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Wilsdruffer Tageblatt 2 Blatt. Nr. 95 - Freitag, -en 24. April 1931 Tagesspruch. Du nennst es Schwäche! Stärke ist es, sag ich, Die Mutter aller menschlichen Gefühle; Wer nicht sein Land liebt, der liebt nichts auf Erden. Robinson Crusoe. Zum Daniel Defoe-Gedenktag (26. April). Die Kinder der ganzen Well müßten diesen Gedenkrag feiern: es jähn sich znm 200. Male der Tag, an dem Daniel Foe oder Defoe, der Dichter des „Robinson Crusoe"', gestorben ist; am 26. April l73l Hal der be rühmte englische Schriftsteller das Zeitliche gesegnet. Defoe erntete mit allem, was er anfing, nur Mißerfolg und wurde zeitlebens vom Unglück verfolgt. Wegen seiner politisch-satirischen Schriften, die den Machthabern seiner Zeit nicht gefielen, mußte er ins Ausland fliehen (auch in Deutschland soll er längere Zeit gelebt Habens. Als er dann nach England zurückkehrte, wurde er zu vielen Jahren Gefängnis verurteilt, ja sogar an den Pranger gestellt, wo ihm das Holk, das aus seiner Seite stand, große Ovationen darbrachte —, und als er es schließlich als Kaufmann versuchte, machte er Bankrott. Nun begann er Romane zu schreiben: köstliche Geschichten von Schel men, Abenteurern, Hochstaplern und Piraten aller Art Längst sind alle diese Schriften vergessen, aber eines seiner Werke, der „Robinson Crusoe", wurde der größte Buch erfolg aller Völker und aller Zeiten. Defoe hatte das Manuskript des Buches, vas in vielen Millionen Erem- Plaren über den ganzen Erdball verbreitet ist, für einen Betrag verkauft, der ungefähr 200 deutschen Reichsmarl entspricht! Daniel Defoe. -r>as Leben und die fremdartigen, wunderbaren Schicksale Robinson Crusoes, eines Matrosen aus New- — so lautete der Titel des Werkes, das mit seinem Ruhme die Alte und die Neue Welt erfüllte und unzählige Male übersetzt und nachgemachl wurde. Bald gab es nicht nur kein Land mehr, das nicht seinen eigenen Robinson besessen hätte, sondern auch keine einzelne Landschaft. In Deutsch > an ^erschienen bis ins erste Viertel des neun zehnten Jahrhunderts über sechzig Robisonaden. Die Mehrere Menschenalter hindurch in jedem deutschen Hause, von jedem deutschen Kinde saft gern gelesene Jugendschrlft Robinson der Jüngere" hatte den Hamburger Päda gogen Campe zum Verfasser. Die 172" in Hamburg und «eivZia erschienene erste deutsche Übersetzung von Defoes ^Robinson Crusoe" mußte im Laufe des Jahres noch drei mal neu aufgelegt werden. Es gab nicht nur einen eng lischen. irländischen, französischen, österreichischen, däni schen, holländischen, russischen Robinson, sondern auch einen fränkischen, pfälzischen, brandenburgischen, schlesi schen, einen medizinischen, einen buchhändlerischen ufw., ja es gab sogar eine Jungfer Robinson. Es ist sicher, daß Defoes „Robinson Crusoe" durch die Erlebnisse eines schottischen Matrosen angeregt wurde Alexander Seldcraig oder Selkirk hieß dieser Schotte, der na'ch mancherlei Kreuz- und Querfahrten zur See aus einer Reise nach der Südsee vom Schiffe entsprang und über vier Jahre ganz allein auf der Insel Juan Fernan- dez lebte, bis ihn 1709 der Kapitän Rogers auffand und nach England zurückbrachte. Rogers hat die Schicksale dieses Matrosen in seiner „Reise um die Welt" mitgeteilt, und Daniel Defoe hat dann die abenteuerliche Geschichte für seinen „Robinson" benutzt. Leider ließ sich Defoe dann verleiten, eine Fortsetzung zu schreiben, die Robinsons Fahrten durch China und Sibirien schildert. Hier ist Robinson nichts als ein gewöhnlicher Abenteurer. Der Robinsonstoff wurde mehrfach zu Ausstattungs operetten verarbeitet, n. a. von Offenbach, und in neuerer Zeit