Volltext Seite (XML)
MlsdmfferTageblatt Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter. Nr. 212 — 90. Jahrgang Wilsdruff-Dresden Telegr.-Adr.: „Amtsblatt" Postscheck: Dresden 2640 Freitag, den 11. September 1931 g-schrilbe-kErsch^nlln,,. R-chwNsung-g-bdhr M »Uich.pf«,»i^L, , ...„ Fernsprecher- Amt Wilsdruff Nr, 6 SV'ÄM! Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft MMen des gerichts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Noffen behördlicherseits bestimmte Matt. »« .Wilsdruffer Tageblatt" «rscheiut an allen Werktagen nachmittags 5 Uhr. «aprgsprel,-. Bei Abholung in Kar Deschäftsstelle und den Ausgabestellen r AW. im Monat, bei Zustellung durch di« Boten rsN RM., bei Poftbestellung r «W. zuzüglich Abtrag. . gebühr. Einzelnummern MU-fg.All-PostanstllMn Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend Postboten und unsereAus. triiger und Geschäftsstellen - — — — 2—L nehmen zu jeder Zeit Be« Die Fahri nach Berlin. Seit jener Rundfunkrede des deutschen Reichskanzlers, m der er es als wünschenswert erklärte, mit den sran- wsischen StaatSlenkern zu einer persönlichen Aussprache m kommen, sind Mon-rke vergangen. Zahlreiche, bedeut samste, schicksalhafte Ereignisse liegen in der Zeit von da mals bis Heute, Ereignisse und — Erfahrungen. Der Besuch Dr. Brünings in Paris und die gemeinsame Fahrt mit Laval und Briand nach London zur Konferenz, — aber auch die Reife des deutschen Außenministers nach Nens und die jüngsten Vorgänge, die sich dort abspielten, — das alles sind nicht bloß ein paar äußere Daten, sondern auch der Außenwelt sichtbare Etappen einer, für Deutschland ungünstigen Entwicklung, die ständig unter dem französischen Druck stand. Daß wir deswegen keine übermäßige Liebe zu Frankreich hegen, ist wohl zu verstehen. Und wenn die französischen Staats- lenkcr zum Gegenbesuch nach Berlin kommen, können sie wirklich nicht vom deutschen Volk verlangen, Ehrenpforten zu sehen oder einen über die selbstverständlich eineck Gaste gebührende .Höflichkeit hinausgehenden Empfang zu ver anstalten. Dafür wäre Heute die Zeit wirklich noch nicht reif. Deswegen haben die Diplomaten auf beiden Seiten auch Mühe und Arbeit genug gehabt, um diesem erst maligen Besuch eines französischen Ministerpräsidenten in der deutschen Reichshauptstadt „diplomatisch" die Wege zu ebnen. Es gehört ja allerhand Delikatesse dazu, diesen Besuch so zu arrangieren, daß „kein Schaden geschieht". Wenn Andeutungen über den Inhalt der beabsichtigten Besprechungen zwischen den Franzosen und ihren deut schen Gastgebern richtig sind, so dürfte man wohl über „Politik" 'gar nicht miteinander konferieren. Hier bluten die deutschen Wunden denn doch noch allzu frisch. Und wenig geschah bisher von Paris aus, um diese Blutung zum Stillstand zu bringen. Selbst die üblichen Redcsalben blieben aus. Aber auch wenn „vom Thema nicht gesprochen werden darf", so gibt es — abseits der Politik — Themen genug, die der Per- und Behandlung bedürfen und die man jedenfalls auf deutscher Seite ganz nüchtern und unpolitisch diskutieren kann. Es heißt, daß die eigentliche Frucht des Berliner Besuchs der Franzosen die S ch a f f u n g e i n e s gemeinsamen wirtschaftlichen Verständi gungsausschusses sein soll, der Plan ist — vor zehn Jahr — schon einmal aufgetaucht und es kam in Wiesbaden auch schon zu entsprechenden Verhandlungen Zwischen dem damaligen Außenminister Dr. Rathenau und dem französischen Wiederaufbauminister Loucheur, einem der bedeutendsten Führer der Schwerindustrie Frankreichs. Aber es blieb bei dem „zufriedenstellenden" Versuch. Aber seit gerade vier Jahren besteht jetzt der d e u t s ch - f r a n - zösische Handelsvertrag; daß er die Handels beziehungen zwischen den beiden Ländern sich überraschend schnell