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Wilsdruffer Tageblatt : 15.07.1931
- Erscheinungsdatum
- 1931-07-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193107153
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19310715
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19310715
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1931
-
Monat
1931-07
- Tag 1931-07-15
-
Monat
1931-07
-
Jahr
1931
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 15.07.1931
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6e!eIMMüi65 Leben im vklanrenreiüi. Von vr. R. Scharfetter, Professor an der Universität Graz. Versteht man unter „Gesellschaft" das Zusammenleber einzelner Individuen und die Beziehungen, die sich aus diesen Zusammenleben ergeben, so kann man mit vollem Recht vor einem Gesellschaftsleben im Pflanzenreiche sprechen, denn nm selten leben die Pflanzenindividuen einzeln für sich allein, ir oen meisten Fällen treten zahlreiche Individuen zu Verbände» zusammen, die uns als Wald, Wiese, Moor, Steppe usw. be kannt find. Die Beziehungen der einzelnen Pflanzen zuein ander, die sich aus diesem Zusammenleben ergeben, solle» den Inhalt unserer Plauderei bilden. Zuerst ein paar Worte über Pflanzen, die einzeln, alsc außerhalb eines Pflanzenverbandes leben: wir finden solch« nur in den unwirtlichsten Gegenden der Erde als die letzter Ausläufer pflanzlichen Lebens im Hochgebirge und in der Wüste, ferner in den Spalten schroffer Felswände. Es sind Pioniere der Pflanzenwelt, die im Kampfe mit der Natm das Aeußerste im Ertragen von Kälte und Trockenheit leisten A. F. Wollaston hat auf der ersten Mount Everest-Expeditior die Arenaria musciformis Wallich, das moosartige Sandkraut, bei 6222 Meter gesammelt. Das ist nach unserer jetziger Kenntnis die absolut höchststeigende Blütenpflanze der Welt. In den Alpen wurden Ranunculus glacialis (der Gletscher hahnenfuß) und Achillea atrata (die schwarze Schafgarbe) bis 4270 Meter am Finsteraarhorn als höchststeigende Pflanzer beobachtet. So sehr diese Kampfnaturen unter den Pflanzen geeignet sind, unser Interesse zu erregen, so wollen wir uns doch heut« nicht näher mit ihnen beschäftigen, da sie, wie erwähnt, außer halb jedes Pflanzenverbandes stehen. Der erste, einfachst« Pflanzenverband entsteht, wenn einzelne Individuen, die durch Ausläufer oder Sprosse ungeschlechtlich entstanden sind, sich nicht voneinander trennen, sondern im Familienverbande blei ben. Als bekanntestes Beispiel eines Familienverbandes sind die Moospolster zu nennen. Hunderte von einzelnen Moos- pflänzchen stehen dicht gedrängt beieinander, und es scheint, oaß das einzelne Moospflänzchen außerhalb des Familien verbandes überhaupt nicht zu leben vermag. Der Vorteil der Wasserspeicherung, der in diesem Zusammenleben für di« Einzelpflanze liegt, ist zu bekannt, als daß wir dies näher ausführen müßten. Die Horstpolster vieler Felsenpflanzeri schließen sich hier an. Auch für diese Pflanzen ist das Zu sammenhalten der Feuchtigkeit als Ursache des Polsterwuchses erkannt worden. Der immergrüne Steinbrech (Saxifraga aizoon), die immergrüne Hungerblume (Draba aizoides), viel« Hauswurz- (Sempervivum) und Seggen- (Carex) Arten mögen als Beispiel dienen. Der Familienverband erweitert sich zum Pflanzenverein. Wenn zahlreiche Einzelindividuen, sei es derselben, sei es ver schiedener Art, sich zu natürlichen Einheiten zusammen schließen. Wie kommt es zur Bildung