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Wilsdruffer Tageblatt : 17.09.1931
- Erscheinungsdatum
- 1931-09-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193109171
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19310917
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19310917
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1931
-
Monat
1931-09
- Tag 1931-09-17
-
Monat
1931-09
-
Jahr
1931
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 17.09.1931
- Autor
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Vt* gut» Rat. Jagdskizze von Hermann L. Schillings. Der dicke Brauereibesiyer Josef Denner war trotz seiner säst zwei Zentner Lebendgewicht ein eifriger Nimrod. Das lag ihm schon vom Urgroßvater her im Blute, der die Brauerei gegründet hatte. Mit dem Unternehmen war auch die Jagd leidenschaft vererbt worden. Stellte jenes ein vorbildliches Unternehmen dar, so galt seine Jagd von jeher als ein Musterrevier. Kein Wunder, daß „Sepp", wie man Josef Oertner nannte, eine ausschlaggebende Rolle in allen weid männischen und Hundezüchtervereinen spielte. Er ging auch ständig in graugrünem Jagdloden gekleidet mit einem grünen kleinen Jägerfisiz auf dem blanken Schädel. Ein besonderes Kennzeichen war die dünne Virginia- Zigarre, die er aus einer fast fußlangen Weichselspitze zu rauchen Pflegte. Die Zigarre erwies sich als ein untrügliches Barometer, daran man die jeweilige Stimmung Sepps ab lesen konnte. In normalen Zeiten zeigte sie waagerecht nach vorn. War er besonders guter Laune, so wedelte sie freudig hin und her wie die Stummelrute seines Stichelhaarrüden. Zeigte der Glimmstengel nach oben, so wußte man sicher, daß dem Raucher eine Laus über die Leber gekrochen war. Ragte die Zigarre senkrecht in die Luft, so daß sie wie der Schorn stein seiner Brauerei handbreit über das Hütel hinauswuchs, so tat man gut, Sepp drei Schritt vom Leibe zu bleiben, denn Vann gab es Gewitter mit Blitz, Donner und Hagelschlag. Im allgemeinen kannte man Oertner als einen, den man „eine Seele von Mensch" zu nennen Pflegt, gutmütig und humorvoll. Aber da er weidgerecht war, so konnte ihn jedes unweidmännische Gebaren in Harnisch bringen. In der Stadt lebte nun auch der Rechnungsrat Nieder quell, ein nervöses quecksilbriges Männchen, das sich für einen grcßen Jäger hielt. Niederquell besaß einen nagelneuen Drilling, eine fesche Jagdmontur, einen sehr schlecht abgerich teten Köter und einen nicht viel besser erzogenen vierzehn jährigen Sprößling. Gründe genug, um zu verlangen, daß er bei allen jagdlichen Veranstaltungen eingeladen würde. Da der Baron von Stettenheim beruflich mit dem Rechnungs rat häufig zu tun hatte, durfte er ihn bei der Einladung zu der in seinem Revier stattfindenden Treibjagd nicht übersehen. Niederquell kam also angezogen mit Drilling, Hund und Sohn. Bei der Anstellung der Schützen Plazierte man ihn auf eine Bodenerhebung, auf der er recht sichtbar für das Wild stand, sodaß man hoffen durfte, daß er dort kaum Anlauf haben würde. Aber bekanntlich kommt es im Leben überhaupt und bei der Jagd ganz besonders meistens anders, als man denkt. Als die Treiberkette vorgina, liefen die Hasen wie von einem Magneten gezogen schnurstracks auf die Erhebung zu, auf