zugunsten Deutschlands entwickeln ließ, empfindet man in Frankreich recht schmerzlich und daher spielt man dort mit dem Gedanken der Kündigung; außerdem leistete man sich mit dem jüngsten, unbefristeten Verbot jeglicher Wein- und Holz einfuhr eine Maßnahme, die von Deutschland als ein Verstoß gegen den Handelsvertrag betrachtet wird. Auch wir hätten gern die Weinslnten eingedämmt, die bis 1925 durch das „Loch im Westen" hereinströmten! Aber wir hätten es mal versuchen sollen..,! Man spricht bei den Erörterungen über die wtri- schafts-, namentlich die kreditpolitischcn Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich nicht von „Politik", aber diese sitzt wie Banque's Geist am Tisch der Verhan delnden. Und schon nach der Haager Konferenz 1929, als der Joung-Plan zustande gebracht war, sollte ja eine end- liche und wirkliche „Liquidierung der Kricgsfolgen" her- beigeführt werden. Es genügt wohl aus das Scheitern der Saarverhandlungen hinzuweisen, um darzutun, daß die Politik jenen Wunsch doch nicht zur Wirklichkeit werden ließ; den Blick nach Polen hiuüberzulcnken, erübrigt sich völlig. Ganz abseits der Politik sind aber doch zwischen einzelnen Wirtschaftszweigen Deutschlands und Frank reichs Verständigungen erreicht worden. Und doch bleibt immer, immer ein — vom deutschen Standpunkt aus berechtigter — politischer Rest bei dem Ge danken an den Besuch der französischen Staatsmänner in Berlin. Ganz anders wird das sein als das Erscheinen Macdonalds, Hendersons, Stimsons /vor anderthalb Monaten. Die Vertreter jener Macht kommen zu uns, die unser Hauptgläubiger ist ustd seit zwölf Jahren immer wieder wie Shylok auf seinem Schein — oder mehr — bestand und das „Pfund Fleisch" von uns nicht bloß einforderte, sondern Herausschnitt, ohne Rücksicht auf das dabei vergossene Blut. Daran zu denken, ist keine „unpolitische Sentimentalität". Und sich dessen zu er innern, kann uns auch der Besuch der Staatslenker Frankreichs nicht^vcrbielen. Mit den Dingen so zu rechnen, wie sie sind, ist Sache des Staatsmanns, — aber jenseits dieser nüchternen Feststellung gibt es noch anderes jene „Imponderabilien", wie Bismarck sie nannte, jene un wägbaren, aber vorhandenen Stimmungen, die man viel leicht unter dem Druck übermächtiger Wirklichkeiten ver birgt, die aber doch Leben sind, Leben besitzen und sieb eines Tages doch zum Lrcht cmporringen können. UbrMungVeMSnckigungKrile England md die deutsch-sranzöslscheVerfiän-igung Große Rede Lord Robert Cecils in Gens. Lord Robert Cecil, der erste Vertreter Eng lands auf der Vollversammlung des Völkerbundes, hielt in der Generalaussprache eine politische Rede, die allgemein größtes Aufsehen erregte und vielfach von stür mischem Beifall unterbrochen wurde. Lord Robert Cecil befaßte sich eingehend mit den Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland. Der Redner er klärte u. a.: Die Lage Deutschlands sei heute ein besonderes Zeichen für die Wirtschaftskrise. Des halb müsse sie besonders berücksichtigt werden. Eine Ver längerung der abgelaufenen Kredite müsse unbedingt erreicht werden. Auch sei es unerläßlich, die notwendigen Be dingungen zu schaffen, damit Deutschland die notwendigen Kredite erhalte, um seine Wirtschaft wieder in Ordnung zu bringen. Eine entscheidende Rolle m der gegenwärtigen Krise spiele heute die Politik. Die internationale politische Lage sei nicht ungünstig. Es wäre gefährlich, Prophezeiungen für die Zukunft zu machen, aber niemals in der Geschichte der Mensch heit sei bisher ein Krieg so wenig wahrscheinlich gewesen wie heule. Niemand von den zahlreich versam- melten Staatsmännern könne die Auffassung vertreten, daß ein Krieg in absehbarer Zeit drohe. Es sei.heute nicht an der Zeit, an die R ev i s i o n der bestehenden Verträge zu