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19^, eiNsioyen, »der wieder austzegrifjen worden und MW hin- gerrchlet werden. Lm deutscher Kamerad, der in die Armee Kott- ichats in der Hoffnung auf leichtere Fluchtmöglichkeit einge- treten war, Hal ihn im letzten Augenbüa durch Anwerbung für d>e weiße Armee befreit, In deren Verband, und zwar u. a. in der Kampfgruppe des Generals Sakharow, machte Dwin- ger („Benjamin") die Mmpfe, den Vormarsch der Koltschak- Arm<e von Lfchita zum Ural und gegen Moskau und dann den fürchterlichen Auszug bis nach Transballalien mit, dem die Botschewisierung Sibiriens auf dem Fuße folgte, In dieser rus- fijchen Tragödie, bei der die ganze rusfifche Armee durch Hun ger, Erfrieren und Seuchen zerstört worden und mit ihr nahezu eine Million russischer Menschen umgekommen ist, in dieser Tra gödie spielt das ganz sonderbare, untätige Ver halten der sogenannten Intervention s-ar- meen der i nt e r a l l i e r t e n Mächte und das verräte rische Verhalten ihrer Spießgesellen eine schändliche und ab- fcheukiche Rolle, vor allem der Tschechen, die Dwinger in völliger Uebereinstimmung mit Sakyarow, den er bis heute per sönlich nicht kennt und dessen Buch ihm auch unbekannt war, schildert, ohne auch seinerseits das Geringste von tschechischen Heldentaten zu wissen. Denn bald waren die Tschechen den weißen Armeen zur Last geworden, und man verwendete sie zum Unheil der Ge fangenen „vor allem als Bewachung der Gefangenenlager", wobei sie „ihr ganzes nationales Hassen an den ehemaligen Ka meraden ausließen . . . Sie entzogen den Küchen tagelang das Material zur Verpflegung, zeigten die Leute wegen jeder Klei nigkeit den Russen an, führten die Leibeigenenprügelstrafe ein, waren im vollsten Sinn, was man bei Sklavenherren Blut- und Spürhunde nennt." Oesterreichische Kriegsgefangene, die einen tschechisch klingenden Namen hatten, aber Deutsche waren und nicht in die Legion eintreten wollten, warf man in Rattenkeller, peitschte sie bis aufs Blut, suchte sie mit allen Fol termitteln so weit zu bringen, die eigenen Brüder zu verhöhnen, um gegen sie ins Feld zu ziehen; man schleppt diese Unglücklichen „seit einem Jahr im Lande herum, läßt sie hungern, im Freien übernachten, schlägt sie täglich, gibt ihnen Arbeiten, die grau sam, tierisch, unmenschlich sind". Für die Tschechen standen die „Gefangenen außerhalb der Gesetze"; auf Grund falscher Be- ichuldigungen, es mit den Bolschewiken zu halten, werden un zählige erschossen, vorher ihrer letzten Habe beraubt; alle wer den furchtbar mißhandelt; »ganze Reihen von Kriegsgefange nen trieben die Wolga hinab. Sie waren durchwegs grauenhaft verstümmelt, hatten die Hände an den verpeitschen Rücken sest- geschnürt." Für ihr eigenes Wohl aber sorgten die Tschechen trefflich. Ueberall in dem kampfdurchtobten Lande, in dem die Lebensmit tel immer mehr und mehr zur Neige gingen, „lungern sie herum — satt, fettbäckig, gut uniformiert, warm bis an die Hälse", in nagelneuen Uniformen, in handschuhweichen StiefM, vom „Kopf bis zum Gürtel mit Waffen vollgepflastert", aber untätig, faul, schläfrig, zum Platzen fett. Diese 50 000 tschechischen Legionäre hatten 20000 Eisenbahnwagen für sich beschlagnahmt; bei 40 Grad müssen die Rusten, Soldaten und Zivilleute im Freien kampieren; die Tschechen aber „legen sich großspurig in die ge heizten Zugabteile", und während die Rusten „vor Hunger auf den Fingern saugen, beratschlagen sie miteinander, ob sie Rin derfilet oder Schweinslende schlecken sollen". Die nach Osten fliehende Armee kann nicht weiter, denn „auf den Gleisen stehen die endlosen Beutezüge der tschechischen Legionen mit ge stohlenen Betten und Möbeln aus Schlössern, wie