Volltext Seite (XML)
Wilsdruffer Tageblatt s. Blatt Nr. 248 — Freitag, Le« LS. Oktober 1931 Tagesspruch. 2m Wasser kannst du dein Antlitz seh'n, Im Wein des andern Herz erspäh'n. Ablehnung der Mirauensanträge in Preußen. t n. Berlin, 22. Oktober. Im Preußischen Landtag brachte Abg. Steinhofs jDtn.) einen Mitztrauensantrag seiner Fraktion gegen Landwirt- Ichaftsminister Dr. Steiger ein. Annahme finden Anträge des Hauptausschusses. Die Re gierung wird danach ersucht, im Einvernehmen mit dem Relchs- kabinell in den Unwetterschädengebieten im Einzelsall nach Möglichkeit durch Steuerstundungen bzw. Niederschlagungen zu Helsen und auf die Gemeinden im gleichen Sinne einzu wirken. desgleichen eine Streichung der halbmonatlichen Ver- zugszinsen vorzunehmen, ferner nach Möglichkeit verbilligtes Saatgut zur Verfügung zu stellen. Zur Linderung der Not in den Preußischen Weinbaugebieten wird eine Reihe von Maßnahmen gefordert, nm die ausländische Konkurrenz nach Möglichkeit zu unterbinden und den Absatz deutscher Weine zu fördern Ohne Aussprache wird Anträgen des Geschäflsordnungs- ausschusses zugestimml, die Genehmigung zur Sirafversolgung von Abgeordneten in 32 Fällen zu versagen. Darunter oes'ndet sich ein Antrag aus Genehmigung zur Durchführung einer Privatklage gegen den Abgeordneten Ministerpräsidenten Dr Braun wegen Beleidigung In 18 Fällen beantragt der Geschäftsordnungsausschuß die Erteilung der Genehmigung zur Strafverfolgung, wobei es sich in 12 Fällen um Kommunisten, in 4 Fällen uni National sozialisten und ferner um einen Wirtschastsparteiler und einen Staatsparreiler handelt. In der fortgesetzten Aussprache über das Grubenunglück aus Zeche Mont Cenis und Anträge des Handelsausschusses über das Gruben sicherheitswesen erklärt Abg Sobottka tKomm.), seine Fraktion habe bereits im November l930 einen Gesetzentwurf zum Schutze der Bergarbeiter eingebrachl Der Landtag habe einen so wichtigen Gegenstand ein Fahr lang liegenlassen. Abg. Harsch (Ztr.) meint vielfach seien ernste Klagen der Arbeiterschaft mit Unverständnis und Anmaßung behandelt worden. Die Wetlerkontrolle lasse vielfach zu wünschen übrig. Wenn ein Wettermann das Vorhandensein von Schlagwettern melde, so werde er abgelöst und entlassen. Das Antreiber system bestehe, trotz allen Abstretiens, doch noch weiter. Abg. Langer-Oberhausen <Dt Vp.) begrüßt die ständigen Fortschritte aus dem Gebiet des Grubensicherheitswesens Seiner Fraktion liege an einer sachlichen Bearbeitung aller dieser Fragen, sern von jedem parteipolitischen Standpunkt Die Schuldigen müßten unnachsichtlich zur Rechenschaft gezogen werden. Das Haus unterbricht darauf die Beratung zur Vor nahme der Abstimmungen. Es wird zunächst namentlich abgestimmt über die Anträge der Deutschnationalen und der Kommunisten, dem Staats- Ministerium das Vertrauen zu entziehen. Gegen diese Anträge stimmen die Regierungsparteien. Die Anträge werden mit 235 gegen 195 Stimmen unter lebhaften Bravorufen der Regie- rungspartelen abgelehnt. Der kommunistische Mitztrauensantrag gegen Kultus minister Grimme wird mit 235 gegen 192 Stimmen abgelehnt. der weitere kommunistische Mitztrauensantrag gegen den Minister des Innern, Severing, verfällt mit 226 gegen 176 Stimmen der Ablehnung An dieser Abstimmung beteiligt sich die Wirtschastspartei nicht Gegen die Stimmen der Rechten wird ein deutschnationaler Antrag abgelehnt, die Maßnahmen des Innenministers gegen drei Poltzewffiziere. die sich am Volksentscheid auf Landlagsauflösung beteiligt haben, zu mißbilligen In namentlicher Abstimmung wird der weitere kommu nistische Antrag mit 286 stimmen gegen 118 Stimmen der Antragsteller und Deutschnattonalen abgelehnt wonach der Landtag die Zustimmung des Staaismimsteriums zur Reichsnotverordnuyg vom 6 Oktober „Ruhr M M erltr ümgerpMAt!" Napoleon I. in Berlin. Zum 125. Jahrestage seines Einzuges. Am 14. Oktober 1806 war die Doppelschlacht von Jen« und Auerstädt geschlagen worden, eine Schlacht, die für viele Jahre über Preußens Schicksal