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Silvester 19ZI. In dem Kampf und in dem Sturm Eine stille Feierstunde: Ehern klingt von Turm zu Turm Heute die Silvesterkunde. lind in Rot und Nacht und Drang, Die erschauernd uns umwehen, Streift uns bei 'der Glocken Klang Heute ewiges Geschehen. Die wir tief im eignen Leid Nur mit Daseinsfragen ringen, Hören aus der Ewigkeit Heute Stimmen zu uns klingen. Wie das Jahr zu Ende geht In der ernstesten der Nächte, Fühlen wir, wie uns umweht Hauch erhabener Schicksalsmächte. Lauschend hält den Atem an Eine Menschheit heute wieder, Aus der Höhe finkt der Dann Tiefer Andacht auf uns nieder, Und das Herz erkennt, daß nicht Menschenkraft bezwingt die Nöte, Daß uns Rettung kommt und Licht Nur aus ewger Morgenröte. Himmelan geht unser Blick, Wo die ewgen Sterne stehen, Für des neuen Jahrs Geschick Mut und Kraft uns zu erflehen. Ob wir aller Hoffnung bar. Ob es Nacht und Not auf Erden — Gott mit uns im neuen Jahr — Und es muh zum Gegen werden! Felix Leo Göckeritz. Gein Witte geschieht. Das Jahr geht still zu Ende, Nun sei auch still, mein Herz — so wird am Jahresschlutz vieltaufendsach gesungen und gebetet. Ach — wer das doch gewinnen könnte, ein stilles Herz, still nicht in der Ruhe des Todes — auch das er- sehnen sich viele — sondern still in der Gewißheit: auch aus diesem Dunkel geht der Weg ins Licht. Diese straffe, furchtlose Stille brauchen wir. Wir gewinnen sie nur, Wenn wir nüchtern uns die ganze Not klarmachen, ohne Herumreden, um dann auch auszuschauen nach ihrer Überwindung. Ein Jahr besonderer Not ist 1931 gewesen. Gewiß, immer sind am Jahresende viele, die mit Schmerz zurück denken an das, was das vergangene Jahr ihnen ge nommen hat: an äußeren Gütern oder an Gesundheit und Kraft oder an lieben Menschen. Aber diesmal sind wir alle es, die verlorew haben. Was die Arbeitslosigkeit und die Notverordnungen bedeuten, spüren wir alle. Grausam erinnern sie uns immer wieder daran, daß nicht Friede ist, sondern Krieg. Rechnen wir dazu die sittlichen Ver fehlungen, den Ansturm organisierter Kräfte gegen Re ligion, Staat, Familie, dazu die Verzweiflung so vieler — das Hungern und das Frieren — es ist, wie der Kauf mann sagt, eine schauerliche Summe von Negativposten. von Gutem, das uns das alte Jahr genommen, von Schlimmen, das es uns zngesügt Hal. Das alte Jahr? Hier liegt der Grundfehler tn der ganzen Aufrechnung. Das alte Jahr? Das Jahr gibt nichts und nimml nichts. Es ist ein Name, mehr nicht, für einen Abschnitt der Zeit. Es ist gleichsam :in Hoht raum, an sich nichts, aber in ihm ringen Kräfte, starke Kräfte, und die wirken durch die Menschen, durch uns Menschen. Und aus uns kommt es an, ob wir uns von den guten Mächten letten lassen zum Guten oder von den schlimmen zum Schlimmen Wollen wir also anklagen, so sollen wir —uns anklagen, weil wir uns wieder und wieder den finsteren, zerstörenden Kräften der Selbstsucht, des Hasses und Neides, der Gewalt zu Dienst gegeben haben: im Großen des Völker- und Klassenlebens und im Kleinen unseres Alltagslebens. Aus unsere Schuldseitc sollen wir die negativen, zerstörenden Posten buchen. Das erst ist klar gesehen und nüchtern und gerecht geurteilt am Jahresende — und von hier aus erst ergeben sich Aktiv posten für das neue Jahr. Der erste ist dieser: daß nicht das Jahr es macht, dieser mechanische Ausschnitt aus der Zeit, sondern lebendige Kräfte im Jahr, und daß diese Kräfte durch uns Menschen sich auswirken und doch nicht bloß durch uns. Wenn wir gerade iWi erlebt haben, zumal an England, aber auch an den anderen „Siegern", daß alle ihre Anstalten aus Gewinn und Glück ins Gegenteil gewendet sind, dann er kennen wir, daß es bestimmende