Volltext Seite (XML)
Nr. 296 — 94. Jahrgang. Wilsdruff-Dresden Drahtanschrift: „Tageblatt Freitaq, den 20. Dezember 1935 Postscheck: Dresden 2640 Ser Javer im Umbruch der Zett. Die Leistungen der Betriebsgrößen in der Landwirtschaft. Die in den letzten Wochen zutage getretene Ver knappung bei Butter und anderen Fetten hat wieder ein mal sehr dringlich die Frage zur Erörterung gestellt, o b auchjederFleckdesdeütschenBodenswirk- lich so bearbeitet wird, wiees im Inter esse der Nahrungssicherung auseigenem Grund und Boden zu verlangen ist. Im Rahmen dieser Erörterung ist auch Wohl zu über legen, ob die Bewirtschaftungsart des Großbetriebes oder ob die der bäuerlichen Betriebe in Anbetracht der beson deren ernährungspolitischen Lage Deutschlands die zweck mäßigere ist. Es ist von gewissen Kreisen des Großgrund besitzes des öfteren behauptet worden, daß gerade zur Sicherung der ernährungspolitischen Freiheit Deutsch lands der Großgrundbesitz unumgänglich notwendig sei. Es ist nicht Zweck der Untersuchung, den Großgrundbesitz oder den bäuerlichen Betrieb zu verdammen, denn in Wirklichkeit arbeiten im Augenblick beide an der Sicher stellung der deutschen Rahrnngsgüter. Die Klärung der Frage, was der Großgrundbesitz und was der bäuerliche Betrieb für die Ernährung Deutschlands leisten, ist aber notwendig. So wird z. V. i« dem von Dr. von Rohr herausgegebenen Buch „Groß grundbesitz im Umbruch der Zeit" lediglich die Getreide- «nd Kartoffelversorgung des Volkes und der dabei vom Großgrundbesitz erstellte Anteil herausgegriffen, um die besonderen Leistungen des Großgrundbesitzes zu bewei sen. Dabei werden, abgesehen vom Fleisch, alle übrigen Gebiete der tztahrungsmittelversorgung, insbesondere das der sonstigen Vieh erzeu gnisse und Fette, un berücksichtigt gelassen. Zur rechten Zeit erschien darum in diesen Tagen im Reichsnährstandsverlag ein von Reg.-Rat Dr. Wolfgang Clauß herausgegebe- nes Buch „DerBa»erim Umbruch der Zeit", in dem in einem Abschnitt die Leistungen der Großgüter und die der bäuerlichen Betriebe an Hand wissenschaftlicher Untersuchungen dargestellt werden. Auf Grund eingehen der Untersuchungen von Buchführungsergebnissen ist da bei nachgewiesen, daß die Kleinbetriebe 49 v. H„ die Mittelbetriebe 3b v. H. und die Grotz- betriebe 21 v. H. vom gesamten Markt mit landwirt schaftlichen Erzeugnissen versorgten. Dem steht gegenüber, daß zur Zeit diefer Untersuchungen von der landwirt schaftlichen Nutzfläche aller deutsche Betriebe von fünf And mehr Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche an auf die Kleinbetriebe 51,2 v. H., auf die Mittelbetriebe 27,7 v. H. und auf die Großbetriebe 21,1 v. H. entfielen. Die Großbetriebe waren also mit 21 v. H. an der Markt versorgung und mit 21,1 v. H. an der landwirtschaftlichen Nutzfläche beteiligt. Bei den Mittelbetrieben war die Marktleistung demgegenüber um 2,3 v. H. höher als ihr Anteil an der landwirtschaftlichen Nutzfläche beträgt. Jedenfalls beweisen diese Untersuchungen, daß keine der Betriebsgrößen bei der Marktversorgung nennenswert mehr leistete, als ihrem Flächenanteil entsprechen würde. Es ist also in jedem Falle falsch, von einer Überlegenheit der Großbetriebe bei der Versorgung des deutschen Nah rungsmittelmarktes zu sprechen. Interessante Einblicke über das Leistungsverhältnis der landwirtschaftlichen