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öer erste Schnee über die Schläfen schimmerte. Sie vermuteten, daß den unbekehrbaren Hagestolz eine heimlich« Liebe gegen ihre eigene Anmut blind erhalte. Aber man wußte nur, daß vor vielen Jahren das Töchterlein des Schulmeisters im Bierdors der schwarzen Sachsen oft in der Gesellschaft des um ein gutes Jahrzehnt älteren Studenten gesehen worden war, und böse Zungen bemühten sich noch immer um das giftige Gerücht, daß dabei nicht alles in guter Ordnung gewesen sei. Nun ging Pistorius längst nicht mehr ins Bierdorf, und Fräulein Ger trud hielt ihres Vaters Haushalt beisammen, ohne viel nach der neuen Kneipe auszuspähen. Sie war noch immer ein frisches Frauenzimmer mit blanken Augen und vollen Zöpfen; doch wurde behauptet, daß ihr von fe in den vier Mauern des Hauses begrenzter Geist auch mit den Jahren nicht über dies Bereich hinausgewachsen sei. So fand es jedermann in der Ordnung, daß der regsame Pistorius sein Leben nicht an diese Enge gebunden hatte. In der Tat wäre der ewige Kandidat Wohl noch mit eis grauen Haaren Jüngling unter Jünglingen geblieben, wenn nicht eines Tages ein Besuch aus der Residenz an seine Tür geklopft hätte. In dem sorgsam, fast vornehm gekleideten Herrn erkannte ein alter Bürger den neuen Hofkonditor der Haupt stadt, der viel in der Welt herumgekommen und nun wohl gestellter Besitzer eines berühmten Geschäfts war. Der strich fetzt mit den Weißen Nehlederhandschuhen den feinen Pelz kragen zurecht, rückte den steifen Hut feierlich in die Stirn und v-nyte an die Tür des Kandidaten. Dann glättete er erst um ständlich seine Handschuhe, ehe er sich einen Ruck gab und in die hell« Studentenbude trat. „Herr Kandidat" — er stieß die Worte eilig heraus wie einer, der eine schwere Fracht rasch über dem Berg haben will —, „Herr Kandidat, ich bin so kühn, Sie zu stören, weil ich Sie oft als einen Mann von Ehre und gutem Herzen rühmen hörte. Die Sache steht nun so, es handelt sich um die Gertrud. Sie kennen sie, haben sie gern gesehen zu einer Zeit, da ich keinem Mädel mehr als meine zwei Hände Halle bieten können. Ich war damals weit weg, mitten im An- stmgen, und habe noch lange nicht an einen eigenen Haushalt demen können. Aber mir ist das Mädel immer lieb gewesen. Wir klaren Nachbarskinder, und seit meiner Bubenzeit sagte ich mir: die oder keine. Nun wäre ich so weit, und ich glaube, sie wird nicht Nein sagen. Aber, wenn ich mir das alles so schön zurecht lege, kommen immer wieder die Gedanken an ein häßliches Gerede, das man mir einmal zugetragen hat. Ich kann's nicht glauben, ich will's nicht glauben, und Sie sink der einzige aus der ganzen Welt, der mir Ruhe verschaffen kann. Sie allem können Ja oder Nein sagen, und was Sü sagen, das gilt, das weiß ich, lieber Herr Kandidat." Das waren die Worte, die der Hofkonditor an jenem stillen Nachmittage zum Kandidaten Pistorius sprach, wie ei viele Jahre später guten Freunden verriet. Und die Antwori mußte seinem Herzen wohlgetan haben, weil er bald daraus strahlenden Angesichts aus dem Hause trat, noch einige Male den Hut grüßend zu den Fenstern des Studenten schwenkte uni dann eilig einen schläfrigen Droschkenkutscher heranwinkte. Am nächsten Morgen lieferte im Sachsenhause ein Botc die schwarze Mütze und das schwarz-wciß-violette Sachsenband des Kandidaten ab. Den ratlosen Studenten berichtete die Hausfrau, Pistorius habe noch gestern seine Miete für ein halbes Jahr bezahlt und sei mit dem ersten Zuge abgereist. Das war alles, und je länger man nach den Ursachen des ge heimnisvollen Abschieds riet, desto mehr verwirrten sich die Meinungen. Jahre vergingen. Pistorius blieb verschollen. In den Kneipen der Studenten und an den Stammtischen dei Bürger woben sich um seinen Namen Wahrheit und Dichtung zu einer ergreifenden Sage. — Bald nach Beginn des großen Krieges meldeten die