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Wasser. Der Maurer Tyurm sprang sofort nach uns rettete alle Kinder. Großmutters Schürze als Sprungtuch. In Burg uffeln bei Kassel stürzte das zweijährige Kind eines Land wirts beim Spielen vom Fensterbrett im dritten Stock ab. Die 60jährige Großmutter des Knaben, die im gleichen Augenblick aus der Haustür trat, erkannte die Gefahr und fing das Kind in der Schürze auf. Es hat keinen Schaden genommen. Schwere Schädigungen durch betrügerische Machen schaften eines Fabrikbesitzers. Der Inhaber der Herd fabrik Max Albers A.-G., Gevelsberg, hat durch betrüge rische Machenschaften seine Firma dem Konkurs zugeführt und bei einer Bank unter falschen Vorspiegelungen einen Kredit von 200 000 Mark ausgenommen. Weiter hat er die Ortskrankenkasse, die Invalidenversicherung sowie eine Reihe von Händlern um Betrüge bis zu 10 000 Mark betrogen; außerdem lausen noch höhere Wechselverpflich tungen. Uber das Vermögen der Firma wurde das Kon kursverfahren eröffnet, den Arbeitern wurden die Ent lassungen zugestellt. Es verlautet, daß sich Albers mit den unterschlagenen Geldern nach Italien geflüchtet habe. ' Zusammenstoß zwischen Güterzug und Straßenbahn. In einem Außenbezirk von Marseille stieß ein Güterzug bei dckr Ausfahrt aus einem Tunnel gegen einen Straßen bahnwagen. Der Wagen wurde fast vollkommen zer trümmert. Zwei Fahrgäste wurden auf der Stelle ge tötet, während fünf andere lebensgefährliche Verletzungen davontrugen. Bunte Tageschronik Stettin. Anläßlich der Erstausführung von Igor Stra winskis „Die Geschichte vom Soldaten" kam es im hiesigen Stadttheater zu einem großen Skandal. Der Lärm steigerte sich bei manchen Texlstellen zu lautem Pfeifen und Trampeln. Königsberg i. Pr. In einem Hause in der Schrötterstraßk erschoß eine Mutter ihren 14jährigen Sohn und beging dann in der Küche Selbstmord durch Gasvergiftung. Die zwei anderen jüngeren Kinder hatte sie vorher weggeschickt. Professor Dibelius gestorben. Berlin. Hier ist Prof. Dr. Wilhelm Dibelius, der Bruder des Generalsuperimendenten 0. Dibelius gestorben. Professor Dibelius war Direktor des englischen Seminars der Universität Berlin und hatte sowohl als Kenner der englischen Sprache und Kultur als auch als Autor zahlreicher philologischer Werke Weltgeltung erlangt. Eisenbahnznsammenstoß in Sibirien. Moskau. Auf der sibirischen Eisenbahn ereignete sich in der Nähe des Bahnhofes Myssowaja ein Zusammenstoß zwischen einem Post- und einem Güterzug. Sieben Wagen und beide Lokomotiven wurden zertrümmert. Zwei Personen wurden getötet und mehrere schwer verletzt. Tas Gewerkschaftsgesetz vor dem Unterhaus. London. Das Unterhaus setzte die Beratung über das neu« Gewerkjchastsgesetz fort. Zur Erörterung stand zunächst db Stellung der Gewerkschaften der Beamten, denen nach den neuen Entwurf der Zutritt zu dem Generalgewerkjchastsra> wieder gestattet werden soll. Im Unterbaus wurde das neue Gewerkschaftsgesetz ir zweuer Lesung mit 277 gegen 250 Stimmen angenommen. General Berthelot gestorben. Paris. General Berthelot ist nach langem Leiden gestorben Er war während des Kriegs Generalslabschef Joffres unk wirkte später als Führer der französischen Mission im rumä nischen Heer. Der Mainzer Rosenmontagszug abgesagt. Mainz. Der Ausschuß des Mainzer Karnevalvereins hat beschlossen, den Rosenmontagszug in diesem Jahre nicht durch zuführen. Vor der Klage Bayerns beim Staatsgcrichtshof. München. Wie verlautet, ist die Begründung der ange- kündigten Klage Bayerns beim Staatsgerichtshof wegen der Hereinnahme des Steuervereinheitlichungsgesetzes in die Not verordnung vom 1. Dezember 1930 nunmehr fertiggestellt. Die Klage dürfte demnach bald nach Leipzig abgehen. 