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glaubt, Satz schon Mil ihren letzten Maßnahmen vom Oktober dieses Jahres die Deflation überwunden werden könnte. In der Zwischenzeit seien allerdings wichtige Ereignisse eingetreten, die alle Voraussetzungen über den Haufen geworfen hätten; das sei namentlich durch das Sinken des englischen Pfundes geschehen. Mit dem englischen Pfund sei ein großer Teil der Währung in der Welt ebenfalls gefallen, und diese Vorgänge seien von entscheidender Bedeutung für Deutschland gewesen. Infolgedessen habe sich die deutsche Reichsregierung unter allen Umständen ent schließen müssen, in der Senkung der Gestehungskosten Deutschlands und in der Frage der Senkung in der Ge staltung der Etats von Reich, Ländern und Gemeinden einzugreifen, da es sich gezeigt habe, daß es unmöglich wäre, diese Etats in ihrer bisherigen Größe weiter auf rechtzuerhallen. Hierbei habe sich insbesondere die Schwierigkeit ergeben, daß die Zahl der Unterstützten immer größer gewesen sei, und daß die Regierung damit rechnen mußte, in diesem Winter eine Arbeitslosig keit bewältigen zu müssen, wie sie bisher in der Wirtschaftsgeschichte noch nicht dagewcscn sei. Die Regierung sei in dieser Frage aufs äußerste gerüstet. Erfreulicherweise konnte milgeteilt werden, daß die Zahl der Arbeitslosen, soweit es sich um die Krisenunter- stützung handelt, erheblich unter den Zahlen geblichen sei, mit der die Reichsregierung gerechnet habe. Der Kanzler beschäftigt sich sodann mit den einzelnen Punkten der Notverordnung. Aus der einen Seite sei es notwendig gewesen, Preise, Löh neundGehälter zu senken, auf der anderen, die Steuer schraube von neuem anzuziehen. Schon vor längerer Zeit habe die Reichsregierung darauf hinge wiesen, daß die Erhöhung der Umsatzsteuer ihre letzte Reserve bilden sollte. Jetzt muß die Reserve eingesetzt werden, da besonders die Länder und Gemeinden über große Defizite zu klagen hätten und 30 Prozent von der erhöhten Umsatzsteuer diesen Ländern und Gemeinden zusließen. Was die Preissenkung betrifft, so werden vor allen Dingen die Preise der gebundenen Artikel davon getroffen werden. Wenn diese Kürzung nicht erfolgen sollte, so werden olle Vereinbarungen über die gebundenen Preise sür nicht erklärt werden. Zu den Dingen, die vog dieser sofortigen Preissenkung getroffen werden, gehören Kali. Stick stoff und Kohle. Es sind weiter Sichernngsmaß- nahmcn getroffen, daß sich diese Preissenkungen auch bei dem Kleinhandel auswirken werden. Bei den nicht gebundenen Prei sen soll der soeben ernannte Ncichskommissar zur Preissenkung, Oberbürgermeister Görbeler, Leip zig, die notwendige Preissenkung überwachen. Geschäfte, die keine Verringerung der Preisspanne infolge dieser Verbilligung vornehmen, sollen sogar geschlossen werden können. Die Reichsregierung glaubt, mit dieser Drohung ein Mittel in der Hand zu haben, um den not wendigen Druck auszuüben. Ziemliches Aufsehen erregte die Mitteilung des Vize kanzlers, daß auch die festverzinslichen Papiere in ihren Zinssätzen gesenkt werden sollen. Die Zinsen sollen nicht nur für Hypotheken, sondern auch für Pfandbriefe hcr- uutergesrtzt werden. Die Neichsregierung glaubt, daß, wenn die Zinsen sür diese festverzinslichen Papiere auf ihrer jetzigen Höhe bleiben, diese Papiere in Gefahr geraten würden, weil diese hohen Zinsen nicht mehr aufzubringen seien. Auch auf dem Geldmarkt soll künftig nicht mehr voll kommene Freiheit bestehen. Der schon jetzt amtierende Kommissar für das Bankgewerbe wird in Verhandlungen mit den Spitzenverbänden der Kreditinstitute treten, um die Hohe der Zinsen sestzusetzen. Sehr erfreulich wird es von der Öffentlichkeit ver nommen werden, daß die Steuerverzugszu- schlüge mit Wirkung vom 1. Januar ab ausgehoben werden sollen. Von diesem Zeitpunkt ab sollen die Ver zugszinsen auch nur 1 Prozent monatlich betragen, und die Stundungszinsen zwischen 5 und 8 Prozent festgesetzt werden. Die Hauszinsstcucr soll allmählich verschwinden