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Wilsdruffer Tageblatt 2 Blatt. Nr. 180 - Mittwoch, üen 27. Mai 1931 Tagesspruch. Wo viel Freiheit, ist viel Irrtum, doch sicher ist der schmale Weg der Pflicht. Schiller. Schwere Katastrophen an den Pfingsttagen. Zahlreiche Todesopfer. Opfer der Berge. Aus München wird berichtet: Im Wilden Kaiser ist der Münchener Karl Brendl tödlich avgestürzt; die Leiche wurde geborgen. Am Pendling bei Kufstein ver- unglückten die beiden Müüchener Joseph Mayr und Rosa Brandstetter durch Absturz. Mayr ist tot, seine Begleiterin schwer verletzt. Im Gebiete des Schachen bei Patenkirchen wurde der Tourist Fränkel aus der Gegend von Weilheim tot aufgefunden. An der Fleifch- bankostwand verunglückten zwei Touristen ans Innsbruck durch Absturz; einer von ihnen trug schwere Verletzungen davon. Am Wasserschloß des Walchenseewerkes stürzte der Münchener Franz Ritt ab und blieb mit schweren Verletzungen liegen. Autounglück eines Gesangvereins. Der Männergesangverein Bamberg unternahm am Pfingstsonntag mit einem Lastauto einen Ausflug. In der Nähe von Scheßlitz kam der mit 3t Personen be setzte Wagen ins Schleudern, stürzte um und begrub sämt liche Insassen unter sich. Alle 3t Personen wurden ver letzt, davon elf schwer. Drei Schwerverletzte sind ge storben, eine schwerverletzte Frau schwebt in Lebensgefahr. Der Chauffeur, der zu schnell gefahren ist, soll sich, als er die drohende Gefahr bemerkte, durch einen Sprung vom Wagen gerettet haben. . . . und noch ein Autounglück. Der Rittergutsbesitzer Hauptmann Hey! aus Horka, Generaldirektor der bekannten Berliner Farben fabrik Heyl-Beringer, fuhr mit seinem Auto aus einer Fahrt von Berlin nach Görlitz etwa drei Kilometer vor Rietschen mit hoher Geschwindigkeit gegen einen Baum. Der Wagen überschlug sich mehrmals und stürzte schließlich in den Straßengraben. Hauptmann Heyl konnte nur noch als Leiche aus den Trümmern gezogen werden. Zwei Todesopfer der Elbe. Beim'Baden in der Elbe verunglückten bei Rissen zwei Personen tödlich. Eine junge Frau war von dem starken Elbstrom gefaßt und mitgerissen worden. Ihr Mann wollte sie retten, geriet aber ebenfalls in die Strömung und ertrank mit der Frau. Das dreijährige Kind stand am Ufer, als seine Eltern auf so tragische Weise ums Leben kamen. ... die Weichsel aber fordert elf Opfer. Stromabwärts von Krakau ereignete sich ein tragischer Unfall, dem elf Menschenleben zum Opfer fielen. Zwischen zwei Ortschaften wird die Überfahrt Uber die Weichsel mit einer Fähre bewerkstelligt. Da der Andrang besonders groß war. nahm der Fährmann statt der vorgeschriebenen 25 Personen 32 mit. Als sich die Fähre einige Meter vom Ufer entfernt hatte, kenterte sie infolge der Überbelastung Elf Personen, zum größten Teil Arbeiter, konnten nicht ge rettet werden. Der Fährmann wurde festgenommen. * Eisenbahnunglück in Paris. In Paris hat sich wieder ein Eisenbahnunglück er eignet. Aus dem Bahnhof Bastille fuhr infolge falscher Weichenstellung ein einlaufender Zug aus einen Personen zug auf. Der Zusammenstoß war so heftig, daß mehrere Wagen aus den Schienen sprangen. Das Splittern der Fensterscheiben und die Hilfeschreie riefen unter den Reisenden eine Panik hervor, doch erwies es sich zum Glück, daß man es mit keinen schweren Verletzungen zu tun hatte. Etwa 50 Personen wurden mehr oder weniger schwer verletzt. Gegen den Weichensteller ist eine Unter suchung eingeleitet worden. Das Massenfest in Aachen Fürsorger deuffchmMmderheilen Die Tagung des VDA. Ganz Aachen prangte im Flaggenschmuck, ganz Aachen war auf den Beinen und ganz Aachen bekannte voller Begeisterung, daß es ein so imposantes und harmonisches Mafsenfest noch nicht in seinen Mauern erlebt hat. so lange die Erinnerung zurückreicht. Die Kundgebung, die zugleich einen Dank an die befreiten Rheinlands für ihre Treue während der Besatzungs- zeit und ein Gelöbnis der Verbundenheit für