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Wilsdruffer Tageblatt ».Matt. Rr.S3 - Mittwoch,-en28.Ja««»r1«L Furchen. „Von jeder Furche, die dein Antlitz Pflügt, Weiß ich die Not, die sie gefügt — ÖH, daß wir uns zerstören, Wenn wir uns tief gehören! Klebt nicht an allem Schweiß und Blut, Was mir dein Herz zuliebe tut?" — „Laß doch, es macht mir Freude. Vergeude mich, vergeude! Und werden meine zarten Hände rauh Und meine Mädchenzöpfe grau — Tod kann nicht davon kommen, Da Liebe mir's genommen." Leo Sternberg. Was wurde in Genf erreicht? Rückblick auf die Ratstagung. Nach der Rückkehr der deutschen Abordnung aus Gen, läßt sich nunmehr das Gesamtergebnis der Tagunc auch in seinen Einzelheiten würdigen. In der Regierung nahestehenden Kreisen wird hierzu noch auf folgendes hin' gewiesen: Im Europa Ausschuß, dessen Programm reichlich unklar war, war es besondere notwendig, das Hauptgewicht auf die Wirtschafts fragen zu legen. Im Sinne der deutschen Antwort aus das bekannte Briand-Memorandum mußte auch selbstver ständlich daran festgehalten werden, daß Rußland unk die Türkei zu den Beratungen hinzugezogen würden Was Danzig angeht, so hat insbesondere die Entschei dung des Haager Gerichtshofes über die Teilnahme Danzigs am Internationalen Arbeitsamt schwierige juristische Streitfragen aufgeworfen, die jedoch bis Mai geklärt sein durften. Die g cs a m t e u r o PSischen Wirtschaftsfrager als solche lasten s«h nicht lösen durch Schlagworte: Hie F*°" " - , ' h'?.Schutzzoll. Man wird vielmehr aus lnuhsamcren Weg im gegenseitigen Aus ¬ gleich ein dafür auch reichhaltigeres Ergebnis anstreben müße"' /lwr allem ist zu erwarten, datz in der Frage der Agrarkredite Positives herauskommt. Zur Memelfrage wird auf den Ausgangspunkt der memelländischen Be schwerde hingewiesen, deren Zweck es seinerzeit war, noch vor den Wahlen klare Rechtsverhältnisse zu schaffen. In den wichtigsten Punkten ist inzwischen eine Klärung er folgt, so u. a. bezüglich der Einsetzung des Direktoriums. Der Rat hat die Weiterbereuung der Angelegenheit als solche in der Hand behalten. Zu den oberschlesischen Beschwerden war der Ausgangspunkt nicht eine Berufung auf Artikel 19, der die Möglichkeit der Revision von Verträgen vorsieht. Vielmehr handelte es sich um eine ausgesprochene Mi nder Heilenangelegenheit, die vertrags mäßig Sache des Völkerbundes ist. Der Völkerbundrat ist sich darüber einig geworden, daß angesichts des erschreckenden und auch im wesentlichen unwidersprochen gebliebenen Beweismaterials eine wei tere Beweisaufnahme nicht notwendig war, so datz er auch eine» Untersuchungsausschutz nicht mehr für notwendig hielt. Der Rat hat festgestellt, daß eine Verletzung der Artikel 75 und 83 der Minderheitenverträge vorliegt. Das Siegel darunter setzte der Ratspräsident Henderson in einer eindrucksvollen Schlußrede, nachdem ihn der Reichs- außenminister in Gegenwart anderer Ratsmitglieder dar auf aufmerksam gemacht hatte, daß unter allen Umständen ein Eindruck verwischt werden müsse, als ob es sich hier um eine deutsch-Polnische Streitfrage handele. Da mit hat der Rat eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß er gewillt ist, die Minderheitenfrage als eine internationale Frage in der Hand zu behalten. Im Mai, wenn Polen über die ihm auferlegten Maßnahmen in Oberschlesien Bericht erstatten muß, wird sich Polen im gleichen Zuge wegen der ukrainischen Beschwerden zu verantwor ten haben. Märtyrer der Liebe Roman von I. S ch n e i d e r - F ö r st l. 18. Fortsetzung Nachdruck verboten Ein lässiges Nicken bedeutete, daß das Mädchen entlassen war. Wenige Minuten später saß Nella in einem der bequemen Korbstühle unter dem großen Sonnenschützer der Terrasse, ließ sich von dem Diener servieren und blätterte, während ihre weißen, schönen Zähne ein Gebäck zermalmten, in dem Stoß