25 Gramm Gold in Tausends Schmelzofen . . . aber ein Professor sindet die Manipulationen dumm. Ein wichtiger Zeuge im Goldmacherprozeß: der Kaufmann Franz von Reba» wird vernommen. Herr von Rebalj war durch den tausendgläubigen Referendar Rten- bardt bei Ludendorff eingeführt und durch d^n General mit der Prüfung der Tausendschen Er findung beauftragt worden. Zu dem Versuch, bei dem aus 750 Gramm Material 72S Gramm Gold aus geschmolzen wurden, habe Tausend das Material tags zuvor allein vorbereitet. In die Schmelzmasse wurde Sauer stoss eingeblasen. Als er, der Zeuge, am nächsten Tage der erkalteten Ofen ausmachre, sei dieser mit mindestens 25 Gramm Gold bedeckt gewesen. Herr von Rebay schildert dann die Vor gänge bei dem Versuch in der Staatlichen Münze zi München. Tausend sei sehr nervös gewesen und habe er klärt, er könne die Stichflamme nicht aushallen. Er, der Zeuge habe sich dann bereit erklärt, den Versuch weiterzuführen. unl habe schließlich einen Erfolg erzielt: es fei ein Zehntelgranlu Gold zum Vorschein gekommen Ihm und dem Angeklagter seien Ohren und Haare untersucht worden, sie hätten sici schneuzen und-die Fingernägel ausputzen lassen müssen, wet man glaubte, daß sie Gold verborgen halten könnten. Als de> Versuch in der Münze gelungen war. habe bet allen Anwesen den aroke Freude aeberrickt. Nur der Münzdirektor hab offen erklärt, daß er über das Ergebnis nicht gerade erbaut sei weil er ein Gutachten abgeben müße. Der Zeuge z Professor Förster-Dresden äußert sich sehr ungünstig über die Experimente. Er habe eine« Versuche beigewohnl. Man habe ganz dumme Manipulation« vorgenommen, und schließlich habe er die Herren unsanft ab fallen lassen. In ähnlicher ablehnender Weise äußert sich aus der nächste Zeuge, Professor Hosmann von der Technischei Hochschule in Berlin, der zu dem Schlüsse kommt, daß es völltz aussichtslos sei. nach dem Tausendschen Verfahren Gold her zustellen. Die Dentistin Else Kamecke aus Dresden erklärte, das Tausend ihr gegenüber nur von chemischen Erfindungen, nich aber von Golderzeugung gesprochen habe. Zeuge Fritz Küchen meister aus Freiberg bekundet, daß er als Mitarbeiter an gestellt worden sei und wiederholt experimentiert hab« Ansantzs hätte man die Macht des Goldes brechen wollen, später seien die Meinungen darüber stark auseinander gegangen. Drei jugendliche Mörder Lieschen Neumann. Der Mordprozetz einer Sechzehnjährigen. Am 29. Oktober vorigen Jahres wurde in der Dront- hcimer Straße in Berlin der Uhrmacher Friedrich Ulbrich in seinem hinter seinem kleinen Uhrenladen ge legenen Schlafzimmer ermordet aufgefunden. Der Mord er regte ein über das Gewöhnliche hinausgehendes Aufsehen, als ein paar Tage später ein junges Mädchen, das wenige Wochen vorher erst das 16. Lebensjahr vollendet hatte, als Anstifterin ermittelt und in Haft genommen wurde. Luise oder Lieschen Neumann heißt sie. Mit ihr zugleich waren die beiden eigentlichen Täter, ihr Geliebter, der Kutscher Richard Stolpe, und der Schlosser Erich Benzinger sestgenommcn worden. Alle drei haben sich jetzt wegen gemein- schaftlichen Mordes und gemeinschaftlichen Diebstahls vordem Schwurgericht beim Landgericht lll in Berlin zu verantworten. Den Vorsitz im Prozeß führt Landgerichtsdirektor Schmitz, die Anklage vertritt Stäatsanwaltschaftsrat Herf. Als Sach verständige sind mehrere Gerichlsärztc. zwei Strafanstalts geistliche und ein Gefängnisoberlehrcr geladen. Der Andrang zu der Verhandlung ist groß, da das Publi kum „sich ein Fest erwartet". Man hatte seinerzeit den Fall sensationell aufgebauscht, und manche