Großbetriebe und der bäuerlichen Betriebe geben nun Untersuchungen, die durch das Institut des Prof. Seraphim, Rostock, bei 5000 Neu bauernstellen in Pommern angestellt worden sind. Es sind dabei Vergleiche angestellt worden, wieviel Erträge die Fläche dieser 5000 Neubauernstellen ergeben hat im Vergleich zu den Erträgen dieser Fläche vor der Besied lung. Dabei hat sich gezeigt, daß nach der Besiedlung beim Weizen eine Ertragszunahme von 3,1 v. H. festzustellen war. Gleichzeitig erhöhten sich die Erträge bei Roggen Um 4,2 v. H., bei Gerste um 5,7 v. H., bei Hafer um 3,6 v. H. und bei Kartoffeln um 7,7 v. H. Diese Zahlen beweisen also, daß in den Neubauernwirtschaften durch weg höhere Ernteerträge erzielt wurden, als es vor der Besiedlung bei den entsprechenden Großbetrieben der Fall war. Gleichzeitig haben die Untersuchungen ergeben, daß auch der Viehstapel, abgesehen von Pferden, durch die bäuerliche Siedlung eine ganz erhebliche Erhöhung er fahren hat. Die letztere Tatsache aber ist in Anbetracht der ernährungspolitischcn Lage Deutschlands besonders wichtig, ja geradezu entscheidend. Denn bei Getreide und Kartoffeln ist der Bedarf des Volkes aus eigenem Grund und Boden restlos gedeckt, jedoch besteht immer noch ein zusätzlicher Bedarf bei fast allen milchwirtschaftlichen Er zeugnissen. Wenn es sich darum erweist, daß die milch wirtschaftliche Leistung durch die rein bäuerlichen Be- triebsformcn wesentlich erhöht werden kann, dann ist die verstärkte Durchführung neuer Maßnahmen zur Neu bildung deutschen B a n erntums entscheidend wichtig. Der deutsche Raum ist so eng, daß nur die Be- triebssorm Eristcnzberechtigung hat, die möglichst viel und möglichst gute Erträge gewährleistet. Hm« Wh MM EMMWII. Hoare verteidigt sich. Als erster Ausspracheredner erhob sich Sir Samuel Hoare. Er erklärte zu seiner Verteidigung, daß er seit seinem Amtsantritt als Außenminister die Dringlichkeit zweier großer Fragen erkannt habe: 1. alles zu tun, was in seiner Macht stehe, um eine große europäische Feuersbrunst zu verhüten, und 2. nichts unversucht zu lassen, um einen Krieg zwi schen Großbritannien und Italien zu verhindern. Er persönlich habe alles in seiner Macht Stehende getan, um die Weltmeinung gegen den Krieg zwischen Italien und Abessinien in der Genfer Vollversammlung aufzu bieten. Jeder weitere Tag dieses Krieges habe größere und gefährlichere Fragen heraufbeschworen. Es seien Schwierigkeiten im Fernen Osten entstanden und Schwie rigkeiten in Ägypten. Auch in mehr als einer Gegend Europas hätten sich drohende Wolken zusammengezogen. Gesetzt der Fall, daß die Llsperrc unter Mitwirkung der Nichtmitgliedstaäten hätte in Kraft gesetzt werden Die große Ltnterhausaussprache über den Abesfimenkrieg. GroßerTag für das englische Parlament. Sogar der Prinz von Wales anwesend. Hoare sucht den Pariser Plan zu recht fertigen. Die von der ganzen Welt mit Spannung erwartete Unterhausaussprache in England über den italienisch-abessinischen Streit und die Pariser Friedens vorschläge am Donnerstag hatte durch den aufsehen erregenden Rücktritt des Außenministers Hoare das Interesse der Öffentlichkeit noch gesteigert. Das Unter haus war bis auf den letzten Platz gefüllt. Auf den Tribünen hatten Vertreter des Diplomatischen Korps, Vertreter der Dominions und des Oberhauses Platz ge nommen. Auch der