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Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt. Nr. 211 — Donnerstag, öen 10. Sept. 1931 Akazien. Nachoem die Weiße Brauttracht ausgezogen Und ihrer Seele Frühlingsdufl verflogen In Sommerglut und grauem Sommerstaub, Kommt noch ein neues Leuchten in ihr Laub, Kommt ihnen ein so neues, starkes Leben, Daß sie sich licht aus jedem Busche heben. In ihrer frischen, Hellen Freudigkeit Bis in die letzte braune Herbsteszeit. Frida Schanz. Helft helfen! Ein Aufruf der deutschen Frauen. Im Hinblick aus die immer mehr anwachsende Arbeits- longkeil und die Note des kommenden Winters erlassen die unterzeichneten Frauenoraanisationen folgenden Ausruf: Schwerster wirtschaftlicher Druck, härteste menschliche Not lasten aus dem deutschen Volke. Die Arbeitslosigkeit wächst erschreckend. Unzählige einzelne, die früher zur Linderung der Noi ihrer Mitmenschen beitrugen, sind heule selbst Hilss» bedürftig Den Einrichtungen der Gesundheits» und »tndersürsorge droht der Zusammenbruch. Wir alle Wen mit größter Sorge dem kommenden Winter entgegen. Wer wird die Millionen von Hungernden und Frierenden, Hie Alten und Kranken versorgen? Wer hilft den Kindern? Wer Hilst den Verlaßenen und Hoffnungslosen? Wer wird me ratlos vor dem Leben stehenden Jugendlichen seelisch aus rechterhalten? Die Maßnahmen von Staat und Gemeinden sind allein nicht imstande, der Not wirksam zu begegnen. Auch die Kraft der freien Wohlfahrtspflege reicht nicht aus, wenn ihr nicht neue Hilfskräfte in großer Zahl zur Seite treten. Die unterzeichneten Verbände richten deshalb an alle deutschen Frauen den dringenden Ruf: „Versagt eure Mithilfe nicht!" Die Nothilfe leistenden Organisationen warten darauf, daß ihr euch ihnen zur Ver fügung stellt. Jeder gebe und Helse nach seiner Kraft, nach seinem Vermögen; auch die kleinste Gabe, auch der geringste Hilfsdienst ist heute unentbehrlich. Laßt uns wieder lernen, von Mensch zu Mensch einander beizustehen und einer des anderen Last mitzutragen." Arbeiterinnen - Sekretariat der Freien Gewerkschaften Deutschlands, Bund Deutscher Frauenvereine, Deutscher Aka- vemikerinncnbund, Deutsch-Evangelischer Frauenbund, Evan gelische Frauenbilfe, Jüdischer Frauenbund, Katholische Frauenberussverbände, Katholischer deutscher Frauenbund, Die deutschen Frauenvereine vom Roten Kreuz, Verband der katholischen Jungfrauen- und Müttervereine, Vereinigung evangelischer Frauenverbände Deutschlands. Apotheken und zuverlässige Arzneiversorgung. Gegen die Kürzung der Nutzsätzc. In Würzburg sand die Delegiertenversammlung des Deutschen Apoth-kervereins statt. Ministerialrat Dl Kahleri-Berltn sagte in seiner Ansprache, es sollen klare Verhältnisse aus dem Gebiete des Apothekenwesens geschaffen und besonders dem illegalen Arzneimittelhandcl entgcgcngetreten werden. Ober den neuen Entwurf zum R e i ch s a p o t b eken- gesetz referierte sodann der Zweite Vorsitzende. Reichstags abgeordneter Medizinalra, Sparrer-Nürnberg. Die größten Schwierigkeiten bei dem Gesetz beständen in dem Widerstreit zwischen der berechtigten Personalkonzession und der tu vielen Ländern fett Jahrhunderten eingeführten Real konzession. Das Gesetz sehe die Personalkonzcssioii Vor, doch müße den Inhabern von Ltegenschastsrechten usw. eine Entschädigung oder Abfindung gewährt werden. Die Hauptversammlung beauftragte Vorstandschaft und Wirtschaftsral, mit allen Mitteln sich bei Reich und Parlament dafür einzusetzen, daß das kommende Retchsapolhekengesetz Vermögenszerstörungen vermeidet, vielmehr die wissenschaft liche und wirtschaftliche Zukunft der deutschen Apotheker und damit eine zuverlässige Arzneiversorgung Urheberschutz durch C. Ackermann. Romonzentrale Stuttgart 35f Das war es, und darum hatte er auch geglaubt, ihr äumuten zu dürfen, seine Geliebte zu werden I Oh, wie peinvoll demütigend war das! „Mutter, hättest du mich doch sterben lassen!" Nach einem Halt suchend, umklammerte