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Vie vkr. Aus dem handschriftlichen Liederbuche eines Schwarzwäl der Uhrmachers geht folgendes ernste Gedicht durch die Presse, dessen Dichter und dessen Tntstehungsursache wohl niemand an geben kann, das aber jeder mit Rührung lesen wird: DieUhr schlägt Eins. Ich war ein Kind, wie war die Zeit mir wohlgesinnt unb flog dahin in Wonnen. Die Ahr schlägt Zwei. Es wächst der Knab', Feld, Wald und Heid' sind seine Lab', frisch fließt der Lebensborn. Die Uhr schlägt Drei. Es wird ungrad, . die Weit ist weit und rauh der Pfad, doch Kraft ist in den Seelen. Die Uhr schlägt Vier. Es winkt das Glück. Ihm nach, ihm nach und nie zurück! Es kann dir gar nicht fehlen. Die Uhr schlägt Fünf. Ich hatt' eine Braut, fie ward zum Weib wir angetraut. Wie war die Arbeit süße. Die Uhr schlägt Sechs. Das Haus ward voll, Der Kinder Lust im Ohr mir scholl, doch Sorg' hat schnelle Füße. Die Uhr schlägt Sieben. Krankheit kam, mich bang und trüb gefangen nahm, mein Weib ging für mich schaffen. Die Uhr schlägt Acht. Ich sah einen Schrein, da legten sie mein Kind hinein, könnt mich empor nicht raffen. Die Uhr schlägt Reun. Ich bin erwacht, . ich hab mein Weib zur Ruh' gebracht, wohl unter grünem Rasen. Die Uhr schlägt Zehn. Das Herz mir brach, Die Kindlern folgten der Mutter nach, haben mich alle verlassen. Die Uhr schlägt Elf. Die Zeit ist stumm, wie einsam ist's um mich Herum, nichts will zurück mir kehren. Genug, genug. Bald schlägt es Zwölf. Den letzten Schlag, Gott Helf, Gott Helf, werd' ich ihn endlich hören! Paul Müller. Advenisliebe. Phil. 4, 5: Eure Lindigkeit lasser kund sein allen Menschen. Die letzte Vorbereitung zum Weihnachtsfest ist überall im Gange. Die Herzen bewegt immer mehr das Fragen: Wie kann ich noch eine Liebe bereiten? Viele können nichts, viele wenig, fast alle weniger als sonst schenken. Es wird denen, die nichts schenken können, sehr weh tun, wenn die Kinderaugen stumm suchen oder bange fragen. Advenisliebe: laßt uns andere suchen, ob wir da nicht doch noch einspringcn können? Adventsliebe: Eltern, die ihr nicht schenken könnt, schenkt ihnen dann etwas Zärtlichkeit, schenkt ihnen, daß ihr nicht bitter seid und die kleinen Herzen auch noch verbittert, schenkt ihnen, was ihr sonst vielleicht nicht getan habt, ein Lesen der Weiynachtsgeschichte, ein Wort vom Heiland —, führt sie damit aus der finsteren Gegenwart in die Welt der Verheißung und Hoffnung und des guten Willens! Adventsliebe: kann ich zur Not Hilfe nicht doch noch mehr geben, als ich gab? Und kann ich das nicht: so arm ist keiner, daß er nicht einen freundlichen Dienst, ein tröstendes, aufmunterndes Wort schenken könnte! Adventsliebe: wir wollen uns ja inSelbstzucht nehmen, daß wir nicht bloß klagen und anklagen, wollen Geduld haben, wenn andere leiden und klagen, mit ihrer Gebrechlichkeit und Wunderlichkeit! Adventsliebe: nicht das ist das allerschlimmste, daß die Kia l-iLberrovaLo »us kriäerirlLvigoker 2eit von k»ul H « 1 ». 1931 Koman6ienst vizo. Kerim VV 30. 17. Fortsetzung. Rauh unterbrach er sie: „Er ist ein Engel — ich weiß! Gut, du willst ihm also die Treue halten! Sehr schön. Junge Hunde muß man erziehen. Und junge Mädchen sind nur halbe Menschen. Ich wollte, deine Mutter lebte noch." „Die hätte mich verstanden." Graf Seydlitz ballte heimlich die Fäuste. Herrgott, wie feier lich und schön das Mädel aussah in ihrem Stolz. Was hatte er für große Pläne niit ihr gehabt, wie war er froh gewesen, daß der Hof sich ihrer annahm. Und nun —! „Du mußt fort aus Potsdam!" Ilsabe lächelte. „Sie haben die Macht, mein Vater. Aber meine Liebe wer den Sie nicht zerstören können." „Die Zeit wird alles ins reine bringen", sagte Seydlitz ironisch. „Ich hoffe es auch, aber anders, als Sie es meinen." „Ich werde noch heute an deine Muhme nach Leuthen schreiben. Madame Fröhlich. Sie wird dich gern aufnehmen, und dir wird dort der