Prinz von Wales hatte sich aus der Galerie der Lords emgefunden. Die Abgeordneten unterhielten sich auf ihren Bänken. Gerüchte über den voraussichtlichen Nachfolger Hoares schwirrten umher, so daß die Fragen und deren Beant- Wortung durch die Minister in der allgemeinen Unterhal tung völlig untergingen. Einige weibliche Abgeordnete, die zusätzliche Anfragen stellten, wurden von dem auf geregten Haus einfach niedergeschrien. Als Baldwin mit sehr ernster Miene das Haus betrat, blieben die Bei fallskundgebungen aus. Statt dessen erfolgten einige unterdrückte „Hört! Hört!-Rufc" auf den Bänken. Die Spannung erreichte ihren Höhepunkt, als der zurückge tretene Außenminister Hoare erschien und mit lauten Beifallskundgebungen von der Ministerbank empfangen wurde. Das Haus war mit einem Schlag vollkommen ruhig. Sir Austen Chamberlain, der in manchen Kreisen als der zukünftige Außenminister angesehen wird, räumte seinen Eckplatz auf der Regierungsbank für Hoare ein und ließ sich auf dem daneben befindlichen Sitz nieder. Diese Geste fand allgemein große Beachtung. rönnen, so würde das Olausfuhrverbot unter Um ständen das Ende der Feindseligkeiten erzwungen haben. (Lauter Beifall.) Aber gerade deshalb wäre die Lage vom Standpunkt des italienischen Widerstandes sofort gefährlicher geworden. Von allen Seiten seien Berichte eingegangen, die keine ver antwortliche Regierung hätte unberücksichtigt lassen dürfen, daß nämlich Italien eine Olsperre als militärische Sank tion oder als Kriegshandlung ansehen würde. „Ich wünsche", so fuhr Hoare fort, „die Lage völlig klarzu stellen. Als Nation empfanden wir keinerlei Furcht vor irgendeiner italienischen Drohung. (Lauter Beifall.) Wie auch immer Italien sich verhalten haben würde, wir würden — wie die Geschichte lehrt — jeden Schlag mit Erfolg erwidert haben." Ihm habe jedoch etwas völlig anderes vorgeschwebt. Ein isolierter Angriff dieser Art aus eine einzige Macht ohne die Gewißheit einer vollen Unterstützung der anderen Mächte hätte nach seiner Ansicht fast unvermeid lich zu der Auflösung des Völkerbundes geführt. Unter diesen Umständen habe er sich vor zehn Tagen nach Paris begeben. Die Besprechungen hätten in einer wahren Kriegsatmosphäre begonnen. Es habe auf der Hand ge legen, daß die große Mehrheit der Genfer Mitglied staaten gegen die Anwendung militärischer Sühnematz nahmen war. Unter Beifall wies Hoare darauf hin, daß mit Ausnahme Englands kein Völkcrbundsstaat irgendwelche militärischen Vorsichtsmaßnahmen er griffen hatte, während die meisten Mitgliedsstaaten an wirtschaftlichen Sanktionen tcilgenommen hätten. Hinzu sei gekommen, daß nach seiner Auffassung eine englisch-französische Zusammenarbeit wesentlich war, wenn man nicht einen Bruch in Genf hätte herauf beschwören und wenn man nicht die Sanktionsfront hätte zerstören wollen. Zwei Tage lang habe er mit Laval über eine Erörterungsgrundlage verhandelt. Die Vor schläge, die sich aus diesen Besprechungen ergaben, seien nicht Vorschläge Englands oder Frankreichs gewesen. Vielmehr sei manches darin, was weder ihm noch Laval lieb sei. Die Vorschläge seien jedoch Heiden Staats männern als die einzige aussichtsreiche Grundlage künf tiger Besprechungen erschienen. Hoare setzte sich dann mit den Vorschlägen im einzel nen auseinander. Zum Schluß erklärte er: Die Pariser Vorschläge seien