sie einen Saum und legte die Stirn gegen die rauhe Rinde; ein krampfhaftes Schluchzen durchschüttelte den zarten Mäd chenkörper. Er trat zu ihr. Mit einer heftigen Gebärde wehrte sie ihm. „Rühre mich nicht an! Rühre das — Findelkind nicht an!" schrie sie beinahe. Sie war ganz außer sich. Er war doch betroffen, daß sie seine innersten Gedanken erraten! Ja, das war es, wo gegen sich sein ausgeprägtes Herrengefühl sträubte — ihre dunkle Herkunft! Seinen zukünftigen Kindern durfte er nur eine Mutter geben, deren Familie man genau kannte! Aber man wußte nicht, wessen Blut durch Ebbas Adern floß — das war die einzige Hemmung, die ihn von Ebba trennte — wäre sie das wirkliche Kind von Lehrer Lenz gewesen, allen Widersprüchen trotzend hätte er das hold selige Mädchen, das er maßlos liebte, als seine Gattin in sein Haus geführt! ^5 kcmnte sie nicht weinen sehen — sein liebes, klei nes Madel! Ncherstelli. Von besonderer Bedeutung waren die Verhand lungen über die deutsche Arzneitare und über die Absicht der Reichsregierung, die Nutzsätze der Apotheken zu kürzen. Die Versammlung legte ihren Protest in einer Entschließung nieder. preisvLrieüung an die Sieger des Deutschlandfluges. Eine Tischrede des Reichsverlehrsmtnisters. In den Räumen des Äroklubs in Berlin fand dic Verteilung der den Siegern des Deuischlandfluges zu erkannten Preise statt. Äußer den zahlreich erschienenen Fliegern und Fliegerinnen, die am Wettbewerb teilge nommen hatten, war eine große Anzahl von Persönlich keiten, die beruflich der Fliegerei nahestehen, anwesend. Lebhaft begrüßt wurde die englische Fliegerin Amy Johnson, die wenige Stunden vorher auf der Rück kehr von ihrem Langstreckenfluge England—Japan in Berlin eingetrofsen war. Bemerkenswert waren einige Ausführungen aus der Tischrede des Reichsverkehrsministers von Guörard. Er stellte fest, daß Deutschland im Flug sport in den letzten Jahren zurückgeblieben sei und sich sehr heranhalten müsse, wenn es weiter ersolgreich kon kurrieren wolle. Er erklärte sich bereit, für die Durch führung des nächstjährigen Europafluges sich mit den not wendigen Mitteln einzusetzen, was mit Begeisterung zur Kenntnis genommen wurde. Deutsches Reich Die Kriegsopfer und die Notverordnung. Der Reichsausschuß der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenensürsorge als gesetzliches Gutachter organ für die Fragen der Versorgung der Kriegsopfer tagte in Gegenwart von Vertretern des Reichsarbeits- minifteriums. Die Organisationen und die Vertreter der Hauptfürsorgestellen konnten in der Änderung der zweiten Notverordnung des Reichspräsidenten eine Einigung er zielen. So wurden eine Besserung der Renten für Leicht- beschädigte, eine Milderung der Anrechnung der Renten auf die Arbeitslosenunterstützung bei arbeitslosen Kriegs beschädigten und Kriegshinterbliebenen, eine Milderung der Ruhebestimmungen für Personen, die öffentliches Einkommen beziehen, sowie grundsätzliche Änderungen auf dem Gebiete der Gewährung von Zusayrenke der Neichsregierung empfohlen. Einspruch gegen den amerikanischen Wcizcnankauf. Der Verein der Getreidehändler der Hamburger Börse hat ein Telegramm an den Reichskanzler, den Neichs- ernährungsminister, das Auswärtige Amt und an das Reichswirtschaftsministerium gerichtet, in dem zu den schwebenden Verhandlungen zwischen Berlin und dem Farm-Board wegen Ankaufs von 200 000 Tonnen Weizen Stellung genommen wird. Der Verein bittet dringend, diese Unterhandlungen sofort abzubrechen, weil das deutsche Ansehen im Auslande schwer geschädigt und die internationalen Handelsbeziehungen ernstlich gefährdet würden. Die Konferenz der Landwirtschaflsministcr. Am Freitag findet die in jedem Herbst übliche Konfe renz der Landwirtschaflsministcr der Länder im Reichs ministerium für Ernährung und Landwirtschaft statt. Reichsernährungsminister Schiele wird die Konferenz mit allgemeinen Ausführungen über die agrarpolitische Ent wicklung und die zu ergreifenden