hatten Lieschen Neumann als eine Art Kolportageromansigur darzustellen versucht. Dieser Auffassung tritt gleich nach Beginn der Ver handlung der Vorsitzende entgegen, indem er darlegt, daß die Neumann durchaus keine dämonische Persönlichkeit sei. Die Angeklagten spielten im Gerichtssaale keine Theater- oder Filmrolle und die Anklage auf Mord schalte jegliche Sensation aus Während der Verhandlung dürfe weder photo graphiert noch gezeichnet werden, das Gericht würde sonst so fort von seinem Hausrecht Gebrauch machen. Nach einem Beweisantrag, den einer der Verteidiger stellte und der sich auf die Ladung bestimmter Zeugen bezog, trat man dann in die Verhandlung ein. Als erster der drei Angeklagten wurde Erich Benzinger vernommen. Benzinger, der einen scheuen und verschlossenen Eindruck macht, erzählt, wie er von der Neumann und von Stolpe zu der Tat überredet und in den Mordplan eingeweiht worden sei. Als er erklärt habe, daß man lieber die Finger davon lassen solle, habe die Neumann acsaat: „Was, Angst? Ich habe schon ganz andere Sachen ge macht! Wir müssen ihn totmachen! Ulbrich hat so viel Mädchenbekamttschaftcn, daß das gar nicht herauskommen kann. - Wenn ihr aber nicht kommt, harte ich ihm mit dem Beil vor den Kopf!" Es mutz hier eingeschaltet werben, daß der Uhrmacher Ulbrich ein sogenanntes „Doppelleben" führte: bei Tage ein fleißiger Handwerker, ging er am Abend aus den „Mädchen fang" Er liebte es, die Mädchen, die zu ihm kamen, in aller lei Stellungen und Verkleidungen zu photographieren und hatte zu diesem Zwecke ein ganzes Lager von Frauenkleidern und Frauenwäsche in seinem Schrank. Zu seinen „Freundinnen" gehörte auch die frühverdorbene Luise Neumann die dann den Mordplan gefaßt oder unterstützt haben soll, weil sie bei Ulbrich mehr Geld vermutete, als er in Wirklichkeit besaß. Aus das Geld aber soll sie erpicht gewesen sein, weil sie mit Stolpe Hochzeit machen wollte. Benzinger will an all diesen Sachen nicht allzu aktiv be teiligt gewesen sein. Er habe sich mit Stolpe am späten Abend in den Uhrmacherladen geschlichen, nachdem ihnen Lieschen Neumann, die bei Ulbrich war, heimlich die Ladentür geöffnet hatte. Ulbrich sei dann von den Geräuschen erwacht und habe vor Schreck aufgeschrien. Er, Benzinger, habe ihn in das Bett zurückgedrückt, worauf Stolpe mit dem Uhrmacher etwa fünf zehn Minuten lang gekämpft und ihn schließlich erwürgt yave. Die Neumann yave dann gesagt, datz das Geld tm vorderen Schrank zu finden sei. Man habe nur einen Zehnmarkschein und etwa 28 Mark Silbergeld gefunden. Er, Benzinger, habe noch sechs oder sieben Uhren mitgenommen, die er dann aber der Neumann gegeben habe. Das geraubte Geld sei schon nach zwei Tagen ausgegeben gewesen. Als die Neumann ihnen bald daraus mitgeteilt habe, daß sie verraten seien, sei er mit Stolpe aus einen Bauernhof bei Stargard in Pommern gefahren; das Reisegeld hätten sie sich dadurch verschafft, datz sie Kleidungs stücke versetzten. Auf dem Bauernhof seien er und Stolpe von dem Landjäger verhaftet worden. Benzingers Aussage ist hiermit beendigt und es folgt die Vernehmung der Lieschen Neumann. Schon als Mädchen von zehn Jahren hat sich die Neumann aus den Berliner Rummelplätzen Herumgetrieben und war oft nächtelang nicht nach Hause gekommen. Die Eltern sollen diesem Treiben gegenüber völlig machtlos ge wesen sein. Als Vierzehnjährige fing Luise Neumann ihre Liebschaft mit Stolpe an, als Fünfzehnjährige wurde sie eine der vielen „Freundinnen" Ulbrichs, der sie als „Akt" photo graphierte und ihr hin und wieder Geld gab. Sie hat ihm aber auch kleinere Summen unterschlagen, und Stolpe, der durch sie gleichfalls