prunkvolle Häuser eingerichtet". Den Hungernden und Fr.erenden geben sie nichts von ihrem zusammengeraubten und zusammengestohle nen Reichtum und Ueberfluß; auch „wagt sich kein russisches Mädchen mehr in ihre Nähe. Zu viele hat man schon mit Ge walt in die Waggons verschleppt, nach vollbrachter Orgie wäh rend der Fahri hinausgeworfen." Furchtbar ist all das, was gleich dem russischen General der deutsche Unterleutnant Dwinger, jeder aus eigener Kenntnis nahme, aus eigener Erfahrung, aber ganz unabhängig von dem andern, über die Untaten, den schmählichen Verrat der tschechi schen Legionäre in Rußland und Sibirien, berichtet, dieser Men schen, die zu Helden erhoben, nach ihrer Rückkehr in den neuen tschechischen Staat mit Ehren aller Art überhäuft wurden, und heute noch höhere Aemter bekleiden. Daß die Tschechen zu all diesen schweren, furchtbaren Anklagen schweigen und schweigen müssen, weil diese Darstellungen Tatsachen berichten, die auch die geschickteste Pressepropoganda nicht hinweglügen kann, muß für alle Zeit sestgehalten werden. Innerhalb der tschechi schen Häuslichkeit können sich die Legionäre im Glanze ihres an- gemaßien Heldentums noch sonnen, aber außerhalb derselben fällt immer mehr ihre Heldenmaske, denn schließlich wird doch allüberall die Wahrheit offenbar. Der Hexenmeister. Historische Skizze von Moritz Winter. Man schrieb das Jahr 1658. Im alten Delft. Ein hoch- giebeliges Haus hinter dem „Prinzenhof". Jn einem düsteren Gemach stand ein merkwürdiger Gegenstand; eine viereckige, hölzerne Säule, an der ringsherum Gucklöcher angebracht waren, in welche die vor ihnen sitzenden Personen gespannt blickten. „Jetzt, Ihr Herren, merkt Wohl auf!" sagte ein Mann im schwarzen Talar und zeigte auf einen Wasfertropfen, der fast unsichtbar auf einer Glasscheibe lag. „Ihr werdet Selt sames erleben." Er schob die Scheibe in den sonderbaren Apparat, und seine von brennender Neugier erfüllten Gäste gewahrten etwas Wunderbares. Im Innern des Werkes flammte rotglühendes Licht auf. Den erstaunten Blicken der Beobachter zeigte sich ein Teich. Mit einem Male schwammen auf den silbern glänzenden Wellen des freundlichen Gewässers eine Unzahl grotesk geformter Ungeheuer; abenteuerliche Ge stalten. Da öffnete eines dieser abscheulichen Ungetüme den Rächen und verschlang das ihm benachbarte Untier. Nun zeigten sich den in die Sehöffnungen Blickenden immer Phan tastischer gestaltete Wesen in dem glänzenden Gewässer des Tei ches. Plötzlich erlosch das Licht, Finsternis waltete in der Säule, und der Mann im Talare wies lächelnd auf die Glas scheibe, worauf sich der Tropfen befand. „Dieser Mann ist in der Tat ein Hexenmeister", flüsterte einer der Anwesenden seinem Nachbarn zu. Da lenkte der Rätselhafte die Aufmerksamkeit der Männer auf einen Glas teller, auf dem sich ein Weißes Würmchen inmitten, einiger Grashälmchen krümmte. Er schob den Teller in die Säule, und das rotglühende Licht flammte auf. Die betroffenen Beob achter gewahrten etwas Grauenhaftes, Fürchterliches. Auf einer Wiese lag ein gräßlicher Drache, dessen weißer, gift- geschwollsner Leib sich auf dem Plane wand. Plötzlich näherte sich ein seltsames Tier von der Größe eines Hundes dem Drachen. Es glich einem Insekt, das einen grauschwarzen Körper besaß, der mit spitzen Stacheln bedeckt war. An den Seiten dieser dämonischen Erscheinung hafteten lange, durch sichtige Flügel, die aussahen, als ob sie aus Glas wären. Aus dem runden, schwarzen Kopfe glotzte ein Paar gigantischer Augen, darunter kam mit einem Male ein gewaltiger Stachel zum Vorschein, mit dem diese höllische Gestalt furchtlos auf den Wurm losging. Jn diesem Augenblicke öffnete der Drache den Rachen