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Wilsdruffer Tageblatt : 24.07.1931
- Erscheinungsdatum
- 1931-07-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193107249
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19310724
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19310724
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1931
-
Monat
1931-07
- Tag 1931-07-24
-
Monat
1931-07
-
Jahr
1931
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 24.07.1931
- Autor
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8m Krug zum krummen Eichbaum. Skizze von Ernst Löns. . Lm Krug zum krummen Eichbaum ist frisch angesteckt Korden. Vor drei Tagen hatte man das geschlagene Langholz zu E gefahren, und da man unbedingt fertig werden wollte, 1° rollte die letzte Fuhre abwärts, als schon tiefe Dämmerung Hohlweg schattete. Der Fuhrknecht hatte nicht richtig Mfgepaßt und den schweren Wagen zu sehr an die Seite ge unkt. Ein sparriger Ast des gefällten Waldriesen rammte Ae krumme Krüppcleiche, die ihre verschnörkelten Zweige am Wegrand zur Erde duckte, und eine klaffende Wunde ward in die Rinde gerissen. Daraus sickerte der Saft in kleinen Tröpfchen, rieselte herab, sammelte sich in Höhlungen und Zog bald eine breite, feuchte Bahn über die rauhe Borke. Die Sonne brannte darauf, der Wind trug Pilzsporen hinzu, Bläschen bildeten sich in der trüben Flüssigkeit und setzten Schaum ab. I Die Brauerei ist im vollen Gange. Der süßlich-säuerliche Geruch verbreitet sich und trisft die Riechorgane einer gold grünen Cäsarfliege, die gerade auf einer Glockenblume ein Sonnenbad nimmt. Vor Freude reibt sie sich die Hinterfüße und stürmt davon. „Freibier! Freibier!" jubelt sie in hohen Tönen. Das ist eigentlich eine Dummheit von ihr, denn ihre Base, die Waldgoldfliege, die vor einigen Stunden in die Nasenlöcher einer armen Erdkröte ihre Nachkommenschaft ab setzte, ist nach dieser erheblichen Anstrengung auf Stärkung erpicht. Gierig stecken die Heiden ihre Säugrüssel in den süßherben Trank. Von allen Seiten fliegt es heran. In dichten Scharen kommen die Essigsliegen. Sie haben sich ihrer Meinung nach besonders fein gemacht, prahlen mit ihren rötlichen Brusttüchern, den gelben Hosen und kokettieren mit ihrem goldgebänderten Hinterleib. Recht unmanierliches Volk sind sie. Mitten in das leckere Getränk setzen sic sich, drängen und stoßen, als wären sie allein im Ausschank. Jetzt setzt auch schon der Bierverkauf außer dem Hause ein. Ge schäftig in nervöser Hast kommen schwarzrote Waldameisen herangekrabbclt. Verächtlich schieben sie das egoistische Fliegen gesindel beiseite.^ Sie können nicht stundenlang in der Kneipe sitzen und den Tag stehlen. Sie haben Pflichten gegenüber Ser Gesamtheit. „Schnell, schnell. Keine Zeit, keine Zeit!" ist ihre Devise. Hastig füllen sie die Kröpfe, kehren um, tausche« eilig mit den ihnen begegnenden Stammesgenossen Gruß und Gegenrede und eilen zum hochgetürmten Nestbau, entledigen sich ihres Vorrates und laufen zurück. Schnell, schnell, der Tag ist bald vorbei, der Sommer kurz, der Winter laug und die Nachkommenschast zahlreich. Für die Zukunft mutz gesorgt, Vorrat gesamnielt werden. Da hat man keine Heit für müßige Feiern. Ein großer Schatten fällt aus