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MlsdrMee Tageblatt 2. Blatt Nr. 225. Donnerstag, den 26. September 1935 Lagesspruch Ein jegliches hat seine Zeit, ein jegliches sein Ziel; wer sich der Liebe ernst geweiht, der treibt sie nicht als Spiel. Das ist der Lebensweisheit letzter Schluß: der Mensch soll wollen können, was er muß. Die Finanzlage der Reichsbahn. Eine Tagung des Verwaltungsrats. In diesen Tagen tagte der Verwaltungsrat der Deutschen Reichsbahn in Berlin. Der Ver- waltungsrat widmete besondere Aufmerksamkeit der Ent wicklung der Reichsbahnfinanzen. Die Betriebseinnahmen sind zwar in den ersten acht Monaten des Jahres um rund 7,5 v. H. höher als tm vorigen Jahre, sie reichen aber nicht aus, die bisher entstandenen Ausgaben der Gesamt rechnung zu decken. Bis August einschließlich ist eine Mehrausgabe von rund 100 Millionen Mark zu verzeichnen, ein Fehlbetrag, der sich in den kommenden erfahrungsgemäß ungünstigeren Monaten voraussichtlich noch erhöhen wird. Der Verwaltungsrat nahm von dem Plan einer Vereinfachungder Verwaltung und von beabsichtigten und in Durch führung begriffenen Ersparnismatznahmen mit besonderer Beachtung Kenntnis, ebenso von den Vor arbeiten zu einer Reform des Reichsbahngütertarifs. SA.-Männer dürfen dem Kösener GL. nicht angehören. Ter Stabschef der SA., Lutze, hat die folgende Ver fügung erlassen: 1. I ch v e r b i et e mit Wirkung vom 15. 10. 1935 die Zugehörigkeit von SA.-Führern und -Männern zum Kösener SC., da der Kösener SC. nach öffentlicher Mit teilung durch den Chef der Reichskanzlei die Durchführung des Ariergrundsatzes abgelehnt hat. 2. SÄ.-Führer und Männer, die bis zum 15. 10. 1935 ihren Austritt aus einem aktiven Korps oder einer Alt herrenschaft des Kösener SC. nicht vorgenommen haben, sind aus der SA. zu entlassen. GeMungsbefehle zum Arbeitsdienst. Wer von den Gemusterten nicht benachrichtigt wurde, must sich melden. Der ersteJahrgangderdeutschenReichs- arbeitsdien st pflichtigen ist, wie von zuständiger Stelle mitgeteilt wird, bis zum 16. September 1935 durch einen entsprechenden Befehl darüber unterrichtet worden, wann und an welchem Ort die Einstellung für die Arbeits- bienstpflicht erfolgt. Die Mitteilungen erstrecken sich ent weder auf den 1. Oktober 1935 oder auf den 1. April 1936. Es wird ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß die Einberufung zum Arbeitsdienst heute auf Grund einer staatlichen Anordnung erfolgt und daß deshalb alle Arbeits dien st Pflichtigen dem Gestel- lungsbefehl zu folgen und alle darin ange gebenen Anordnungen zu beachten haben. Jedem einzelnen Arbeitsdienstpflichtigen ist Ort und Zeit für die Gestellung in dem Befehl ausdrücklich mit geteilt. Es hat sich aber ergeben, daß einzelne Arbeitsdienstpflichtige ohne polizeiliche Ab meldung und ohne neue polizeiliche Anmeldung verzogen sind. Es wird deshalb angeordnet, daß Arbeitsdienst- Pflichtige, die noch keine Benachrichtigung über ihre Gestellungspflicht zum 1. Oktober 1935 oder zum 1. April 1936 erhalten haben, verpflichtet sind, sich umgehend bei ihrem zuständigen Meldeamt zu erkundigen, bei welcher Abteilung des Arbeitsdienstes sie sich zu melden haben. Auskunft über das zuständige Meldeamt gibt das zuständige Polizeirevier. Kote Kampfgruppen greifen an. Große Manöver der Luftwaffe in Mecklenburg. Bei Rostock und Warnemünde sand das bisher größte Manöver der jungen deutschen Luftwaffe statt. Das ganze Gebiet von der Küste bis zur Elbe stand im Banne des