solcher Pflanzenvereine? Stellen wir uns vor, daß ein umgeackertes Stück Ackerland sich selbst überlassen wird. Von allen Seiten, vom benachbarten Wald, von Wiese, Acker, Sumpf, kommen Pflanzensamen, durch Wind oder durch Tiere verbreitet, herbei. Schon bei der Keimung dieser zusammengewürfelten Samengesellschafi kommt es zu einer Auslese. Boden, Feuchtigkeit und Klima des Standortes begünstigen das Auskommen bestimmter Keim linge und verurteilen andere zum Tode. Und nun beginnen die Wirkungen des Zusammenlebens in ihrer brutalsten Form. Raschwüchsige Arten überholen die langsam Heranwachsenden und nehmen diesen den Raum weg, lichtliebende Arten gehen zugrunde, weil die raschwüchsigen Arten sie von der Sonn« abschließen. Es werden also durchaus nicht alle Arten auf kommen, sondern nur solche, deren Ansprüche gegenseitig nicht gestört werden. Das ungeschriebene, wahrlich eherne Gesetz der Auslese sorgt dafür, daß nur immer bestimmte Pflanzen zusammen wachsen können; es bildet sich nur eine bestimmt« Pflanzengesellschaft, und von tausend möglichen Gesellschaften Wird immer nur eine praktisch realisiert. Und darum sehen wir trotz allen Wechsels im einzelnen in jeder klimatisch be stimmten Gegend immer dieselbe Pflanzengesellschaft wieder kehren: hier den Nadelwald, dort den Laubwald, hier di« Steppe, dort Sümpfe und Moore, hier die Alpenmatten, dort die Prärien und den tropischen Hochwald. Wiesen und Aeckei aber sind Pflanzengesellschaften, deren Geschick der Mensch mit Sense und Sichel bestimmt. Der knappe Raum, der mir zur Verfügung steht, erlaub« es nicht, alle Wechselbeziehungen, die zwischen den Pflanzen infolge des sozialen Zusammenlebens in einem Pflanzen vereine geknüpft sind, auch nur übersichtlich zu verfolgen. Wn können nur ein paar interessante Fälle herausgreifen. Zunächst die Ständegliederung. In der menschlichen Gesellschaft heben sich einzelne Grup pen von Menschen, deren Lebensführung annähernd dieselbe »st, ab; wir nennen sie Stände: Handwerker, Arbeiter, Unter nehmer, Beamte usw. Auch in einem Pflanzenverbande lasse» ich Gruppen, deren Mitglieder eine ähnliche Lebensweise ühren, ausscheiden; so zerfällt der Hochwald in die Wald- chichte, Stranchschichte, Feldschichte und Bodenschichte. Wi« interessant wäre es nun, die Abhängigkeit dieser Schichten — fast hatte ich Stände gesagt — voneinander zu schildern! Grei fen wir nur eines heraus: wie sehr werden die Lebensverhält nisse der Feldschichte des Waldes, d. i. die Schichte der ini Walde lebenden Kräuter und Stauden, von der Waldschichte d. i. die Schicht der hochstämmigen Bäume, beeinflußt. Gehe, wir der Kürze wegen einmal systematisch vor. Es werden ge ändert die Verhältnisse: 1. der W ä r m e... die Waldschichte hält die direkte Sonnen bestrahlung fern. Im Waldinnern ist es kühl. 2. der Feuchtigkeit... das Wasser wird in der Feld- und Bodenschichte festgehalten, weil der austrocknend« Wind fehlt. 3. des Windes... zarte, dünne Blätter, die im Tober des Windes im Freien zerfetzt würden, können sich hier entfalten. 