Grober Egoismus erfüllt den „Uebermenschen" der Gegenwart. Die Kirche betet um Heilung! Die Brüder stöhnen auf dem Schlachtselde und sterben für uns. Wir aber erblicken unser Heil in Wein, in Theater, in Orgien . . . Dort ist unser Herz, unser Sehnen. Süß mundet unS dieser grobe, niedrige, dämonische Rausch und langweilig ist unS alles Edle, Ernste und Wahre." Der Artikel schließt mit einer Mahnung zur Buße. Der zweite ist Fürst MeschtscherSki, der Gott dafür dankt, daß er in seiner Gnade den Rusten in diesem ganzen Feldzuge und zuletzt bei Mukden keinen einzigen Sieg, sondern eine Reihe von Niederlagen bereitet habe, um da durch das russische Volk zu einer „Wiedergeburt" vor zubereiten. Die Hauptschuld mißt aber der Herausgeber des „Grashd." den Generalen bei, die sich schon im chinesischen Kriege nicht so sehr durch Tapferkeit und Ver stand, als durch barbarischsten Raub einen Namen gemacht haben. „Denn im ganzen Lande, durch daS unsere Truppen zogen und wo sie im Grunde Freunde und Ver bündete und Kundschafter — sogar unter den Chunchusen — bätten haben können, sanden sie nur Feinde, die in deu Russen diejenigen verfluchten, die alle Tempel plünderten (l) und alle kostbaren Gegenstände auS der Mantschurei wegschlcppten ..." „Ich schäme mich nicht — sagte der Fürst — daS vor der ganzen Welt auszusprechen. Denn ich vertraue darauf, daß alle diese Greuel in einer Aera der Wiedergeburt Ruß lands nicht mehr möglich sein werden. Aber in diesem Augenblick, wo Hundertlausende von russischen Leben den Preis für jene Siege des Raubes bilden, den russische Generäle verübten, in diesem Augenblick erlaubt mir meine Liebespflicht gegen Rußland nicht — zu schweigen." Dies alles nimmt sich ja auf dem Papier sehr schön aus, aber die Russen werden es erst durch Taten beweisen müssen, daß ihnen nicht das Wort gilt: „Dies Volk nahet sich mir mit seineu Lippen." Der Tagung der Adelrmarfchälle liegen, wie heute aus Moskau gemeldet wird, zwei Eingaben zur Beratung vor, die die Beendigung des Krieges und Einsetzung aller Kräfte zur Besserung der inneren Lage fordern, wobei die Eingabe der Konservativen die Unter drückung, die Eingabe der Liberalen die Beieitigung der Unruhen verlangt. Ebenso sollen die Adelsmarschälle gemein sam sich zum Zaren begeben. Die Kommission BulyginS soll durch je drei sreigewählte Mitglieder des Adels, der Semstwos und der Städte, zusammen neun, ergänzt werden. Vie Unruhen. Aus Kutno im Gouvernement Warschau meldet ein Telegramm: Auf die Nachricht hin, daß auf der Chaussee beim Gute Lanenti 140 Bauern mit Frauen und Kindern versammelt seien, begab sich der Chef der Landwache mit einer Kompagnie Soldaten dorthin und ließ auf die Leute feuern, trotzdem sich diese ruhig verhielten. Zwei Personen wurden getötet und fünfzig verwundet, davon 20 schwer. Von den Verwundeten starben sieben aus dem Wege nach dem Hospital. Feuilleton. Die Wehrlosen. von Charlotte EilerSgaard. 