Zei tungen die kühne Flucht eines Deutschen aus Neuseeland, der sich als Schiffsheizer nach Europa durchgeschlagen, auf selt samen Umwegen die Heimat erreicht und sich sofort zu den Waffen gemeldet hatte. Das war der Landsturmmann Pistorius, dem wenige Wochen darauf das Eiserne Kreuz ins Grab mitgegeben wurde. Er hatte einen Zug Infanterie mit sich gerissen, der einen verlorenen Stützpunkt zurückeroberte und damit das ganze Regiment vor der Umklammerung rettete. Als Erster am feindlichen Graben, war der hagere Land stürmer unter der Revolverkugel eines Offiziers zusammen gebrochen. Das Geschoß, das mitten im Herzen stak, hatte die Brusttasche des alten Soldaten durchlöchert und einen Bries mit letzten Verfügungen. Der schloß mit den Worten: „Ich habe versucht, ein neues Lebe« zu beginnen, aber niemand kann aus seiner Haut heraus. Es ist ein weiter Weg von Deutschland nach Ozeanien, doch das alte Gewissen läßt sich nicht als lästiges Gepäck daheim verstauen. Ich hatte einmal Glück und Unglück zweier liebenswerter Menschen einen Augenblick lang in meiner Hand, und ich hatte nicht den Mut, wahr und grau sam zu sein. Denn ich hatte mir einst in süßem Rausch ge nommen, was hiugebende Liebe mir bot, ehe wir in Freund schaft schieden, weil wir uns zu gemeinsamem Leben nicht ge rüstet wußten. Das habe ich in der Feigheit des Mitleids vor dem treuherzigen Werber geleugnet. Aber Manneswort ist Manneswort, und zwischen Ehre und Unehre gibt es keinen Ausgleich. Was ist eiu Lebeu ohne Ehre!" Das Wort „Ehre" hatte das tödliche Eisen zerrissen. Amerikanisches Familienleben. Von Conrad Ferdinand Simmen. In der weiten, prächtigen Halle des Manhattan-Hotels ju New Dort herrscht großer, jedoch lautloser Betrieb. Die weichen Teppiche, oie den Boden des aus weißem Marmor hergestellten Raumes bedecken, dämpfen jeglichen Schritt. Livrierte Boys hasten mit Gepäck und Bestellungen hin and her, während in den bequemen Klubsesseln Herren ihre Zeitungen lesen. Die Art und Weise, wie sie ihre Beine immer wieder nervös von dem einen über das andere schlagen, läßt vermuten, daß sie nach amerikanischer Sitte gewohnt sind, su Hause ihre unteren Extremitäten auf die Kanten der Tische ju legen. In dieser Vorhalle jedoch haben sich auch einige Damen niedergelassen. Da hört die Bequemlichkeit auf. Als ich an die Schalter der Buchhaltung herantrete, um meinen Zimmerschlüssel zu fordern, steht da im Smoking der Hausdetektiv, der mir durch Zufall bekannt geworden ist. Wir unterhalten uns, an die Seite tretend, ein wenig. Plötzlich rauscht eine Dame an uns vorbei, an der Hand zwei blendendweiße Barsois. „Well", meint Mister Healy, der Detektiv, „kennen Sie )ie Dame?" „Woher soll ich diese graziöse Schönheit kennen?" „Das ist Madame Bradley, die Gattin des bekannten Multimillionärs. Sie fährt jetzt ihre Hunde spazieren." „Schöne Hunde", sage ich. Wir unterhalten uns weiter. Nach einer Weile kommt :iu Kindermädchen in blauem Leinenkleide mit zwei netten Ouben an der Hand daher, die obendrein von einer Art Erzieherin, einer streng aussehenden Matrone, begleitet sind. „Well", sagt Healy, „kennen Sie diese Kinder?" Woher soll ich diese Kinder kennen? Schließlich sollen mir auch noch die Nurse und die Governeß bekannt fein. „Pas sind Madame Bradleys Buben. Die Familie wohnt schon seit Jahren hier im Hotel. Jeden Nachmittag fährt die Gnädige mit den Hunden und die Governeß, in einem anderen Wagen, mit den Kindern und der Nurse aus." „Schöne Familienverhältnisse", bemerke ich. „Bei uns in Deutschland wäre das höchstens umgekehrt zu finden." „Neulich frage ich einmal einen der kleinen Buben", meint Healy, „ob er seine niedliche goldene Uhr von seinem Pappi geschenkt bekommen habe. ,PaPpi? — Was ist das?