Vorwitz vergehen." „Nach Leuthen?" Vor Jahren war sie einmal dort gewesen und halte die alte Dame, eine entfernte Verwandte der Familie, besucht, dle dort recht einsam in einem stillen Haus wohnte, ohne jeg- uchen Anhang. Line Philosophin des Dorfes, eine gütige ^Wohltäterin der Armen, eine liebenswerte Eigenbrödlerin. So Elsabe sie im Gedächtnis. Sie hatte übrigens auch einen merkwürdigen Vornamen: Gwendolyn! Aber er paßte so gut zu dieser alten philosophischen Dame. Tische leerer als sonst oder ganz leer sind — aber daß wir so mutlos und so lieblos sind: Laßt uns sorgen, daß wir das in diesen Tagen bekämpfen. Liebe bereitet das Fest allein richtig vor, ob mit Gaben oder ohne sie. Daher: Herr, lehre mich lieben! Als Sachsen Königreich wurde. Zur Proklamation am 20. Dezember 1806. Es war eine historische Stunde für das ganze Sachsenland, die den naturnotwcndigen Abschluß der Entwicklung aus den sich überstürzenden Ereignissen in den Jahren 1805 und 1806 bildete und geschichtlich betrachtet schon damals geboren wurde, als im Preßburger Frieden am 26. Dezember 1805 das alte Deutsche Reich zerschlagen wurde. Neue Staatengebiete waren auf dem alten deutschen Boden entstanden: Baden, Bayern und Württemberg hatten große Gebietsteile erhalten und hatten ihren Rang und ihre Macht erhöhen dürfen, und wenn auch der kerndeutsche Sachsenkurfürst den Werr dieser neuen Kronen durchaus gering schätzte, so daß der preußische Ge sandte am Dresdner Hof, von Brockhaufen, berichten mußte: „Man finde in Dresden, daß es um solchen Preis «die neuen Könige waren in Paris gekrönt worden) besser sei, Kurfürst zu bleiben", so wurde doch der Gerechtigkeitssinn des Kurfürsten durch die brutale Durchbrechung der Reichsverfassung und die ungerechtfertigte Zurücksetzung Sachsens schwer verletzt. Man vertrat nicht nur in Sachsen den Standpunkt, daß der Kurfürst von Sachsen das Recht hatte, aus eigener Machtvollkommen heit den Königstitel ohne fremdes Zutun anzunehmen. Herzog Karl August von Sachsen-Meimar reiste persönlich nach Dres den, um Kurfürst Friedrich August für den Gedanken, Sachsen zum Königreich zu proklamieren, zu gewinnen, und Berlin Hal es an den nötigen Winken und Aufmunterungen nicht fehlen lassen, bis dann der preußische Außenminister Graf von Haug witz lm Sommer 1806, als man sich mit dem Gedanken trug, Sachsen und Hessen zu einem Norddeutschen Reichsbunde zu sammenzuschließen, offiziell in Dresden anfragle, ob der Kur fürst nicht sogleich die Königswürde annehmen wolle, um einen entsprechenden Artikel schon in den Bundesverirag ausnehmen zu können. Wett über die Hoskreise hinaus beschäftigte man sich mit dem Gedanken, dem selbst Napoleon nicht ablehnend gegen- überstand, und als dann am 11. Dezember 1806 der Vertrag von Posen unterzeichnet war, nahm Kurfürst Friedrich August den Königstttel an und trat dem Rheinbund bei. Es ist unter diesen Umständen unverständlich, daß die preußischen Geschichtsschreiber von Stein bis Treitschke sehr ab fällig über die Rheinbundfürsten urteilten und den klaren Unterschied zwischen Bayern und Württemberg einerseits, die aus des Siegers Händen die Königskrone empfingen, und „Ich mutz doch mal seh'«, was mir der der Weihnachtsmann gebracht hat!" „Gwendolyn Fröhlich", sagte Ilsabe leise und nachdenk lich. „Oh, ich habe sie sehr gern." Freilich, der Herbst und Winter in dem stillen Dorf wür den trostlos sein! Aber was tat das? Sie würde an den Geliebten denken und für ihn beten. „Ich fürchte mich nicht, mein Vater." Seydlitz kniff die Lippen zusammen. Er hätte gern ein gütiges Wort gesagt — es saß ihm im Herzen —, aber es kam nicht über seine Lippen. Dieser Mann war so ganz „fri- derizianisch", wie diese ganze Zeit. Hart, unerbittlich, mili tärisch, von: Geist der Pflicht erfüllt, ohne Sentiments. Wie sein großes, königliches Vorbild. Und es kam ihm verwunder lich vor, daß es Menschen gab, die noch etwas anderes