von Modeheften, die neben ihrem Gedeck lagen. Mann, Kind und Erzieherin waren vergessen. Renkcll eilte inzwischen Uber die Brücke dem Hochwald M. Annemarie konnte nicht schwer zu finden sein. — Ar mer Hascher! Er formte beide Hände zu einer Höhlung an den Mund. »Annemarie!" , , ,, »Anne mariee!" lachte das Echo zurück. Er stieg eine Weile bergauf und wandte sich dann seit wärts, von woher das Geläut der Herdenglocken kam. Der sonnverbrannte Junge, welcher die Geißen und Kühe samt den mächtig behornten Ochsen betreute, hatte nichts von dem kleinen Hüttenfräulein gesehen. Möglich, daß sie im Forst hause die kleinen Rehe ansehen hat wollen, meinte er un- verschüchtert treuherzig. Renkel^scheEe ihm einen Geldschein und fuhr freundlich über des Jungen wildes, weißblondes Haar. Das war noch mehr wert wie Geld. Das hatte der Hüttenkönig sicher noch keinem anderen getan. Im Forsthause traf Nenkell versperrte Türen. Anne marie hatte also auch keinen Einlaß bekommen. Er kam sich mit einem Male fast lächerlich klein vor in seiner Sorge um sie. Annemarie, sein großes kluges Kind, war wohl schon längst wieder zu Hause und wartete in irgendeinem Winkel im Haus oder Park, bis sie feine Zur Abrüstungsfrage wird darauf hingewiesen, daß dringend zu unterscheiden sei zwischen dem Konventionsentwurf, den Deutschland nicht angenommen habe, und dem Bericht, der die Geschichte der gesamten Verhandlungen als solche betrifft. Curtius hat im Nat bei drei Gelegenheiten, ohne Widerspruch zu finden, daraus hingewiesen, daß Deutsch land wie auch kein anderer Staat rechtlich verpflichtet seien, den Konventionsentwurf als Grundlage anzusehen, wo gegen der französische Autzenminister sehr unwirsch nur versucht habe, wenigstens die „moralische" Verpflichtung aus dem Konventionsentwurs zu retten. Abgelehnt wurde auf deutsche Forderung Yin auch die sofortige Wahl eines Präsidenten, ebenso die Ein setzung eines Vordere! tu ng'sausschufses, dessen zu wählender Präsident die Wahl des künftigen Konferenz präsidenten hätte präjudizieren können. Der deutsche Außenminister hat mit Nachdruck gefordert, daß in vor bereitenden diplomatischen Verhandlungen bereits versucht werden müsse, eine einheitliche Linie zu schaffen, widrigenfalls die Gegensätze auf der Konferenz selbst in ihrer vollen Schärfe aufeinanderplatzen müßten. Deutsch land als abgerüstetes Land habe selbstverständlich alles Interesse an der allgemeinen Abrüstung und fordere für sich selbst vor allem Sicherheit. Wesentlich ist es ferner, daß sich der Rat nunmehr auf einen Termin für die Abrüstungskonferenz fest gebunden hat, während noch in der Vorbereitenden Abrüstungskonferenz im Herbst die Formel „so bald als möglich" von der Mehrheit angenommen und insbesondere auch von dem englischen Vertreter befürwortet worden war. Abschließend wird vermerkt, datz man in Genf keine „billigen Schlager" erreicht habe, für die wir nachher hätten zahlen müssen. Aber es sei nun auch Zeit, so heitzt es in der Erklärung, datz man endlich in Deutschland den Minderwertigkeitskomplex und den Verfolgungswahnsinn ablege, der auch in Fortschritten, die Deutschland aus dem Wege des Rechtes gemacht habe, immer nur Rückschläge sehe oder Beweise dafür, datz Deutschland immer noch der Paria unter den Nationen sei. Nobiles Reiter abgesiürzt. Fliegerhauptmann Lundborg schwer verletzt. Der bekannte schwedische Fliegeroffizier Hauptmann Lundborg, der Retter von Nobile, ist in der Nähe von Lindküping mit seiner Maschine abgestürzt. Lundborg wurde schwer verletzt, das Flugzeug vollkommen zer' trümmcrt. Bei der Rettung Nobiles glückte es Lundborg, den General mit seinem Flugzeug von der Eisscholle z n befreien. Als Lundborg jedoch das zweitemal zm Eisscholle zurückkehrte, überschlug sich seine Maschine und wurde derart schwer beschädigt, daß an einen Rückflug nicht