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Wilsdruffer Tageblatt 4 Blatt Nr 295 — Sonnabend, 19 Dez 1981 Tagesspruch. Auf bem Fuße folgt der Lohn Segnend stets dem Guten nach. Guten Werks Bewußtsein schon Ruft in dir den Himmel wach. Or. Dorpmüllers Fahrt durch Sachsen, Was bringen die Reichsbahnaufträge? Im sächsischen Wirtschaftsministerium gab Ministerial direktor Dr. Klien in einer Pressebesprechung Aufklärung über die Reichsbahnaufträgc für Sachsen. Bekanntlich Hai der Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn, Dr. Dorp müller. seiner Zusage entsprechend Veranlassung genom men, in diesen Tagen das Gebiet der Reichsbahndirektion Dresden eingehend zu besichtigen, um festzustellen, welche Mängel an den sächsischen Eisenbahnanlagen bestehen, deren Beseitigung dringlich ist und gleichzeitig im Interesse der sächsischen Wirtschaft liegt. Tie Besichtigungsfahrt begann in Leipzig, wo Dr. Dorpmüller und die zuständigen Referenten der Haupt verwaltung der Deutschen Reichsbahn vom Ministerial direktor Tr. Klien und vom Präsidenten der Reichsbahn direktion Dresden, Dr. Domsch, begrüßt wurden. Der Reise plan führte nach Besichtigung verschiedener Leipziger An lagen über Altenburg, Werdau, Reichenbach, Zwickau, Wilkau, Saupersdorf, Glauchau nach Chemnitz. Bon hier wurde die Reise nach Chemnitz-Hilbersdorf, Döbeln, Riesa und Dresden fortgesetzt. Unterwegs fanden zahlreiche Be sichtigungen von Bahnhofsanlagen, Brücken und von son stigen Bauten statt. Von den örtlich zuständigen Beamten der Deutschen Reichsbahn wurden die technischen Einzel heiten der in Aussicht genommenen Entwürfe vorgetragen unter Darlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse der be rührten Ortschaften nnd Landesteile. Im Vordergrund standen die Fertigstellung der Neu baulinie Borna—Großbothen, die Erhöhung der Leistungs fähigkeit der Strecke Kieritzsch—Geithain, Verbesserungen der Linien Klotzsche—Schwepnitz, Pirna—Heidenau und Oberoderwitz—Taubenheim. Umgestaltungen von Bahn- hofsanlagcn werden in Betracht kommen in Altenburg, Chemnitz, Dresden, Ebersbach, Glauchau, Plauen» Sehma, Zwickau und Kipsdorf. Außerdem wird die Erneuerung von Brücken Gelegenheit zu Bestellungen für die sächsische Brückcnindustrie bieten. Die Möglichkeit der Finanzierung der Strecke Klotzsche—Straßgräbchen wurden eingehend er örtert. Anschließend fand eine Besprechung im sächsischen Wirtschaftsministerium mit Minister Dr. Hedrich statt, bei der auch die Frage der Elektrisierung des Leipziger Vor ortverkehrs angeschnitten wurde. Dr. Klien wies in der Besprechung nochmals auf die Hauptforderungen der sächsischen Regierung in bezug aus die Beschäftigung der sächsischen Industrie und auf die schwierige Wirtschaftslage in Sachsen hin. Bemerkens wert ist, daß nach den statistischen Erhebungen in Sachsen aus 10 000 Personen 4000 Erwerbslose oder solche, die von der Erwerbslosigkeit betroffen werden, kommen. s)35 vonWW ZochverraWrozesie am lausenden Vand.. Vcrwallungsassistcnt stiehlt Dokumente für die KPD. Der 4. Slraijcnal des Reichsgerichts verurteilte den Ver- waliungsassistenlen bei der Gemeindeverwaltung m Einsie del Regler, wegen eines jorlgcieylen Vergehens der Vor bereitung des Hochverrates in Tateinheit mit Vergehen nach H 4 Abs 1 des Repubtlkschutzgeseyes und um Vergehen nach 88 348 Abs. 2, 340 und 350 des Strafgesetzbuches (Urtünoen- beseittgung, Unterschlagung im Ami u. ä.- zu drei Jahren Zucht haus und' 300 Marl Getdstrafe. Die bürgerlichen Ehrenrechte wurden lhm aus fünf Jahre aberkannt. Nestler entwendete bei seiner Dienststelle eine Relhe von Schriftstücken mit Erlassen ves sächsischen Innenministeriums sowie Paßsormulare, die er dem bekannten Nachrichtendienst der KPD. in Chemnitz auslieserie »u, kri6er!r!Lvl8eder 2eit von k » u 1 kl » 1 o. Lop^rißkt 1931 komaQilievst Oigo. Berlin 30. 