die zechende Gesellschaft, daß sie erschreckt auseinander stiebt. Beruhigt lassen die Decher üch jedoch wieder nieder, denn der ritterliche Gast, tzer da in Vornehmer Ruhe heranschwebt, ist der ungefährliche Schwalbenschwanz. Zierlich setzt er sich, entrollt langsam seinen Säugrüssel und tunkt ihn behaglich in die gärige Flüssig^' Immer neue Gäste stellen sich ein. Wie ein Ehrwürdiger Senator erscheint der Trauermantel im schwarzen, ,cht Hellem Pelz verbrämten Samtgewande. Der Admiral protzt mit roten Abzeichen auf samtbraunem Grunde. Das Tagpfauenauge klappt mit den Flügeln und läßt seine Farben spielen. Wie gelbe Blumenblüten taumeln Zitronenfalter herbei, und im blauen Perlmutterglanz schimmern die kleinen Bläulinge. Das ist ein Schweben und Fliegen, Summen und Wehen, ein Tanzen und Wiegen, ein Zechen und Schlürfen in froher Lust. Wespen und Hummel summen mit Getöse heran. Die Stimmung wird immer fideler. Eine dicke Hornisse beginnt ein keckes Lied zu gröhlen, kommt aber über den ersten Bers nicht hinaus. Der leichte, elegante Flug der Schmetterlinge wird unbeholfen und taumelnd. Einige Schwalbenschwänze und ein großer Fuchs dösen mit benom menem Kopf auf benachbarten Blättern und dem spärlichen Heidekraut. Erheben sich schwerfällig und sinken nach wenigen Flügelschlägen wieder zu Boden. Eine dicke Hummel hat das heulende Elend und klagt einem schwarzen Lederlaufkäfer ihr Leid wobei sie fortwährend mit den Hinterbeinen sich den Pelz' rauft. Ja, der frische Eichenmost steigt zu Kopf, und nicht jeder kann ihn vertragen. Ein tiefes Brummen erfüllt die Luft. Klatschend fällt es bei der Krüppeleiche ein. Edler von Lucanus, der ritter liche Hirschkäfer, ist zum Abendtrunk eingetroffen. Eiligst steckt er seine Pinselzunge in den gärenden Saft und schlürft mit tiefem Behagen. Ein neues Gebrumm, ein zweiter Ver treter seines Geschlechts ist angekommen. Wütend dreht er sich um und läuft dem Ankömmling entgegen. Doch der Koiusn von Uslina von UoUormsnu ltopvrlgdt bv tUsrtln NsucLtvsnser, Neale ISA l3 „Aber eine Ari Nichte »der so was soll feit einem halben Jahre bei ihnen wohnen", bemerkte ihr Mann, die Gläser der Freunde mit eisgekühltem Mosel füllend. „Doktor Weber erwähnte es neulich, bedauerte das Mädel. Ich nicht — die spekuliert wahrscheinlich auf Geld und Gut der Alten, und den Jungen nimmt sie mit in Kauf — die Frauenzimmer von heute sind ja so raffiniert und berechnend! — Auf dein Wohl, teuerstes Weib!" „Na warte, bis ich dich allein habe", drohte die kleine Frau mit blitzenden Augen — und tat ihm Bescheid. Der Professor lachte. Sein Sohn aber drehte gedanken versunken am Stiel seines Weinkelches. Irgendwie hatten die leichten Worte des Freundes ihn verstimmt. Das ent worfene Bild wollte so gar nicht passen zu der holden Erscheinung mit dem schwermütigen Ernst im süßen Ge sicht. Anders lagen wohl die Verhältnisse. Wer sie er gründen könnte — es würde nicht leicht sein Als die Freunde nach dem behaglichen Kaffeestündchen in der rebenumsponnenen Laube zwischen den grünenden Feldern dahinschritten und eben im Begriff waren, in die lerzengeschmückte Kastanienallee einzubiegen, die sich wie ein weißgrünes Band an der Grenze der beiden Landsitze hinzog, kam ihnen plötzlich ein von