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MMufferTageblatt Nationale Tageszeitung für sandwirtschoff und Lai „Wilsdruffer Tageblatt" erscheint werktags nachm. 4 Uhr. Bezugspr. monatl 2RM. frei HauS, bei Postbestellung IM RM zuzügl. Bestellgeld. Einzelnummer lä Rpf. Alle Postanstalten, Postboten, unsere Austräger u. Geschäftsstelle nehmen zu leder Zeit Be- , ne „ . stellungen entgegen. Im Falle höherer Gewalt oder Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend sonstiger Betriebsstorun. gen besteht kein Anspruch aus Lieferung der Zei ¬ tung oder Kürzung des Bezugspreises. Rücksendung eingesandter Schriftstücke ersolgt nur, wenn Rückporto beiliegt. alle anderen Stände des Wilsdruffer Bezirks Anzeigenpreise laut aufliegender Prelsliste Nr. S. — Ziffer. Gebühr: 20 Rpfg. — Dorgeschrie- bene Erscheinungstage und Platzwünsche werden nach Möglichkeit berücksichtigt. — Anzeigen-Annahm« bis vormittags lv Uhr .. 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Mit dem Prozeß steigt ein Skandal in der Erinnerung wieder auf, der ein ganzes Land erschütterte. Die Vor sehung wollte es vielleicht so, daß in einer Zeitepoche, in der die Demokratie in der Krise lag, ein Stavisky- Skandal entstand, der dem System den Todesstoß gab. Doch wozu große Worte machen. Sehen wir uns einmal um in diesem Skandal, dann wird uns manches klarer werden. Stavisky hieß in Paris Alexandre. Seltsamer weise hat niemals jemand gefragt, woher er kam, woher er die vielen Millionen nahm, mit denen er um sich warf, woher er seinen Einfluß hatte und was er trieb. Für Frankreich war Herr Alexandre ein großer Mann, ein Multimillionär, der ein Abendessen für mehrere tausend Franken gab, den schöne Frauen umwarben und der bei den höchsten Persönlichkeiten des Staates wie ein alter Bekannter und lieber Freund ein und aus ging. Und das war Alexandre: Als kleiner Junge War er aus Rußland nach Paris gekommen. Sein Vater war Dentist. Er schuftete sich ab, um das bißchen Brot für seine Familie heranschaffen zu können. Seinen Sohn vergötterte er, und der dankte es dem Vater damit, daß " ihm Goldkronen stahl, verkaufte und mit Mädchen das Geld verbrachte. Der Pater machte pleite und verübte vus Verzweiflung Selbstmord. Da kam eine schlimme Zeit für Sergei Mexandre-Stavisly. Im Kriege drückte tt sich überall herum, um nicht Soldat zu werden. Als Eintänzer betätigte er sich, spielte falsch, kam ins Gefäng- nis, stahl Aktien, kam wieder mehrere Jahre hinter Gitter. Tann rettete ihn eine Offizierstochter, Arlette Simon, seine spätere Frau, die schönste Frau in Frankreich, wie Wan sagte. Die wurde seine Fürsprecherin und gewann Ws Anwalt keinen Geringeren als P a u l - B o n c o u r, den späteren Minister. Ein berühmter Sexualarzt stellte Stavisky ein Attest auf Haftunfähigkeit aus, und Sta- visky war wieder frei. Das erste, was er tat: er änderte seinen Namen, und aus dem Stavisky wurde °in Herr Alexandre. Das ist kurz die Lebensgeschichte eines Mannes, der in seinem Notizbuch alle die Gönner verzeichnet hatte, mit deren Hilfe er den Staat beherrschte, Millionen ver diente, Menschen betrog und doch der hochangesehene Herr Alexandre blieb. In diesem Notizbuch standen 18 Prä fekten, 2 Senatoren, 3 Kammerabgeordnete, 12 Gerichts- Präsidenten, 50 hohe Richter, 12 Kriminalkommissare, 2 Staatsanwälte und 30 Hauptkassierer großer Finanz gesellschaften. Alle waren sie wie er Logenmitglieder. Sie unterstützten ihn, wo er sie