sind wiederholt unternehmungslustige junge Männer ausgezogen, um auf einsamen Eilanden ein Robinson- ieben zu führen Einer dieser Abenteurer ist ein früherer Berliner Arzt, der jedoch seine Robinsonade in Gesellschaft einer Dame begonnen hat. „Gefährliche" deutsche Handwerker. Der bedrohte französische Festungsgürtel, In ver angeblichen Spion ageangelegenbeH von Ltratzvurg ist eine fünfte Verhaftung vorgenommen worben. Diesmal handelt es sich um einen Reservisten, der als Zeichner in einem Bureau in Straßburg beschäftigt war. In der französischen Öffentlichkeit Hai die ganze An gelegenheit natürlich durch die Aufmachung der fran zösischen Presse erhebliches Aufsehen erregt. Man Hai sich besonders gefragt, ob bei den Arbeiten zum Ausbau der französischen Grenzverleidtgung auch deutsche Handwerker beschäftigt werden, und betont, daß insgesamt etwa 8500 Arbeiter beschäftigt sind, von denen 5000 Franzosen seien. Unter den 3500 Ausländern be fänden sich etwa 15 0 Deutsche, die zum großen Teil aus der Pfalz und dem Saargebiet stammten. In weitesten elsaß-lothringischen Kreisen begegnen die Pariser Meldungen über die Spionage mehrerer El sässer zugunsten Deutschlands stärkstem Mißtrauen, da von französischer Seite in den letzten Jahren wiederhol unter dem Vorwand von Spionage Anklagen erhoben worden sind, die sich bisher als gegenstandslos erwiesen. Ein französisches Propagandaorgan verweist daraus, daß die deutsche Presse stets gegen den Bau des neuen Festungsgürtels angekämpft habe. Man habe auch in aukonomistischen Kreisen die Notwendigkeit der Bauten bestritten, doch scheint man bei der deutschen Reichs wehr anderer Ansicht zu sein. Man habe die Befesti gungsanlagen genau kennenlernen wollen und habe des halb Mittel und Wege gefunden, Elsässer zum Verrat zu bewegen. Französische Militärflugzeuge über deutschem Gebiet. Drei französische Militärflugzeuge über flogen den südlichen Teil des Kreises Saarburg in der Nähe der Ortschaft Eft. Man konnte die Flugzeuge deutlich beob achten. wie sie aus, der Richtung der lothringischen Ortschaft Tuningen auf den Ori Eft zufiogen und hier über dem Schulbaus wendeten, um dann in südwestlicher Richtung zu verschwinden. Die Flughöhe dürfte schätzungsweise Nicht 'mehr als 600 Meter betragen haben Deutsche Weger sollen den Süllen Ozean überfliegen. Japanische Zeitungen setzen einen Preis von 100 000 Mark aus. Die japanischen Zeitungen „Tokio Asahi Shimbun" und „Osaka Asahi Shimbun", aus deutsch: „Tokioter Mor gensonne" und „Osakaer Morgensonne", setzen einen Preis für die erstmalige ununterbrochene überflicgung des Stillen Ozeans mit dem Flugzeug aus. Für Ausländer wird ein Preis von 100 000 Atark ausgesetzt. Der Preis bleibt derselbe, wenn der Bewerber mit einem Japaner zusammenfliegt. Bedingung ist, daß alle Bewerber sich vor dem Start bei einer der beiden Zeitungen oder bei dem deutschen Ver treter der Zeitung, Dr. Okanouye (Berlin W. 30, Starn berger Straße 3), melden. Die Veröffentlichung sämtlicher Flugnachrichten steht den preisstiftenden Zeitungen zu. Wie der Vertreter der beiden Zeitungen mitteilt, erwartet man mit Freuden die Beteiligung der berühm ten deutschen Flieger. Nächste Gchweinezählung Zum. Für die Zelt vom 1. März bls 31. Mai 1931. Aus Anordnung des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft findet am 1. Juni 1931 die nächste Zählung der Schweine und der nichtschaupslichtigen Hausschlach- tunken an Schweinen für dir Zeil vom 1. März 1931 bis 31. Mai 1931 statt. Die schweinehaltenden Landwirte selbst haben das größte Interesse daran, daß die gestellten Fragen in richtiger und zuverlässiger Weise beantwortet