mit Ulbrich bekannt wurde, soll mit Hilfe eines seiner Freunde an Ulbrich Erpressungen verübt haben. Die Neumann erzählt im Verlause ihrer Aussage, datz ihre Beziehungen zu Stolpe, mit dem sie zuletzt zusammenwohnte, nicht gut gewesen seien. Er habe sie oft geprügelt und sie habe sich von ihm schon trennen wollen, zumal da er, nachdem er plötzlich seine Arbeit niedergelegt hatte, immer Geld brauchte. In dieser Geldnot sei dann der Plan zur Beraubung Ulbrichs aufaetaucht. „Nur wenn er brüllt, wollen wir ihn totmachcn!" habe Stolpe gesagt. Sie, Lieschen, könne als ein noch so junges Ding höchstens in die Fürsorge kommen. ... Man habe sich dann mit Benzinger tn Verbindung gesetzt, der anfangs nicht mitmachen wollte und sich genau er kundigt habe, ob Ulbrich grotz oder klein, dtck oder dünn, stark oder schwach sei. Lieschen schilderte dann den Mord abend, indem sie darzulegen suchte, datz nicht sie die treibende Kraft gewesen sei; der eigentliche Täter sei Stolpe ge- Mesen. Nach der Tat wurde die Neumann wiederholt zur Kriminalpolizei geladen. Ihre Mutter war die erste, der sie die Tat gestand: „Ich muß zur Polizei." sagte sie, „wir haben den Ulbrich totgemacht!" Als letzter der drei Angeklagten wird dann Stolpe vernommen. Er gibt an, er wolle sich nicht reinwaschen, wolle auch seine Braut nicht zu Unrecht belasten, aber so, wie sie die Tat schildere, treffe sie nicht zu. Er erklärt im wesentlichen, datz er von seiner Braut zu der Tat angestistet worden sei. Weshalb Lieschen Neumann den Stolpe verraten hat. Lieschen Neumann Hai am 1. Januar 1931 Stolpe aus dem Untersuchungsgefängnis einen Brief geschrieben, in dem sie ihn bat, sie doch zu heiraten, damit das Kind einen ehrlichen Ramen erhalte. Der Gefängnispfarrer werde sie trauen. Erst auf Stolpes Weigerung, sie zu hei raten» habe sie rücksichtslos ihre Aussagen, die bis dahin Stolpe geschont hätten, geändert Sie bleibt ent gegen ihren Aussagen vor der Mordkommission jetzt nach wie vor dabei, datz nicht sie, sondern Stolpe der Anstifter zu der Tat gewesen sei. Am Freitag wird sich das Gericht nochmals mit Stolpe beschäftigen, dann die Zeugen verhören. Das Urteil wird wahrscheinlich erst Sonnabend in den späten Abendstunden gefällt werden. Märtyrer der Liebe Roman von I. S ch ne i d s r - F ö r st I. 21. Fortsetzung Nachdruck verboten Aus verblaßten, auffrischungsbedllrftigcn Goldrahmen sahen die Merken früherer Generationen auf den Letzten ihres Namens herab. Alle hatten sic dieses bärtige Gesicht und diese massige Gestalt. Kaum, daß hin nnd wieder ein Frauenangesicht oder ein kleiner Lockenkopf die Aufmerksam keit auf sich zog. Aus einem der Zimmer, die den Gang flankierten, kam Elisabeths Stimme. Aber keine Antwort fiel. Merken legte die Hand auf die Klinke und ließ sie wieder sinken. Mit finsterem Gesicht ging er an dem Zimmer vorbei, aus dem nun wieder Elisabeths Stimme kam. Eigentlich ge hörte sie heute noch ihm, dem Vater. Aber so ein Liebes paar, das konnte sich ja nicht sattküsscn. Und er konnte das für die Welt nicht mit ansehen. Wenige Minuten darauf hörte er die Türe gehen und seiner Tochter und Reichmanns Schritt die Treppe hinab- gchen. Im gleichen Augenblick hielt Reichmanns Kraftwagen vor dem Tor. „Was ist los?" frug der Doktor. „Regendach ruft Sie dringend!" sagte der Chauffeur, sprang vom Sitz und öffnete den Wagen schlag. „Warum haben Sie Kollegen Hilbertt nicht ver- ^^Her'r Hilbertt war nicht zu Hause und es hat Eile." „Wer rief an?" Reichmann biß sich auf die Lippen. Das konnte noch eine nette Geschichte werden, den Tag vor der Hochzeit. Möglicherweise hatte Nella Dummheiten gemacht. Er fühlte