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' . Skizze von Siegmund A. Wolf. Der Wagen des Königs mahlte sich durch den tiefen Sand des Jerichower Landes. Friedrich begab sich zur grohen Truppenschau. Es war die erste nach sieben Kriegsjahrcn. Der König lehnte müde in den Polstern und hörte den Bericht des ihm gcgcuübersitzendcn Kammcrrats an. Neber die Nöte der Bauern sprach der Beamte, und wie der Boden hier hartes Schaffen nur karg lohne. Gleichsam erläuternd wies er zur Seite, wo fern im fahlen Schein der Spätherbstsonne der Wind stiebende Sandwolkcn hochjagte. An einer Kreuzung hielt die Karosse. Der Kammerrat wurde entlassen. „Er hat viel geleistet, während wir uns herumgeschlagen haben. Ich danke Ihm. Adieu." Der Wegweiser zur Rechten zeigte auf Wust. — Wust? Der König grübelte: Er kannte doch diesen Namen? Bilder lang vergangenen Geschehens schoben sich empor, eine Gestalt darunter: Katte. Ja, die Kattes saßen auf Wust. Der Ge fährte jugendlich bewegter Jahre hatte als Knabe dort geweilt. Wobl war ibm auch da der letzte Ruheplatz bereitet. Nach einer Viertelstunde Fahrens durch magere Kiesern imd kahle Stoppelfelder war Wust erreicht. Die schwüle Laut losigkeit der Mittagsstunde lastete auf der Dorfstratze. Der Wagen hielt an dem Platz vor der Kirche. Friedrich stieg aus und sah sich um: Der lange nüchterne Bau dort war sicher das Herrenhaus. Langsam schritt der König durch die Gräber des kleinen Kirchhofs. Ein alter Mann in verschlissenem schwarzen Rock harkte trockenes Laub zusammen, schlürfte nNte< viel fachen Verbeugungen herbei. Es war der Küster. Als der König ihn nach der Gruft der Herrschaft fragte, schloß der Alte die schwere Tür eines der Kirche angefügten Ge- Hvölbes-Luf. „Hier ruht die gnädige Frau", sagte der Küster, auf einen in der kühlen Luft feucht schimmernden Marmorsarko phag weisend. „Und der junge Herr schläft dahinten..." Friedrich trat an den in die äußerste Ecke geschobenen einfachen Brettersarg. Gedanken stiegen schemengleich im König auf, zerflossen, ehe er sie ganz fassen konnte. Nur die ewige große Frage nach dem Warum stand klar über allem und blieo. Für ihn hatte Katte sein junges Leben gegeben. Was machte dem Freunde das Sterben leicht? Nur das Bewußtsein, daß cs seine Pflicht sei, für seinen Kronprinzen zu sterben. Der Todcsgang war ihm nicht Opfer, sondern schlichte Selbstverständlichkeit ge- wesen. Friedrich dachte an sich selbst. Hatte nicht auch er sich überwinden müssen, und opferte er nicht täglich sein Ich dem königlichen Dienen am Volke? Jedem war es bestimmt, die größeren Forderungen des Ganzen zu erfüllen. Preußentum verpflichtete! s Schnellen Schrittes trat der König aus der Gruft. Der Küster schloß sie sorgsam. Plötzlich wandte sich der König an Uhu: „Glaubt Er an Gott?" Mit hilflosem Ausdruck gab der Alte Antwort auf die unvermutete Frage. „Majestät, seit zweiundvierzig Jahren versehe ich mem Amt hier —" „Es ist gut", sprach der König, und sinnend schritt er zu dem Wagen. Dort stand wartend ein adeliger Besitzer großer Güter. Ihm erläuterte Friedrich seinen Plan über die Ansied lung von Ausländern, während er der Besichtigung seiner Soloaten entgegenfuhr. Skizze von Ludwig Nies. Die deutsche Schule in Chilenisch-Frutijar liegt am Rande des Urwaldes, der einen kleinen, dunklen Gebirgssee umgibt. Sie unterscheidet sich von den anderen Gehöften, die sich dort um das Kirchlein scharen, nur durch den kleinen Glockenturm auf dem Hauptgebäude und die breite Freitreppe vor der Veranda des Schlafhauses, das für die auswärtigen Pflege befohlenen angebaut werden mußte. Die