und vom 1. April 1940 ab vollkommen abgeschafft werden. Ab 1. April 1932 wird die Hauszinssteuer auf 80 Prozent gesenkt, dann weiter auf 75, dann auf 50, später auf 40, um dann schließlich ganz aufgehoben zu werden. Die Hauszinssteuer kann aber im Laufe der beiden nächsten Jahre avgelöst werden. Die Ablösung ist auch schon bis zum 1. April n. I. möglich. Die Mietcnsenkung ergibt sich erst aus der Senkung der Hypotheken zinsen. Bei den A t t w o h u u n g e n werden die Mieten sofort um zehn Prozent gesenkt. Bei Neubesitz ergibt sich die Senkung entsprechend der Ersparnis an Hypolhckenzinscn. Eine allgemeine Regelung ist bei Neu bauten nicht möglich, weit die Hypothckenzinscn je nach dem Sceubgujahre verschieden sind. Wo noch eine Zwangswirtschaft besteht, ist die Senkung der Mieten ohne weiteres sofort möglich. Wo eine Zwangswirtschaft nicht mehr besteht, gibt die Notverordnung die Möglichkeit, allen bis zum l. April zu kündigen. — Es folgen dann die Vorschriften für die Landwirtschaft und für den Hausbesitz bei ZwangSversteige- r u n g. Wenn bei Zwangsversteigerungen das Hüchst- angebot so gering ist, daß es in keinem Verhältnis zu der des Grundstücks steht, so kann der Zuschlag unter Um ständen erweitert werden. Außerdem kann der Inhaber von landwirtschaftlichen Grundstücken verlangen, daß zu nächst eine Zwangsverwaltung dieser' Grundstücke stattfindet, damit ihm Gelegenheit gegeben wird, seine schwierige Lage zu überwinden. Der Vizekanzler betonte hierbei, daß die Maßnahmen, die für die Landwirtschaften des Ostens getroffen worden seien, auf leinen Fall auch auf den Westen übertragen werden dürfen. Das habe das gesamte RcichSkabinctt ab- gelchnt. . Um den Verkehr mit Kleingeld zu erleichtern, plant die Neichsregierung die Prägung eines Vierpfcnnigstückes. Außerdem soll auch die Mineralwasser st euer auf gehoben werden. Bezüglich der S o z i a l v e r s i ch e r u n g e n sieht die Notverordnung vor allem einen Abbau der kleinen Renten der Unsallverückeruna vor. Dann kam der Vizekanzler auf die wichtigen Be stimmungen über die Löhne und Gehälter zu sprechen. Alle Tarife werden mit dem 30. April 1932 fällig, wenn sic nicht für längere Zeit abgeschlossen sind. Die Not verordnung zieht einen Vergleich mit den Sätzen vom 10. Januar 1927. Die Tarifsätze solle» auf das Niveau vom 10. Januar 1927 herabgesetzt werden. Jedoch, wenn die Differenz zwischen 27 und heute höher ist als lO Prozent, dann tritt nur eine Kürzung von 10 Prozent ein. Ist bisher eine Kürzung, noch nicht er folgt, dann soll eine Senkung um 15 Prozent folgen. Auf keinen Fall aber sollen die Sätze unter das Niveau vom Januar 1927 gesenkt werden. Zu diesen allgemeinen Senkungen treten nun die Senkungen für die Beamten im Reich, in den Ländern und den Gemeinden. Hier beträgt der Satz für die Beamten 9, für die Arbeiter 10 Prozent. Die Senkung beträgt in Wirklich keit auch für die Beamten 10 Prozent, weil die Berech nung nach dem augenblicklichen Gchaltsstand erfolgt. Sehr wichtig sind dann auch die Bestimmungen über die Kapitalflucht. Zunächst betonte der Vizekanzler, daß die Steueramnestie erfolgreich gewesen wäre und daß sehr viel Steuerkapital nachträglich angemeldet worden sei. Die Amnestie habe wieder geordnete Verhältnisse ge schaffen. Diejenigen Vermögensbesitzer, die ihr Geld ins Ausland geschafft haben, aber weiterhin in Deutschland ihre Geschäfte betreiben, sollen künftig durch eine besondere Neichsfluchtsteuer erfaßt werden. Wenn sic ihren Wohnsitz in Deutschland aufgegeben haben, müssen sie ein Viertel ihres Vermögens abgeben. Entzieht sich ein Kapitalflüchtiger dieser Ver mögensabgabe durch die Flucht ins Ausland, dann wird ein Sicuerstcckbrief hinter ihm erlassen, und wenn er wieder nach Deutschland zurückkehrt und gefaßt wird, so wird er mit Gefängnis bestraft. Die Bestimmung gilt nur für Vermögen über 200 000 Mark. -Zum Schluß sieht die Notverordnung auch eins Senkung der Eiscnbahnfrachttarife vor im Gesamtbetrag von 300 