die man Niederquell gestellt hatte. Vielleicht wußten die schlauen Tiere auch, daß es dort am ungefährlichsten war. Und nun ging's los. Der Junge schrie und führte Jndianertänze auf. Der Köter bellte, jaulte und riß an der Strippe. Der Rechnungsrat legte Sperrfeuer auf die anstürmenden Hasen und knallte, was heraus wollte. Dadurch brachte er zwar nicht das Wild, Wohl aber die übrigen Schützen in erhebliche Lebens gefahr. Das Jagen war gründlich verpatzt. Die Jagd wurde abgeblasen. Die Schützen begaben sich zum Sammelplatz und standen ziemlich mißmutig beieinander. Nur Sepp ging ab seits hin und her. Die drei Nackenwülste leuchteten weinrot, seine Gesichtssarbe sah einer reifen Zwetsche nicht unähnlich, und die Virginia reckte sich senkrecht und drohend zum wolken losen Oktoberhimmel. Alle wußten: Das gibt was. Der ein zige Ahnungslose war der Rechnungsrat. Da stapfte Sepp auch schon gewichtig auf ihn zu. „Herr Rechnungsrat, da möcht i Ihnen in aller Freund lichkeit an guaten Rat 'geben hab'n." Bei jedem Satz schwoll seine Stimme an, bis es mit Windstärke 16 auf den unglück lichen Niederquell herabprasselte. „Wanns mal wieder zur Jagd rauskimmen, nacha lassen Ihren Jungen z'haus, nacha lassens Ihren Köter z'haus, nacha lassens Ihre Flinten z'haus, nacha bleibens selber z'haus." Ei« imerkWter junger M«nn. Kriminälskizze von Kurt Miethke. Nelly hatte einen interessanten jungen Mann aufgegabelt, einen schlanken, schwarzhaarigen Holländer namens Hendrik van Eekhoud, der so blasiert aussah, daß ihn sämtliche weib lichen Gäste des Fünfuhrtees reizend fanden. Der Gastgeberin, Marlene Makofs, erschien er bezaubernd in seiner kühlen, höflichen, aber ablehnenden Haltung. „Sind Sie schon lange in Berlin?" fragte sie ihn. „Nein, gnädige Frau, erst acht Tage, aber die Stadt interessiert mich." „Wollen Sie nicht morgen abend den Ball der bunten Laterne mitmachen?" „Verzeihung, gnädige Frau, aber ein solcher Ball liegt nicht im Gebiete meines Interesses. Mich fesselt das All tagsleben einer großen Stadt viel mehr als das doch immer ein wenig künstliche eines solches Balles." „Und wie studieren Sie das Alltagsleben, Herr van Eekhoud?" „In den Markthallen, in den Bouillonkellern, in schmie- rigen Kneipen im Osten." „Huhu!" „Sie mögen darüber lächeln, gnädige Frau, aber das Herz einer großen Stadt lernt man in den ärmsten Vierteln kennen, nicht in den Salons." „Hm, sagen Sie mal, Herr van Eekhoud, warum nehmen Sie mich nicht einmal mit auf so einem Streifzuge durch das dunkle Berlin?" „Wenn Sie cs wünschen, selbstverständlich. Aber haben Sie gar keine Angst?" „Angst? Nicht im geringsten. Die Leute sind bestimmt gutmutig; und wenn man sie zu behandeln weiß, wird man auch sicher nicht bestohlen." „Nana. Ich weiß nicht, ob Sie es zum Beispiel wagen durften, mit Ihrer herrlichen Perlenkette in der Dämmerung durch gewisse Straßen im Osten zu gehen." Marlene dachte eine Weile nach, dann lachte sie lustig und sagte: „Ich biete Ihnen eine Wette an, Herr van Eekhoud." „Ich bin begierig, Gnädigste." „Ich behaupte, daß ich mich mit dieser meiner echten Perlenkette in der Dämmerung an die Ecke de, verrufensten Straße Berlins stellen kann, ohne daß man sie mir stiehlt. Eine ganze halbe Stunde lang." „Unmöglich, gnädige