zu denken war. Lundborg, der sich auf ein längeres Verweilen auf der Eisscholle nicht vorbereitet hatte, wen gezwungen, über vierzehn Tage auf der Eisscholle zuzu bringen. Fliegerhauptmann Lundborg. Lundborg 1*. Der am Dienstag abgestürzte schwedische Flieger- osfizier Lundborg, der Retter Nobiles, ist seinen Verle tzungen erlegen. Wajserschutz und Verfassungstreue. Severing greift in die Reichszuständigkeit ein. Im Haushaltsausschuß des Reichstages wurde der Vec- kehrshaushalt weiterberaten. Eine längere Aussprache ent spann sich bei der Besprechung der Mittel iür den Reichswasserschutz oesfen Aufgaben unter Übernahme des größeren Teiles seiner Beamten auf Preußen und Sachsen übergehen sollen. Von feiten der Deutschnationalen und der Landvolkabgeordneten wurde der Erlaß des preu ßischen Innenministers Severing scharf kritisiert, der vor Übernahme der betreffenden Offiziere des Reichswafserfchutzes eine genaue Prüfung hinsichtlich ihrer Verfassungstreue verlangt hatte. Der Reichsverkehrsmtnister von Guörard bemerkte, er sei durch das Vorgehen des Ministers befremdet gewesen, denn zur Überführung auf Sie Länder seien die Beamten ihm beamtenrechilich unterstellt. Das Vorgehen des preußischen Innenministers bedeute nicht nur einen Eingriff in die Rechte des Verkehrsministers, sondern auch in die R e i ch S z u st ä n d i g k e i t. Die in Rede stehenden Offiziere seien als Wasserschutzbeamte seit zehn Jahren im Reichsdienst und es seien dem Verkehrsminister niemals Bedenken hinsichtlich ihrer Verfassungstreue zu Ohren gekommen. * Angenommen wurde ferner ein kommunistischer Antrag, wonach die Reichsregierung die Hauptverwaltung der Reichs bahngesellschaft veranlassen soll, die Schwerkriegs- und Schwerunfallverletzten auch bei Entrichtung des er mäßigten Fahrpreises für die 3. Klasse in der Polsterklasse zu befördern. Ferner wurde ein nationalsozialistischer Antrag einstimmig an genommen, der daraus hinausläuft, die hohen Gehälter des Generaldirektors, der Direktoren und der oberen Verwal tungsbeamten den Gehältern von Beamten, die gleichzubewer tende Posten im Reichsdienst bekleiden, anzupassen und auch die Entschädigung der Verwaltungsratsmitglieder entsprechend herabzusetzen. Politisches Attentat in Zürich. Der italienische Generalkonsul schwer verletzt. In Zürich wurde auf den italienischen Ge neralkonsul ein Ncvolvcrattcntat verübt. Im General konsulat wurden mehrere Schüsse aus den Konsul abge geben. Mit schweren Brustverletzungen mutzte er in be- deutttchem Zustand ins Krankenhaus gebracht werden. Ter Täter konnte sofort verhaftet werden Gerüchtweise verlautet, daß sich im Zusammenhang mit dem Attentat eine heftige Szene auf dem General konsulat abspielte, da auch der italienische Vizekonsul Verletzungen im Gesicht aufwies. Man vermutet, daß es sich nm einen Racheakt eines Antifaschisten handelt, dem die Erneuerung des Passes verweigert wurde. polikilcve flunckschsu Deutsches Reich Curtius berichtet. Der Reichspräsident empfing den Reichsaußenminister Dr. Curtins und nahm von ihm einen Bericht über die Tagung des Völkerbundrates entgegen. Der Auswärtige Ausschuß des Reichstages ist für Montag, den 2. Februar, einberufen worden. Aus der Tagesordnung steht die Be sprechung der Genfer Tagung des Völkerbundrates, über die Neichsaußenminister Dr. Curtius Bericht erstatten wird. Besprechung beim Reichspräsidenten über Osthilse. Der Reichspräsident empfing den Reichsminister Tre- viranus und den Generallandschaftsdirektor von Hippel- Königsberg zu einer gemeinsamen Besprechung über Fragen der Osthilse. Empfang der „Grünen Front". Reichskanzler Dr. Brüning empfing die Vertreter der „Grünen Front", Dr. Brandes, Dr. Fehr, Dr. Hermes und Graf Kalckremh, die ihm in Gegenwart des Reichsernäh rungsministers Schiele ihre Forderungen vortrugen. Italien Der