und verschlang den ihn bedrohenden Gegner. Das rote Licht erlosch. Der Mann im schwarzen Talare entnahm den Glasteller der Säule und wies den verdutzten Gästen abermals das unscheinbare Näupchen vor, das auf den Grashalmen zusammengeringelt lag. Mit Schrecken be trachteten die Männer den „Hexenmeister". Sie waren nicht imstande, sich die Vorgänge in der Säule zu erklären. Ganz betroffen verabschiedeten sie sich von dieser rätselhaften Persönlichkeit. Da Pochte es an die Tür. Der Unheimliche öffnete, und vor ihm stand eine imposante, ehrwürdige Gestalt im schwar zen, seidenen Talare mit blendendweißer Krause, von deren Hals eine schwere, goldene Kette herab hing. Der „Hexen meister" verneigte sich tief. „O, Magnifizenz! Ich weiß die große Ehre, die Ihr mir durch Euern Besuch erweist, Wohl zu schätzen", sprach er mit bewegter Stimme. Der Rektor der Hochschule lächelte. „Ich bin gekommen, Mynheer", sagte er, „Euch zu bitten, auch mich einen Blick in Euern Zauber apparat tun zu lassen." Es spielten sich vor den Augen des Gelehrten ähnliche Vorgänge ab, wie sie des Hexenmeisters Gäste mit Grauen gewahr geworden waren. Endlich erhob sich der Rektor und sagte: „Ich beglückwünsche Euch zu Eurer herrlichen Erfin dung. Sie führte zur Entdeckung der Jnfusoria, der Aufguß tierchen, von denen Ihr mir erzähltet und von deren Dasein ich mich soeben überzeugte. Eine außerordentliche wichtige Tatsache." „Dennoch ist es nicht ausgeschlossen, daß mir ernste Un annehmlichkeiten bevorstchen", erwiderte der Erfinder, „denn alles hält mich für einen Hexenmeister. Allein trotzdem lasse ich die Leute in meinen Apparat blicken, weil ihre Ver blüffung mir zur Genugtuung gereicht." — „Fürchtet Euch nicht", versetzte der Rektor, „die Universität wird mit ihrer ganzen Macht hinter Euch stehen und Euch schützen." — Die Erfindung des genialen Mannes, Antonins van Leeuvenhoek, war ein von Grund aus verbessertes, nunmehr erst brauchbares, stark vergrößerndes Mikroskop. Vetter Theophil. Humoreske von Emil 'Strodthoff. Seit meinen Knabenjahren hatte ich den Vetter Theophil nicht gesehen. Im Plüschgebundenen Familienalbum führte er als Pausbäckiger Tirolerjunge vor einem antiken Säulen prospekt ein halb bürgerliches, halb mythologisches Dasein. Die üppige Phantasie des Photographen hatte ein Uebriges getan uitd ihm einen drahtigen Blumenstrauß in die linke, einen uhnähnlichen Vogel in die rechte Hand praktiziert. Die selbstbewußte Haltung unseres wackeren Theophil, sein ausdrucksloses Gesichtchen, sein mutiges, wenn auch hoff nungsloses Bemühen, den übertriebenen Anachronismen ent gegenzuwirken, seine stämmigen Kegelbeine, die abgebrochenen Jodlern glichen, haben sich meinem Gedächtnis unauslöschlich eingeprägt. So stand er vor meinem geistigen Auge, der dicke, tapsige Junge, der mit seinen semmelblonden, Weichen Haaren den Eindruck eines kleinen, zufriedenen Borstentiers erweckte, als er uns eines Tages seinen Besuch ankündigte. Offen gestanden, mir zitterte die Kaffeetasse in der Hand, als ich meiner in puncto Familiensinn leider so ganz aus der Art geschlagenen Frau die Nachricht in homöopathischen Dosen verabfolgte. Natürlich kannte Leontine den Vetter Theovhil nicht. Natürlich wußte sie weder, daß Onkel Philipp, der älteste Bruder meiner Mutter, die eine geborene Spinzig ist, in zwei ter Ehe die Nichte eines armen, entfernten Verwandten ge ehelicht, noch erinnerte sie sich, daß Theophil, der dritte Shroß der Familie Spinzig, das väterliche Erbe in Gestalt eines gutgehenden Kaffeeimport- und Versandgeschäfts übernom men hatte. Von allen diesen verwandtschaftlichen Dingen wußte Leontine nichts, als ich ihr den Vetter in der hüb schen ansprechenden