12. Fortsetzung. Ilsabe kletterte aus der Kutsche. „Mon Dieu — wie kommen wir nun weiter?" „Zu Fuß, Demoiselle", gab der Schwager wütend zurück. „Unmöglich!" Ilsabe sah sich weit um. Kein Haus weit und breit zu sehen. Nur Wiesen und Felder und einsame Pappeln. „Nette Bescherung!" sagte sie. Die Koffer lagen verstreut an der Erde. Sie machte sich daran, sie am Feldrain zusammenzustellen. Der Postkutscher hinkte, noch immer fluchend, auf und ab. Besah sich den Scha den und stellte fest: Das kann bloß ein Wagenbauer repa rieren. Dann stopfte er sich die Pfeife und setzte sich am Straßengraben hin. „Fassen wir erst mal Mut, Demoiselle", tröstete er Ilsabe. „Wir haben ja Zeit." „Wie weit ist es bis Leuthen?" „Zu Fuß? Eine Tagereise." Ilsabe besah sich ihre zierlichen Schuhe und seufzte. Dann sagte sie launig: „Also fassen wir erst mal Mut!" Und setzte sich auf einen ihrer Koffer. — Aber die Hilfe war nahe. Eine andere Kutsche kam in der Ferne angerumpelt, in eine dichte Staubwolke gehüllt. Offenbar eine Privatkutsche, eine Extrapost. Der kundige Schwager bemerkte das sofort. Die Kutsche hielt. Zwei Herren sahen zum Fenster heraus. Besahen sich das Unglück. Schließlich stiegen sie aus. Sie trugen modische Reisemäntel, extravagant un Schnitt, und waren sicher vornehme Herren. Jung, elegant, weltgewandt. Ilsabe erriet sofort, daß es Ire sprachen zwar Deutsch, aber man merkte den französischen Akzent heraus. Oie Kleingariensiedlung. Sächsische Ausführungsbestimmungen. Das sächsische Arbeits- und Wohlfahrtsmmifkerlum hat an die Gemeinden ein Rundschreiben erlassen, in dem nähere Anweisungen zu den reichsgesetzlichen Bestimmun gen über die vorstädtische Kleinsiedlung enthalten sind. Danach sieht das Ministerium für Kleingärten in Sachsen ein Durchschnittsdarlehen in Höhe von 60 Mark für genügend an. Eine Gartengrötze von 300 Quadrat metern ist dort, wo Land nur in beschränktem Umsang vor handen ist, genügend. Unter 200 Quadratmeter darf nicht herumergegangen werden. Für die Durchführung ist die Mitwirkung des „Landesverbandes Sachsen der Schreber- und Gartenvereine" vorgesehen. Gesuche um die Vermitt lung eines Darlehens sind an die „Landesstelle für Klein gartenwesen" in Dresden zu richten. Das benötigte Land soll in erster Linie aus dem Besitz öffentlicher Körper schaften zur Verfügung gestellt und zu niedrigem Preise verpachtet werden. Ziel der Maßnahmen soll die Schaffung gutgepflegter Anlagen sein, die später zu Daueranlagen erklärt werden und nicht nur den Charakter vorübergehen der Einrichtungen tragen. Sächsische Landwirischast. Landwirts Notizbuch. Wie die Pressestelle der Landwirtschaftskammer mitteilt, veranstaltet die Kreisdirektion der Laiidwirtschaftskammer für das Erzgebirge am 29. Dezember (14 Uhr- in Chemnitz (Ball haus Hohenzollernf ihre Hauptversammlung mit Vorträgen von Obertandwirlschastsrat Dr. Lenhard (Dresden) über „Tie Landwirtschaft m den Notverordnungen der Reichsregierung" und von Ttplomlandwirt Rudolph (Berlins über „Agrarwirl- schaftliche Tagesjragcn". — Der Hauptversammlung gehl vor mittags 10 Uhr eine Ausschußsitzung der KretSdirekiion voraus. Am 21. Dezember finde, eine Bestchttgung der in Ausfüh rung befindlichen Tränkenbachial-Meliorations Anlage in den Gemeindeflurcu Broß-utz und Weißig a. N. stau. Da die An lage mit eigenen Arbeuskrästen und ganz geringen Barmitteln durchgesühri wurde, ist sie als Beispiel äußerster Sparsamkeit und der Selbsthilfe für eine Besichtigung besonders geeignet. Grenzlanö-Chromk. Lobenstein. Unglück auf dem Bahnhof. Der Landwirt Mann wurde beim Abladen von Langholz aus dem Bahnhof durch einen sogenannten Würger derart getroffen, daß er einen Schädelbruch und eine Gehirn erschütterung davontrug. Karlsbad. Späte Heimkehr. Nach 17 Jahren ist jetzt der ehemalige Kriegsteilnehmer Josef Müller, der als