4. der Beleuchtung... direktes Sonnenlicht und mb ihm die Fülle der buntgefärbten Blumen fehlt. Diese wenigen Schlagworte müssen genügen, zu zeigen. Wie sehr durch das Zusammenleben die Lebensbedingunger geändert werden, wie sehr die Pflanzen aufeinander wirken Ein zweites Beispiel! Täglich hören wir rings im Lani davon sprechen, daß uns zum Aufblühen der Volkswirtschaft Kapital fehlt. Kapital ist gespeicherte Arbeit; es dient aber weiter zur Erzeugung neuer Arbeit. Im Pflanzenverbande habe» wir eine ganz analoge Erscheinung: Komposterde (Dünger) uni Humus (schwarze Erde). Ihrer Entstehung und ihrer Roll« im Pflanzenverbande nach können wir diese Zersetzungs produkte mit dem Kapital vergleichen. Sie sind ausgespeichert« Pflanzenarbeit und dienen zur Belebung neuer Pflanzen arbeit. Da sie nämlich die für den Aufbau neuer Pflanzen substanz nötigen Stoffe in einer für,die lebende Pflanze leicht aufnehmvaren Form enthalten, fördern sie, dem Boden, d. i Sand und Lehm beigemischt, den Pflanzenwuchs aufs beste, wie jeder Landwirt und Gärtner weiß. Der Vergleich Dünger und Humus — Kapital läßt sich aber noch weiter ausspinnen, Wie es Menschen gibt, die nur mehr vom Kapital und von dessen Zinsen leben, so gibt es auch Pflanzen, welche sich nur von faulender Pflanzensubstanz ernähren. Wir nennen sic Fäulnisbewohner oder Saprophyten, z. B. alle höheren Pilz« oder Schwämme. Wir sehen den Vorteil dieser Ernährungs weise ein — sie ersparen Arbeit, indem sie bereits organisch« Substanz aufnehmen, statt anorganischer, wie die grünen Pflanzen; wir sehen aber auch den Nachteil — die volle Ab hängigkeit vom Vorhandensein der faulenden Substanz, den sichern Tod, wenn diese aufgezehrt ist. Denn diese Pflanzen verlieren das Blattgrün (Chlorophyll) und damit die Fähig keit zur selbständigen Ernährung. Wer denkt nicht an Selbst mord mancher Menschen, die sich bei Verlust des Kapitals un fähig fühlen, sich durch eigene Arbeit fortzubringen? Aber noch weiter: ebenso wie die übermäßige Anhäufung von Kapital der Volkswirtschaft Schaden bringt, ebenso zeitigt die übermäßige Anhäufung dichtgelagerter Humusschichten un günstige Folgen sür die Pflanzenvereine, sie verwandelt üppigen Waldboden in unfruchtbare Heide. Befruchtend wirkt der Humus nur dort, wo er mit mineralischer Substanz, Sand und Ton gemischt, den Pflanzen zur Verfügung steht, wie z. B. im Ackerboden, wo die jährliche Bodenbearbeitung mit dem Pflug für stete Mischung sorgt. Oder in der freien Natur an Waldbächen, wo Wasser, reich an mineralischer Substanz, die es beim Ueberrieseln der Felsen ausgenommen hat, Humus anhäufungen durchtränkt. Hier entwickelt sich an Gebirgs bächen die üppigste Vegetation: die Hochstaudenflur; hier kön nen wir Blätter des Huflattichs oder der Pestwurz von einem halben Quadratmeter Größe finden, die an wahrhaft tropisch« Blattgestalten erinnern. Die Bande, welche die Individuen eines Pflanzenvereines miteinander verknüpfen, können am besten als Tischgenossen schaft (Kommensalismus) bezeichnet werden. Alle Arten, di« sich an einem bestimmten Ort zu einem Pflanzenverein« (Wald oder Wiese) zusammenfinden, speisen gleichsam an dem selben Tische, weil sie den Nahrungsvorrat in Luft und Boden miteinander teilen. Wird ein Pflanzenverein nur von Individuen derselben Art, z. B. ein Buchenwald nur aus Buchen gebildet, so spricht man von gleichartigen Tischgenossen (Kommensalen). Zwischen diesen wird der Wettbewerb um di« Nahrung am größten sein, da alle Einzelindividuen dieselben Anforderungen an Nahrung, Licht und die anderen Lebens bedingungen stellen. Die ungünstig gestellten und schwächeren Individuen werden verdrängt; sie sind zum Absterben ver urteilt. Durch den Zusammenschluß von Individuen derselben Art zu einem Verein sind sicher Vorteile für die Art ver bunden: z. B. wird bei Windblütlern, bei