Fachwerkhäuser rings um sind ja von denselben Handwerksleuten in derselben Zeit er richtet worden. Damals, als vor zwei Generationen die deut schen Siedler den Urwald zu roden begannen und die ersten Aecker einsäten, sind sie allesamt erstanden... Auf der Veranda sinnt der Lehrer in den Späthcrbstabend. Bogelscharcn ziehen hoch über ihn hinweg nach Norden. Der Laubwald trägt ein zerschlissenes rotbraunes Kleid. Der Wind fegt letzte Blätter von der Linde inmitten des Hofes und mischt sie mit dem Staub der Straße. „Der Winter ist vor der Tür", sagt der Mann. „Es ist wie im Spätherbst zu Hause. Nur, daß die Wandervögel nordwärts ziehen, anders als in Deutschland." „Ja, ja", seufzt die Frau an seiner Seite, „zu Hause ist es anders. Daheim..." „Sieh, die Staubwolke am Bergrand!" unterbricht sie der Mann. „Wird von Pferden hochgeschcncht", ergänzt die Frau. „Nun biegen sie in unseren Weg ein. Ein Reiter und eine kleine Reiterin!" — Bald traben die Ankömmlinge durch das offene Tor in die. Umzäunung des Schulhofes. Sie machen an der Spielplatzlinde halt, binden die Pferde an den Stamm des Baumes und schreiten die Freitreppe herauf. „Grütz Gott, Landsleute!" ruft frohlaut der Mann den Wartenden zu. „Willkommen, Landsleute!" hallt es zur Antwort zurück. „Ich bringe mein Töchterchen zur Schule." „Buenos dias, senor, senora", sagt das Mädchen leise, als es die Hand reicht. Am nächsten Morgen kehrt Vater Holtmann in seinen hundert Kilometer entfernten Wirkungskreis zurück. Als In genieur der Nordbahn muß er oft wochenlang von seinem eigent lichen Wohnort getrennt sein. Kommt er in sein Heim, so ver- steht das lebhafte Mädchen nicht, was der Vater ihm erzählen will. Das Kind aber kann seinem Vater nicht sagen, was es auf dem Herzen hat. Die Mutter spricht spanisch wie alle anderen in der südamcrikanischen Stadt... So wird die kleine Holtmann Schülerin der deutschen Schule in Frutijar. Ein Jahr ist vergangen. Wieder geht der stumme Zug der, Vögel. Wieder färbt sich das Laub des Waldes, und ein großes! Heimweh ist auf der Welt. ! Vor der Veranda des Frutijarer Schulhauses tollen die Buben der Schule. Am Hoftor tanzen Mädchen deutsche Reigen, jetzt den von dem Hans und der Grete. Sie sind so bei der Sache, daß sie den Reiter nicht wahrnehmen, der abgesesien hinter den Palisaden ihr Spiel belauscht. Reglos steht der Mann. Strahlend ruht sein Auge auf der Kleinen, die den Rei- gen anführt. Sie singt die deutschen Worte, als wenn das immer so gewesen wäre. Jetzt nähert sich der Lauscher dem Eingang. Da — jene Kleine stürzt aus dem Kreis ihm in die Arme „Vater, mein Vater!" jauchzt das Mädchen. „Meine Kleine!" flüstert der Mann vor Glück, als er das Kind an seine Brust drückt. Seine Augen haben einen feuchten Glanz bekommen. Feierlich-ernst umstehen die Gespielinnen die stillen ZweVRk sich nun von Herzen sagen können, was sie bewegt. Litauischer Ministerrat über die Folgen der Mmelwahl. Der litauische Minister rat hielt, wie auS Kowno gemeldet wird, am Donnerstag bis in die späten Abendstunden eine Sitzung ab, an der auch der Gouver neur des Memelgebiets, Kurkauskas, teilnahm. Man vermutet, daß aus dmser Ministerratssitzung Richt- linien über die künftige Memelpolitik be raten wurden. Neues aus Mee Welt. Pionier der Kohleverflüssigung gestorben. In Mül heim starb der bekannte Chemiker Dr. Hans Tropsch an den Folgen einer Operation im Alter von 40 Jahren. Tropsch hat durch die im Jahre 1925 gemeinsam mit Professor Dr. Fischer vom Kohlenforschungsinstitut in Mülheim entdeckte Benzinsynthese bahnbrechend gewirkt. Schließung eines Großslcischbctriebes. Der