iMhriger an die Front gegangen war, heimgekeyrt. In der russischen Gefangenschaft heiratete Müller und brachte aus Mittelasien Frau und drei Kinder in die Heimat mit. Dem mittellos Hcimkehrenden wurde von der Gememdc Arbeit und Verdienst verschafft. Spionennecherei in Böhmen. Haussuchungen beim Bund der Deutschen in Böhmen und Deutschen Kulturverband. In Teplitz-Schönau wurde auf Anordnung des Staatsanwaltes in den Räumen der Hauptleitung des Bundes der Deutschen in Böhmen eine Haussuchung vor genommen. Die Gendarmerie hat fünf Stunden lang dic Räumlichkeiten durchsucht und einen Teil des Aktenmute- rials mit Beschlag belegt. Ähnliche Haussuchungen fanden in den letzten Tagen in Südböhmen in den Räumen des Kulturverbandes statt. Die Gendarmerie begründet die Haussuchungen mit einer Anzeige, in der der Bund be schuldigt wird, daß er statistisches Material über die Zahlen der Militär-, Gendarmerie- und sonstigen öffentlichen Be hörden in der Tschechoslowakei sammele und dieses Ma terial nach Deutschland sende. Ferner wird behauptet, daß sich unter den beschlagnahmten Papieren vom Deutschen Kulturverband solche befinden, in denen Südböhmen als bayrische Provinz bezeichnet und von Böhmen und Mähren als von einem Korridor nach Deutschland gesprochen wird. Wie es heißt, sollen auch mehrere Verhaftungen von füh renden Persönlichkeiten des Bundes der Deutschen in j Böhmen und des Kulturverbandes bevorstehen. I „Oh, welch Unglück, Madame," sagte der eine und zog ga lant vor Ilsabe den Dreispitz. Da faßte sie Mut. „Meine Herren, ich bin in arger Verlegenheit. Ich werde in Leuthen erwartet, und nun dieser Unfall! Würden Sie die Gefälligkeit haben und mich in Ihrem Wagen mitneh men?" „Mit Vergnügen," antwortete jener mit einer leichten Ver beugung und nannte seinen Namen. „Comte de Renard — mein Freund Baron Guignard. Sehr gern." Der Schwager verhandelte inzwischen mit dem Kutscher der Extrapost. Er solle aus dem nächsten Dorf Wagenbauer oder Schmird herschicken. Dann verstaute er Ilsabes Koffer. Die Herren meinten, daß nach dem Schrecken ein kleiner Imbiß Madame wohl zustatten kommen würde. Sie war herzlich froh darüber, denn sie verspürte in der Tat Appetit. „Sehr scharmant, Messieurs." Nun nannte auch sie ihren Namen, und die Herren ver neigten sich mit besonderem Respekt. Der Comte de Renard nickte seinem Freunde verstohlen zu, und während sie zu ihrem Wagen zurückgingen, um die nötigen Eßgeräte zu holen, flüsterte er: „Ein scharmantes Abenteuerchen, he? Großartig — die Mademoiselle Komtesse. Das wäre so eine Erinnerung, haha." Der Kutscher stellte einen zusammenklappbaren Tisch auf der nächsten Wiese auf, ein mitgeführter Futterkorb erschien, Delikatessen und Silberzeug waren mit einem Male da, und auch an einer Bouteille Wein fehlte es nicht und zierlichen Kristallgläsern. Die Herren schienen für eine lange Reise wohlgerüstet zu sein. Ilsabe lachte vergnügt. „Das ist ja die reine Zauberei, Messieurs!" „Man muß immer gerüstet sein," gab der Comte zurück. „Wir haben noch eine weite, eilige Reise vor uns." „Darf man fragen, wohin." „Nach Frankreich," lachte er, und Baron Guignard lächelte ironisch. „In Preußen wirs doch bald brennen, Mademoiselle." „Wieso? Brennen? Wo?" „Haha — keine Sache für Damen, Komtesse." „Oh, mein Vater ist Seiner Majestät getreuester Diener." A. Borsig-Tegel siettt Zahlungen ein. Bei 12 Millionen Auftragsbestand. Die A. Borsig G. m. b. H. Tegel teilt mit: Wir haben uns gezwungen gesehen, unsere Zahlungen einzu- stcllcn. Die Gründe liegen in der verhängnisvollen Ver schlechterung der Wirtschaftslage im In- und Auslande, die besonders seit Juli den Auftragseingang so stark beeinflußt hat, daß es unmöglich war, den Auftrags eingang und die Unkosten in einem tragbaren Verhältnis zu erhalten. Verstärkt wurden die in der heutigen Wirt- schasts- und