denen der Blüten staub durch den Wind auf die Narben übertragen wird, dic Bestäubung gesichert. So ist es denn nicht auffällig, daß unser« Waldbäume und Gräser Windblütler sind und zu den ausge dehnten Pflanzenvereinen der Wälder, Wiesen und Getreide felder sich zusammenschließen. Wie wir unter den Tiere» einzellebende wie Löwe, Adler, von gesellig, in Herden lebender wie Rind, Elefant unterscheiden können, so zeigen auch viel« Pflanzen einen ganz ausgesprochenen sozialen Zug, stets ir Massen gesellig aufzutretcn. Man denke an die Moose, da Schilfrohr, die Schachtelhalme, das Heidekraut, aber auch cm Waldmeister, Buschwindröschen, Huflattich, Maiglöckchen Selten wird man diese Pflanzen einzeln finden, zumeist stehe» sie in Gruppen zusammen. Den Fall, daß ein Verein nur von Individuen derselbe» Art (also z. B. nur von Buchen) gebildet wird, trifft man streng genommen, kaum irgendwo an. Fast immer finde» sich viele verschiedene Arten in den verschiedensten Mischungs Verhältnissen zu einem Pflanzenverein zusammen. Dadurch entsteht ja erst das anziehende Bild einer blühenden Wiese daß Pflanzen in allen Farben bunt durcheinander wachsen und Blätter in mannigfachster Form ausbilden. Durch dieses Zu sammenvorkommen verschiedener Tischgenossen (Kommensalen auf einer Bodenfläche wird erst der Raum vollständig aus gefüllt und ausgenützt, denn selbst wenn eine Art den Pla» so vollständig auZgefüllt hat, als es die Natur des Boden« zuläßt, werden andere Arten doch Raum finden. Je ver schiedener sie sind, desto freier wird der Wettbewerb sein. Hie: zeigt sich so recht, wie gut der Ausdruck Tischgenossen gewähl ist: wie an einem Tisch sitzen zahlreiche Pflanzengäste au einer Wiese beisammen, aber nicht alle verlangen dieselbe Nah rung, die einen verlangen Kalzium, die anderen Ammoniak die dritten Eisen usw. in verschiedener Menge, wie es fick aus der Aschenanalhse der einzelnen Arten ergibt. Ihr Nah rungswettbewerb ist also viel weniger heftig, als wenn nm Individuen derselben Art mit vollständig gleichen Nahrungs ansprüchen eine Pflanzengesellschaft bilden. Aber die Pflanzer einer Wiese weichen einander direkt aus, um sich gegenseitig nicht zu behindern. Die flachstreichenden Wurzeln des Veil chens, Maßliebchens, des Frühlingsenzians, der Gundelrebe, des Wiesenschaumkrautes, der Wiesenglockenblume und anderer suchen mit ihren Wurzelhaaren die oberen Bodenschichte» nach Nahrung ab, während Löwenzahn, Kuhblume, Bocks-, bart, Möhre und andere tiefe Pfahlwurzeln in die unteren Bodenschichten treiben. So wird in sinnreicher Weise di« Wurzelkonkurrenz ausgeschaltet. Speisen die Wiesenpflanze» aus verschiedenen Schüsseln verschiedene Speisen, so wechseln auch im Laufe der Mahlzeit — des Jahres nämlich — die Gäste: Viele Frühlingspflanzen, wie Frühlingsenzian, Schnee glöckchen, Schlüsselblumen sind bereits abgestorben, wenn die Sommerpflanzen sich erst zu entwickeln beginnen. Unschwer wird der aufmerksame Beobachter erkennen, daß nach der ersten Mahd wieder andere Gäste die Wiesentafel besetzen, bis die Herbstzeitlose den Reigen schließt. Von den Tischgenossen des Waldes, besonders der Waldbodenflora, oder den Unkräutern des Ackers, hätten wir ähnliche Züge der gegenseitigen Abstim mung im gesellschaftlichen Leben erzählen können. Ich bm heute friedlich gestimmt und habe nur von dem sinnreichen Zusammenleben verschiedenster Pflanzenarten be richtet, ich könnte auch erzählen von erbitterten