Frau." „Nehmen Sie die Wette an oder nicht?" „Sie werden verlieren, gnädige Frau." „Nehmen Sie an oder nicht? Wer verliert, hat fünf hundert Mark für einen wohltätigen Zweck zu bezahlen. Ja oder Nein." „Gut, ich nehme die Wette an. Wann wollen wir den Versuch machen?" „Morgelt nachmittag um fünf." „Gut. Ich werde mit meinem Auto in der Nähe Halter j und Sie beobachten, damit Ihnen auf keinen Fall etwas ge- t fchehen kann." „Schön. Und um zu sehen, wie ich es mache, nicht wahr, Herr van Eekhoud?" Am nächsten Nachmittag hielt in einer verrufenen Gegend des Berliner Nordostens eine Autvdroschke, und dahinter hielt ein eleganter Privatwagen. Der Autodroschke entstieg eine Frau mit einem Tuch um den Kopf, mit einer Perlenkette um den Hals und einem Kasten, der an einem Riemen um die Schultern hing. Der Herr in dem Privatauto machte ein unerhört langes Gesicht, als er die Frau sah, denn er hatte natürlich sofort begriffen, wie Marlene Makofs ihre Wette zu ge winnen dachte. Die Autodroschke fuhr fort, und Marlene stellte sich an die nächste Straßenecke, klappte ihren Kasten auf und entnahm ihm ein dickes Bündel langer Perlenketten, die sie den Vor übergehenden für fünfzig Pfennig pro Stück anbot. Sie war von einer Straßenhändlerin gar nicht zu unterscheiden, die Kostümierung war ihr ausgezeichnet gelungen. Die Ketten, die sie verkaufte, waren schöne Imitationen, und nach zehn Minuten hatte sie schon zwei davon verkauft. Niemand kam auf die Idee, daß eine Straßenhändlerin eine echte Perlen kette um den Hals tragen könnte, und in der Dämmerung wareü die unechten von den echten sowieso nicht zu unter scheiden. Eine halbe Stunde verging. Marlene hatte im ganzen fünf Ketten verkauft. Und Herr van Eekhoud zwischendurch fünf Zigaretten geraucht. Marlene klappte Plötzlich den Kasten zu und ging zu - seinem Auto. Er öffnete höflich die Tür, küßte ihr die Hand ; und sagte: „Gnädige Frau, ich bin starr vor Bewunderung, ? Jch finde Ihren Trick ausgezeichnet. Wenn auch ein wenig s heimtückisch mir gegenüber. Aber glauben Sie mir, ich habe j die Wette gern verloren. Darf ich Ihnen die Summe gleich überreichen?" Er entnahm seiner Brieftasche fünf Hundert markscheine und reichte sie Marlene, die sie in ihrem Perlen- kasten verstaute, worin auch ihr Kopftuch verschwand. „Ich habe Nelly meinen Trick mitgeteilt", sagte sie, „und sie hat sich darüber halb tot gelacht. Wohin fahren wir?" „Ich werde Sie nach Hause bringen, gnädige Frau." Hendrik van Eekhoud steuerte feinen Wagen durch die dunkelnde Vorstadt, während Marlene die Zigarette rauchte, die er ihr überreicht hatte. — Plötzlich sagte sie mit matter Stimme: „Ich glaube, Sie fahren falsch, Herr van Eekhoud." „Unbesorgt, gnädige Frau, es ist vollkommen richtig," „Ich weiß nicht — mir ist schlecht", seufzte Marlene. „Das tut nichts. In einer Stunde kommen Sie wieder zu sich." „Wieso in einer Stunde?" „Das, gnädige Frau, werden Sie erst hinterher begreifen." Hendrik van Eekhoud hatte recht. Marlene kam erst nach einer ganzen Stunde wieder zu sich. Und zwar im Grunewald. Sie kam sehr langsam zu- sich. Und sie begriff die ganze Sache auch nur sehr langsam. Erst als sie den kleinen Brief gelesen hatte, der in ihrem Perlenkasten lag, verstand sie