Maßnahmen einleiten. Aus In- und Ausland Kiel. Aus einer Kundgebung der NSDAP, sollte Prinz August Wilhelm von Preußen sprechen. Die Polizei Hai dem Prinzen jedoch verboten, aus dieser Kundgebung zu sprechen, wie sie angibt, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit. Memel. Durch ein Großfeuer wurde die Memelländische Kistenfabrik in Asche gelegt. Der angebliche Schaden beträgt fast 200 000 Mark. Newyorl. Edison, der berühmte Erfinder, der vor einigen Wochen bedenklich erkrankt war, sich dann aber wieder erholt zu haben schien, ist von neuem schwer erkrankt. Edison ist 84 Jahre alt. Sie Gastwirte und die Maffenspeisuligcn. Der 56. Deutsche Gastwirtetag. In Stuttgart wurde die deutsche Gastwtrte- tagung unter dem Vorsitz des wtedergewählten Präsidenten des Deutschen Gastwtrteverbandes. Reichstagsabgcordneten Köster-Berlin eröffne! Der Redner erklärte ü. a., dte Gast wirte forderten nach wie vor, daß die Getränke allein Steuerobjelt des Reiches blieben. Am schwersten sei das Beherbungsgewerbe belastet. Die Steuer sei höchst unsozial. Iw kommenden Winter werde man ohne Massenspetjungen nicht durchkommen. Die Gastwirte seien bereit, ihre Einrichtungen und ihre reichen Ersahrungen in diesem Sinne zur Verfügung zu stellen Für die württembergische Staatsregierung sprach Wirtschaftsministcr Dr. Maier. Er erklärte u. a.: Wer nicht an den wirtschaftlichen Erfolg eines kommunistischen oder sozialistischen Staates glaube, müsse sich bewußt einsetzen für die Erhaltung und Vermehrung einer breiten Mittelschicht in Deutschland, auf die eine gesunde Wirt schaft ausgebaut werden könne. Gasatieniat aus Rache? Aufsehenerregender Zwischenfall in Großjannowitz. Vor einiger Zeit wurde in Großjannowitz bei Liegnitz ein Melkerlehrling von dem Sohne des Rittergutsbesitzers Günther erschossen. Der Oberschweizer Hartwig, der dabei gewesen und dem eine zweite Kugel am Kopf vorbei geflogen war, hatte gegen Günther so ungünstig ausgesagt, daß dieser verhaftet würde. In der Nacht zum Mittwoch hat sich nun anscheinend in Verbindung mit jener Sache ein neuer eigenartiger Vor fall ereignet. Hartwig, der mit seiner Familie zeitig zu Bett gegangen war, erwachte plötzlich in der Nacht durch einen schwefligsüßen Geruch, der ihn und seine An gehörigen beinahe betäubt hätte. Es gelang ihm noch, die Tür zu öffnen nnd die Nachbarn zu wecken. Die Schwefel gase sind mit einem Schlauch durch ein undichtes Fenster in die Stube eingefühn worden. Die polizeilichen Er mittlungen sind im Gange. 600 Mark für einen Pfennig. Die glückliche Verliererin. Glück im Unglück hatte eine in sehr bescheidenen Ver hältnissen lebende Rentenempfängerin, die ihre verlorene Handtasche auf einem Berliner Fundbureau abhoben wollte. Außer der Brille und dem Bild ihres verstorbenen Mannes verbarg die Tasche noch einen Pfennig. Aber dieser Pfennig hatte es in sich. Denn es handelt sich, wie der Beamte des Fundbureaus feststellen konnte, um ein altes französisches Geldstück, für das etwa 600 Mark ge zahlt werden. Die alte Frau war über diese Mitteilung sehr erfreut und ist durch ihre verlorene Tasche in den Besitz einer größeren Geldsumme gekommen. Der erste Prozeß in Sachen „Siinnes- Urteil". Rechtsanwalt Glade gegen Stinnes. Vor der 18. Zivilkammer des Landgerichts I in Berlin sollte der erste Zivilprozeß, der sich aus dem Komplex „Stinnes- llrleil" ergeben hat, zur Verhandlung kommen Der Rechts anwalt Glade klagt gegen Slinnes und gegen den Rechtsanwalt Sam wer eine Restsumme von 16000 Mark, die ihm Sünnes noch schulden soll, ein Die Klage gründet sich auf die Behauptung Glades, daß er durch juristische Mit- arbeii tm Stinnes-Prozeß die Verteidigung des Angeklagten Stinnes unterstütz! habe. Die Beklagten erhoben dte Einrede der Unzuständigkeit des Berliner Gerichtes und erklärten, es sei für den in Mülheim an der Ruhr wohnenden Beklagten Hugo Stinnes vas Landgericht Duisburg und für den Rechtsanwalt Samwer Vas