Andreas Hofer-Tracht aus der Familien bibel hervorkramte. Anderntags war er zur Stelle. Und da es in der Ab sicht des Schicksals liegen mochte, sich des Vetters Theophil zu unlauteren Attentaten auf meinen Familienfrieden zu be dienen, ließ es mich ausgerechnet diesen Tag später als sonst nach Hause gelange». Anscheinend hatte Leontine in Rück sicht auf den lieben Gast mit dem Mittagessen nicht auf mich gewartet. So verhielt es sich, zu meinem Unglück, denn als ich arglos die Szene betrat, schien der unsichtbare Regisseur das Klingelzeichen für den vierten Akt eines Dramas gegeben zu haben. Unzweifelhaft war es der Vetter Theophil, der sich bei meinem Eintritt eine unserer guten Taschenservietten, die er vorsorglich rings um das wogende Kinn gegürtet hatte, aus dem Kragen wand und Anstalten machte, mir zum Gruß einen wahren Fleischgaurisankar entgegenzuwuchten. Ich erschrak. Meine herzliche Ansprache blieb unvollkommen. Ein Blick auf Leontine, die wie ein zerzauster Stieglitz mit viel zu viel Rouge im Gesicht hypnotisierend auf Karlchen, unser zwölf jähriges cnfant terrible, starrte, verlieh mir hellseherische Kraft. „Na, da bist Du ja . . sagte ich und klopfte dem Vetter jovial Hals oder Rücken, die auf unbeschreibliche Weise inein ander übergingen, ohne daß man hätte erraten können, wie nun eigentlich die verschwenderische Natur das aufregende Bilderrätsel vor sich und der ganzen Welt verantworten wollte. Theophil gab einen knarrenden Laut von sich, bewegte die irgendwo an seinem mächtigen Gesicht befindlichen Mus kelpartien und schien von dieser immerhin geistigen Aeuße- rung so angestrengt, daß er seine ziemlich bunte Flagge unbe kannter Nationalität aus der Tasche hievte und die speckig glänzende Stirn mehr ausgiebig als nötig betupfte. „So ist es", sagte er mühsam. Des anderen Teils sei ner Begrüßung entledigte er sich pantomimisch, indem er mir treuherzig das gabelbewehrte Molluskenhändchen entgegen streckte. Und da er Weiter nichts tat als sich wiederum eifrig den Genüssen der Tafel hinzugeben, fand ich Zeit, mich meiner armen Leontine und unserem gemeinsamen Sprößling zuzu wenden, dessen kindlich brutale Offenheit arge Unannehmlich keiten befürchten ließ. Haben Sie einmal den Vorzug gehabt, einen amerika nischen Ochsenfrosch frühstücken zu sehen? Ich auch nicht, aber Karlchen, unser herziges Karlchen, glich ihm. „Um Himmelswillen, Karlchen", rief ich, „was ist Dir?" Ich hätte das nicht tun sollen, denn nun streifte Karlchen alle Hemmungen seiner guten Kinderstube ab. Wie aus einer Erstarrung erwachend, legte dieser Lümmel los, wand und schüttelte sich mit der Virtuosität eines Fischköders und versetzte der köstlichen Sövres-Sauciäre und damit sei ner beklagenswerten Mutter einen Schlag, daß das Bratenjeti nach allen Seiten spritzte. Wir waren entsetzt. So hatten wir unseren Sohn nie gesehen. Nur Vetter Theophil, der dieses alles, das entfesselte Karlchen, die übertriebene Rougefärbung auf den vereisten Gesichtszügen der armen Leontine und meine völlige Ratlosig keit auf dem Gewissen hatte, schien den Aufruhr nicht zu be merken. Seine Nerven und sein guter Appetit bewahrten ihn davor. Da saß der dicke Tirolerjunge, der seine Jünglings- und Mannesjahre nicht ungenutzt hatte verstreichen lassen, und bediente sich mit der fatalistischen Gottergebenheit tibetanischer Mönche unseres Gänsebratens. Nie ist es mir stärker bewußt geworden als in diesen auf regenden Minuten, in denen das Barometer meiner verwandt schaftlichen Gefühle auf den Nullpunkt sank, daß der Mensch keiner entscheidenden Wandlung fähig ist. Die treugehegte Photographie meines Vetters war ein Symbol. Dort wie hier triumphierte er, ohne mit