14) Autorisierte Uebersetzuug vou Wilhelm Thal. rraqvruck verboten. Als sie sich gefaßt hatte und etwas ruhiger geworden war, rief sie: „Warum hat die gnädige Frau mich nicht fort geschickt? Sie brauchte mich garnicht Wetter zu schicken als nach Kopenhagen und mich etwas lernen lassen." „Gott sei Dank, Gott sei Dank, daß es nicht tiefer gegangen ist." Dankbar bewegt, umfaßte Frau Helwig wieder ihr armes, kleines Mädchen, und bei -er Mutter weinte sich nun Karen völlig aus. „Es ist schön, Kind zu sein, ganz Kind, Mutter", sagte Karen matt. „Ja, ja, liebe Karen, aber es ist auch gut, dich zu haben. . . . Und du sollst sehen, wie schön es wird, es wird alles wieder gut. Es kommen auch bessere, lichte Zeiten für dich, mein Kind. Nun dauert es nicht lange, dann ist Erik fertig, und dann kommt die Reihe an dich. Erik wird dir auch helfen, wenn er in Stellung gekommen ist." Karen nickte zu allem, sie fühlte eine tiefe Dankbar- keit gegen die Mutter. Und es war so still, so ganz still in ihr geworden. Frau Helwig ließ die Hand über ihre Stirn gleiten und fühlte, daß sie brannte. Jetzt sollte Karen zu Bett gehen. Sie gehorchte willig. Es war gut, so lange sie die liebevolle Besorgnis der Mutter um sich spürte, aber als sie ganz allein war, kam der Schmerz wieder. Alles war so leer, so furchtbar leer. Und es war fast allzu schwer, zu einen« neuen Tage zu erwachen, der keine Veränderung und keine Freude bringen sollte. Wenn sie noch in diesem Bett immer und immer liegen bleiben konnte, dann war es vielleicht leichter zu ertragen. XXIII. Karen beugte sich wieder unter das einförmige Joch des täglichen Lebens. Sie tat es wie jemand, der da weiß, daß es sein muß. Aber ein Teil der fröhlichen, kindlichen Sorglosigkeit war entschwunden. Vater und Mutter kümmerten sich nun mehr um sie. Sie ließen sie selten allein ausgehen und nahmen sie auf ihre Spaziergänge mit. Diese Aufsicht war Karen peinlich, verletzte gleich- sam ihr Selbstgefühl. Es war also nur eine halbe Verzeihung, die ihr zuteil geworden war. Verstanden sie denn nicht, daß sie nun sicher sein konnten? Noch einmal riskierte sie diese Niederlage nicht. Wie feig war er doch gewesen, daß er sich so gehorsam hinter Tantens Rock versteckt hatte. Um seine Liebe war es wohl nicht besonders bestellt, und mit ihrer eigenen konnte sie auch keinen großen Staat machen. Sie litt gerade nicht vor verzehrender Sehnsucht nach ihm, es war nur diese Leere, diese eigentümliche, sonderbare Leere und dann die Demütigung. Sie saß viel oben auf ihren« Zimmer und war un- ermndlich fleißig. Tas starke Verlangen nach Kennt nissen kam wieder über sic. Aber sie dachte auch daran, wenn diese Sehnsucht wirklich ernst war, so wäre es wohl das Beste, sie entschließe sich selbst und warte nicht erst darauf, bis andere ihr alles zurechtlegten. Wie würden denn die Männer groß? Die meisten fingen wohl als arme, kleine Jungen an und lasen in späten Nachtstunden heimlich jedes Büchelchen, das sie nur in die Hände bekommen konnten. Und Karen ging auf den Boden und holte alle alten Schulbücher der Jungen vor. Sie saß nun bis spät in den Abend und studierte Gran«mattken und Vokabularien, fing auch an, Aufsätze zu machen und übte sich im Uebersetzen. Die Mutter sah den ungeheuren Fleiß mit zufriedenen und lächeln- den Augen an. Sie freute sich, daß Karen etwas ge- funden hatte, waS sie in Anspruch nahm, denn sie merkte ja wohl, daß sie nicht mehr das fröhliche, kleine Mädchen wie früher war. Und außerdem, etwas Kenntnisse blieben ja -och dabei hängen. Das tägliche Leben im Hause wurde jetzt wie stets nur durch die Briefe der Jungen unterbrochen. Don Erik war der Vater am meisten in Anspruch genommen. Jetzt stand sein Examen nahe bevor, und seine Zukunft schwebte mit allem Glanz der Erwartung über ihm. Kaj dagegen hatte ein für alle Male seinen