Hamburger Gericht zuständig. Nach knapp einstündiger Verhandlung, in der es zu lebhaften Auseinanderfetzungen zwischen den beiderseitigen Rechtsbeiständen kam, verkündete das Gericht den Beschluß, daß die Klage gegen Stinnes an vas Landgericht Duisburg und die Klage gegen Rechtsanwalt Samwer an das zuständige Landgericht in Hamburg zu über weisen sei. Sie zitterte am ganzen Körper. „Ich bitte dich, geh, Hanno! Tue mir die einzige Liebe — lasse mich allein!" stieß sie in tiefster Oual hervor. Und er fühlte, daß er ihrem Wunsche folgen mußte. Alleinsein war jetzt die größte Wohltat für sie. 11. Wie Ebba wieder nach Hause gekommen, sie wußte es nicht — was sie mit der Mamsell gesprochen — alles war aus ihrem Gedächtnis entschwunden! Ganz mecha nisch sprach und handelte sie. In ihr war etwas zerbro chen. Nur um den einen Punkt kreisten ihre Gedanken: Hanno! Wie hatte sie ihn doch geliebt mit ihrer unschuldigen, vertrauenden Liebe — und er —? Ein verzweifeltes Weinen stieg in ihr auf, dachte sie daran — als seine Geliebte hatte er sie haben wollen — da hätte ihn ihre geheimnisvolle Herkunft nicht gestört! Oh — wie gut hatte sie in ihm lesen können! In einem Hellfühlen waren ihr seine Gedanken offenbar ge worden. Wer nahm die Schmach von ihr? Nach Dresden zu Inga konnte sie nun auch nicht mehr fahren; ein glaubwürdiger Grund zur Absage mußte gefunden werden — der einzige wäre Krankheit gewesen! Ihr bleiches, überwachtes Aussehen erschreckte die Mut ter. „Gewiß hast du dich gestern erkältet, Ebba, hast in dem Schnee nasse Füße bekommen —" Vielleicht hatte die Mutter nicht so ganz unrecht. Ihr armer Kopf grübelte und sann; schlaflos lag sie die ganze Nacht in ihrem Bett. Als sie am andern Morgen aufstand, fühlte sie sich sterbenselend; schwer wie Blei waren ihr die Glieder. Tatsächlich verspürte sie Halsschmerzen. Sie gurgelte auf Mutters Geheiß, machte Umschläge, froh, einen glaubhaf ten Vorwand für ihr verändertes Wesen zu haben; denn ihre Selbstbeherrschung war den sie bedrängenden Gedan ken kaum gewachsen. Beinahe glücklich war sie, als sich eine regelrechte Mandelentzündung entwickelte und sie mehrere Tage im Bett bleiben mußte. Da hatte sie nun Zeit zum Nachden ken und Nachsinnen. Eines wußte sie jetzt schon: hierbleiben würde sie nicht. Sie würde sich eine Stelle suchen, um in der Frem de zu vergessen, was man ihr angetan! Immer konnte sie doch nicht zu Hause bleiben! Mamsell Auguste hatte von Ebbas Unpäßlichkeit ge hört und kam nun, trotz eigener Beschwerden, nach ihrem Liebling zu sehen; groß und wortreich war ihr Bedauern; sie hatte ihr Kuchen und feines Eingemachtes mitgebracht. Als Frau Lenz in die Küche gegangen war, um den Kaffee, den man in Ebbas Zimmerchen trinken wollte, zu kochen, sagte die Mamsell, das junge Mädchen aufmerk sam anblickend — „Morgen fährt nun Graf Hanno nach Dresden." Ebba wurde unbegründet rot; die Mamsell nickte vor sich hin und sprach weiter: „Komtesse Inga wird es sicher leidtun, daß Sie nicht mitkommen können, Ebba- chen, sie hatte sich so auf Ihren Besuch gefreut!" Ebba wandte den Kopf ein wenig zur Seite. Sollte sie zur Mamsell sagen, daß sie auf die Dresd ner Reise überhaupt verzichtet hatte? „Ich habe ja an Inga geschrieben, daß ich krank bin!" Die Mamsell streichelte über Ebbas schmale Hände, die von auffallender Schönheit waren, obwohl man ihnen ansah, daß sie arbeiteten — „vielleicht ist es auch ganz gut, wenn Sie später als der junge Herr fahren!" meinte sie in vorsichtig sondierendem Ton. „Ach, Ebbachen, ich meine es so gut mit Ihnen — gelt, Sie werden mir nicht böse sein?" Die Mamsell blickte erst vorsichtig nach der Tür, ehe sie mit gedämpfter Stim me fortfuhr, Ebbas Hand noch immer streichelnd — „der junge Herr Graf, ich kenne ihn doch schon, wie er noch ein kleiner Bub war — was ihm gefiel, das mußte er haben — und Sie, Ebbachen, Sie gefielen ihm eben arg gut — kein Wunder auch, wenn man Sie anschaut —" (Fortsetzung folgt.)