schreiten, denn ein derartiges Vorgehen würde nur Unruhe und Unsicherheit schaffen. Nichts sei so geeignet zur allgemeinen Bekriedung, Überwindung der Krise, Wiederherstellung des Vertrauens sowie zu der dringend notwendigen Investierung der Kapitalien Wie die allgemeine Abrüstung. Wie ernst das Abrüstungsproblem sei, zeige die folgende Tat sache: in vielen Ländern wie in England, Frankreich, Italien Amerika usw. seien in der letzten Zeit groß angelegte M a - növer durchgeführt worden. Solche Manöver zeigten die wahre Bedrohung der Welt durch die Rüstungen. Wie wäre es möglich, heule'vom großen Publikum die Investierung der Kapitalien zu verlangen, wenn gleichzeitig aus der anderen Seite die modernsten Mittel zur Vernichtung der Wirtschaft und der Bevölkerung geschaffen würden, wodurch die wirtschaftliche Grundlage der Kapitalinvestierung jeden Augenblick vernichtet werden könnte. Das gleiche gelte für die Land- und S e e a b r ü st u n g. Es müsse unterstrichen werden, daß die einmütige Zustimmung der Welt eine Vertagung der am 2. Februar 1932 beginnenden Weltabrüstungskonserenz nicht zulasscn würde. Die englische Regierung werde eine Vertagung der Abrüstungskonferenz auch nicht um einen Tag zulassen. Grandis Rede und sein Vorschlag, die Rüstungen bis zum Abschluß der Konfe renz nicht weiterzuführen, sei von größter Bedeutung. Die englische Regierung befinde sich in voller Übereinstimmung mit diesem Vorschlag. Zwei große Nationen, deren Führer anwesend seien, und die, jede in ihrer Art, an der Spitze der Zivilisation ständen, bildeten heute einen der Hauptpunkte der internationalen Lage Wenn zwischen Deutschland und Frankreich eine wahre An- Näherung nicht in Worten, sondern in Taten erreicht werde, so würden damit 75 Prozent der Unruhe der Welt ver schwinden. (Stürmischer Beifall.) In der Presse sei darauf hingcwiescn worden, daß die englische Regierung sich gegen eine solche Verständigung zwischen diesen beiden großen Nationen wende. Dies sei eine schamlose Verdächtigung. Niemals habe es einen Engländer gegeben, der derartiges ge sagt habe. Wir willen alle, wieviel von der Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich heute abhängt. Die eng lische Regierung und das englische Volk haben das Vertrauen, daß die Krise überwunden werden kann. Die Ausführungen wurden mit langanhaltendem stürmischen Bei fall ausgenommen. * Aörüsiungspropagan-a in Holland. 80 Prozent der Bevölkerung für Abrüstung. In sämtlichen holländischen Tageszeitungen wurden etwa vier Wochen lang Formulare veröffentlicht, durch deren Unterzeichnung die Leser ihr Interesse an der Förderung der internationalen Abrüstung bekunden konnten. Die zur Unterzeichnung vorliegende Eingabe drückte den Wunsch aus, daß die bevorstehende Ab rüstungskonferenz Maßnahmen ergreifen möchte, die ge eignet seien, zur Abrüstung der Völker zu führen. Die Eingabe ist, wix jetzt bekanntgegeben wird, von weit über 2400000 Holländern im Alter von über 18 Jahren unterzeichnet worden. Das sind etwa 3 0 Pro - zent der gesamten Bevölkerung Hollands. Die Eingabe wird vom Vorstand des Vereins der nieder ländischen Presse in Genf überreicht werden. Lialiens Rüstnngssian-. Die Denkschrift Italiens in Genf überreicht. Die italienische Regierung hat die Denkschrift über den Rüstungsstand Italiens dem Generalsekretär des Völker- dundes zugestellt. Die Note wird in den nächsten Tagen seröffentlicht werden. In einem kurzen Begleitschreiben verweist die italienische Regierung auf den bisher von Italien in der Abrüstungsfrage eingenommenen Stand punkt. Ferner sind der Note die vom Abrüstungsausschuß rusgcarbeiteten und ausgcfüllten Tabellen beigefügt. Daraus geht hervor, daß Italien gegenwärtig 280 000 Mann unter den Fahnen hat und 1500 Kampfflugzeuge besitzt. Der