die abgetretenen Ausländsdeutschen darstellen sollte, erreichte seinen großartig sten Höhepunkt in dem Festzug, der am Pfingstmontag stattfand. Fast zwei Stunden dauerte der Vorbeimarsch, an welchem 22 Kapellen von Schulgruppen und viele Hunderte von Fahnen und Winpeln beteiligt' waren. Voran marschierten die Aachener Bürgergardisten in ihren historischen Uniformen und mit ihrer uralten Fahne, dann folgten in buntem Wechsel die Verbände des Vereins für das Deutschtum im Auslande aus allen Teilen des Reiches, wobei die weiter ablieaenden Gebiete, wie Berlin und die .Mark. Die Rheinlandkundgebung des VDA Pommern und Schlesien erfreulich stark vertreten waren, und dazwischen die auslandsdeutschen Gruppen. Unter diesen wur den am lautesten die Heimattreuen Verbände aus Eupen und Malmedy bejubelt, die zum Teil in wallenischen Trachten, mit ihren Fahnen und Musikkapellen in Stärke von mehreren tausend Männern und Frauen über die nahe Grenze gekommen waren, um zu bekunden, daß sie die ohne eine Befragung des Selbstbestimmungsrechtes vorgenommene Abtrennung von ihrem Heimallande nicht anerkennen. Sehr stark war auch die Beteiligung aus dem stammverwandten Holland, aus dessen Provinz Liniburg ganze deutsche Schulen unter Führung ihrer Lehrer und Lehrerinnen erschienen waren. Für farbige Abwechselung sorgten die Trachtengruppen der Schwarzwälder, Rordmähren, Bückeburger, Bayern, Salz burger, Tiroler usw. Einen zweiten Höhepunkt hatte der Auf marsch der Jugendgruppen zur Weihe der neuen Fahnen und Wimpel im Waldstadion gebildet, wo sich im Dämmerlichte und bei Fackelglanz die Teilnehmer in dem riesenhaften, von Wald umrahmten Oval lagerten und der Festrede der Dichtern: Maria Kahle und dem Festspiel von Christoph Kärgel lauschten, das die Not der Ausländsdeutschen in packenden Sprcchchörcn schildert. Nach dem gemeinsamen Gesänge des Deutschlandliedes erfolgte der Rückmarsch in die Stadt mit einem Fackclzug der etwa 17 000 Teilnehmer, während dem Zuge sämtliche Aachener Volks schüler mit farbigen Lampions voranschritten, ein Bild, das allen unvergeßlich bleiben wird Eine andere sehr eindrucks volle Veranstaltung war die Ntederlegung des Kranzes aus dem Ehrenfriedhof, auf dem beinahe ein ganzes Armeekorps von Gefallenen des Weltkrieges den ewigen Schlummer schläft; hier hielt ein Sudctcndeutscher die An sprache, die in dem unvergänglichen Dank des Gesamtvolkes an seine Gefallenen ausklang Von den Arbeitstagungen waren diejenigen der auslandsdeutschen Frauen, der Studen ten, der Angestellten, der Arbeiter, wo ein sozialdemokratischer Gewerkschaftssekretär für die Volksgemeinschaft sprach, und der Jungbauern besonders stark besucht. Die Vorstandsneuwahlen führten zur einstim migen Neuwahl des Retchswehrministers a. D. Geßler zum Ersten und des Direktors Bana-Wien zum Dritten Vorsitzen den, während Konteradmiral a. D. Seebohm als Zweiter Vor sitzender wiedergewählt wurde. Die Aachener Tagung des V. D. A. bedeutet einen neuen Markstein, nicht nur glanzvoller äußerer Entwicklung, sondern auch der Vertiefung der prak tischen Fürsorgearbeit für die bedrohten und kämpfenden deutschen Minderheiten in allen Auslandsstaaten. W. Sch. Volksschule und VoLksstaai. Schulpolitischc Aufgaben. In Frankfurt a. M. begann die 39. Vertreierversammlung des Deutschen Lehrervereins, in der Schriftleiter Rappe den Geschäftsbericht erstattete. Der Schwerpunkt der Vereinsbarkeil liege in der s ch u l p o l i i i s ch e n Aufgabe, die Volksschule «n den Bolksstaat einznglicdern. Diese Ausgabe empfinde der Verein als im engsten Zusammen hang stehend mit der Erztehungsausgäbe doch werde die Durchführung der schulpolitischen Ideen dem Verein von allen Parteien reichlich schwer gemacht. Die politischen Machtmittel, mit denen der Deutsche Lehrerverein wirken könne, seien allzu gering. Der bisherige Erste Vorsitzende, Schulrat Wolf-Berlin, wurde einstimmig wiedergewählt. Es