einem Diener in dunkler Livree geschobener Rollstuhl entgegen, m dem ein noch junger Herr saß, der sorglich in Decken und Kissen ein gehüllt war. ,. . . Ein unmutiges Zucken der Brauen ließ erkennen, daß ihm die Begegnung nicht erwünscht war. Doch da es zur Umkehr zu spät war, fügte er sich beherrscht ins Unver meidliche und führte artig die warmen Finger der heran- iretenden Frau Aenne an seine Lippen. Während er ihren Galten begrüßte, flog ein flüchtiger Blick zu den zwei Neue in aucy mcyl vange. Er nimmt die Herausforderung an. Die Zangen knirschen, die Füße kratzen an der rauhen Rinde des Baumes. Fest in einander verbeißen sich die Kämpfer. Da gelingt es dem ersten Hirschkäfer, seinen etwas schwächeren Gegner vom Stamm empor zu reißen; einen Augenblick hält er ihn schwebend in der Luft, öffnet dann das Kieferngeweih msd läßt ihn in den Abgrund fallen. Der Besiegte bleibt eine Weile liegen, besinnt sich und kraxelt wieder zur Kneipe empor. Inzwischen sind immer mehr Hirschkäfer angekommen, fogar mit ihren Frauen. Es wird gezecht und geschimpft, bis eine regelrechte Massenkeilerei im Gange ist. Aber nicht um der Liebe Sold wird gekämpft, sondern wenig edel und brutal um den besten Platz an der Kneiptafel. Die Sonne versinkt, der Tag steigt ins Bett. Dunkle Schatten lagern sich zwischen den Sträuchern. Aber noch ist nicht Feierabend in der Kneipe. Allerlei leichtes Volk, Motten, Schwärmer und Eulen kommen aus ihren Schlupf winkeln herzu. Rote Ordensbänder setzen sich auf die noch immer ergiebige Bierbank. Mit pfeifendem, blitzschnellem Flügelschlag rasselt ein südlicher Gast heran, der unheimliche Totenkopf, und auch das Nachtpfauenauge läßt sich nicht lange nötigen. Durch die warme Sommernacht verlockt, findet sich der Oleanderschwärmer als Fremdling aus dem Süden ein. So geht das Schlemmen und Zechen die ganze Nacht hindurch. Und als die Sonne neu gestärkt erwacht, sieht sie einige dieser Nachtschwärmer da hocken, wie sie mit blödem Blick vor sich hinstieren. Auf einer kleinen Sand blöße am Fuße des Eichenbaumes sitzt der alte Hirschkäfer herr in trüber Katerstimmung. Einige schwarze Laufkäfer, echte Gassenjungen, treiben ihren Schabernack mit ihm, lausen ihm den Rücken herauf und schlüpfen zwischen seinen Kiefern zangen hindurch, die er stumpfsinnig öffnet und schließt. So geht Tag für Tag und Nacht für Nacht das tolle Leben im Krug zum krummen Eichbaum, bis Sonne und Luft dem Leichtsinn ein Ende machen, die Wundränder der Eichenrinde verharschen lassen und so den Betrieb zwangs weise schließen. Der neue Stil. Zeitglosse von Carolus Asper. Eigentlich war er Kunstmaler; Künstler im Malen und im Hungern. In letzterem hatte er in seiner Frau eine un entwegt treue Kollegin, die zwar vom Malen nichts verstand, aber an ihn glaubte. Und das ist das Köstlichste, was eine Künstlerfrau ihrem Manne geben kann. Als der Leibriemen nicht mehr enger zu schnallen ging, warf er Palette und Pinsel in die Ecke und hängte sich seine aus besseren oder leichtsinnigeren Zeiten stammende Kamera um. Viel würde damit auch nicht zu verdienen sein, aber mau konnte sich wenigstens jeden Tag satt essen. Er knipste, Was ihm vor die Linse kam und Geld brachte. Seine Still leben, Genrebilder und Landschaften