Millionen. Das letzte Kapitel der Notverordnung bezieht sich auf den Schutz des inneren Friedens, wobei insbesondere ein allgemeines Uniform verbot vorgesehen ist. Der Reichskanzler erklärt. Oer Aufmarsch für Vie internationalen Verhandlungen. Der Reichskanzler führte vor der Presse u. a. aus: Die Notverordnung stellt ein fest zusammenhängendes Ganzes dar; es kann kein Teil hcrausgenommcn werden, denn wir müssen den Schlußstrich ziehen unter eine uns aufgezwungene Deflationspolitik. Wir haben uns in angestrengtester Arbeit seit längerer Arbeit mit dieser Frage beschäftigt. Einen anderen Weg, diesen Schlußstrich zu ziehen als durch diese Notverordnung, haben wir nicht gesunden. Wir sind der festen Überzeugung, daß es keinen anderen Weg gibt, um die Zahlungssicherheit aufrechtzuerhalten, die Arbeitslosigkeit zu ver mindern, um den Warenumsatz aufrechtzuerhalten. Denn es ist unmöglich, die Anpassung an die Wäh rungsentwicklung weiterzuführen, weil wir dadurch aus dem Zustand dauernder Unruhe nicht herauskommen wer den. Notwendig ist, daß wir zu einer gewissen Ruhe kommen. — Durch unsere Maßnahmen sind Etat- und Kassensicherheil unbedingt gesichert. Das ist um so wich tiger, weil wir jetzt vor schwersten außenpolitischen Verhandlungen stehen. Ich glaube in dieser Stunde trotz aller harten Maßnahmen nicht die Verantwortung für die außen politischen Verhandlungen aus mich nehmen zu können, bevor nicht Etat und Kassensicherheit für die nächsten Monate unbedingt gewährleistet sind. Diese Sicherheit schafft uns ein ganz anderes Sprungbrett. Es ist jetzt der Augenblick gekommen, wo auch die intensivste Beleuch tung unseres Etats dem Auslande nicht die Möglichkeit geben wird, an unseren Ausgaben noch Abstriche zu machen. Namentlich der Reichsetat ist heute auf ein solches Minimum zurückgefllhrr, daß er einen Vergleich mit den niedrigsten Ausgaben der Vorkriegszeit aushälr. Zum Schluß betonte der Kanzler noch einmal, sich bewußt zu sein, daß dieses Programm den Aufmarsch für die internationalen Verhandlungen darstellt. Mains verteidigt seine Politik. In einer Rundfunkkundgebung beleuchtete Reichs kanzler Dr. Brüning noch einmal im einzelnen dis Punkte der Notverordnung und führte dann aus: „Daß sich jeder einzelne von uns innerlich auf bäumt gegen das harte Schicksal unserer Zeit, versteht niemand mehr als ich. Wir haben uns, nicder- gcworfen durch den Weltkrieg aus glänzender Höhe, im innersten Herzen aufgebäumt gegen die Erkenntnis, daß die Not eine Wirklichkeit und nicht nur ein böser Traum sei. Mit steigender Not haben sich weite Volkskreise zu Traumbildern geflüchtet. Eine Rettung Deutsch lands ist jetzt wie im vergangenen Jahre nur möglich, wenn nicht die Leitung der deutschen Politik sich ebenfalls in diesen Kreis der Illusion begibt, sondern sich aus eigenster Liebe zu Volk und Vaterland von nüchterner Überlegung und klarer Einsicht in die uns nach dem Kriegs verbliebenen Mittel und Möglichkeiten bestimmen läßt. Neigung zu der gefühlsmäßigen Betrachtung der Politik, so sehr sie auch in der Tiefe deutscher Seele wurzelt, darf nicht die Oberhand über rubige Überlegung gewinnen, sonst werden wir unser Land nie auf den Platz zurückbringen, der ihm gebührt. Wenn die deutsche Politik dem Versuch erliegen würde, die Leidenschaften der Gegenwart durch Steigerung unklarer Gefühle zu heilen, würde es mit Deutschland zu Ende gehen. Eine Regierung, die ihrer Verantwortlichkeit für Volk und Vaterland bewußt ist, darf solchen Strömungen nicht nach geben. Sie darf nicht davor zurückschrecken, dem drohen den Verfall der Votkstrast unt eiserner Energie cutgegen- zutreten. Sic duldet leine andere Macht als die verfassungs mäßige. Reichspräsident und Neichsregierung verfügen allein über die Machtmittel des Staates. Sie werden mit un erbittlicher Strenge, nötigenfalls auch unter Verhängung des Ausnahmezustandes, allen denjenigen cntgcgcnzu- trctcn wissen, die sich unterfangen sollten, den verfassungs mäßigen Gewalten in den