wurde beschlossen, die nächste Deutsche Lehrerversammlung in Rostock abzuhalten. Zum Schluß wurden zwei Entschließun gen angenommen, in denen die einheitliche Regelung der Lehrerbildung durch Reichsgesetz sowie beamtenrechtliche Sicherung gefordert werden. poUtilcvr kumilchau Deutsches Reich Opfergeist und Führergeist. Aus einer Tagung der katholischen Gesellen rn Offen burg sprach Reichsinnenminister Dr. Wirth. Die katho lischen Gesellenvereine, so betonte er, pflegten den staats bejahenden Geist. Das Niederreißen im Staat, das von links und rechts komme, sei ein Verbrechen. In der Welt wirtschaft bestehe ein allgemeines Chaos. Um die Lage in Deutschland zu meistern, sei Opfergeist und Führergeist nötig. Ohne die Hilfe des katholischen Volksteiles könne der Wirrwarr nicht gemeistert werden, denn links und rechts schlügen die radikalen Wellen zusammen. Alle, die konservativen Sinnes seien, hätten die Pflicht, mitzu wirken an der Rettungsaktion im Jahre 193i. Haussrauenvcrbäude gegen Gottkoscnpropaganda. Der Ncichsvcrband der städtischen und landwirtschaft lichen Hausfrauenvereine wenden sich in einem Aufruf an die Öffentlichkeit, um sie zum nachdrücklichen Kampf gegen die Gesahren des Freidenkertums aufzurufen. Die Frauen in Stadt und Land erwarten, so heißt es in dem Aufruf, von der Regierung und den zuständigen Ortsbehörden, daß sie alle zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um dieser Bewegung nachdrücklich entgegenzutreten. Diese Pflicht sollte die Regierung stärker als bisher und ins besondere der Jugend gegenüber um so ernster und schwerer empfinden, als die Jugend in unseren unruhe vollen Tagen den Gefahren einer solchen Propaganda leichter verfällt als in Zeiten ruhiger Entwicklung. Am Schluß des Aufrufs wird darauf hingewiesen, daß es sich bei diesem Kampf um die Erhaltung der Grundlagen des deutschen Heimes und der deutschen Familie handelt. Aus In- und Ausland Breslau. Hier wurde ein Lastkraftwagen mit 28 National sozialisten, der nach Annaberg fahren wollte, durch die Polizei angehalten, da die Fahrt nicht gemeldet war. Die Personalien aller Fahrtteilnehmer wurden festgestelll und der Wagen sicher- gestellt. Karlsruhe. Ein Propagandazug der SA.-Mannschaften wurde von Kommunisten angegriffen. Ein SA.-Mann wurde lebensgefährlich verletzt. Die Polizei verhaftete sieben Personen. London. Zensierte Meldungen aus Eallao (Peru) be sagen, daß in Talara ein neuer Auf st and von beunruhi genden Ausmaßen ausgebrochen ist. Die Negierung hat eiligst zuverlässige Truppen von Piura aus nach Talara zur Unter drückung ver Bewegung entsandi. London. Verschiedene Londoner Zeitungen berichten, daß der neue Präsident von Frankreich, Doumer, großen Wert darauf lege, baldigst einen Besuch in England abzu- statten. Rom. Wie aus dem Vatikan verlautet, soll das Fron- MWS M Ik« »kl U» Roman von Gert Nothberg. 48. Fortsetzung Nachdruck verboten „Ich fahre nach Charlottenburg hinaus," sagte Joachim noch, als sie sich trennten. „Auf Wiedersehen, Hohenegg." „Auf Wiedersehen." Joachim schlug den Kragen seines eleganten Gehpelzes hoch. Sternchen tanzten vom Himmel, der sich grau und ^"durchbrmglich die Großstadt spannte. Die Bahn brachte chn hinaus nach Charlottenburg. Hier lag der Schnee ganz dick aus den Wegen. em -u-s-ftl-sm -°r, mußt- -- Endlich hielt er den Schritt an. hohen, weißen Bau empor. Hier also weilte Ruth. Er konnte es kaum mehr erwarten, ihr gegenüber zu stehen, tn ihren braunen .lugen zu lesen, daß sie ihn noch liebte. Er zog die Klingel. Die Tür öffnete sich und er schritt den langen, schmalen Weg zum Hause hin. Eine freundliche junge Schwester begleitete ihn in das erste Stockwerk hinauf, nachdem sie nach seinem Begehr ge fragt hatte. .... Die peinliche Sauberkeit, die feiervolle Stille des ganzen Hauses legten sich wohltuend auf ihn. In dem freundlichen Zimmer wartete er dann, viel zu lange für seins Unge duld. Mit