alles. Der Brief aber lautete: „Verehrte gnädige Frau, es tut mir leid, daß ich Sie im Grunewald absetzen mußte. Aber was sollte ich schließlich tun? Ich war dazu gezwungen, wenn ich mich in den Besitz Ihrer schönen Perlenkette setzen wollte. Als ich gestern Ihren Salon betrat, stel sie mir sofort auf, und ich beschloß aus der Stelle, sie zu erwerben. Ich habe eine ganze Weile ver geblich über ein Mittel nachgedacht, da kamen Sie mit Ihrem Vorschlag einer Wette, einer höchst unvorsichtigen, wie Sie zugeben müssen. Nun, so ist mir die Kette denn mühelos in den Schoß gefallen. Besten Dank. Mit verbindlichen Empfehlungen — Landor, Hochstapler, alias Hendrik van Eekhoud. N. B. Die fünfhundert Mark sind echt, ebenso echt wie Ihre Kette, und ich bitte, sie nach Belieben zu verwenden, aber möglichst nicht als Belohnung für meine Ergreifung..." Der Tanz ans dein Eise. Skizze von Johannes Jegerlehner. Im vergangenen September, erzählte der Führer, fährt ein spanischer Tänzer, Kurgast in Wengen, zur Station Eiger gletscher hinauf. Das Hotel ist geschlossen. Der Vorstand hat sich nach der Weiterfahrt des Zügleins in sein Büro verschneckelt, kein Bein ist sichtbar. Da liest der Spanier die Aufschrift „Zur Eishöhle" und wandert den Pfad zum Gletscher hinüber. Die Grotte ist ver lassen; er kann sie besichtigen, ohne Eintritt zu bezahlen, geht hinein und wieder hinaus. Da der Mann einmal am Firn ist, wächst die Versuchung. Der Gletscher macht ein Gesicht wie die weiße Unschuld und lockt ihn auf den Rücken. Der Tänzer vergißt sich, hat Wohl keine Vorstellung, was ein Gletscher ist, glaubt wie so viele an ein totes Gebilde -— während es doch nichts Lebendigeres gibt als den Gletscher, nichts Abgefeimteres als eine Gletscherzunge, wo mit ihren Rücken und Tücken die bösen Mächte der Unter welt zusammenströmcn. Gelassen bummelt der Mann auf dem Eise dahin, tänzelt geschickt zwischen den Buckeln und Furchen durch und erreicht die kleine Ebene mitten im Lawinenzug. Wir Führer umgehen das Bödeli weit im Bogen. Der Spanier jedoch wittert nichts von Unheil, nichts von Gefahr. „Und da hat ihn die Lawine..." Geduld! Es braucht nicht immer eine Lawine zu sein. Nach einer Weile stutzt er. Spalte geradeaus, Spalte links und rechts. Er glotzt und staunt, wie blau die Schründe sind und wie tief — Kurzweilig, höchst interessant! Urplötzlich ein Knall wie aus einer Riesenkanone, daß er vor Schreck auf den Rücken fliegt. Hinter ihm ist der Gletscher geborsten, ein neuer Ab grund klafft, nirgends zeigt sich ein Uebergang, es gibt kein Entrinnen und Umkehren mehr, gefangen ist er wie die Maus in der Falle. „Ein Tänzer hat doch schmiegsame Gelenke und Sprung weite", wandte ich ein. Ja, gewiß aber seine Schnhe sind nicht beschlagen, und der Gletscher ist kein Parkett. Klägliche Versuche mißlingen, weil er nicht abstoßen kann. Die Schlünde belauern und behexen ihn. Ihm wird zum Sterben übel. „Hat ihn denn niemand auf der Station gesehen?" Natürlich schreit er um Hilfe. Seine Stimme trägt nicht in der dünnen Luft. Es hört und sieht ihn niemand, und früh wird es Abend im späten September. In seinem Gemüt und Gesicht fängt es auch an grau und nächtig zu werden. Muß ich hier nächtigen? Den Ucberzicher als einzigen Schutz, in