Rücken zu fallen. Wenn der Parteiführer der Nationalsozia listen die legalen Wege und Ziele seiner politischen Absichten betont hat, so stehen in direktem Widerspruch dazu, die zu einem offenen Bruderkampf in außen politjschen Berichten anffordern. Wenn man versichert, daß man auf legalem Wege zur Macht kommen will, selbst »nter Durchbrechung der legalen Schranken, so ist das keine Legalität Zur Rundfunkrede Dr. Brünings, bei der der Reichskanzler zu den Notverordnungen Stellung nahm. und sie ist dies noch weniger, wenn zur gleichen Zeit Rachepläne gefaßt und vorgetragen werden. Dagegen wende ich mich als verantwortlicher Staats mann auf das schärfte. Ich werde mich mit allen verfassungsmäßigen Mitteln dagegen wehren, das deutsche Volk in der gcgwärtigen ungeheuren materiellen und seelischen Not in zwei feind liche Lager zu zerreißen. Es ist ein dem deutschen Volke abträglicher Versuch, im Aus lande den Eindruck zu erwecken, als ob cs in Deutschland in Wirklichkeit geteilte Fronten gäbe. Auch künftighin wird die politische Führung des Deutschen Reiches und die Vertretung der Interessen des Deutschen Reiches im Ausland ausschließlich in den Händen des Herrn Reichspräsidenten und der verfassungs mäßigen Regierung liegen. Ich werde nie mit Versprechungen oder Illusionen über den wirklichen Zustand, in dem sich unsere politische Lage befindet, hinwegzutäuschen versuchen. Der Mut, eine schlimme Wirklichkeit anzuzcigcn und sich danach einznrichten, hat auch in der Vergangenheit die Völker zum Wiederaufstieg gebracht. Kühle Überlegung, das harte Rechnen mit politische« Möglichkeiten ist nicht ein Mangel an Mitempfinden für die Leiden des Volkes, es ist vielmehr die schwere Verant wortung, die auf den Regierenden ruht und ihnen ver bietet, ihr innerstes Empfinden anders als in der sorgfäl tigen Führung ihres Amtes zu äußern." * Or. Gördeler, Michskommissar für die Preisüberwachung. Der Reichspräsident empfing Oberbürgermeister Dr. Gördcler-Lcipzig und bat ihn, im Interesse der Allgemein heit und der schnellen Durchführung der Preissenkung das in der neuen Notverordnung geschaffene Amt eines Rcichskommissars für die Preisüberwachung zu über nehmen. Dr. Gördeler hat sich dem Reichspräsidenten zur Verfügung gestellt Sein Amt mit der Parteizugehörigkeit unvereinbar. Der der denifchncuionalen Volkspanei angeyörende! Oberbürgermeister Tr. Geerdeter (Leipzig!, der die Be-^ rusung zum Reichskommisfar für die Preisüberwachung angenommen Hai, verössemUcht aus Grund einer Unter-! reduug, die er mit dem Führer der Deuijchnalionalen, Hugenberg, haue, folgende Erklärung: „Meine Ernennung zum Reichskommisfar bringt mich in einen Gegensau zu der politische« Haltung der Trutfch- nationleu Vollspartei und ihrer Lppositionöstellung gegen das Kabinctl Brüning. Rach einer Unterredung, die ich mit Herrn Tr Hugenbrrg Halle, ziehe ich auS dieser Tatsache, so lehr ich mich nach wie vor mil den politischen und wcUanlckmulicinn Grnndsäne« der TruUchnativnnlctt Vvltspariri verbunden fühle, die Folgerung meines Aus trittes aus der Par'rl " Zn dieser Erklärung Goerdelers veröftenllicht die denischnalionate Presiesietle eine Mitteilung, in der es heißn „?er rUusniii des Oberbürgermeisters Goeidclcr, der im übrigen bei dieser Gelegenbeil gegenüber ?r. Hugenberg und der Paiiei seine volle rwnaliial bewiesen Hal, war nach der Übernahme des KommlsjarialS eine Celbstverstandlichlcil." * > Was die Berliner P esse dazv soot Berlin, 9. Dezember. Neben einer Inhaltsangabe der neuen Notverordnung und den verschiedenen Ministerreden brin° gcir die Berliner Blatter ausführliche Stellungnahmen, in dene» die neue Notverordnung in ihrer Eesamtweit gewürdigt wird- Die „Germania" bezeichnet die Notverordnung als ein DV', ment der Not und hebt hervor, daß an zahlreiche» Einzelheu^ noch eingehende Kritik zu üben sei, daß man aber dem 9^"'' , Problem nur gerecht werden könne, wenn man die lcttn Gesichtspunkte berücksichtige, die die Reichsregierung bei der