werden. Da für wird ihnen auf der anderen Seite die unbedingte Sicher heit gewährleistet, daß ihre statistischen Angaben geheim- gehalten werden und keinesfalls zu steuerlichen Zwecken Verwendung finden. Hochwasser in Polen. Mehr als 20 Todesopfer. Infolge von Eisstauungen sind zahlreiche Flüsse und Bäche im Norden Polens über die Ufer getreten und haben weite Landstrecken unter Wasser gesetzt. Etwa zwan zig Brücken wurden zerstört. Nach den bisher vorliegen den Berichten hat das Hochwasser 21 Menschenleben gefordert. Besonders schwer bedroht ist die Stadt Wilna. Der Schaden ist sehr beträchtlich. An vielen Orten kann der Verkehr nur durch Flöße und Boote aufrechterhalten wer den. An verschiedenen Stellen versuchten Pionierabtei lungen die Eisblöcke durch Sprengungen zu beseitigen. Auch aus Moskau und aus Minsk wird Hoch wasser gemeldet. In Moskau hat die Moskwa mehrere Fabriken überschwemmt. In Minsk mutzte der Straßen- bahnverkehr eingestellt werden, und auch der Zugverkehr ist zum Tei! lahmgelegt. Im Tatarenviertel erreichten die Fluten an mehreren Stellen die Dachstuben der Häuser. politische Hunchchau Deutsches Heich 1240 Millionen Mindereinnahmen im ReichsyauShalt. Der jetzt veröffentlichte Finanzausweis über die Ein nahmen des Reiches gestattet eine genaue Übersicht über oie Einnahme-Entwicklung des Reiches für das Etatjahr 1930/31. Gegenüber dem Voranschlag, der Einnahmen in Höhe von 10 265 Millionen Mark vorsah, sind insgesamt 9024 Millionen Mark anfgekommen. Es ergibt sich dem nach eine Mindereinnahme von 1240 Millionen Mark. Chinesischer Staatsbesuch auf der „Emden". Der Aufenthalt des Kreuzers „Emden" in der chine sischen Hauptstadt Nanking hat einen sehr befriedigenden Verlauf gefunden. Außenminister Wang und andere Mit glieder der Nationairegierung statteten dem Kreuzer Be suche ad. Zahlreiche Generäle, etwa 800 Offiziere, Stu denten nnd Kricgsschülcr besuchten das Schiff Aus Ln- und Ausland Berlin. Der Reichspräsident empfing den ncugcwählten Oberbürgermeister der Stadt Berlin, Dr. Sahm, zum Antritts besuch, London. Ein portugiesischer Kreuzer, zwei Kanonenboote und zwei Transporldampfer mit zwei Regimentern Infanterie und drei Wasserflugzeuge an Bord sind aus den Azoren ein- getrosfen, um gegen die Aufständischen in Madeira eingesetzt zu werden. 39s Einmal kam Jackson der Gedanke: „Wenn Rainer in Riveglast wäre?" Er jagte mehrere Telegramme nach dort. Doch die Antworten lauteten einstimmig: Man wußte auch dort Vichts von ihm. In Evelyn aber setzte sich nach und nach ein Gedanke fest, der fast zur fixen Idee wurde. Sie glaubte, daß Rainer in seine Heimat zurückgekehrt sei, nachdem er hier in der neuen Welt nichts wie Enttäuschungen erlitten. And wenn ich mich irre, Vater, dann ist es auch gleich, dann war ich ihm doch wenigstens geistig noch einmal ganz nahe, denn er denkt an seine Heimat und liebt sie, ich weiß es- Jackson nickte zustimmend. Jetzt wollte er die Reife nach Europa mit ihr an- treten, wenn er auch überzeugt davon war, daß sie Rainer dort niemals trafen. Er hoffte jedoch von dieser Reise Heilung sür seine Tochter. Sie litt unsagbar. Ihr Ge sicht war blaß und schmal geworden. Es gab ihm jedes mal einen Stich im Herzen, wenn er in ihre krankhaft ^?urigen Augen sah-. Und io geschah es, daß Jackson eines schönen Tages mit Winer Tochter in Wien ankam. Sie hatten gleich in den nächsten Tagen beim Botschafter Besuch gemacht. Jackson verband gewisse Absichten damit — er wollte in Wwn nicht zurückgezogen leben, er hatte seine Gründe oasur. Orpens spann Evelyn sich immer mehr in ihren Kummer ein und mußte zerstreut werden. Zweitens, wenn