im Herzen fühlten als Unterordnung und Gehorsam: Liebe! Er, der schon unter des Königs erlauchtem Vater, dem Soldaten könig, nichts anderes als Disziplin „Räson", gekannt hatte, der es miterlebt hatte, wie die unerbittliche Strenge dieses Königs seinen eigenen Sohn, Fridericus, als Kronprinzen vor ein Kriegsgericht stellte und ihn allen Ernstes erschießen lassen wollte, nur weil er sich den Heiratsplänen des Vaters nicht fügte — er hatte keinen tieferen Sinn für den Begriff Liebe! Und es mochte wohl auch kein Wunder sein, wenn Seine Majestät eslbst, der von Kindheit auf nur die Worte Gehorsam und „Order parieren" kannte, diesen Begriffen eine übertriebene Bedeutung beilegte. Den Begriff Lieb hatte ihm sein Vater gründlich verleidet. Hier in Potsdam — lebte nur die Idee: Preußen, das kleine Preußen, groß zu machen, „mit Sparsamkeit, Räson und Gottesfurcht", wie sich der König einmal äußerte, um dann schnell noch hmzuzufügen: „Und mit eiserner Diszivlin! Alle für einen, einer für alle. Das Volk für den Staat, der Staat für das Volk! Und der Staat — bin ich." Seydlitz sprach das Wort nicht, das irgendwie in seinem Herzen sah. Jugend mußte parieren! „Wann soll ich fahren?" fragte Ilsabe. „In einigen Tagen", antwortete er kurz. Ilsabe blieb diese Tage über in dem alten Stammhause der Seydlitz. Sie ließ sich außerhalb der Mauern und des dahinter versteckten Gartens nicht sehen, wußte sie doch nur z. gut, daß draußen bereits der Klatsch umging. Sachsen, das den Königstitel nach der Vertragsfassung „ergriff", nicht erkennen wollten. Denn gleich nach dem Ausbruch der französischen Revolutionskriege stellte Friedrich August seine Außenpolitik ganz aus Preußen ein und bewährte sich sq als einer der wenigen deutschen Fürsten, die nicht vor Napoleon aus dem Bauche krochen. Er gierte nicht nach Gebietserweite rung aus der großen Säkulariationsmasse, und als eine der artige Anregung einmal von Graf Bünau, dem sächsischen Ge sandten in Paris, kam, da erfuhr sie eine entschiedene Ab lehnung aus Dresden. Der leitende Minister Graf Lohs schrieb klipp und klar: „Diese Idee ist den Ansichten und Grundsätzen des Kurfürsten durchaus zuwider. Jede auf Kosten eines dritten erzielte Schadloshaltung würde seinen Gerechtigkeitsprinzipien widersprechen." Bis nach der Schlacht von Jena nahm der Kurfürst eine unverkennbar abweisende Stellung gegenüber Napoleon ein: Des Korsen Vertreter wurden Jahre hindurch vom Kurfürsten nicht empfangen. Er machte kein Hehl daraus, daß er in dem Sieger von Jena nur den vom Glück emporgeworfenen kleinen Artillerieleuinant erblickte, und reiste erst dann nach Berlin, als dort die Friedcnsveryandlungen ins Stocken geraten waren, traf allerdings Napoleon nicht mehr an. Bei Zeitz, Saalfeld und Jena hatten die sächsischen Truppen mit außerordentlicher Bravour an der Seite der Preußen gekämpft, und nach der Katastrophe bemühte sich der Kurfürst unermüdlich um den Frieden, der auch nach achtwöchigen Verhandlungen abge schlossen wurde. Erst nachdem ihm das gelungen war, dachte er an die eigenen Interessen seines Landes und nahm die Königswürde an, an die er niemals gedacht haben würde, hätte man nicht zu Pretzburg die Formen des alten Reiches zerschlagen, dem er unverbrüchlich die Treue gehalten hatte, als es selbst nur noch ein Phantom war. Sein Volk würde es nicht verstanden haben, daß Sachsen im Gegensatz zu seiner ursprünglichen Stellung plötzlich Bayern und Württemberg an Rang nach stehen sollte. Sachsen hatte in Auswirkung der napoleonischen Kriege die Hälfte seines Bestandes verloren, aber es holte durch den Fleiß seiner Bevölkerung und eine aus das Wohl der Landeslinder bedachte Regierung den Verlust bald wieder auf. Mit 2,3 Mil lionen Menschen begann das Königreich Sachsen und hatte sich fast verdreifacht, als es im Rovembersturm 1918 ein Freistaat wurde. Heute aber, am Tage der 125. Wiederkehr der säch sischen