Weg gefunden. Natürlich machte es Helwig Freude, daß Kaj wirt- fchaftlich beständig vorwärts kam, und -aß er in jedem seiner Briefe von der Ruhe und Zufriedenheit schrieb, die das Leben, das er drüben führte, ihm bereitete. . . . Aber er war doch so weit fort. Zu Hause hatten sie gleichsam keinen Teil an ihm. Nur die Mutter verstand zwischen den Zeilen zu lesen, sie verstand, daß Kaj die guten und lichten Seiten gerade so stark hervorzuheben suchte, um das Heimweh zu betäuben, das immer noch in ihm lebte. Auch sie hob das in den Briefen an den Sohn her vor. Sie schrieb: „Es ist gut, daß wir auf beiden Seiten Sehnsucht haben, aber es handelt sich nun darum, uns nicht von ihr unterdrücken zu lassen. Das Leben hat sich für Dich ja kräftig und glücklich gefügt, mein lieber Junge, glücklicher und besser, als wenn Du zu Hause geblieben wärst." „Man muß sich nicht von der Sehnsucht unter drücken lassen", daS schrieb sie so mutig. Und doch hätte sie sich hinwerfen und laut weinen mögen. Aber er sah es ja nicht. Er sah es ja nicht. . .. Sic wollte ihn nur stark und fröhlich wissen. XXIV. Frau .Helwig hing reine Gardinen auf. Eigentlich waren sie gar nicht schmutzig gewesen. Aber da das ganze Haus umgekehrt, geputzt und rein gemacht war, wurden auch sie gleichzeitig erneuert. Frau Helwig trat zurück, uni zu sehen, ob die Falten auch richtig fielen. Sie rief Karen herein. „Findest du nicht, diesmal bin ich recht glücklich ge- wesen. Die Gardinen haben früher nie so schön ge hangen. . . . Und siehst du, Karen, alle Flickstellen sind beinahe bedeckt." Karen war von der Küche hereingekommen, wo sie das Messingzeug geputzt hatte. In dieser Zeit hatte sie die Bücher ganz aufs Regal legen müssen, um der Mutter beim gründlichen Rett» machen Les Hauses zu helfen. Karen bewunderte zusammen mit der Mutter. „Ja, wir haben es fein hergerichtet, wenn unser Prinz heim kommt." „Erik, Prinz Erik", wiederholte die Mutter leist lachend. „Ach, du lieber Gott, der arme Junge, es ist wohl nicht viel Prinzliches an ihm", fuhr sie halbbekümmer» fort, „ein bleicher, überarbeiteter junger Mensch, dem das Leben bis dahin nicht viel geboten hat. Aber Gott sei Dank, nur« kommt bald seine gute Zeit. Und es iss auch gut für ihn, daß er nach Hause kommt. Weißt du, Karen, ich glaube wirklich, der lange Junge sehnt sich noch." ,.Ia, Mutter, Ihr solltet uns hiirausschicken, damit wir Euch schitzci« lernen", jagte Karen ernst. „Jetzt kommt bald an dich die Reibe", versetzte die Mutter uud nahm die Blumen vom Fenster. „Karen, hilf mir, sie unter die Wasserleitung zu tragen, da kann ich sie besser begießen." „Es soll wohl kein Staubkörnchcn an einem Blatt hängen, Muttor, wenn Erik nach Hause kommt?" „Nein, denn Reinlichkeit ist ein schöner Schmuck, mein Kind, und den l>aben wir ja immer, wenn wir eS uns angelegen sein lassen. Findest du nicht, es wird eii« schönes Essen, morgen Mittag. Suppe, junge Hühner und Erdbeeren. Das ist gerade wie ein richtiges Diner draußen in der Villa", lachte die Mutter. Es war gewiß schon das vierte Mal, daß sie das Mittagessen mit der Tochter erörterte. „Und «vir »vollen auch richtig zu Tisch führen. Ich nehme Euik und -ein Pater nimmt dich, Karen." „Jetzt müßten «vir nur noch Kaj haben", versetzte Karen, bereute das aber sofort, als sie sah wie traurig die Mutter wurde.
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