wurden von illustrierten Zeitschriften gern genommen und manchmal auch anständig bezahlt, und die Badegäste wanderten kunterbunt in seinen Kasten.' Eines Tages kam er hungrig vom Strande: „Was hast Du gekocht?" — „Nichts, aber gebraten: Flundern mit Salat. Und was hast Du geschafft?" — „Allerlei: die hübsche Ame rikanerin, den Tennismatch und die Brandung an der Lan dungsbrücke. Wir wollen nachher entwickeln. Miß Moneybag möchte ihre Bilder bald haben, die Momentaufnahme vom Tennisplatz wird der ,Sport" wohl nehmen, und die Bran dung kriüge ich auch los. Den Tagelohn habe ich verdient und auch etwas darüber." Gleich nach Tisch wurde der erste Film eingelegt, und zwei Köpfe beugten sich gespannt über die in rotem Licht geheimnisvoll schimmernde Schale. „Aha, da kommt schon etwas." — „Die Brandung." — „Also doch richtig belichtet; ich dachte, sie wäre über..." — „Nanu! Was ist denn das?" — „Miß Moneybag!" — „Da kommt ja auch noch ein Racket!" — „O Herrjeh! Da hab' ich alter Esel vergessen, abzuziehen. Nun stehen die drei Aufnahmen auf einem Film. So 'was muß mir noch passieren! Weg damit!" — „Nun kannst Du ihn auch noch ausentwickeln; das ist ja zu spaßig." — Die Frau legte das Kunstwerk sorgfältig ins Fixierbad, während thr Gatte sich zu neuen Taten rüstete. Das Glück war ihm hold: die schöne Amerikanerin lachte über sein Künstlerpech und ließ sich nochmal aufnehmen, der Wettkampf auf dem Tennisplatz war wieder in vollem Gange, und die Dünung warf immer noch hohe Wogen über den Landungs steg. So war nur der Vormittag vergeudet und der Schaden nicht groß. fremden Herren hinüber, der sich jedoch mit Aufmerksam keit belebte, als er deren Namen hörte. „Professor Hardt — Hardt — es gibt einen Professor der Biologie dieses Namens an der Marburger Uni versität." „Er steht vor Ihnen", lächelte Hardts Vater. Und freute sich über das jähe Aufleuchten in dem hageren, von Krankheit und Nervosität zerfurchten Gesicht des jungen Freiherrn. Der streckte ihm impulsiv die Hand entgegen. „Das ist aber eine Freude! Ich habe all Ihre Werke mit größtem Interesse und ebenso großer Bewunderung gelesen, lieber Herr Professor! Würde gern einmal mit Ihnen darüber reden — bleiben die Herren noch längere Zeit?" „Ich mutz leider schon übermorgen zurüäreisen, Baron." „Ach, wie schade", meinte der Kranke bedauernd. Dachte einen Augenblick nach. „Würden die Herrschaften uns nicht morgen zur Teestunde die Freuds machen? Bitte, keine Ausrede ersinnen, gnä' Frau!" Halb scherzend, halb be fehlend klang es. Man merkte: Baron Joachim war ge wöhnt, seine Wünsche erfüllt zu sehen. Aber Frau Aenne zögerte doch: „Ihre Eltern, lieber Baron — würden sie einen derartigen Ueberfall nicht als Störung empfinden?" „Ich für meinen Fall muß leider auf das Vergnügen eines Besuches verzichten", bemerkte da ihr Mann ein wenig kurz. Ihm lag nichts an dieser Einladung. „Habe wichtige Geschäfte zu erledigen." Aber dann siegte seine Gutmütigkeit, da er den erwartungsvollen Blick sah, mit dem der Kranke an Frau Aennes Lippen hing. „Aber das braucht euch nicht abzuhalien; Helmut kann euch ja in seinem Wagen hinfahrcn. Oder hattet ihr schon andere Pläne?" Seine Frau verneinte, sah fragend zum Professor empor. Der verneigte sich