brauchte, und er spickte ihre Taschen, was sie sich gern gefallen ließen und wofür sie ihm stets zu Diensten waren. Undwas tatHerrAlexandreinParis? Das ist drei Jahre lang, von 1930 bis 1933, ein Geheim nis geblieben. Und keiner hat das Verlangen gehabt, den Schleier des Geheimnisses zu lüften. Herr Alexandre residierte in einem luxuriös eingerichteten Büro in Paris am St. Georges-Platz. Ein Firmenschild war nicht vor handen. Im Handelsregister stand verzeichnet: „Grün- dungsgesellschast für allgemeine Unternehmungen auf dem Gebiete öffentlicher Arbeiten". Darunter konnte man verstehen, was man wollte. Herr Alexandre wohnte in Paris im Hotel, im ersten am Orte natürlich. Seine Familie, Frau und zwei Kinder, lebten in einer Villa außerhalb von Paris. Herr Alexandre war Besitzer des „Empire-Theater", das einen Mietpreis von 400 000 Franken und unzählige Millionen für Gagen und der gleichen im Jahre verschlang. Direktor des Theaters und intimer Freund Alexandres war ein gewisser Hayotte, durch dessen Hand das Geld in Strömen floß und in dessen Vorzimmer sich Hunderte von Mädchen drängten, um im „Empire-Theater" spielen zu dürfen. Aber was sie ihm auch anboten, er schlug es ab, er war versorgt; aus Wien hatte er sich Rita Georg mitgebracht, die die Hauptrolle in seiner Operette spielte. Er wohnte dicht neben dem Hause des alten Poincars, der damals noch lebte, und war sehr stolz auf diese Nachbarschaft. U nd w o h e r ka m d a s G e l d fü r d e n Lu xu s ? Herr Alexandre bezog es aus dem Leihamt in Bayonne, das dicht an der spanischen Grenze liegt, und in dem spanische Emigranten ihre Juwelen verpfändeten. Hun derte von Millionen wurden dort jährlich umgesetzt. Mil Hilfe des Abgeordneten Garat gelangte das Leihami w die Hände von Alexandre. Der gab Gutscheine aus, die! er zum Anreiz für das kaufende Publikum mit K v. H.i verzinste und die, dmck der Protektion durch Mitglieder; ves Parlaments als so sicher wie Stäatspapiere angesehen! wurden. Und dieses Leihami brachte Herrn Alexandre das? Geld. Wie er einmal den Abgeordneten Garat auf einer! Autofahrt erzählte, hatte er in einem Jahr 40 Millionen -gemacht". Das ging so drei Jahrs lang. Das Leihamit MW-lmes -Wen im Schimm ficken Unwetter behindert den italienischen Vormarsch im Norden Sorge um den Nachschub au der Eritreasront Im italienischen Hauptquartier ist man, wie es in englischen Berichten heißt, in großen Sorgen über die Folgen der am 18. November cinsetzenden SanktionS- maßnahmen gegen Italien. Man befürchtet daß der Nachschub gefährdet wird, daß die Waffenversorgung der italienischen Truppen ins Stocken gerät und daß durch Munitionsmangcl die Durchführung der Opera tionen gefährdet würde. Die letzte Hoffnung für die italienischen Militärs in Abessinien ist die Versicherung des englischen und des französischen Außenministers, daß sie mit Mussolini über die Beilegung des abessinischen Streites weitere Verhandlungen führen wollen. Zu dieser Sorge kommt noch das Wiedereinsetzen der Regengüsse, die das ganze Land in Schlamm ver wandeln. Die Straßen, auf denen den vordringenden Truppen Munition und Lebensmittel nachgeschafft wer den, sind zum Teil unpassierbar geworden. Der Marsch durch Bergpfade ist überaus gefährlich, weil von den Höhen Schlammlawinen hcrunterstürzen, die alles unter sich begraben, was ihnen in den Weg kommt. Der italienische Oberkommandierende, General de Bono, hat daher nach englischen Frontberichten Halt für 