Manöverluftkrieges. Der auf ehrenamtlicher Tätigkeit aufgebaute Flugmeldedienst hat ein wandfrei gearbeitet. Die bis in das kleinste durchorganisierte Aufnahme, Sichtung und Weitergabe der vom Netz der Flugwachen cinlauscnden Meldungen wurde in der Hauptsache von jungen Mädchen dnrchgeführt, die sich dieser Aufgabe mit bewundernswertem Eifer und großer Ausdauer unterzogen. Fliegertruppe und Flakartillerie wetteiferten wäh rend der beiden Manövcrtage in Wachsamkeit und Schnelligkeit des Handelns. Während am Tage die durch die Wetterlage begünstigten Angreifer durchweg Erfolge hatten, erlitten sie bei den Nachtangriffen Verluste von 50 Prozent. Für die Beurteilung der beiderseitigen Leistungen hatte der Übungsleiter Oberst Sperrte, der Höhere Fliegerkommandeur im Luftkreis II (Berlins, einen umfangreichen Schiedsrichterstab zur Verfügung. Luftschiedsrichtcr flogen in Blitzflugzeugen zwischen den Jagd- und Kampfgruppen beider Parteien hin und her. Die von Braunschweig und Hildesheim aus zumAngrisf auf Warnemüude angesetztcn roten Kampfgruppen stießen im Schutze von Wolken vor, und der erste An griff zweier roter Kampfstasfeln, die getrennt in 3900 und 4500 Meter anflogen, gelangte unangefochten über das Ziel. Die blauen Jagdflieger konnten die Angreifer erst beim Abflug anpacken. Zwei weitere rote Kampf staffeln erschienen in 5000 Meter Höhe. Diesmal konnte ! die blaue Jagdgruppe den Feind bereits über ihrem f zeivmatzigen Flugplatz zwischen Warnemünde unS Rostock stellen, und bei besserer Sicht waren Such die Flakbatterien erfolgreich. Für die Nacht versanken das bedrohte Mecklenburg und seine Städte und Dörfer in die schützende Dunkel heit. Nur die Leuchtfeuer der Küste brannten weiter, als Wegweiser der Schiffahrt und als unvermeidliche Helfer der Flieger. Einzeln griffen 15 rote Kampfflugzeuge er neut Warnemünde an. Die Flugzeuge zeigten, sobald sie dicht vor dem Ziel waren, durch Blinken mit ihren Wurfscheinwerfern den Augenblick des Abwurfes an. Unten wurden die Bombeneinschläge durch Anzünven roter Feuer kenntlich gemacht. Am frühen Morgen wurden die Bewohner Warne mündes schon wieder unsanft aus dem Schlafe geweckt. Die Flaks bellten, Jagdflieger brummten über die Dächer, ein roter Erkundungsflieger hatte den Alarm ausaelöst. Mu oem, wie erwartet, in den Mittagsstunden durch geführten nochmaligen Angriff der roten Kampf staffeln auf die Hafenanlagen von Warnemünde fanden die Manöver der Luftwaffe ihren Abschluß. Die roten Flieger lo-nnten sich dem Angriffsziel im Schutze tiefliegender Wolken ungestört nähern. Als die dreimotorigen Kampfmehrsitzer dann in Ketten kolonne nach unten durchstießen, schlug ihnen zwar ein rasendes Abwehrfeuer aus Geschützen und Maschinengewehren entgegen, doch hätten die Bomben volleWirkung gehabt, zumal sich die den Angriff be gleitenden roten Aufklärungsflugzeuge mit Maschinen gewehrfeuer auf die erkannten blauen Flakstellungen stürzten. Um 2 Uhr nachmittags endete programmgemäß der Kriegszustand. Winterhilsswerk-Arbeitstagung. Am 9. Oktober wird das Winterhilfswerk des deutschen Volkes 1935/36 eröffnet werden. Vor Beginn dieser Arbeit, die wiederum eine gewaltige Kraftanstren gung für alle im Winterhilfswerk Tätigen bedeutet, berief der Reichsbeauftragte des Winterhilfswerks, Hauptamts leiter Pg. Hilgenfeldt, noch einmal seine Gaubeaus tragten für das Winterhilfswerk zu einer Tagung in den Reichstag ein, an der auch die Reichsfrauen führerin, Frau Scholtz-Klink, ferner Vertreter des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propa ganda, des Reichsnährstandes, die Landesbanernführer, die Ganfrauenschaftsleiterinnen der NS.