Kämpfen zwischen den einzelnen Tischgenossen. Wie sich die Gesamtheit oer eng zusammengedrängten Pflanzen gegen Neuankömm linge wehrt. Wie sich die „bodenständigen" Pflanzen gegen die „Zugereisten" wehren und keine Eindringlinge in ihrem Ver ein dulden. Mohn, Kornblume und Kornrade des Ackers senden ihre Samen gewiß auch in die benachbarte Wiese, aber oiese finden dort kein Keimbett. Ich könnte erzählen vom Kampfe der Pflanzenvereine untereinander, wo nicht mehr die Einzelpflanze um ihr Dasein ringt, sondern Gesamtheit gegen Gesamtheit steht, und wie auch hier der Stärkere über den Schwächeren siegt: z. B. der Wald über die Wiese, der Wald über die bunte Pflanzengesellschaft des Holzschlages. Nun wollen wir uns ein wenig besinnen und fragen, wie weit wir.mit unserem Vergleich zwischen Pflanzenvereinen und den Staaten der Menschen und den Tiervereinen gehen dürfen. Gewiß gibt es Aehnlichkeiten, wie den Nahrungswett bewerb, der beiderseits zwischen den gleichartigen Individuen stattfindet und die Unterdrückung oder den Untergang der 'chwächeren verursacht. Weit großer jedoch sind die Unter schiede. Warming sagt: Die Pflanzenvereine stellen die nie drigste Vereinsform dar, zunächst nur eine Anhäufung von Einern, zwischen denen es kein Zusammenwirken zum gemein samen Vorteile, eher einen beständigen Kampf aller gegen alle gibt. Wenn die am Rande des Waldes wachsenden Bäume die im Innern wachsenden Individuen gegen Wind schützen, so besorgen sie diesen Schutz nicht aus besonderem Antriebe, wofür wir in den Tiervereinen Beispiele finden, und sind in keiner Weise besonders angepaßt, als Wache gegen» gemein same Feinde aufzutreten. In den Pflanzenvereinen herrscht nur die Selbstsucht. Sie haben auch keine höheren Einheiten oder Individualitäten in dem Sinne, wie z. B. die Menschen vereine, die eine innere Organisation mit einem Mittelpunkt und einer Reihe von Mitgliedern haben, welche in gegen seitiger, gesetzmäßig geregelter Wechselwirkung jedes für das Wohl des Ganzen arbeiten. Es gibt in den Pflanzenvereinen ganz gewiß oft (oder immer) eine gewisse natürliche Ab hängigkeit und eine gegenseitige Rücksicht der vielen Glieder eines Vereins von- und aufeinander; sie bilden bestimmt orga nisierte Einheiten höherer Ordnung; aber es gibt keine solche Arbeitsteilung wie in den Menschen- und in gewissen Tier staaten, daß gewisse Individuen als Organe des ganzen Vereins dienen. Es ergibt sich daraus, daß wir Wohl von einem Gesell schaftsleben der Pflanzen sprechen können, Wohl auch den Aus druck „Pflanzenvereine" gebrauchen dürfen, nicht aber von einem „Pflanzenstaate" sprechen können: der Ausdruck „Tisch genossenschaft" dürfte die Art des Zusammenlebens am rich tigsten bezeichnen. 1910 wurde auf dem Botanikerkongreß die Bezeich- ' nung „Pflanzensoziologie" offiziell eingeführt. Die moderne Pflanzensoziologie erfaßt das Zusammenleben der Pflanzen als Gesamterscheinung und spricht von soziologischen Pflanzeneinheiten wie Wald, Wiese, Steppe, Alpenmatte; sie untersucht die Lebenslage des einzelnen Pflanzenindividuums, das in diese Gesellschaft hineingestellt und dessen Wohl und Wehe nun vom Schicksal der Gesamtheit abhängig ist. Wie viele Menschen fielen im Weltkriege dem Schnitter Tod zum Opfer, als Angehörige eines Staates, während sie als Einzel wesen in ihrem Privatleben niemals in solche Gefahren ge kommen wären — und im Pflanzenvereine wird das Ver gißmeinnicht von der Sense beim