der blonden Wimper zu zucken, über trümmerübersäte Landschaften und ließ den Betrach ter im Unklaren, bis zu welchem Grade schuldig oder unschul dig er an der Verwirrung der Stile und Gefühle war. Karlchen büßte seine wenig weltmännische Art im dunk len Kämmerlein, Leontine zog es vor, eine wichtige Verab redung in der Stadt vorzuschützen, und empfahl sich ohne Umstände, während ich einen Band meiner unveröffentlichten Jugendgedichte hervorkramte, um die Pausen zwischen Mokka und Importen auszufüllen. Als die Abschiedsstunde schlug, gelang es mir, wenn auch mit einiger Anstrengung, den Schlummer Theophils für kurze Zeit zu unterbrechen. Der ewige Student. Erzählung vM Friedrich Pock. Wenn die Bürger Ser kleinen Universitätsstadt beim Dämmerschoppen sitzen, daun rieselt daS schläfrige Gespräch über Kornpreise und Reichstag und Dienstbotenjammer zu guter Letzt von selbst zu den Herren Studenten, und von da ergießt es sich in jäh gestauter Flut über den Fall Pistorius. Der ist noch immer wert, daß man einen Schoppen bestellt, denn Wohl jeder weiß ein Märlein von diesem ewigen Stu denten, der im Znge der schwarzen Saxonen würdig und hager nach der Alma mater schritt, der wie ein heimlicher König den bunten Studentenstaat regierte. Waren die Kollegien zu dünn besetzt, dann ließ seine Magnifizenz den Kandidaten Pistorius zu sich bitten, und am nächsten Tage waren die Bänke im Hörsaal und Seminar zu eng. Suchte Meister Knieriem eines Morgens vergeblich seinen vergoldeten Blechstiefel über dem Türschild, so ging er zu Pistorius und hatte in einer Stunde sein Eigen tum wieder. „Ulk soll sein, aber Schaden darf nicht sein", ent schied Pistorius, und die schlimmsten Rauhbeine fügten sich seinem Urteilsspruch. Es gab scharfe Schläger und verbundene Köpfe wie je; aber ausgestorben waren die Händelsucher, die den nächstbesten Schwächling vom Gehsteig stießen. Pistorius duldete keinen unritterlichen Mißbrauch ritterlicher Uebung. „Was ist ein Leben ohne Ehre? Arm, wer sie nicht verteidigen mag, viel ärmer, wer sie nur im scharfen Speer allein sitzen hat" — das war seine Studentenphilosophie. Der ewige Kandidat galt in jungen Jahren als der Stolz des klassischen Seminars und lieferte damals eine Doktorarbeit ab, die der Ordinarius noch heute als Meisterwerk rühmt. Aber vor der letzten Nebenprüfung hatte Pistorius sich abgemeldet, um Medizin zu studieren. Er war in den Kliniken, wo sich die griesgrämigsten Patienten auf den heiteren und behutsamen langen Hilfsarzt freuten, wie der älteste Dozent bewandert. Aber ehe er den Doktorhut empfangen sollte, hatte er sich als fleißiger Jurist in einer neuen Fakultät einschreiben lassen. Er paukte die hoffnungslosesten Kandidaten in einen sicheren Doktor hinein; aber er dachte nicht daran, selbst sein Studium zu beenden. Immer wieder trat ihm einer seiner alten Pro fessoren in den Weg, packte ihn an den Schultern, zerrte ihn an den Knöpfen und beschwor ihn, nun doch endlich Schluß zu machen. Pistorius aber wich höflich und dickköpfig aus und erklärte bestimmt, seine Tage als ewiger Student beschließen zu wollen. Ein fleißiger Vater hatte ihm ein Vermögen hinter lassen, das den Bedürfnissen des Sohnes genügte. Pistorius wollte niemandem, der es nötiger hatte, das sichere Brot weg nehmen, er fühlte sich hier als ewig junger Führer und Be rater der Heranwachsenden Geschlechter unentbehrlicher als sonst in der Welt. Die Bürger, die selbst Söhne zu versorgen hatten, billigten diese Haltung als vornehm und sozial; die Be sitzer heiratsfähiger Töchter wiegten ärgerlich die Köpfe über den wunderlichen Kauz; und die Mädchen sahen dem großen, schlanken Mann noch immer freundlich nach, obwohl ihm schon