Mächte darüber gibt. Und Wenn Wir dann aus Weihnachten zurückblicken, so wissen wir, daß diese Mächte Liebe sind trotz allem äußeren Augenschein dagegen. Liebe, die nicht zu allem, was wir fehlen, hilflos und schwach „ja" sagt, sondern die da spricht: „Irrt euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten, was der Mensch säet, das wird er ernten!" Die aber auch zu dem, der guten Willens ist, sagt: „Fürchte dich nicht, glaube nu r!", ja die zu dem, der seine Fehler erkennt, spricht: „Ich will dich segnen!" Daß diese Macht über uns waltet, daß sie in uns wirken will, daß wir, wenn wir uns in ihren Dienst stellen, besser werden und Besseres schassen: das sind die großen Aktivposten, mit denen wir in das neue Jahr und an die neue Arbeit gehen. Wird das Dunkel um uns noch lange währen? Das wissen wir nicht. Aber das wissen wir: Gott lenkt: Sein Wille geschieht, Sein Reich kommt. Nie MWt -er StMvMMte» im Jahre 1931. Wir haben am Ende der letzten Jahre immer einen Rück blick auf die Tätigkeit Ker Stadtverordneten gegeben, so soll es auch heute sein. Der Wunsch und die Hoffnung am Schluffe des letzten Berichtes, daß das Jahr 1931 ein besseres werden möchte, haben sich nicht erfüllt. Das Jahr 1931 war wohl bisher das schwierigste Jahr der Nachkriegszeit. Die allgemeine wirtschaftliche Notlage ist geradezu auf den Höhepunkt gestiegen. Handel unb Gewerbe,, Industrie und Landwirtschaft kämpfen mit den übrigen Berufsständen den letz ten Kampf um die Erhaltung. Das Heer der Erwerbslosen steigt ins Riesenhafte und mit ihm Kummer und Sorge um das tägliche Brot. Diese allgemeine Notlage wirkt sich geradezu katastrophal auf die Finanzlage der Stadt aus und wird den städtischen Körperschaften noch manche Sor ge bereiten. Bon Tag zu Tag nimmt die Zahl der Wohlfahrts empfänger zu und unaufhaltsam wächst damit her wesentlichste Teil der zwangsläufigen Gemeindeausgaben. Zwangsläufig, das .Wort hat im letzten Jahre eine besondere Bedeutung für die Stadtverordneten erhalten. Sie hatten im Grunde genom men gar nicht viel mehr für die Stadt zu „verordnen", sondern sahen sich in tiefeinschneidenden Fragen „nowervrdneten" Tat sachen gegenüber, an denen sich kein Iota änderte, obwohl das Kollegium geschlossen dagegen stimmte. Der Arm des 8 48 reicht eben überall hin. So mußte das Kollegium bereits in der ersten Sitzung, in der das seitherige Präsidium mit Bürger meister Dr. Kronfeld als 1., Rechtsanwalt Hofmann als 2. Vorsitzenden, Prokurist Kraft als 1. und Sekretär Rudert als 2. Schriftführer einstimmig wiedergewählt wor den war, der abermaligen Erhöhung der Bezirksumlage für die Stabt um 5829 Mark für 1930 zwangsläufig zustimmen, obwohl die Stadtverordneten nicht wußten, woher die Mittel zur Bezahlung genommen werben sollten. Aber bereits Anfang März da erfuhren sie es. Da wies nämlich die Amtshaupt mannschaft in einem Schreiben darauf hin, daß es dem Be zirke nicht mehr möglich sei, der Stadt finanzielle Erleichterun gen zu gewähren, wenn sie weiter bie noch im Rest befindliche Bezirksumlage so schleppend bezahle. Die Stabt habe noch un- erschöpfte Einnahmequellen in der Erhöhung der Biersteuer und in der Getränkesteuer. Der Rest der Bezirksumlage betrug da mals rund 26 800 Mark. Wie bereits der Stadtrat, so lehnten auch bie Stadtverordneten einstimmig die Erhöhung der Bier steuer, sowie die Einführung der Getränkesteuer ab aus den Er wägungen heraus, baß durch die Einführung für die Stadt keinesfalls etwas herausspringe, da Amsah- und andere Steuern nur noch weiter zurückgehen würden. Gleichzeitig be schloß man, bei der bereits angedrohten Verfügung der Steuer Einspruch bei der Oberbehörde einzulegen. Einige Wochen ver gingen, aber Ende