-Franenschaft, die Landesstellenletterinnen des Frauenarbeitsdienstes und die Vertreterinnen des Vaterländischen Frauenvercins vom Deutschen Noten Kreuz teilnahmen. Diese Arbeitstagung, die Schlußbesprechung im Großen General st ab der Winterhilfe, erfuhr durch die grundsätzlichen Ausführungen des Reichs- beaustragten Pg. Hilgenfeldt und der Reichsfrauensührerin Frau Scholtz-Klink ihre ganz besondere Note. Reues spanisches Kabinett gebildei. Nachdem der spanische Landtagspräsident Alba den ihm vom Staatspräsidenten erteilten Auftrag der Bildung einer neuen Regierung auf „breitester Basis" nicht hat durchführen können, ist es dem bisherigen Finanzminister Chapaprieta am sechsten Krisenlage gelungen, den Weisungen des Staatspräsidenten „ein Kabinett aus weniger breiter Basis zu bilden und aus jeden Fall Neu- Wahlen zu vermeiden" folgend, den alten Regie- rungsblock mit geringen Veränderungen wieder zu sammenzufügen. An die Stelle der Liberaldemokraten ist im neuen Kabinett die Katalanische Liga getreten. Damit dürfte die Gewähr gegeben sein, daß die bisherige Politik des wirtschaftlichen und nationalen Wiederauf baues, gestützt auf eine parlamentarische Mehrheit, fort gesetzt wird. Richtfest im Olympischen Dors. In Gegenwart der Reichsminister v. Blomberg und Frick. In Däberitz bei Berlin fand am Mittwoch das Richtfest der rund 150 Bauten des Olympische« Dorfes statt. Unter den zahlreichen Ehrengästen be fanden sich auch Reichskriegsminister v. Blomberg und Reichsinnenminister Dr. Frick, weiter Staats sekretär Pfundtner, Staatssekretär a. D. Dr. Lewald, Generalmajor v. Reichenau, der Stellvertreter des Reichs- sportführers, Arno Brcitmcyer, und der Schöpfer der Olympiabauten, Architekt Werner March. Im Namen des Bauausschusses begrüßte Ministerial rat Schulz die Gäste. Nach dem Richtspruch des Zimmer poliers nahm dann der Präsident des Organisations komitees für die 11. Olympischen Spiele 1936, Staats sekretär a. D. Dr. Lewald, das Wort. Er feierte in Sätzen, die von tiefstem Dank bewegt waren, die Wehrmacht als Erbauerin des Olympischen Dorfes. Von diesem Dorf habe ein im sportlichen Leben feines Landes sehr einflußreicher Franzose gelegentlich einer Be sichtigung bereits geäußert: „Eine wunderbar schöne Stätte, dennoch werden die Deutschen eine große Schwie rigkeit mit ihr haben, — niemand wird sie verlassen wollen!" Dann trat Rcichskriegsminister von Blomberg an das Rednerpult. Er dankte allen Mitarbeitern am Werk und fuhr dann fort: „Das Olympische Dorf soll nicht nur Unterkunfts- und Heimstätte der jungen Athleten aller Nationen der Welt sein; es soll zugleich auch Zeugnis ablegen für die Leistungskraft deutscher Architekten und Arbeiter, für die Schönheit unserer mär kischen Landschaft und die Gastfreundschaft der Wehr macht. Das Olympische Dorf soll Symbol des zähen und unbeirrbaren Aufbauwillens neuer deutscher Kultur sein. vrbobsrreclltsckutr: küok 1ürme-Verlaß, Hall« (Lssie). s59 Beide Mädchen gingen, tief in Gedanken versunken, Arm in Arm nebeneinander her, als sie sich plötzlich los- lietzen und gleichzeitig umblickten, denn ein Hilfeschrei hatte sie aufgeschreckt aus ihrer Versunkenheit. Sie sahen eine weibliche Gestalt auf sich zugelaufen kommen, und Lorenza erkannte Hannchen. Beide erkannten auch den Mann, vor dem Hannchen wie gejagt davonlief. „Was