gefährliche deutsche Privatunterricht. In der letzten Zeit ist wegen der Erteilung deutschen Privatunterrichts gegen verschiedene südtirolerische Lehrer mit den strengsten Maßnahmen vorgegangen worden. So wurde ein deutscher Lehrer in Tarsch wegen Erteilung deutschen Privatunterrichts aus seine? Aufenthalts- und Zuständiakeitsgemeinde polizeilich abaeschoben. Andere Stimme hörte, welche sie aller Furcht vor etwaiger Strafe überhob. Kleine, süße Annemarie! Er setzte in großen Sprüngen den Waldrücken herab. Steine und Erdreich polterten ihm nach. Als er jedoch ganz atemlos die Terrasse betrat, sagte ihm der Diener, daß die Kleine noch nicht zurückgekehrt sei. Nellas Sorge war gleich Null. Sie schalt nur ärgerlich über die dummen Streiche der Tochter. Wahrscheinlich kam sie wieder mit zer rissenen Sachen und einem Kleid voll von Heidelbeer- und Harzslecken. „Wenn du sie nicht so maßlos verwöhntest, käme derlei nicht vor!" sagte sie mit rücksichtslosem Vorwurf. Nenkell biß nervös die Zähne in die Lippen. Zank war ihm etwas Verhaßtes. Wer er konnte sich nicht völlig be herrschen. „Eine zärtliche Mutter bist du gerade nicht!" sagte er kühl und griff, ohne das zweite Gedeck neben Nellas Platz zu beachten, nach seinem Hut, um nach der Fabrik zu gehen. „Gott, ich kann es nur eben nicht so zeigen! Im Grunde genommen wäre das Gefühlsverschwendung, wenn ich mich sorgte! Was sollte ihr denn fehlen? — Wölfe gibt es keine! Ertrinken kann sie auch nicht, denn der Fluß ist so seicht, daß ein Dreijähriges darin baden kann! Was ereiferst du dich also?" „Ich möchte dich trotzdem bitten, mir Nachricht ins Bu reau zu schicken, wenn sie innerhalb einer Stunde nicht zu rückkommt." Sie nickte zerstreut und machte in einem der Hefte breite Eckränder. „Dies Schneiderkleid aus blauem Tuch könntest du mir schenken," sagte sie, ganz in den Anblick des Farbenbildes versunken. „Du denkst an dein Schneiderkleid und ich an — dein Kind!" gab er gereizt zurück. „Gut, daß es nicht das deine ist," warf sie dawider und sah einen Augenblick mit einem spottenden Lächeln zu ihm auf. „Du wärst fähig, mich zu schlagen, wenn ich es nicht fräße vor Liebe und Zärtlichkeit. Uebrigens," sie blätterte gelangweilt ein weiteres Heft durch, „möchte ich dir sagen, daß ich es an der Zeit finde, Annemarie in eine Pension zu geben. Hier verbauert sie. Ich weiß nichts anzufangen mit Kindern." Sie gähnte. „Ich langweile mich schrecklich in ihrer Gesellschaft." „Annemarie ist keines von den Kindern, das langweilt." „Sie macht mich nervös mit ihren vielen Fragen. Ich weiß ost mit dem besten Willen nichts daraus zu ant worten." . „Jedes, auch das geistig minderwertigste Weib aus dem 'Volk weiß seinem Kinde etwas zu sagen!" „Ich verbitte mir den Schulmeisterton!" fuhr sie auf. „Annemarie ist meine Tochter — die meine!" „Und die meine! — unterbrich mich nicht, bitte. Ich habe sie adoptiert. Also habe ich Vaterrechte und ich werde sie ausüben. Darauf kannst du dich verlassen! Kaufe dir meinetwegen zehn Schneiderkleider, in Grün. Blau und Modefarben. Wie du willst. Aber das Kind bleibt hier! Gu ten Morgen!" Die Türe schlug Krachend ins Schloß. Nella zuckte nervös zusammen. Eine Flegelei war das! Unerhört und — pöbelhaft. Nun erst recht. Das Kind mußte fort. Gestern hatte sie die Erzieherin belauscht, morgen würde Annemarie vielleicht das gleiche tun. Wenn man wußte, daß Spione im Hause saßen, tat man gut daran, sie rechtzeitig aus dem Wege zu räumen. In einer Pension war die Kleine vorzüglich aufgehoben und man brauchte nicht Lehrerinnen ins Haus zu nehmen, die Augen und Ohren überall offen hielten. Durch den Park hallte ein Heller Ruf. „Vati! Baterle!" Nackte, dornzerrissene Kinderfüße hetzten über den Nasen. „Vaterle!" Nenkell stand, beide Arine ausgebreitet, am Tcr und fing die Atemlose auf. (Fortsetzung folgt.)