Königsproklamation, wissen wir, daß jener Tag eine Zeit glückhafter Aufwärtsentwicklung, des Wohlstandes und der Blüte eingeleitet hat. Wetterwende. Skizze von Gerda von Below. Die Frau tat ihre Arbeit, ganz wie sonst. Fieber hatte sie nicht. Doch brennenden Schmerz im Kreuz. Nachts ein Frieren. Dumpfen, immer müden Druck im Hirn und Wehes Ziehen durch den ganzen Leib. Sie sagte es keinem. Sie schämte sich dieses lähmenden Krankseins, das keine richtige, ehrliche Krank heit war. Auch ihr Gemüt lag eingedunkelt. Seit Wochen zog der Nebel durch die Straßen, grau bewegt und gelblich träge, je nachdem wo der Wind stand, meist nur eine steile, schlei chende Luftwand, lau und naß und weichlich zum Erbrechen ... Niedrige Stub m schwelten hinter dem Fensterkreuz. Ohne die schöne Kurve des Lichts ging der Tag cn zähen Dämme rungen von Nacht zu Nacht. Mühsam und mit großer Un geduld erwartete die Frau den Feierabend, denn kurz vor der Dunkelheit wurde sie ruhiger, konnte sie endlich die Gardinen oorziehen, die Lampe andrehen, sich abschließen gegen den Lebenstag, der keiner gewesen. Doch nachts im Bette kehrte die Angst zurück, kroch und klebte spinnenfüßig über sie hin. Sie lag in langen Stunden wach, hörte sie schlagen von unten und oben, durch alle Wände und fern von draußen aus der Stadt. Sie dehnte sich und tastete ihren Körper ab, der ihr schon fremd geworden war, kaum noch ihr Eigen. Da sie schon seit geraumer Zeit nicht mehr mit dem Manne gelebt, war dieser Leib ihr Pflanzenhaft entglitten in ganz beziehungslose, immer gleiche Bewegungssormen des Schreitens, des Langens und Bückens, des geduckt bei Tische Sitzens, des vor innerer Kälte zusammengekrümmt im Bette Liegens. Sie fühlte ihr schweres, eingefrorenes Herz unruhig werden. Und morgens machte sie sich mühsam wach und wollte nicht mehr daran denken... Tagsüber lief sie viermal vier Treppen hinauf und hin unter; zehnmal bückte sie sich über den großen Korb mit Flicken, der am Fußboden neben der Nähmaschirre stand. Umständlich Eine Knall und Fall entlassene Hofdame — oh, welch ein interessantes Ereignis! Und was besonders erstaunlich war: Der Herr von Köckeritz saß in Festungshaft! Die Potsdamer waren nicht dumm genug, um sich nicht ihr Verslein darauf zu machen. Die Dienerschaft des könig lichen Schlosses sorgte natürlich auch dafür, daß mancherlei über diese Ereignisse bekannt wurde, und war nicht faul, aus eigenem noch dazuzugeben. Der Köckeritz sollte erschossen werden, hieß es. Er hätte Seine Majestät tätlich angegriffen. Nicht nur mit der Kom tesse Seydlitz, auch mit der Prinzessin Amalie hätte er eine Liebelei gehabt, und das habe natürlich dem Faß den Boden ausgeschlagen. Schade eigentlich um den Köckeritz, ja! Er war doch ein schneidiger Kerl! Ja, ja, die hohen Herrschaften! Sv flüsterte der Klatsch. Es war gut für Ilsabe, daß sie nichts davon hörte. Aber eines Abends erschrak sie doch. Sie schritt im Garten umher, schon im stillen Abschied neh mend von allen geliebten Winkeln, als plötzlich ein Stein über die Mauer flog. Fast dicht vor ihre Füße. Sie stand wie erstarrt. Hörte hinter der Mauer mit einmal Pferdegetrappel, als galoppiere ein Gaul davon. Für einige Augenblicke wurde der Kops des Reiters mit dem Dreispitz über dem Mauerrand sichtbar. Dann war er schon in der Dunkelheit verschwunden. Wäre es Heller gewesen, hätte Ilsabe vielleicht noch das Gesicht des Herrn von Schlegel erkennen können. Sie bückte sich nach dem Stein. Denn sie sah nun erst, daß er mit Bindfaden umwickelt war, an dem etwas Helles — ein Zettel, ein Brief? — hing. Ein Brief! Mit zitternden Händen löste sie ihn. Versteckte ihn sofort hinter dem Fichu und eilte in das Haus, au, ihr Zimmer. Ihr Herz ging schnell. Es dauerte lang<^, bis es ihr gelang, das Wachslicht anzuzünden. Einige Worte standen auf dem Umschlag. „Von einem guten Freunde in dero Hände überliefert. Kraft, Komtesse!" (Fortjetzung solgt.)