48 Stunden angeordnet, um erst einmal den Nachschub zu sichern, ohne den ein weiteres Vor- dringen an der Nordfront in Richtung Makalle unmöglich ist. Wenn nicht das Unwetter den weiteren Vormarsch zunächst unmöglich macht; könnte die italienische Nord armee in zwei Tagen Makalle erreicht haben. Nach englischen Berichten bleiben die italie nischen Marschkolonnen buchstäblich im Schlamm stecken. Nur die westlich operierende Heeres- truppe kommt weiter vorwärts. Zweimanntanks, flankiert von Askarischarfschützen, und Flugzeuge, bahnen den vor dringenden Truppen den Weg. Die Meldungen von der abessinischen Seite sind wieder sehr verschieden. Während es aus der einen Seite heißt, daß die alten Krieger, die schon unter Kaiser Menelik gedient haben, den Kaiser Haile Selassie aufgefordert haben, die Taktik des Abwartens aufzugeben und um jeden Preis sich den Italienern entgegenzuwerfen, wollen an dere Meldungen davon wissen, daß die Absallbcwegung abessinischer Stämme weitere Ausmaße annimmt. So soll der S u l t a n v o n Aussa, im südlichen Danakilgebiet, seine Unterwerfung unter Italiens Oberhoheit erklärt haben und mit 20 000 Mann zu den Italienern überzugehen beabsichtigen. Auch weitere Anhänger des übergelaufenen Ras Gugsa sollen sich nördlich von Makalle den Italienern zur Ver fügung gestellt baden. Weiter soll der Häuptling der südlich des Tanasees gelegenen Landschaft Godjam, Ras Jmru und sein Sohn, mit den Italienern verhandeln. in Bayonne brach zusammen, und es blieben ungedeckt 280 Millionen Franken. Jetzt, als der große Multimillionär in der Klemme saß, als er nicht mehr die Bestechungsgelder zahlen konnte, da mußte er des Wortes Weisheit erkennen: „Freunde in der Not gehen hundert auf ein Lot." Keiner half ihm, und sein bester Duzfreund verriet ihn an die Polizei. Das war fein Ende. Gehetzt und umstellt, erschoß sich der große Alexandre in einem kleinen Zimmerchen einer Villa in Chamonix. Viele atmeten auf damals, denn ein Toter kann nicht mehr reden. Aber das Volk, das um Millionen betrogen war, stand auf. Aus Tausenden von Kehlen hallte es in Paris zu den Regierungsgebäuden hinüber: „Rieder mit der Stavisky-Regierung." Blutige Straßenkümpfe tobten in der Hauptstadt. Unsichtbar ging das Gespenst des Großbetrügers Stavisky durch die Seine stadt. Im Januar 1934 stürzte die Regierung Chau- temps, ein Opfer Staviskys. Der Nachfolgerin ging es nicht besser. Auch die Regierung Daladier wurde in dem Stavisky-Strudel weggerissen. Stavisky alias Alexandre hatte das ganze parlamentarische System Frankreichs erschüttert und die Demokratie ins Wanken gebracht. Die, die jetzt vor den Richtern stehen, sind nur die wenigen, die auf dem Altar der Demokratie geopfert werden. Ihre Namen aber werden für alle Zeiten war- nend über den Regierungssystemen stehen, durch die Männer wie Stavisky großgezogen und genährt werden und in denen Korruption und Günstlingswirtschaft die Staatsautorität tarnen. Austritt Italiens aus dem Völkerbund? Die italienische Nachrichtenagentur Stefani meldet aus Paris, daß in diplomatischen Kreisen der Schluß des Leitartikels im „Popolo d'Jtalia" zu zahlreichen Betrach tungen Anlaß gegeben habe. Man meine, daß dieser mit der zum 16. November einberufenen Sitzung des Großen Faschistischen Rates in Verbindung stehe und daß Italien beschließen werde, aus dem Völker bund auszutreten. Schärfste Soylostpropaganda in Aasten. Englische Familien verlassen das Land. Deutsche