Juni verfügte die Amtsh-auptmannschaft dann die Verdoppelung der Biersteucr mit der Begründung, baß bie Fürsorgelasten dauernd weiter gestiegen seien, während andererseits bie Rückflüsse aus den An teilen der Steuern ganz bedeutend zurückgegangen seien. Zu gleich wurde einem etwaigen Einspruch von vornherein auf schiebende Wirkung versagt. Einstimmig beschloß bas Kollegium, die Erhöhung abzulehncn, Aufsichtsbeschwerde zu erheben und Einspruch bei der Gemeindekammer einzulegen. Man ließ aber dann in Uebereinstimmung mit dem Stadtrate Aufsichtsbeschwer- be und Einspruch fallen, denn sie hätten doch nichts genützt. Ab 1. Juli mußte eben die doppelte Biersteuer erhoben werden. Vielleicht hat aber die Geschlossenheit des Kollegiums gegen Einführung der Getränkesteuer Eindruck gemacht. Inzwischen verschlechterten sich die Verhältnisse wie im Reiche so auch in den Bezirken unb Gemeinden weiter. Die Notverordnung zur Sicherung der Haushalte in den Ländern und Gemeinden gab auch der Amtshauptmannschaft neue Hand habe zu Vcrfügungsmaßnahmcn in den Gemeinden. Bereits Anfang Oktober verlangte sie vom Stadtrat, baß der Geldbedarf nach dem städtischen Haushaltplan ganz wesentlich eingeschränkt werde durch Abbau sämtlicher freiwilliger Auf- und Ausgaben, sowie daß neue Mittel erschlossen würben durch eine Erhöhung des Wafferzinses. In persönlichen Verhandlun gen gelang schließlich unserer Stadtvertretung die Aufrechterhal tung des Kinderhortes, her Kinder- und Altenspeisung und der Bäderbeihilfen für Kriegsbeschädigte. Bestehen blieb das Ver langen nach Ermäßigung der Sitzungsgeldcr und Aufwandsent schädigungen bei Stadtrat und Stadtverordneten um 502L, nach Aufgabe der Freistelle an der Landesschule, nach Verringerung der Ausgaben für den Tnrnbctrieb in der Weise, daß die Turnvereine für die Benutzung der städtischen Turnhalle bis zum 1. März 50 Mk. und dann jährlich 100 Mk. zahlen sollen, nach sofortiger Ab schaffung der kostenlosen Totcnbestattung und schließ lich auf Erhöhung des Wassergcldes von 20 auf 25 Pfg. je Kubikmeter. Die letztere wurde mit allen Stimmen abgelehnt, alle übri gen Einsparungen aber mit den Stimmen der Bürgerlichen und der Beamten angenommen. Ob damit eine Erhöhung des Was sergeldes abgewendet ist, steht noch dahin. Da die Kurve der Wilsdruffer Tageblatt. 2. Blatt — Nr. 3V3 — Donnerstag, den 31. Dezember 1931 Cs kommt auf jetten an! Nein, nicht öde und leer ist die Wüste! Am Tage wird sie durchjagt von den Fluten des Lichtes, durchtanzt von den „Figurinen" der Fata Morgana und des Nachts ruht über ihr die ganze majestätische Schönheit des südlichen Sternenhimmels, hört das aufmerksame Ohr das „Singen der Wüste". Nein, wüst, aber nicht öde und leer war das Trichterfeld der Großkampszonen; über ihm tanzte der Tod mitten zwischen den Riesenbäumen der Granateinschläge, zwischen den leuchtenden Strichen der aufschiebenden Raketen. Millionen Deutscher blickten in schneedurchtränkter Winternacht hinaus auf die unendlich weiten, einen Horizont fast nicht kennenden russischen Ebenen, wo kaum ein paar zerschossene Dorftrümmer den Blick an sich zogen und ihn doch gleich wieder Hinaus schweifen ließen ins Weite, ins Endlose; — wer das ein mal aufgeschlossenen Herzens sah, wer in diesen „Raum an sich" hineinblickte, — der hat die Ode, die „Wüste", die Trostlosigkeit selbst gesehen; sie stürzte sich auf ihn wie ein reißendes, schicksalhaftes Tier. Sie ergriff ihn und machte sein Herz zum Sklaven dieser Ode, dieser Trost losigkeit. Von ähnlichem Gefühl wird man fast überwältigt, Wenn man als Deutscher zurückschaut auf die Zeit, die unter der Jahresinschrift „1931" sich dem Blick in die Ver gangenheit darbietet. Denn die Stunde, in