entschied und das ganz Deutschland dem Untergange nahe brachte. Am 24. Oktober, zehn Tage nach Jena und Auerstädt, rückten die ersten Truppenabteilungen in Berlin ein, wo die Be hörden, auf den vollständigen Zusammenbruch gefaßt, ebenso kopflos waren wie überall. Der Gouverneur der Hauptstadt, Gras Schulenburg, erließ jene „berühmte" Kundgebung: „Der König hat eine bamftle verloren; die erste Bürgerpflicht ist Ruhe; ich fordere hiezu alle Bürger Berlins auf." Die Freiwilligen, die sich zum Kampfe gegen die anrückenden Franzosen meldeten, wies der Gouverneur zurück. Sieben preußische Minister erklärten sich bereit, Napoleon den Treueid zu leisten. Am 25. Oktober traf der Kaiser der Franzosen in Potsdam ein. Hier war eine seiner ersten Handlungen der Besuch der Gruft Friedrichs des Großen, vor der er sich mit mehreren hohen Offizieren einfand. Die Szene Der Einzug Napoleons lauf dem Schimmel) durch das Brandenburger Tor in Berlin vor 125 Jahren, am 27. Oktober 1806. (Nach einer zeitgenössischen Darstellung.) ist oft geschildert worden. Der Kaiser soll lange Zeit schweigend am Grabe des Preußenkönigs gestanden und dann zu seinem Gefolge gesagt haben: „Wenn der, der hier unten liegt, noch lebte, wären wir jetzt nicht hier!" Die Bewunderung, die er für Friedrich den Großen hegte, hinderte Napoleon aber nicht, die Gruft zu berauben: er nahm den Degen, die Schärpe und den schwarzen Adler orden des Königs an sich und schickte sie in das Jnvaliden- hotel nach Paris. Zwei Tage blieb der Kaiser in Pots dam, dann ging es weiter nach Berlin, wo er am 27. Oktober, umgeben von seinen Generalen, seinen Einzug hielt. Durch das Brandenburger Tor und durch die Straße „Unter den Linden" ritt er, von den Berlinern aus angemessener Entfernung scheu und ängstlich be trachtet, nach dem alten Königsschlosse, wo er Wohnung nahm. Auch in Berlin sollte es nicht ohne eine kleine oder vielmehr große Räuberei abgehen. Das berühmte Vier gespann der Siegesgöttin, das oben aus dem Branden burger Tore steht, hatte es ihm angetan, und er beschloß sofort, es nach Frankreich mitzunehmen. Es dauerte aber noch ein paar Monate, ehe es wirklich heruntergeholt und, in Kisten verpackt, nach Paris gesandt wurde. Sieben Jahre ist es dort geblieben, und zwar — unausgepackt! Der erste Pariser Friede, der am 30. Mai 1814 unter zeichnet wurde, gab die Siegesgöttin an Preußen zurück. Sie wurde in Berlin aber nicht mehr mit dem Gesicht nach dem Tiergarten zu aufgestellt, sondern nach den Linden zu. Von Berlin aus erließ der Franzosenkaiser seine ge wohnten Machtsprüche, die den Zweck hatten, Deutschland ganz zu zerstückeln. Mehrere Fürsten wurden ihrer Länder für verlustig erklärt, andere wurden gezwungen, dem be rüchtigten Rheinbunde beizutreten. Ganz Norddeutfchland wurde besetzt und kam in die Gewalt der Franzosen, und die obersten Gebiete mußten ungeheure Kriegskosten be zahlen. Von Berlin aus erließ Napoleon auch am 21. November 1806 das Dekret der Kontinentalsperre, wo nach ganz England in Blockadezustand erklärt und den Einwohnern der Frankreich unterworfenen Länder aller Handels- und Briefverkehr mit England untersagt und alle von oder noch England kommenden Waren und Briefe konfisziert werden sollten. Von Berlin aus unternahm er dann den Weichselfeldzug, der am 9. Juli 1807 mit einem der schmachvollsten Friedensschlüsse der Welt geschichte, dem für Preußen so grausamen Frieden von Tilsit, enden sollte. Der Jahrestag des Einzuges Napoleons in Berlin erweckt, wie man sieht, alles andere eher als freundliche Erinnerungen. Trotzdem soll und muß seiner gedacht werden, schon deshalb, weil er offenbart, daß alle irdische Macht eines Tages zuschanden wird, daß selbst ein Macht haber von dem Format Napoleons eines Tages von seinem hohen Piedestal hinabgcworfen wurde . . . mißbilligt und die Regierung ersuchi werden sollie, vom Reich die sofortige Aushebung aller Notverordnungen zu verlangen Mit den Stimmen der Regierungsparteien, der Deutschen Volkspartei und der Kommunisten