ganz erheblich ungünstiger für Italien als die Forderung, die Mussolini im letzten Sommer an Eden gestellt habe. Es gebe nur zwei Wege für die Beendigung deS Krieges: entweder einen Frieden durch Vereinbarung oder einen Frieden durch Waffenstrcckung. Er glaube an die erste Möglichkeit. Die zur Erörterung stehenden Verhandlungen seien fehlgeschlagen, das Pro blem aber, das zu lösen sei, bleibe besteben. Man siebe vor einem neuen und viel gefährlicheren Abschnitt des Krieges. Mit Ausnahme von England, das seine Flott« im Mittelmeer sowie Verstärkungen in Gibraltar und Aden zusammengezogen habe, habe kein anderer Staat einen Finger gerührt. Dem Ministerpräsidenten habe er seinen Rücktritt angeboten, da er sich darüber klar geworden sei, daß er einen großen Teil der öffentlichen Meinung nicht hinter sich habe. Als Hoare seinen Platz wieder einnahm, grüßte ihn Beifall, der mehrere Minuten . dauerte. Major Attlee fordert den Rücktritt -er Gesamtregierung. Nach Hoare sprach der Führer der arbeiterparteilichen Opposition, Major Attlee. Er begann mit der Fest stellung, daß sich seine Partei mit keiner Erklärung der Regierung abfinden könne, aus der nicht klar hervorgehe, daß das Kabinett in seiner Gesamtheit die Verantwortung trage, und daß Hoare lediglich zum Sündenbock gemacht worden sei. Wenn der Rücktritt Hoares zu Recht erfolgt sei, dann müsse auch die Regierung zurücktretcn. Der Mißtraucnsantrag drücke die Meinung der eng- lischcn Bevölkerung über die englisch-französischen Fricdcnsvorschläge aus, die dem Kaiser von Abessinien im Ramen Englands als gerechte Bedingungen auf gezwungen werden sollten. Die Opposition verlange den Widerruf dieser Bedingun gen. Es entspreche nicht dem Sinne des Briten für Billig keit und Gerechtigkeit, wenn dem Lande, das gefehlt habe, ungeheure Zugeständnisse auf Kosten des Opfers gemacht würden. Die Friedensbedingungen seien ein Betrug an der Wählerschaft, die man zur Unterstützung der Regie rung überredet habe. Oer englische Ministerpräsident spricht. Nach Attlee erhob sich Ministerpräsident Baldwin. Er sprach zunächst sein persönliches Bedauern über das Wilsdruffer Tageblatt alle anderen Stände des Wilsdruffer Bezirks Anzeigenpreise laut aufliegcnder Preisliste Nr. 5. -Ziffer-Gebühr: 20 Rpsg. — Dargeschrie bene Erscheinungstage und Platzwünsche werden nach Möglichleit berücksichtigt. — Anzeigen-Annahm« bis vormittags 10 Uhr Für die Richtigkeit der durch Fernruf übcrmit. Fernsprecher: Ami Wilsdruff 206 tclten Anzeigen übcrneb- men wir keine Gewähr. — Bei Konkurs und Zwangsvergleich erlischt jeder Anspruch auf Nachlaß. Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Meisten, des Stadt rats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt Rationale Tageszeitung für Landwirtschaft und Das „Wilsdruffer Tageblatt' erscheint werktags nachm. 4Uhr. B-zugspr. monatl 2RM. frei Hau?, bei Postbestellung 1.80 RM. zuzügl. Bestellgeld. Einzelnummer lv Rps Alle Postanstatten, Postboten, unsere Austräger u. Geschäftsstelle Nehmen zu jeder Zeit Be- ,, ftcllungen entgegen. Im Falle höherer Gewalt oder WüchkUhlffN fllk Wilsdruff U. UMffkffLUd sonstiger Betriebsstörun gen besteht kein Anspruch —'—: aus Lieferung der Zei ¬ tung oder Kürzung des Bezugspreises. Rücksendung eingcsandter Schriststücke crsolgt nur, wenn Rückporto beilicgt. 18-22.okrkflSkk 1SLS