seidenen Strümpfen und ohne Leibesstärknng? So brodelt und kocht es in ihm auf, während er sich die Lungen aus dem Halse schreit. Heiser vom Geschrei, betäubt von der furcht baren Erkenntnis, kauert er auf einen Eisschemel und hängt den Kopf zwischen die Knie. Allmählich kriecht die Kälte ihm an den Beinen empor. Das Blut stockt ihm in den Adern. Er gefriert zu einen: Eiszapfen. In jähem Schuß springt er auf, schüttelt die Erstarrungs schmerzen von sich und beginnt zu Hüpfen. Ein Tänzer von der Güte und Berühmtheit des Spaniers gerät ans dem plumpen Auf und Nieder von selbst in den Rhythmus seiner so oft -geübten und erprobten Kunst, zumal ihm das Blut wieder dünnflüssig durch die Füße prickelt. Just komwe ich vom Schwarzmönch zurück, den leeren Sack am Rücken und das Eisbeil im Arm, klimme über die Klippe zum Gletscher und sehe den Wirbelgraus sozusagen in feiner letzten Phase. Jst's Gaukelei, ein Narrenwerk meiner Phantasie? Ich rufe keine Antwort. Rufe wieder. Der Kerl tanzt wie aufgezogen, gurgelt und quietscht, schlägt mit den Armen um sich. Ich komme immer näher. Ein Wahnsinniger, blitzt es in mir auf. Schlünde ringsumher; keine Möglichkeit, der Haft zu entfliehen, Panik bis zum Irrsinn. In seinem Taumel ist er blind und taub. Ich suche die schmälste Stelle und springe hinüber. Sein Gesicht ist eine Grimasse, von Entsetzen und Todesschweiß auseinander gerissen. Energisch packte ich den Rasenden um die Hüfte, und da prasselt er mit einem Aufschrei wie ein Reisigfeuer zusammen. „Doch nicht tot?" Ob tot oder lebendig. Ich bürdete ihn auf die Schultern und sprang hinüber. In der Kantine am Eigergletscher hat er zwei Tage im Fiebersturm gelegen, und dann sechs Wochen im Spital. Im Frühjahr schrieb er mir aus Amerika, er sei wieder gänzlich hergestellt, tanze Abend für Abend und werde gefeiert wie ein "Boxweltmeister. Mit seiner Glanz nummer, dem Tanz auf dem Eise, heimste er Triumphe ein. „Die Rrrsnchnna. Skizze von Hermann Holtkamp. „Denk' an die Police!" Diese Ermahnung rief Frau Elvira Schwann dem Gatten nach, der außer sich vor Freude die Treppe hinunterstürmte. Vor einer Viertelstunde hatte nämlich der Bote dem jungen Künstlerehepaar frohe Kunde in das mehr als be scheidene Heim gebracht. Das Telegramm besagte, daß Bert Schwanns Werk „Die Versuchung" von der Jury ein stimmig für die große Frühjahrsausstellung zugclassen worden sei. Frau Elvira lächelte. Diese Künstler! Kinder waren und blieben sie. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Sie war eine praktische Frau. Ohne ihre Modellhüte, die sie wie keine andere in der ganzen Stadt zu garnieren verstand, wären sie beide längst verhungert. Gab ihr Mann sich überhaupt Rechenschaft darüber, daß sie nun ganz allein seit Monaten mit ihren Einnahmen den Haushalt bestritt? Auch die Scheine, die sie ihm eben zum Einlösen der Ver sicherungspolice in die Tasche gesteckt hatte, kamen daher. Zufrieden machte sich Frau Elvira in der Küche zu schaffen und bereitete für den Gatten und sich selber das einfache Mahl. Aber Bert kam nicht. Was er Wohl wieder anstellte? In der Freude über einen vermeintlichen Erfolg war er erfahrungsgemäß unberechenbar. Wenn er nur nicht... Frau Elvira hatte nur zu recht. Es war drei Uhr vorüber, als