Regie rungspräsident in Aachen hat einem Grotzfleischer in dem bei Aachen gelegenen Setterich wegen Unzuver lässigkeit die Fortführung des Betriebes untersagt und die Schließung seiner Geschäfts- und Betriebsräume ver anlaßt. Die Nachprüfung der Großhandelspreise dieses Metzgers wegen des Verdachts ungerechtfertigter Preis steigerung stieß insofern auf Schwierigkeiten, als keinerlei Geschäftsbücher, die als Bcweismiitel hätten herangezo gen werden können, vorgefunden wurden. Zwei Erbhöfe niedcrgebrannt. In Benrath brach auf einem Erbhof ein Brand ans, der infolge starken Sturmes auf einen benachbarten Erbhof Übergriff. Beide Anwesen brannten in kürzester Zeit völlig nieder. Wäh rend das Vieh zum Teil gerettet werden konnte, wurden die Wohnhäuser und die Stallungen sowie die mit der Ernte des Jahres gefüllten Scheunen eingeäschcrt. Durch eine rasende Kuh getötet. In Tournay (Südsraukreich) flüchtete eine Kuh aus dem Schlachthaus und stürzte auf die Straße. Das Erscheinen des gereizten Tieres ließ eine regelrechte Panik entstehen. Vier Passan ten wurden von dem rasenden Tier zu Boden geschleudert. Hierbei wurden der Kanonikus Warichez des Bistums Tournay getötet und drei Personen lebensgefährlich verletzt. Zug stürzt den Abhang hinunter. Auf der sogenann ten Randfjordbahn zwischen Geithus und Aamot (Norwegen) stürzten die Lokomotive und der Gepäckwagen eines Zuges den Abhang hinunter. Der Lokomotivführer war sofort tot, der Heizer erlitt schwere Brandwunden und starb unmittelbar nach dem Unglück. Mehrere Fahr gäste wurden teils leicht, teils schwer verletzt Das Un glück ist darauf zurückzuführcn, das; schwere Regengüsse den Oberbau der Eisenbahn unterspült hatten. Zusammenstoß zwischen Autobus und Eisenbahn-^ zug. — Zehn Todesopfer. Bei Naon in de: Provinz Buenos Aires wurde ein überlanvauiobus von einem Eisenbahnzug ersaßt und 500 Meter weit mitgeschleift. Alle zehn Insassen des Kraftwagens wurden getötet. Sowjetf.'icger erschossen — weil er zu oft abstürztcl Aus Moskau wird gemeldet, daß der russische Flieger Aresiew zum Tode verurteilt und htngerichtet worden sei. Aresiew war seit Mai dieses Jahres dreimal abgestürzt, aber jedesmal wie durch ein Wunder unverletzt geblieben. Nun war der unglückliche Flieger angeklagt, aus eigenem Willen die Flugzeuge zerstört zu haben. Sie Bettlerin von St. Soratius Originalroman von Gert Nothberg. 21. Fortsetzung Nachdruck verboten Und hatte die Mutter, die Korsin mit dem heißen Blut und dem ungebändigten Rachegesühl, ein Recht dazu ge habt, ihren Kindern solch einen Schwur abzunehmen? Sie Leide auf die Bahn des Verbrechens zu treiben? Johannes Teltenmiihl! Ihr blonder deutscher Schwager. Hatte er nicht eine Aehnlichkeit mit Ernst von Parow gehabt? Warum hatte er Julietta verlassen? Hatte er sie nicht sinnlos geliebt? War es nicht ein himmelstürmendes Glück gewesen? Eines Morgens war er fort. Ohne jedes Abschieds- wcrt! Julietta wartete tagelang. Sie aß und trank nicht, sie verwelkte wie eine schöne seltsame Blume, der man das Leben genommen hat. Und Johaünes Teltenmüh* kam nicht wieder! Da fand <ian eines Tages einen Zettel in Juliettas Zimmer. Die wenigen Zeilen lauteten: „Sucht mich nicht. Das Wasser ist barmherziger als Johannes Teltenmühl! Ich kann ohne ihn nicht leben, und er, er hat mich grausam verlassen. Er liebt eine andere! Denn wie hätte er sonst von mir gehen können. Oder wartet in Deutschland eine Frau auf ihn? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ich ohne ihn nicht länger leben will. Keine Stunde länger. Lebt wohl! Eure Julietta.' Kein Wort von dem Kinde, das doch da war, das Julietta so sehr geliebt und das der Abgott des Vaters gewesen. Hatzte Julietta etwa nun dieses unschuldige Kind rn ihrer letzten Stunde? Weil es nicht vermocht hatte, den Vater zu halten? Michaela saß zusammengekauert in einem Sessel, weinte haltlos. Und ein eisgrauer Diener schlich durchs Zimmer, nickte mit dem Kopfe und murmelte mit zahnlosem Munde: „Es rächt sich. Einmal rächt es sich! Gott allein ist Richter über die Menschen." „Wenn ich mit der kleinen Lucia fortginge, weit fort, damit wenigstens sie gerettet wird?" dachte Michaela plötz lich. Der Gedanke nahm greifbarere Formen an. Nino wollte nicht hören, so würde er es eben fühlen müssen. Noch immer glaubte er an sein Glück, glaubte er, daß er unerreichbar für die menschliche Gerechtigkeit sei. Und man konnte ihn doch schon morgen stellen! „Gerettet? Lucia gerettet, wenn sie unter meinen Schutz gestellt wird? Und wird dann die Gottheit uns verzeihen können, wenn ich eingreife und Lucia dem Klo ster fernhalte?" Steif richtete Michaela sich auf. Sizilien! Ihre Heimat! Aus der sie damals geflohen waren, als Julietta sich das Leben genommen und die Mutter gestorben war. Sizilien, du schönes, unvergleichliches, gefährliches Land! Michaela fühlte die heiße Sehnsucht in sich, wieder dort hin zurückzukehren. Dort würde nie ein Mensch auf den Gedanken kommen, daß Michaela Gorkomia die berüchtigte Marchesa sei und ihr Bruder Nino ein Räuber! Sie wollte zurück! Vielleicht konnte auch in ihr Leben wieder Frieden kommen. Aber Lucia konnte sie nicht mitnehmen. Dann würde sie der Fluch der Mutter immer und immer versol- gen, denn die Mutter hatt das Kind des deutschen Gelehr ten gehaßt! Michaela erhob sich. Seltsam steif waren ihr die Glie der und ringsum war alles grau um sie, trotzdem doch drauhen blauer Himmel, duftendes Blühen und fröhliche, lachende Menschen waren. — Am Nachmittag saß die Bettlerin von St. Horatius auf ihrem gewohnten Platz vor der Kapelle. Und Fremde kamen und gingen, warfen in den Geldkasten der Kirche eine Spende und warfen auch in den Schoß der Bettlerin Geld. Gegen Abend schritt die Bettlerin den Weg von der Kapelle herab. Und sie ging dann in die Gasse, deren Häuser alt und halb zerfallen waren. Klomm eine steile Treppe hinauf, an deren Geländer Wäsche hing und wo es nach Zwiebel roch, und betrat den Flur. Eine Frau kam ihr entgegen. Sie hinkte an einem Stocke daher, und um ihren schiefen Mund war ein widerliches Grinsen. Sie streckte die Hand aus und die Bettlerin legte ihr Geld hinein. Dann humpelte die Alte zu einer Tür und ösf- nete sie. Ein geradezu verblüffend sauberes Zimmer, wie man es zumindest in dieser Umgebung nicht vermuten konnte. Die Tür wurde geschlossen, die Bettlerin war allein. „Ich will hierbleiben! Ich will nichts mehr von der Welt. Ich liebe unsern Feind und bin dadurch unbrauch bar geworden," sagte sie leise vor sich hin. Das große Umschlagetuch, der schwarze dichte Schleier fielen zu Boden. Michaela Gorkomina stand in ihrer stolzen Schönheit da. Aber die Züge waren wie versteinert. „Was soll ich tun? Ich mutz doch irgend etwas unter nehmen?" Ein Gedanke kam ihr. Sie mutzte noch einmal in ihre elegante Villa zurück. Sie mutzte Parows Freunde verständigen. Hildberg und Trenk von Lorther! Sie mutzten erfahren, wo Parow sich befand. Aber ? wurde sie dadurch nicht zur Verräterin ihres Bruders? „Ich kann nicht mehr denken. Heilige Gottesmutter gib mir einen rettenden Gedanken," sagte sie immer wieder in brünstig vor sich hin. Fortsetzung folgt. Warn cs noch Mnen lÄÜiremer gäbe, dann müßte ei' schleunigst eirunden werden.