wird die Entschließung der Regierungsparteien angenommen, wonach die Regierung auch die Beförderungssperre wieder beieiligen soll und ferner ersucht wird aus die Reichsregierung elnzu wirken, daß die Besoldungsvorschristen >n Zutuns, gleichmäßig m Reich, Ländern und Gemeinden erlassen werden Eingriff! in die Selbstverwaltung sollen aus die driugendsten Fälle und nur für die augenblickliche Notzeit betchcänki werden Mit den Stimmen der Regierungsparteien und der Kom munisten wird der Zentrumsantrag angenommen, der sich gegen die hohen Gehälter in den subventionierten Betrieben der Privatindustrie wendet und das StaalSministertum ersucht im Einvernehmen mit der Reichsregierung alsbald in eine Prüsung einzuireten, ob die Direktorengehälier den vom Staai subventionierten Unter nehmungen angemessen sind Gegebenensalls soll von einer an gemessenen Festsetzung dieser Gehälter die weitere Unterstützung abhängig gemacht werden Der Ausschußberatung werden u. a. ein staatsparleilicher Antrag auf Revision der Fürstenabfindung und ein kommunistischer Antrag überwiesen, der darüber hin aus auch die Einstellung weiterer Subventionen an die Privat wirtschaft verlangt Ein angenommener Antrag oer Siaats- partei erfucht darum, zur Linderung der Not der Jugend den Beamten und Lehrern mu dem 50 Lebensjahr das frei willige übertreten in den Ruhestand zu ermög lichen. Die Verordnung des Siaalsministeriums wegen Bürg schaftsübernahme zugunsten dcrLandesbankderRhetn- provinz wird mit 242 gegen 158 Stimmen gebilligt. „Monl Cenis" Dann wurde die Aussprache über das Grubenunglück und hie BergarbeUerschutzanträge fortgesetzt, wobei noch der volks parteiliche Abgeordnete Hartmann erklärte, daß seine Partei zur BergbauverwaUung Vertrauen habe und alles tun werde, um durch stärkere Sicherheil in den Bergwerken Lelen und Gesundheil der Bergarbeiter zu schützen. Der umfangreiche Ausschußaritrag aus wettere Sicherheitsmaßnahmen kür die Bergarbeiter wurde angenommen, während die Anträge betr. Stillegung von Kohlengruben an den in Frage kommenden Ausschuß überwiesen wurde. Das Haus vertagte sich dann auf Freitag: Dcutichnatio- naler Mitztrauensantrag gegen Landwirlschaftsminister Steiger. Landtaasvertagung bis zum 4. November. Nach einein Beschluß des Ältestenrates wird sich der Preußische Landtag am Freitag nach der Aussprache über den deutschuationalen Mißtrauensantrag gegen den Land wirtschaftsminister Steiger vis zum 4. November vertagen, um dann die Abstimmung über diesen An trag vorzunehmen und noch einige andere Vorlagen zu er- vx.ltt.zs OLkkr »elrrx^vvxky^ (8 Fortsetzung.) „Der Ausgang hat uns sehr erfrischt, und Er hat sich hoffentlich nicht gelangweilt," sagte der König und bot dem etwas derangierten Kammerherrn eine Prise. Dann ging er, sich leicht auf seinen Begleiter stützend, zum schloß hin auf. Herr von Reichenau konstatierte, daß viele Augen das fried liche Bild sahen, und als sich Majestät noch huldvollst nach seiner Familie erkundigte, war sein Zorn schon zur Hälfte verraucht. Dem alten Böhme wollte er aber einmal sagen, daß seine Tochter nicht im Tiergarten zu flanieren habe, wenn der König hier draußen residierte. Der hohe Herr sollte auf seinen Erholungsgängen nicht gestört werden . Die Kleine war auch zu jung und zu dumm, um dem König länger als ein Stündchen Unterhaltung zu gewähren, da mußte er sich schon anderweit kümmern. 4. Klat s ch. Therese kam selig nach Hause. Vor Aufregung hatte sie «och rötere Backen als sonst. „Mutter, du ratest ja nicht, mit wem ich jetzt nach Hause gegangen bin." „Ich habe wohl noch Zeit, zu raten! Ich sitze da und habe Mit Christel die ganze Arbeit allein." „Mit dem König bin ich gegangen, von weit Hinterm Bild chen*) her, die ganze Allee entlang." Da waren natürlich Mutter und Magd interessiert. „Mit den vielen Hunden?" sagte Christel, und die Mutter: »Madel, so etwas! Konntest du nicht beiseite gehen? Es iw? Gedenktafel für einen Verunglückten zwischen Reichen- °°rg und Moritzburg. wird doch nicht