Bert endlich nach Hause zurückkehrte. Er hatte keinen Hunger und roch nach Wein. „Wo bist Du gewesen, Bert?" „Ich habe Leo Falb getroffen, Schatz." „So?... den Windhund?" „Er ist ein genialer Mensch!" „Das mag ja sein, Bert, aber seine Hose hat Löcher." Hierauf beschränkte sich Frau Elviras Kritik. Wortlos trug sie die von Bert verschmähte Mahlzeit in die Küche. Die Zeit nahm ihren Lauf. Bert Schwann skizzierte, und Frau Elvira bereitete eine kleine Modeschau vor. Sie war die Ruhe selbst, während der Gatte immer nervöser wurde. Von Tag zu Tag hoffte er etwas von seiner „Ver suchung" zu hören. Eine Erwähnung, eine Nachricht seines Beauftragten oder der Ausstellungsleitung, daß sich ein Lieb haber für das Bild gefunden habe. Nichts. Auch in den Zeitungen kein Wort. Im Kaffee hause durchstöberte er sie an jedem neuen Morgen. Auch eben wieder, als sein Ohr den Ruf des Verkäufers traf: „Extrablatt! Großer Brand in der Kunstausstellung. Für Millionen Kunstwerke vernichtet!" Bert fuhr zusammen. Er riß dem Jungen eines der Blätter aus der Hand. Alles drehte sich vor seinen Augen, und die Buchstaben führten einen tollen Neigen auf. Aber er las. Trotzdem! „Von den annähernd dreitausend Gemälden der Ausstellung konnten kaum zweihundert in Sicherheit gebracht werden, mit solch' rasender Wut griff das Feuer um sich." Nun stand er auf der Straße, ging wie ein Trunkener. Als sei er ein Automat, nahm er den Weg. Nach Hause. Zu Elvira. Wie ein Schauder packte es ihn. Nein! Nein! Nein! Und doch!... Er wußte sich ja keinen anderen Trost. Endlich betrat er sein Atelier und reichte Elvira wortlos das Blatt. „Wir sind verloren", stieß er hervor. „So?" „Arme Frau!" Bert schluchzte. Aber Elvira nahm die Schreckensnachricht mit erstaun licher Ruhe auf. „Ich habe das bereits gelesen, Bert. Aber das Bild ist ja doch versichert." „Versichert..." Weiter kam er nicht. Elvira fuhr fort: „Mit 5000 Mark! Das ist heutzutage ein schöner Batzen Geld, Bert. Der langt eine ganze Weile und gibt Dir Zeit zu neuer Arbeit. Kein Grund zum Ver zweifeln!" Da brach es aus ihm hervor: „Leo Falb .. der Wein ..." Ein hilfeflehender Blick., das war alles. „So", sagte Frau Elvira und dabei lächelte sie noch immer. „Und da kannst Du noch lächeln?" „Ja, Bert! Auf Deinem Schreibtisch liegt ein Tele gramm." „Von wem?" „Von Crusins?" „Dem Kunsthändler?" „Von wem denn sonst? Aber so lies doch! Er mußte zweimal lesen, bevor er den Inhalt der De- Pesche begriffen hatte: „Versuchung vorgestern für 8000 Mark an den Grafen von Werdenburg verkauft. Befindet sich zur Zeit auf Schloß Werdenburg. Gratuliere. Crusius." Bert Schwann umfaßte Frau Elvira und führte mit ihr einen Jndianertanz auf. Sie aber sagte: „Eigentlich sollte ich recht böse auf Dich sein, Bert. Aber, weil Du ein Künstler bist und also zeit lebens ein Kind bleiben wirst, verzeihe ich Dir." „Aber wieso denn das?" fragte der Maler voll kommen naiv. Die Antwort ließ nicht auf sich warten. „Weil Du das Versicherungsgeld damals vertrunken hast!" „Da war allein Leo Falb daran schuld!" „Auch das weiß ich. Aber, wenn wieder einmal etwas zu bezahlen ist, dann gehe ich selber, und die 8000 Mark ver walte i ch. Verstanden?" ^.Freilich!"
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