Zeitungen in Südtirol müsse» ihr Erscheinen ein stellen. Italien ist beherrscht von dem Abwchrkamps gegen die wirtschaftlichen Sanktionen, die am 18. November in Kraft treten, überall wird Propaganda für den Boykott von Gütern aus denjenigen Ländern gemacht, die für die Sanktionen gegen Italien gestimmt haben. Am schärfsten wendet sich diese Boykottpropaganda gegen England. Viele Engländer, die in Italien leben, haben den Boykott bereits zu spüren bekommen. Viele englische Familien verlassen aus Furcht vor dem Boykott und Lebensmittelmangel infolge der Sühnematz. nahmen Italien. Die Stimmung im italienischen Volke kommt am treffendsten in einer Kranzschleife zum Ausdruck, die an dem am Sonntag errichteten Denkmal für 200 im Mai 1917 untergegangene britische Soldaten zu finden ist und die folgende Aufschrift trägt: „Trotz der Undankbarkeit der Lebenden." Und wessen Undankbarkeit gemeint ist, geht klar genug daraus hervor. Bezeichnend ist weiter die Überschrift in dem halb amtlichen Blatt „Giornale d'Jtalia": „Gruß an die Feinde von einst." In dem Artikel richtet die Zeitung am Jahrestag des Waffenstillstandes, an dem^ es sich von seinen einstigen Weltkriegsverbündeten völlig im Stich gelassen fühlt, in einer offensichtlich von zu-; ständiger Stelle beeinflußten Notiz einige Worte an di« ^einde Italiens im Weltkriege: „Am Sonnabendabend hat eine fest zusammengefügte Schar von Völkerbunds- staaten endgültig das Datum für die wirtschaftliche Be lagerung Italiens festgesetzt. Unter den Teilnehmern an dieser Belagerung befinden sich weder Österreich und Ungarn, die auch dem Völkerbund angehören, noch Deutschland, das aus ihm ausgetreten ist. Unseren loyalen früheren Feinden entbieten wir einen bewegten Gruß. Auf dem Schlachtfeld durch ein verschiedenes, aber hohes Ziel getrennt, haben auch die Feinde Gelegen heit gehabt, sich kennenzulernen und ihren Mut als Kämpfer und Männer abzuschätzen, um sich dadurch zu achten." . Diese Erkenntnis an zuständiger Stelle hindert aber den Präfekten von Bozen nicht, unter dem Vorwand der notwendigen Papierersparnis inSüd 1 irol eine ganze Reihe von deutschen Zeitungen undZeit- schriften zu verbieten. Die ersten Gegenmaßnahmen Italiens gegen di» Sanktionen sind ab Dienstag in ganz Italien in Kraft getreten, überall gilt seitdem die neue Bürozeit von 8 bis 12 und von 3 bis 6 Uhr. Der Ladenschluß ist um eine Stunde vorverlegt, sämtliche Läden müssen um 7 Uhr schließen. Ferner sind am Dienstag zum erstenmal alle Fleischerläden geschlossen. In Gaststätten und Speisewagen durfte am Dienstag nur eine Fisch oder Fleischspeise gereicht werden. Erweiterung der Verbotsliste für Rohstoff« lieferungen nach Italien. Der Unterausschuß der Sanktion?« konferenzfür Wirtschaftsfragen hat am Dienstag den kanadischen Vorschlag auf Erweiterung der Verbotsliste für Rohstofflieferungen nach Italien geprüft. Der Ent wurf wurde von dem Unterausschuß in folgender Form angenommen: Die in Vorschlag Nummer vier vorge sehenen Embargomaßnahmen sollen auf folgende Er zeugnisse ausgedehnt werden, sobald die notwendigen Voraussetzungen für die Wirksamkeit dieser Ausdehnung vorliegen: Petroleum und seine Derivate und Neben erzeugnisse, Gußeisen, Eisen und Stahl einschließlich der Stahlverbindungen, gegossen, geschmiedet, gewalzt, ge streckt, gestanzt oder getrieben; Kohle, einschließlich Anthrazit und Braunkohle, Koks und deren Zusammen setzungen sowie die daraus gewonnenen'Brennstoffe.