freundlich. „Sie sind sehr gütig, Baron. Wenn Sie glauben, es vor Ihren verehrten Eltern verantworten zu können, so stehe ich Ihnen zu Frage und Antwort gern zur Ver- Zu Hause hatte die Gattin die Mißgeburt liebevoll ge wässert und getrocknet, sich dann aber doch davon überzeugt, daß nichts damit anzufangen war, und sie achtlos in ihr Haushaltsbuch gelegt, wo sie mit der Zeit vergessen wurde. Einige Wochen später kam der Maler strahlend nach Hause: „Weißt Du, wen ich getroffen habe, Mathilde? Unseren Freund Hilbert. Denke Dir, er hat die Schwester von Hoch berg geheiratet" — „Des berühmten Kunstkritikers?" — „Jawohl! Er wird ihn morgen herbringen, damit er sich meine Bilder ansieht." — „Glänzend! — Siehst Du, Schatz, ich habe Dir's ja immer schon gesagt, Du kommst noch einmal zur Geltung." Das bescheidene Häuschen wurde gescheuert und ge bohnert, jedes der Bilder in den einfachen Rahmen abgestäubt und gereinigt. Am andern Tag war alles zum Empfang des hohen Herrn bereit und das Malerpaar in fiebernder Er regung. Dann kam der Mächtige in Begleitung seines Schwa gers, grüßte leutselig und ließ sich überall herumführen. Aber undurchdringlich blieb seine Miene, stumm sein Mund, und gleichgültig glitten seine Augen über all die schönen Bilder. Die Gesichter des Malerpaares wurden immer länger. „Ist das alles?" fragte er endlich. — „Ja, Herr Pro fessor." — „Recht sauber gemalt, recht sauber und sorgfältig, ja." — Er geruhte noch eine Taffe Kaffee anzunehmen und griff dann nach Stock und Handschuhen, die er vorhin auf den Nähtisch gelegt hatte. Dabei fiel das Haushaltsbuch herunter, sprang auf und spie seinen Inhalt ringsumher: Notizen, ausgeschnittene Rezepte, unbezahlte Rechnungen. Wie der Gewaltige sich bückte, um höflichkeitshalber die Bescherung zusammen zu raffen, fiel sein Blick auf das ominöse Negativ. Er stutzte, betrachtete es genau und fuhr dann hoch: „Ist dies etwa auch von Ihnen?" — „Allerdings!" — „Wo ist das Original?" — „In Amerika!" — „Ich sage es ja inimer: die verd... Iankees schnappen uns alles wirklich Wertvolle weg. Mann, warum haben Sie dieses Werk ins Ausland gehen lassen?" — „Es wurde mir noch naß von der Staffelei genommen." — „Kein Wunder! — Herr Brunne, Ihr näch stes Werk dieser Art muß i ch zuerst sehen. Diesen Neuschöpfer muß ich entdeckt haben. — Sieh nur, Edmund, diese Kom position, diese Symbolik, das Packende dieser Leinwand! Und schon auf dem Negativ kommt dies alles zur Geltung. Groß artig! Sehen Sie, das ist Kunst! — Meister, Sie sind der Schöpfer eines neuen, überwältigenden Stils, des... des... ich hab's: des Synthetismus! — Gestatten Sie mir vielleicht, darüber ein Feuilleton zu schreiben und dieses Lichtbild dabei zu verwerten?" „Warum nicht? Gewiß: obgleich..." „Keine Widerrede! Ich schreibe den Aufsatz. Er wird Aufsehen erregen. Der Tag war nicht verloren. Sie können auf Ihren Gatten stolz sein, gnädige Frau!" „Das bin ich schon lange." Vier Etappen» Skizze von Hans Morgan. Der Schwarm der Neugierigen hatte sich verlaufen. Lang sam verließ Fred Amann an der Seite Rolf Millers den Friedhof. Er war ungewöhnlich ernst, so ernst, wie man ihn sonst nie kannte. Und wie aus einem schweren Gedanken heraus sagte er leise: „Wie oft versündigen wir uns doch an