gern gesehen. Hast du dich auch vernünftig benommen? Bei dir weiß man das ja nie bestimmt!" „Dem König muß es ganz gut gefallen haben, sonst hätte er nicht gesagt, ich solle ihm morgen den Wald zeigen " Die Magd lachte, und die Mutter schüttelte den Kopf. „Das ist nun wieder so ein Unsinn!" „Ihr glaubt es wohl nicht? Wirklich, Mutter — morgen früh um acht Uhr soll ich am Fasanenschlößchen sein. Der König läßt dir ausdrücklich bestellen, daß er den Wald sehen will, wie ich ihn sehe. Darf ich gehen?" „Da gibt es weiter nichts als gehen. Was solche Herren bloß für kuriose Einfälle haben! Wovon habt ihr denn ge sprochen?" „Von allem Möglichen, vom Wald, dem Theater, von den Hunden. Der König war ganz vergnügt Was er bloß alles nicht wußte! Ich glaube, der Kammerherr redet wie zu Hause immer von teuren Zeiten. Kein Wunder, wenn der König so vergrämt aussieht." „Vater wird staunen. Du erzählst ihm dann alles bei Tisch: jetzt wollen wir nur erst fertig werden." Der Mittag kam bald heran, und in dem Haushalt, in dem noch eine Menge Tiere und der Garten zu versorgen waren, hatte jedes sein gut Teil Arbeit. Christel kam herein. „Der Herr steht schon vor dem Tor mit dem russischen Baron und wir sind noch nicht ganz zu Rand." Wie der Wind war Frau Friederike in der Vorderstube und konnte gerade sehen, wie der Russe sich mit einer höchst respektvollen Verbeugung vom Vater verabschiedete. Das gab ihr zu denken. Vater dachte sicher nichts dabei Therese hätte den Vater am liebsten gleich an der Tür überfallen mit ihrem Bericht. Er liebte aber solche stürmische Empfänge gar nicht; erst mußte er seinen Dienstmenschen aus ziehen, wie Mutter sagte, dann genoß er in Ruhe alles. Gutes und Schlimmes Heute war er ehrlich erfreut, zum Erstaunen der Mutter „Hoffentlich weißt du die Ehre zu schätzen. Ich gönne dem König ja von Herzen so einen kleinen Ausflug ohne jede Eti kette; da steht seine Umgebung ratlos da und möchte am lieb sten ihre Mißbilligung ausdrücken." „Vater, morgen soll Therese noch einmal mit m den Wald gehen." „Nein, so etwas! Da muß es ihm aber gefallen haben! — Mädel, Mädel, nun schwatze bloß nicht wie eine Elster: denke, mit wem du gehst!" „Ja, Vater, ich freue mich auch. Mir fiel heute auch wieder auf, wie ähnlich du dem König bist; bloß geht er nicht so gerade wie du." „Ich habe auch nicht die Sorgen. Er sollte es sich nicht so schwer machen, er möchte so gern alle Not tilgen, die der end lose Krieg hinterlassen hat. Wäre er nicht io ein selten guter Mensch, ließe er den Karren laufen, wie er eben läuft; es dankt ihm doch keiner seine Arbeit ums Indiehöhkommen.' Therese ging es ordentlich nahe, daß sich ihr geliebter König so sorgen sollte; so schlimm hatte sie sich's nicht gedacht. Am liebsten hätte sie ihm ein Teil abgenommen. Frau Friederike hatte auch ihre Sorgen. „Vater, wie war es denn heute? Hat dir der Russe ge fallen?" „Wir haben für die Hofküche eine Menge Rebhühner ge schossen, mehr als sie brauchen. Laß ja fragen, ob wir ein Paar bekommen können" „Wenn das Paar mehr als zwei Groschen kostet, nehme ich sie nicht, da wird der Braten zu teuer. — Und der Russe, Vater? Du warst doch das erstemal in so kleinem Kreis mit ihm zusammen?" „Was habt ihr bloß mit dem Russen? Er ist ein ausge zeichneter Jäger und war äußerst höflich und zuvorkommend. Hat sich auch nach euch erkundigt und wird einen Besuch machen." „Auch das noch!" sagte die Mutter und guckte Therese an, die sich ganz still verhielt. Vater liebte nicht, wenn sie sich ins Gespräch mischte. „Vater, sei einmal vorsichtig! Ich glaube, er interessiert sich für Therese" „Unü ich glaube, euch stichl der Hafer. Er stammt aus höchstem russischen Adel und soll für unsere Begriffe unermeß lich reich sein. Da kommt er zu unserer Therese auf die Freit? So ein Unsinn! Dazu ist er jetzt durch halb Europa gereist. Wer bloß solchen Tratsch aufbr-ngt!" Er zog sich in die Sofaecke zurück, ein Signal, daß seine Damen mit dem Eßgeschirr zu verschwinden hatten (Fortsetzung folgt.)