der das Jahr scheidet, lenkt ja die Augen zurück auf das, was uns einzelnen, was dem deutschen Volk in diesen nun hinter uns liegenden 365 Tagen auferlegt war oder was wir uns selbst auferlegten. Über eine Ode, eine Wüste, über die Trostlosigkeit selbst schweifen die Blicke der Erinne rung, — denn das ist das Ergebnis der mit einem irr sinnig rasenden Tempo übervoll erfüllten 365 Tage. Soll man, wie ein ehrlicher Geschäftsmann am Jahresschlutz es zu tun Hai, wirklich eine Bilanz für 1931 ziehen? Der Blick in diese öde, wüste Trostlosigkeit lätzt das traurige, das trauernde Gefühl der Ablehnung hiergegen in uns emporkriechen: Nein, es — lohnt ja nicht! Diesem schick salhaften Geschehen stehen wir innerlich hilflos und klein gegenüber wie einst im russischen „Raum", aus dem ein immer neues, aber immer dunkel und trostlos bleiben des Schicksal heranzuwogen schien. Nicht im schnell vorübergehenden Rausch der Jahres wende, fondern tn klarster Wirklichkeit steht die Welt geradezu Kopf, — das ist, auf eine kurze Formel gebracht, die Bilanz des Jahres 1931! Man hätte jeden ins Narrenhaus gesperrt, der vor Jahresfrist auch nur andeutend, nur zu kleinem Teil etwas von dem zu prophezeien gewagt hätte, was nun wirklich geschah. Man braucht dabei ja nicht bloß an das über Deutschland Hereingebrochene zu denken, datz nach knapp Jahresfrist der erst am 1. April 1930 in Kraft getretene Uo ung- Plan zu einer derartigen Weltkatastrophe führte, wie wir sie im Sommer erst in ihren Anfängen, dann in immer steigendem Umfange, in immer größerer Tiefe er lebten und erleben! Wie ein nackter, rücksichtslos ge führter Weltwirtschaftskrieg ausbrach, in dem alle Völker gegeneinander um ihre Existenz kämpfen oder zu kämpfen glauben, während die Resolutionen der „Ver einigten Staaten Europas" zerrissen als Papierfetzen vom Orkan der Krise, des Kampfes aller gegen alle durch die Luft der letzten Vergangenheit, der Gegenwart und Wohl auch der nächsten Zukunft herangewirbelt werden! Wie alles nur schlimmer, immer nur schlimmer kam. . . Und aus dem „Raum" der Welt, besonders Europas die Ver zweiflung der Menschen schicksalhaft und trostlos, aber wie eine unhemmbare Welle heranwogt! Still ist das alte Jahr wie ein mit eklen Wunden bedeckter, verkrüppelter Preis hinweggeschlichen aus der Gegenwart, aber nicht aus unserem Leben! Seuchen ließ es zurück, schwerste Krankheiten sind geblieben. Und die Ärzte stritten sich in B a f e l um Diagnose und Schutzmaß nahmen gegen die Ansteckungsgefahren, anstatt zu helfen und zu heilen! Soll es noch viel schlimmer werden, sollen die Krankheiten zum Tode führen, ehe die Welt den Mut faßt, sich wieder auf die Füße zu stellen? Was wird die Zukunft dringen, in der jetzt eine neue Stunde beginnt, wenn bei der Jahreswende die Weltennhr wieder einmal schlügt? Wir — wissen es nicht. Und doch liegt viel an uns selbst, wie sich das Kommende gestalten wird. Einst, in vier schweren Jahren, haben wir auch jenen dunkel drohenden russischen „Naum" überwunden. Weil jeder nicht an sich, fondern nur an das Ganze, an unser um sein Dasein ringendes Volk dachte in Harlem Zugreifen, den Blick nur auf das Wirkliche gerichtet. Wie ein Traum fast war dann erst die Erringung und Bezwingung dieser Wirklichkeit. Langsam nur, aber doch immer wieder sank in der Geschichte unseres Volkes jegliche Notzeit schließlich hinab in die Vergangenheit und aus einer solchen durch Kampf und Zähigkeit wiedererrungenen Notzeit tönt uns das Wort Fichtes herüber: „Es wird sicherlich nie wieder irgendein Wohlsein an uns kommen, wenn nicht jeder einzelne unter uns in seiner Weise tut und wirket, als ob lediglich auf ihm das Heil des künftigen Geschlechts beruhe." Dr. Pr.