* vunderte sich der Kleine. Well, ich habe nicht weiter gefragt, well ich weiß, daß der Vater einer der beschäftigtsten Geld eute der City ist und eigentlich nur nachts nach Hause kommt. Iber die Herrschaften leben durchaus glücklich bei uns. Ihre Wohnung kostet jährlich rund 35 000 Dollar." Ich rechne aus: 147 000 Mark! Dasür könnt« man bei ins das größte Schloß mieten. Man lebt in den Vereinigten Staaten seinen besonderen stil. Andere Länder, andere Sitten. Cs blinkt der Tau in den Gräsern der Nacht. Der Mond zieht vorbei in stiller Pracht, Die Nachtigall singt in den Büschen. Ls schwebt über Wiesen im Dämmerschein, Der ganze Frühling duftet hinein — Wir beide wandeln dazwischen. O Lenz, wie bist du so wunderschön! In dem blühenden Rausch dahinzugehn, Am Arm seine zitternde Liebe, Mit dem ersten Kuß in dem Himmelsraum Und fest zu glauben im törichten Traum, Daß es ewig, ewig so bliebe! G. v. Boddien. Sonntags-Veilage Nr. IS üMsttfuttef cageblatt «S. S. IHSI „Marledier — oder verreck!" Von AugustAbel, M. d. R. Der premgenIegionSr als Sklave. Im Zeitalter des krassesten Kapitalismus und der durch dis Fiedensdiktate seitens der Weltkriegs-Zufallssieger geschaffenen Ausbeutungssysteme ganzer Völker mangelt es gewiß nicht an den raffiniertesten Ausnuhungsmethoden menschlicher Arbeits kraft. Die französischen Fremdenregimenter stellen eine Zusam menhäufung moderner Sklavenarbeiter dar, wie sie zum zwei ten Mal unter dem Deckmantel der Uniform nicht zu finden ist. Der Fremdenlegionär ist nämlich nicht nur Soldat, sondern er ist auch Arbeiter! Cs hat deutsche Fürsten gegeben, die ihre Landeskinder an auswärtige Mächte verschacherten. Ja, es hat deutsche „Landes väter" gegeben, die in diesen Schachervertrag ausländischer Für sten den Passus aufnahmen, daß sie für jeden Toten und für je den Verwundeten eine bestimmte Summe Geldes für ihre Pri vatschatulle erhielten. War dieses System ungeheuerlich, so blieb es doch auf einige Einzelfälle beschränkt. — Bei der Fremden legion ist es ähnlich und doch anders, denn hier handelt es sich um ein nun bereits hundert Jahre lang bestehendes System, das Hunderttausende von Nicht franzosen in den Dienst eines Im perialismus stellt, der nur Frankreich zugute kommt und von dem die Legionäre und ihre Heimatländer nicht den geringsten Nutzen ziehen. Der Deutsche versteht unter dem Begriff „dienen" etwas Militäryches. Er versteht darunter die Handhabung der Waffe und ihren Gebrauch im Kriege und Frieden. Anders ist es in der Legion. Mit Bezug auf die Fremdenlegion wird unter dem Be griff „dienen" auch arbeiten verstanden. Der Legionär ist zu gleicher Zeit Soldat und Arbeiter. Er ist der sch l e.ch td e so l dest e Soldat aller Armeen und der am schlechtesten bezahlte Arbeit er auf der ganzen Erde. Für Militär- und Arbeitsdienst erhält er eine tägliche Entschädigung von ganzen 4 Pfennigen pro Tag. Dafür muß er die französischen Kolonien erobern. Dafür muß er sie urbar machen. Die Legion hat aus Nordafrika, das nach dem Untergange der alten ^Kulturen eine Steppe und eine Wüste war, ein frucht bares Ackerland gemacht. Der Legionär baut in Tunesien, Al gerien und Marokko die Straßen und Eisenbahnen durch die Steppe und durch die Sahara; er bohrt die artesischen Brunnen, er bewässert den ausgedörrten Boden und macht ihn urbar für Eingeborene und französische Siedler. Der Legionär baut die Festungen und Forts, in die Frankreich, wenn sie fertiggestellt sind, seine eigenen Truppen oder die Eingeborenenregimenter legt. Fast alle nordafrikanischen Städte bis tief in die Sahara hinein verdanken ihre Etstehung der Legion. Die Legionäre sind Maurer, Zimmerleute, Dachdecker, Kanalbauer, Tiefbau arbeiter Elektrotechniker. Die Legion erarbeitete und eroberte Indochina. Sie machte die Urwälder in Madagaskar passierbar. Tausende, Zehntausende starben infolge der Strapazen und gin gen an Malaria, gelbem Fieber, Blutdurchfall, Skorbut und Beriberi zugrunde — neue Zohntausende traten und treten im mer wieder an die