italienische Militär haushalt wird mit 6 Milliarden Lire angegeben. Ein deutsch-französischer „Verständigungsausschuß". Was der französische Besuch bringen soll. Die Genfer Vorbesprechungen über den Berliner Be such Lavals und Briands sind beendet. Staatssekretär von Bülow ist wieder nach Berlin zurückgekehrt. Wäh rend der 48stündigen Anwesenheit des Staatssekretärs in Genf hat keinerlei Zusammenkunft zwischen ihm und den französischen Ministern stattgefunden. Der Genfer Besuch des Staatssekretärs hat, wie von deutscher zuständiger Seite erneut festgestellt wird, ausschließlich internen Be sprechungen über die Vorbereitung des Berliner Besuches der französischen Minister gegolten. Bülow wird, wie betont wird, dem Reichskanzler die Wünsche und Anregun gen des Reichsaußenministers für den Berliner Besuch der Franzosen übermitteln. Der neue französische Bot schafter in Berlin, Francois Poncet, hat sich nach Paris zurückbegeben, um auch dort gemeinsam mit Laval die Vorbereitungen für den Berliner Besuch zu treffen. In französischen Kreisen wird ausdrücklich geltend gemacht, daß Briand an den zurzeit geführten vorbereitenden Ver handlungen keinerlei Anteil nimmt. Das Programm der Berliner Besprechungen zwischen den deutschen und französischen Ministern wird entgegen dem in der französischen Presse entwickelten Programm hauptsächlich die Einsetzung eines deutsch-französischen wirtschaftlichen Verständigungsausschusses zum Gegen stand haben. Es besteht bereits der seit längerer Zeit erörterte Plan, sowohl auf deutscher wie aus französischer Seite je einen Ausschuß wirtschaftlicher Sachverständiger einzusetzen, die dann gemeinsam die Fragen einer An gleichung der deutschen und französischen Wirtschafts interessen prüfen sollen. An dem bisherigen Zeitpunkt für den Franzosen besuch, 26. und 27. September, wird ebenso wie an Berlin als Treffpunkt festgehalten. Von deutscher zuständiger Seite wird nachdrücklich betont, daß eine Verlegung des i Besuches nach Baden-Baden bisher überhaupt nicht er- I örtert worden sei. „Sassteparationsprovlem wird nicht mehl von der Tagesordnung verschwinden.,, Bundesrat Motta vor dem Völkerbund. Der schweizerische Bundesrat Motta besaßte sich in seiner Rede vor der Vollversammlung des Völkerbundes mit der Weltwirtschaftskrise und unterstrich, daß dei Völkerbund nicht leben könne, solange ein einzelnes Mit glied, Deutschland, notleide. Es sei zu bedauern, daß die bisher zur Überwindung der Krise angewandten Mittel in keiner Weise im Verhältnis zu dem angestrebten Ziele ständen. Mit großem Nachdruck wies Bundesrat Motta auf die Bedeutung des Layton-Berichtes hin. Der Hoover-Vorschlag habe zunächst nur eine vor läufige Lösung des internationalen Schulden- und Nepara tionsproblems gebracht, jedoch sei damit das wichtige Problem der Reparationen ausgerollt und würde nicht mehr von der Tagesordnung verschwinden, bis eine Lösung gefunden sei. Von der Abrüstungskonferenz er warte er positive Ergebnisse, er müsse jedoch schon heute vor übertriebenen Hoffnungen warnen. * , Minderheitenfragen im politischen Völkerbund ausschuß. Die deutsche Abordnung Hal in der Vollversammlung des Völkerbundes beantragt, den die Minderheitenfragen behan delnden Teil des Jahresberichtes des Gcncralsckrctarials a n den sechsten (politischen) Ausschuß zu ver weisen. Der deutsche Antrag bezweckt, auf diese Weise im politischen Ausschuß eine grundsätzliche Aussprache über die Minderheitenfrage hcrbeizusührcn. * Die Sparmaßnahmen -er Länder. Sachsen, Bayern, Baden, Hessen nnd Württemberg am Bcratungstisch. Die Negierungen von Sachsen, Bayern, Baden, Hessen und Württemberg berieten im württcmbergischen Staats- ministcrium über die Sparmaßnahmen zum Ausgleich der Haushalte der Länder und Gemeinden.