brennenden Augen starrte er auf die Tür. Sie öff nete sich und eine ältere Schwester trat herein. Er war tief enttäuscht und fragend sah er in das fremde Gesicht. „Herr von Hohenegg?" fragte die Schwester. Er verbeugte sich leicht. „Ich bin die Oberschwester, und muß Ihnen leider -nit teilen, daß Schwester Ruth jetzt nicht in der Klinik anwe send ist. Schwester Martha hat das nicht gewußt. Wollen Sie bitte entschuldigen, daß Sie umsonst warten mußten." Sie hat das alles gleichgültig, einförmig gesagt. Hohenegg war unschlüssig. „Darf ich mir gestatten, zu fragen, wo Schwester Ruth ist?" fragte er endlich. Ein kurzer Blick traf ihn, dann sagte die Oberschwester: „Schwester Ruth ist mit Herrn Sanitätsrat in der erst gestern eröffneten zweiten Klinik. Sonst ist es wohl üblich, daß zu solchen Gängen die Oberschwester mitgeht. Aber es ist nun einmal so und schließlich, wir erwarten ja doch alle in Kürze die Verlobung Schwester Ruths mit Herrn Sani tätsrat. So ist es wohl weiter nicht verwunderlich, wenn sie schon jetzt den ersten Platz einnimmt." Das alternde Mädchen, das sich wohl selbst Hoffnung auf die Hand des verwitweten Arztes gemacht, war bitter in seiner Erklärung geworden, ohne es zu wollen. Sie sah trübe zu Boden und bemerkte nicht das Zurück zucken des Herrn, der sie mit weit geöffneten Augen an starrte. Endlich faßte er sich mühsam. „Schwester Ruth wird sich bald verloben?" fragte er. Sie nickte. „Wir glauben es alle. Wir gönnen ihr ja ihr Glück, denn wir haben sie alle lieb," sagte die Ober schwester tonlos. Hohenegg raffte sich auf von dem Schlage, der ihn so unverhofft getroffen. „Ich danke Ihnen, Oberschwester. Sie brauchen nun Schwester Ruth nichts auszurichten ich werde sie in ihrer Privatwohnung zu sprechen suchen." Sie begleitete chn bis zur Treppe. Wie betäubt schritt er hinab. In ihm stürmte es. Er war zu spät gekommen, ein anderer hatte den köstlichen Edelstein an sich genommen. „O ich Tor, ich dreifacher Tor, und ich glaubte an ihre Liebe und Treue wie an meine eigene." Er wußte nicht, wie er wieder nach Berlin hineinge kommen. Ein wilder Trotz war in ihm. Frauenliebe und Treue, er wollte von heute ab nur noch darüber lachen. Ein Narr war, wer an diese beiden Worte glaubte. Als er allein bei Iosty saß, stieg Ruch vor seinen Gedanken auf. Warum hatte er sie so lange allein gelassen, warum hatte er sie nicht eher gesucht? Am Abend ging er ins Theater, wo er noch ein paar Bekannte von früher traf. Diese Nacht kam Joachim von ' Hohenegg nicht heim in sein Hotel, wo er für sich auf meh rere Tage ein Zimmer bestellt hatte. — — Hans von Nochenfelde machte große Augen, als Hohenegg ihn ein paar Tage später besuchte und ihm mit teilte, daß er sich anders besonnen habe und seiner freund lichen Einladung Folge leisten werde. Rothenfelde sagte ihm genug. Sie genossen noch etliche Tage Berlin zusammen. Rothenfelde war allerdings stark in Anspruch genommen durch eine Braut und durch seine sämtlichen Verwandten. Er führte Hohenegg bei sich zu Hause mit ein und so waren sie wenigstens oft beisammen. Dann aber wurde es Zeit, an die Ueberfahrt zu denken. Joachim von Hohenegg fuhr heim. Er wußte, Stine würde fragen, würde doch nun wissen wollen, wann Ruth zurückkam. Und ihm schnitt jede Frage ins Herz, das wußte er schon jetzt. Müde lehnte er den Kopf an das Polster seines Abteils. Wie anders hatte er sich diese Reste vor gestellt. Er schloß die Augen. , Spät am Abend kam er auf der heimatlichen Bahnstation an. Langsam ging er durch das Schneewetter, das inzwi schen eingesetzt hatte, dem Schlosse zu. Er hatte sein Kommen durch ein Telegramm angemeld- - und Stine erwartete ihn in dem kleinen Eßzimmer. Si hatte mit dem Abendbrot gewartet und jetzt kam sie ihn j freundlich entgegen. „Guten Abend, Tante, da wäre ich wieder," sagte er und sah an ihr vorüber. Sie sah scharf in sein müdes, überwachtes Gesicht. (Fortsetzung folgt.)