Stelle der Gestorbenen. Arbeiten! Das ist die Losung des Legionärs, wenn er nicht kämpfen muß. Arbeiten bis zur Erschöpfung, arbeiten in glühen der Sonne, im Fieberdunst, mit der Malaria im Blute, die Ge därme durch Blutdurchfall zerrissen. Arbeiten mit Pickel und Schaufel, immer km Takt. Wer den Takt nicht einhält, muß nacharbeiten. So arbeiten sie, die Legionäre in den fieberdurch seuchten Sümpfen, bis an die Knie im Wasser und Schlamm stehend. Wieder andere laden die ^Karawanen ab und schlagen sich mit den äußerst bösartigen und bissigen Dromedaren herum. Vom Rücken des Dromedars wandern die zentnerschweren Säcke mit Tabak, Straßenfedern, Elfenbein, Reis, Bohnen usw. auf den Buckel des Legionärs. Wer zusammenbricht, muß Ueberstunden machen. In Marokko sprengt die Legion die Wege und Tunnel durch den Atlas, im Süd-Oranais schippt sie wochen- und mo natelang jeden Tag zehn Stunden lang Sand und Mörtel zum Bau der Forts. Im Tongking brennt sie den Urwald aus. Das Fieber rafft sie hinweg, die Dysenerie lichtet ihre Reihen, Schlan" gen lauern auf Schritt und Tritt, der Skorpion wartet unter dem schweren Stein. — So ist der Legionär für die in Nordafrika und den übrigen französischen ^Kolonien stationierten Truppen das Dienstmädchen, und zwar nicht nur der Weihen, sondern auch der Farbigen. — Nebenbei marschiert die Legion bei krie gerischen Unternehmungen immer an der Spitze, an den Flanken und in der Nachhut der Kolonne. Sie trägt fast ausschließlich die blusigen Verluste vor dem Feinde — sie erobert die Kasbas und Douais. Ist die blutige Arbeit getan, bann baut der Legio när Vas Lager für die Zuaven, Tirailleure, Spahis und koloniale Infanterie. Erst wenn diese gut untergebracht sind, darf er ;em eigenes Lager aufschlagen. Dienstverweigerungen werden kriegs gerichtlich geahndet, und zwar nicht unter sechs Monaten „trn- vaux publik", die nachgedient werden müssen. Die geringste Unbotmäßigkeit in den „truvuux publiLs" Zieht neue Jahre Zwangsarbeit nach sich. Es zieht Legionäre, die seit zwanzig Jahren in der Legion dienen und doch ihren 5jährigen „Kon trakt" noch nicht erfüllt haben, weil sie immer wieder bestraft und zum Nachdienen verurteilt werden. Arbeiter und Soldat, der Legionär ist beides zusammen. Den meisten Legionären ist diese verblödende, demütigende Ar beit noch viel unsympathischer als der strenge Dienst und die fürchterlichen Märsche. Sie melden sich, wenn irgendwo Frei willige gebraucht werden, massenweise zum Dienst mit der Waf fe. Das gilt besonders für die deutschen Legionäre. Die Gesamtstärke der Fremdenlegion dürfte heute etwa 35 000 Mann betragen; darunter befinden sich rund 20000 Deutsche. 20000 Deutsche, die als Soldaten für Frankreich kämpfen und sterben und- als Arbeiter in den französischen Ko lonien für Frankreich schuften müssen. Fürwahr! Es war ein verhängnisvoller Vertrag, den der König von Preußen im Jahre 1831 mit den Franzosen schloß! Ls ist bezeichnend und beschämend, daß auch das kaiser liche Deutschland, selbst zur Zeit seiner höchsten Machtentfaltung, die Aufhebung dieses Vertrages nicht forderte und durchsetzte! — (Fortsetzung folgt.) vir ttckeekilcke Legion in Sibirien. Dem ehemaligen russischen Generalleutnant Konstantin W. Sakharow, der in seinem Buche „Die tschechischen Legionen in Sibirien" als erster in zusammenfassender Darstellung das Treiben dieser Legionäre, denen die tschechische Propaganda Heldenruhm andichtete, wahrheitsgemäß schilderte, ist nun ein gewichtiger Kronzeuge entstanden in dem Deut ¬ schen Edwin Erich Dwinger mit seinem in Eugen Die derichs Verlag in Jena erschienenen Buch „Zw ischen Weiß und Rot". Der Verfasser, der als junger Fähnrich bereits 1915 in russische Gefangenschaft geraten war (in seinem ersten Werk „Die Armee hinter Stacheldraht" hat er u. a. die Schrek- ken des furchtbaren Gefangenenlagers Totzkoje geschildert), war