plötzlich keine Müdigkeit mehr und sprang m den Fond. Elisabeth sah ihn wehmütig an. „Komm mit!" sagte er knapp. „Nach Regenbach?" frug sie ungläubig. „Warum nicht, wenn ich dabei bin!" Seine Stirn war zusammengezogen. Etwas Kaltes, Zor niges lag in seinen Augen. Ihr war, als gehörte sie mit einem Male nicht mehr zu ihm. „Rasch!" sagte er befehlend und griff nach ihrer Hand. Wie feucht und kalt sie war. Ein Frösteln rann über ihren Leib. Gehorsam drückte sie sich in die Ecke. Er schloß mit einem kräftigen Druck den Schlag und warf sich in die Polster. Dann fuhr der Wagen an. Die Hitze war brütend. Reichmann atmete auf, als sie den Hochwald erreichten. Für ihn gab es kein Zurück mehr. — Und doch! — Gut, daß Elisabeth seine Gedanken nicht sehen konnte. Sie hätte sich entsetzt. „Rascher," mahnte er den Chauffeur. „Weißt du, wer bei Renkell krank liegt?" frug das junge Mädchen in sein Schweigen. Er sah überrascht zu seiner Braut hinunter, sie hatte ihn aus seinem Brüten aufgerüttelt. Es konnte wahrhaftig auch ein anderer seiner Hilse bedürfen. Aber er hatte nur an Nella gedacht. So sehr war er mit seinen Gedanken noch mit ihr verankert. Schandbar war das und Elisabeth hatte es wahrlich nicht verdient. Aber wer half dagegen? Mit einem heftigen Ruck hielt das Auto dicht vor dem weit geöffneten Parktor des Herrenhauses. „Ich bleibe hier sitzen, besser noch, ich gehe ein Stück voraus," sagte Elisabeth. „Ich möchte nicht mit Renkells zusammentreffen." „Wie du wiM," kam es frostig. § Sie sah ihren Verlobten bestürzt an. „Wenn du wünschest, daß ich mitkomme..." „Nein!" Sie hielt mühsam die Tränen zurück. Was sollte das werden, wenn er so zu ihr war am Tage vor der Hochzeit? Er schien in ihrem Gesicht zu lesen und bereute. „Ich hoffe bald fertig zu werden," sagte er höflich. „Ich denke so in einer Viertelstunde." Sie nickte nur. Es tat noch immer wehe! Ohne den Druck seiner Hand zurückzugeben, schritt sie von ihm weg die staubige Dorfstraße entlang. Schon im Begriff, die Stufen der Terrasse zu nehmen, sah er sich noch einmal nach ihr um. Sie hatte die Strecke verlassen und schlug den Fußweg ein, der den Fluß entlang führte, am Schleusenbach vor überging und dort wieder in die breite Fahrstraße mündete. Als er sich dem Hause zuwandte, stand ein schwarz ge kleidetes Mädchen in weißer Haube vor ihm und bat, der Herr Doktor möchte sich in die Kanzlei bemühen, einen der Buchhalter habe der Schlag getroffen. „Sonst nichts?" durchfuhr es Reichmann. So fehr hatte er darauf gehofft, sie möchte nach ihm verlangen. Dann schämte er sich. Welch gemeiner Kerl schien er doch mit einem Male zu werden! Pfui Teufel! Ohne noch einen Blick auf die Terrasse zu werfen, von der eben Nellas Stimme kam, wandte er sich dem Ausgang zu und ging nach dem großen Hof, an dessen linke Seite sich die Geschäftsräume lehnten. Elisabeth war ohne Schirm und Hut. Die Sonne brannte auf ihren Scheitel und stach in ihr schmales, durch wachtes Gesicht. Sie trat vom Wege ab und schritt zwischen den Tannen entlang. Da war es schattig, aber sie empfand nichts von Her Kühle. Unaufhörlich tropften die Tränen von ihren Wangen. Sie schämte sich derselben und konnte ihnen doch nicht weh ren. War so ein Mann zu einem Weibe, das er liebte? So kalt, so barsch, so ohne jedes liebe Wort! Er brauchte ihr nicht schön zu tun, ihr keine Schmeicheleien zu sagen, nur gut sollte er sein. Güte lag oft nicht im Wort allein, auch Schweigen konnte Liebe beweisen. Aber sein Schwei gen war Kränkung gewesen, rücksichtslose Nichtachtung. Wenn er frei sein wollte von ihr, dann brauchte er es ja nur zu sagen! Nur zu sagen? (Fortsetzung folgt.)