Finanzlage bedingten Schwierigkeiten durch Verluste bei einer Tochtergesellschaft, bei Schuldnern und WahrungsforderunLcn. Blick auf vte Borsigwerke. um das Unternehmen wieder aus eine gesunde Grundlage zu stellen und damit die Vernichtung großer Werte zu vermeiden, die in nahezu hundertjähriger tech nischer Entwicklung und Erfahrung und in dem Weltruj. des Unternehmens begründet liegen, sehen wir uns gezwungen, eine Sanierung durch Einleitung des Vergleich sversahrens anzustreben, nachdem dic Versuche, eine Gesundung ohne Anrufung der Gläubiger herbcizuführcn, nicht den gewünschten Erfolg hatten. Die erforderlichen Schritte sind eingeleitet. Das Werk ist für die derzeitige Lage bei einem Auftragsbestand von etwa 12 Millionen Mark und einer Be legschaftsstärke von 3700Köpfen noch ver hältnismäßig gut beschäftigt. Die Verwaltung der Ä. Borsig G. m. b. H. und die Leitung des Borsig-Konzerns betonen, daß die Tegeler Zahlungseinstellung als Sanierungsmatznahme gedachl ist und daß allseitig, insbesondere seitens der gesamten Belegschaft, aber auch von feiten der Gläubiger, der feste Wunsch bestehe, das Werk zu erhalten. Deutschland könne es sich nicht leisten, jetzt Betriebe zu grunde gehen zu lassen, die zu 80 Prozent ihres Umsatzes für das Ausland lieferten. Der Umsatz für die Gesell schaft betrage bei voller Beschäftigung und heutigen Preisen rund 40 Millionen Mark jährlich. Der Stillegungsalttrag mutzte aus rechtlichen Gründen mit der Erklärung der Zahlungseinstellung abgegeben werden, man hofft aber die Stillegung zu ver meiden. Das Unternehmen ist rentabel, sobald ein gewisser, über dem jetzigen liegender Mindestumsatz die Ausnutzung der Anlagen gestattet. Die Sanierung soll Möglichkeiten schaffen, im Wettbewerb mit dem steuerlich und anderweitig weniger belasteten Auslande diesen Mindestumsatz wieder zu sichern. „Ah! Sehr interessant. Comte de Seydlitz? Ich hörte von ihm. Nun, er wirds ja wissen. Aber lassen wir die Politik. Bitte, Mademoiselle." Der Kutscher hatte kleine Feldstühle an den Tisch gestellt und zog sich devot zurück. Es war eine hübsche, improvisierte Mahlzeit, die man da auf der Wiese eines unbekannten Bauern unter dem Lerchen jubel und den blauen Federwolken des Himmels einnahm. Ein Intermezzo an der Landstraße, wie es damals nicht selten war. Der Comte schenkte die Gläser voll. Mit heißen Augen sah er Ilsabe an. „Auf Ihr Wohl, Komtesse. Gestatten Sie mir, zu bemer ken, daß oiese Begegnung mir eine der angenehmsten Er innerungen an Preußen bleiben wird. Ich wünschte, es würde mehr als eine Begegnung daraus." Das war kühn. Ilsabe stieg die Röte in die Wangen. Sie war französische Komplimente nicht gewöhnt. Und sie konnte nicht ahnen, daß der Comte de Renard einer der kecksten und gewissenlosesten Don Juans von Paris war. Sie konnte auch nicht ahnen, daß er mit dem Baron seit zwei Monaten in Rußlano ge weilt hatte und die unterschriebenen Geheimverträge zwischen Katharina, Maria Theresia und Sachsen auf der Brust trug, der neuen Bundesgenossen Frankreichs. Geheimkuriere einer großen, heimlichen Koalition, die nur auf den günstigen Augenblick wartete, gegen Preußen los zuschlagen, dessen König der Umwelt mächtig zu werden be gann. So antwortete sie denn nur: „Danke, Messieur!" Sie trank. Der heiße Tag hatte sie durstig genug gemacht. Und die Herren wußten amüsant zu plaudern. So verging die Zeit, bis Ilsabe zu mahnen begann: „Messieurs — die Weiterreise!" Der Kutscher räumte den Aisch ab und verstaute alles wieder geschickt. Man stieg ein. Ilsabe saß im Fond, der sicher und bequemer war als die Allerweltspostkutsche. Neben ihr hatte der Baron Platz ge nommen und ihr gegenüber der Comte de Renard. Sie war etwas benommen von den Wein. Ein rosiger Hauch färbte ihre Wangen stärker als sonst, und in ihren Augen war ein Glänzen. (Fortsetzung folgt.)