unseren Mit menschen und wissen es nicht! Und wenn es uns eines Tages ;nm Bewußtsein kommt, ist es meistens schon zu spät zum Wiedergutmachen." Rolf Miller nickte. Fred Amann fuhr fort, und seine stimme klang wie aus einem unwiderstehlichen Mutz her- rus: „Viermal sind wir ein Stück Wegs zusammen gegangen: Hans Brand, den sie da eben begruben, und ich. Und drei mal habe ich ihm in Neid und Haß Schläge versetzt, unter )enen er vielleicht lange zu leiden hatte. Das vierte Mal aber schlug er zu, anders als ich, aus ganz anderem Beweg gründe heraus. Und doch war's ein Schlag, unter dem ich ün Leben lang zu leiden haben werde!" „Ich verstehe Dich nicht." „Du erinnerst Dich doch noch, wie wir den armen Brand in der Schule quälten, weil er sich vermaß, bei seiner Armut immer der Erste in der Klasse sein zu wollen. Er war für ans der Streber. Eines Tages wurde er hinausgeworfen, veil er einem Schulkameraden etwas gestohlen hatte." „Ich weiß: einen silbernen Bleistift." „Ja! Er war aber unschuldig. Ich hatte den Diebstahl begangen! Ich haßte ihn, weil er — das arme Luder — klüger war als ich und weil ihm in den Schoß fiel, was ich mit allen Mühen nicht zwingen konnte. Ich stahl den Blei stift und lenkte den Verdacht auf ihn. Er wußte es und — fügung. Es ist mir stets eine besondere Freude, verständ nisvoller Teilnahme an meinem Lebenswerk zu begegnen." „Abgemacht, wir kommen!" rief Frau Aenne heiter. Dankend neigte sich der Kranke über die Hand der blonden Frau, wechselte Händedruck mit den drei Herren, wobei ein schräger Blick heimlich an der untadelig ge wachsenen Gestalt des jungen Hardt entlangglitt. Dann rollte das Krankengefähri weiter. „Eigentlich verspüre ich keine große Lust, auch nur ein paar Stunden meiner kurzen Ferienzeit bei Fremden zu vergeuden; aber ich mochte dem armen Kerl die Bitte nicht abschlagen", bemerkte der Professor beim Weitergehen. „Vielleicht hat er wenig Gelegenheit zu geistigem Gedanken austausch." „In meiner Ächtung ist er jedenfalls ganz kolossal ge stiegen", lachte Frau Aenne, „denn deine Bücher sind keine leichte Ware, Onkel Professor!" Der schmunzelte, wandte sich dann an seinen Sohn. „Wenn du nicht mitkommen willst, Jung, dann tu' vir keinen Zwang an. Den kurzen Weg kann ich den Opel schon allein dirigieren, und eine Entschuldigung für dein Fernbleiben ist schnell gefunden" Aber Helmut Hardt meinte leichthin: „Ach, ich komme ganz gern mit, Aenne hat die ollen .Menschenfresser' da oben so anschaulich geschildert, daß es mir Spaß macht, sie einmal selber beäugen zu können " Ju seinem Herzen aber sang und klang es wie ein heimliches Lied: „Waldelfleiu, Waldelslein, nun seh' ich dich wieder!" H» Hi ist „Für einen .Landsitz' finde ich das Raubritternest äußerst nobel", bemerkte der junge Hardt, „das ist ja ein richtiges Gut, und was für eins!" Es war sein erster Beitrag zur Unterhaltung während der Fahrt nach der Rohsenburg, wie das altertümliche, schloßartige Gebäude hieß, das nun am Ende der langen Allee, in die sie soeben von der Landstraße eingebogen waren, sichtbar wurde. Stolz erhob es sich auf einer kleinen künstlichen Anhöhe, so daß es gleichsam herabsah auf seine Umgebung. (Fortsetzung folgt.)
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