Wiesenschnitt mit vielen Tausenden Schicksalsgenossen hinweggemäht, während es als Einzelwesen am Bachrande ein ungefährdetes Eigenleben ge führt hätte. Mitgefangen — mitgehangen, hineingerissen i» das Schicksal der Gesamtheit. Ja, auch die Pflanze führt ein Einzelleben, und di« Pflanze führt ein soziales Leben, weil sie nicht allein lebt Und wenn wir heute mehr als frühere Geschlechter das sozial« Leben der Pflanzen betrachten und zum Gegenstand des Stu diums machen, so liegt dies ganz, im Zuge der Zeit, den» auch die Wissenschaft ist nur das Werk der jeweils lebender Menschen. Dor dem Polarflug des „Grafen Zeppelin". Die wissenschaftliche Bedeutung des Unternehmens. Von Theodor Linden st ädt. In wenigen Wochen wird sich der „Graf Zeppelin" zu dem im Vorjahre durch widrige Umstände vereitelten Nord- Polarflug in die Lüfte schwingen und damit ein Unternehmen beginnen, das vom wissenschaftlichen Standpunkte aus in mehrfacher Beziehung von größter Bedeutung zu werden ver spricht. Ueber die näheren Ziele und sonstige Einzelheiten des Fluges hörte man vor kurzer Zeit zum ersten Male etwas Näheres dadurch, daß die beiden an der Fahrt teilnehmenden russischen Gelehrten, die Professoren Samochlowitsch und Moltfianoff, emer großen Zeitung ihres Landes gegenüber den Schleier lüfteten. Die beiden Herren sind inzwischen in Berlin eingetroffen, um dort den wissenschaftlichen Plan des Unternehmens in seinen letzten Einzelheiten festzulegen. Die Leitung des Fluges liegt bekanntlich in Händen vr. Eckeners, während Professor Samochlowitsch die wissen schaftlichen Arbeiten unter sich hat. Außer den genannten beiden Russen werden noch zwei ihrer Landsleute, drei Deutsche, ein Amerikaner und ein Schwede den wissenschaft lichen Stab bilden. Die Aufgabe der Forscher besteht in erster Linie in der Erforschung unbekannter Gebiete im arktischen Rußland, vor nehmlich des Franz-Josef-Landes, des östlich davon gelegenen Nordlandes und der Halbinsel Taimir. Zahlreiche Lichtbilder sollen genommen und zu den unten bereits befindlichen wissenschaftlichen Stationen abgeworfen werden, die davon bei ihrer Arbeit sehr vorteilhaften Gebrauch machen können. Große Bedeutung, insbesondere für einen künftigen Luftverkehr in der Arktis, mißt man auch den von Professor Moltfianoff durchzuführenden meteorologischen Untersuchungen bei. Der Gelehrte wird sich der hier zum ersten Mal von einem Luftschiff aus zur Verwenbung gelangenden Radio sonde bedienen, eines Apparates, der selbsttätig den Luftdruck in den höheren Schichten der Atmosphäre aufzeichnet. Das in Aussicht genommene Zusammentreffen mit dem „Nautilus", dem U-Boot des Kapitäns Wilkins, scheint nach den inzwischen bekannt gewordenen Unfällen des Fahrzeugs in Frage gestellt. Die Begegnung war von vorherein eine recht zweifelhafte Sache, da ja das in gewissem Grade vom Wetter abhängige Luftschiff nicht lange an einer Stelle bleiben und leicht zu Aenderungen des geplanten Flugweges genötigt werden kann. Der für den 20. Juli in Aussicht genommene Flug wird den „Graf Zeppelin" zunächst nach Leningrad führen, wo ein Ankermast errichtet ist. Ob und wo weitere Landungen im hohen Norden stattfinden, hängt durchaus von der Wetterlage ab. Irgend welche Aenderungen an dem Luftschiff wurden nicht getroffen, nur ist selbstverständlich der nötige Raum für die zahlreichen wissenschaftlichen Instrumente bereit gestellt.
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