man erst hier in die Wiener Gesellschaft eingeführt war, dann konnte man vielleicht eher etwas über Rainer erfahren. Jetzt saß Paulus Jackson an seinem Schreibtisch und erledigte dringende Korrespondenz. Diese lange Reise paßte so gar nicht in sein Iahresprogramm. Doch ge schäftliche Interessen mußten einmal zurücktreten. Zu viel stand auf dem Spiel. Nichts durfte er unversucht lassen, Rainer zu finden. Es war doch gar nicht so un möglich, daß Rainer mit irgend einem Verwandten im Briefwechsel stand. Jackson stand auf. Eine Weile blieb er sinnend stehen. Dann hob er den Kopf. Man mußte alles der Vorsehung überlassen, doch die Wege ebnen konnte man. Evelyn wehrte sich zuerst dagegen, irgend eine gesellschaftliche Veranstaltung zu besuchen. Dann aber gab sie doch den Bitten ihres Vaters nach. Sie besuchten den Gesandtschaftsball, lernten hier viele liebenswürdige Menschen kennen und so wurde Evelyn, ohne daß sie es wußte und wollte, mitten in den gesell schaftlichen Strudel hineingezogen. Man bewunderte die schöne, reiche Amerikanerin mit dem ernsten, blassen Ge sicht und sie wurde umschwärmt, wo immer sie sich an der Seite ihres Paters zeigte. Und wenn die lockenden Weisen eines Walzers er klangen, dann schloß Evelyn die Augen und erzitterte. Jener Abend in Kalifornien erstand, der ihr Glück be grub. Sie tanzte nicht und brachte ihre vielen Verehrer dadurch zur Verzweiflung. Und einmal — — einmal kam auf dem Ball der Gräfin Drößler das Gespräch auf Erzherzog Rainer. „Verschollen, wie die andern auch. Es ist ein Fluch, der den Habsburgern anhaftet. Dieser liebenswürdige Mann, — nie zuvor hatte jemand Schwermut an ihm beobachtet. Es sickerte nur nach und nach durch, daß er der Tradition des Kaiserhauses Trotz geboten. Die Welt ist groß und weit. Einen suchen, der verschollen sein will/ ist schwer. Erzherzog Rainer kommt nicht mehr zurück, j da habe ich ihn zu gut gekannt, um etwas anderes zu hoffen," sagte Fürst Siegburg und sein weißer Schnurr- I bart zitterte verdächtig. Evelyn aber war es, als habe man mit harter Hand ihr ins Herz gegriffen. Ein brennender Schmerz wütete dort. Ja, die Menschen hatten alle recht: Rainer kam nicht mehr zurück, wenn er sich einmal entschlossen hatte, hinter sich die Brücken abzubrechen. Evelyn hatte Ihr Urteil mitten in dieser glänzen den Gesellschaft empfangen, ohne daß jemand eine Ahnung hatte, wie die junge Amerikanerin litt. „ Er war der glänzendste Kavalier Wiens", sagte jemand. „Und seine Streiche!" sagte ein jüngerer Herr, „der Erzherzog war im Prater bekannt wie keiner." „Schade war's um ihn. Man hätte es sich eigentlich denken können, daß er sich damals zu einer Heirat mit einer Vogelscheuche nicht zwingen ließe," sagte Rittmeister Franz von Sözeny; sein hübsches Gesicht sah ganz rot aus vor Empörung. „St! machen Sie sich keiner Hoheitsbeleidigung schuldig," warnte ihn leise Major Graf Stephany, „wir sind nicht ganz unter uns." Man plauderte hin und her, bis man schließlich zu einem anderen Thema gelangte. Paulus Jackson dachte traurig: „Rainer wird auch für uns aus immer verschollen sein." Mitleidig ruhte sein Blick auf seiner Tochter. Nun hatte er die Bestätigung, daß auch hier in Wien niemand etwas über Rainer wußte. In den nächsten Tagen versuchte Jackson noch dieses und jenes. Es kam aber immer wieder dasselbe heraus: Rainer korrespondierte mit niemanden. „Es sei denn," setzte der hohe Offizier vorsichtig hinzu, „es sei denn, Graf Colany erhielte Post von ihm. Doch ich glaube es nicht, denn Gr's Colany wurde damals nach der' Flucht des Erzherzogs streng bewacht, da man ihn mit im Komplott glaubte." (Fortsetzung folgt.)