bedeutet denn das? Spielen die beiden etwa Haschen?" sagte Lindel kopfschüttelnd. „So harmlos erscheint es mir eigentlich nicht!" ant wortete Lorenza. Sie spürte eine seltsame Erregung, die ihren ganzen Körper durchdrang. c- Schon kam Hannchen heran, keuchte: „Helfen Sie mir! Beschützen Sie mich vor dem Schuft! Ich muß ins Dorf!" Sie fiel zu Boden, der lange Lauf hatte sie erschöpft. Knapp fünf Schritte fehlren nur noch, dann hätte Kurt Exner Hannchen gehabt. In seinem Kopf drehte sich jetzt unaufhörlich die Frage, ob es überhaupt noch einen Zweck hatte, sie zu erreichen, angesichts der beiden Mädchen, die ihm der Teufel noch im letzten Augenblick als Hindernis «ntgegengeschickt. Doch er brauchte gar nicht mehr weiter zu überlegen. Vorläufig entschied Lindel. Sie zeigte auf den Mann, rief: - „.Harras! Sultan! Aufpassen!" Eine Viertelsekunde später konnte Kurt Exner keinen Fuß mehr heben. Zwei zähnefletschende große Wolfshunde saßen vor ihm wie eine allerdings etwas seltsame Ehren wache, Ihre klugen Augen belauerten jede seiner Be wegungen, und die blutjunge Lindel von Goetze warnte energisch: „Rühren Sie sich nicht! Die beiden haben sehr scharfe Zähne, und es könnte Ihnen teuer zu stehen kommen, wenn Sie auch nur die geringste Bewegung machen." Kurt Exner rührte sich nicht, aber er stieß zornig hervor: „Der Schritt, den Sie sich eben erlaubt, kann Sie sehr teuer zu stehen kommen. Ich verlange, daß Sie mich sofort von den gräßlichen Bestien befreien! Auf der Stelle! Ihre Unverschämtheit bedeutet nichts mehr und nichts weniger als Freiheitsberaubung." „Sie haben gar nichts zu verlangen!" erwiderte Lindel sehr bestimmt und entschlossen. „Einer, wie Sie, mutz froh sein, wenn er noch bitten darf. Sie haben ja das arme Mädel fast zu Tode gejagt. Sie — Sie Schinder!" Kurt Exner biß die Zähne aufeinander in jähem Wut anfall. Er hätte das zarte Mädelchen niederschlagen mögen, und doch war in diesem Augenblick jede Energie in ihm erstorben. Angst saß ihm bis an den Hals, denn die klaren Jungmädchenaugen sprachen eine furchtbare An klage deutlicher aus, als es die bösesten Worte getan hätten. In ihm erwachte triebhaft der heiße Wunsch, zu fliehen, fortzukommen aus dem Bannkreis der unerbittlich an klagenden Augen. Unheimlich reine Augen waren es, unerträglich reine Augen. Augen, deren Blick ihn mürber machte, als es grobe und scharfe Worte aus Männermund getan hätten. Er raffte sich zum Entschluß auf, schnellte drei oder vier Schritte vorwärts. Es sah aus, als würde er von einer unsichtbaren Ge walt vorwärtsgeschleudert. Ein kurzes, wütendes Knurren wurde laut, und dann gruben sich lange Wolsshundzähne in das Tuch der Joppe, die Kurt Exner trug. Wahnwitziger Schreck, verwirrende Angst überfielen ihn, lösten sich in einem wie aus weiblicher Kehle dringen den. schrillen und unartikulierten Hilfeschrei. Zugleich brach er in die Knie, weil ihn seine Füße nicht mehr tragen wollten und einfach den Dienst versagten. Ganz feige in sich zusammengefallen, hockte er am Boden, versuchte aber noch dreist zu sein. „Rufen Sie sofort den verflixten Köter zurück!" befahl er erregt. „Ich fordere es von Ihnen! Sie besitzen kein Recht, harmlose Menschen von Ihren wilden Bestien über fallen zu lassen. Sie glauben wshl, weil Sie eine Baro nesse sind, sich solche rohen Scherze leisten zu können?! Aus das gerichtliche Nachspiel können Sie sich freuen! Rasch, rufen Sie die verdammten Biester von mir weg!" Harras — als wollte er beweisen, wer hier die Macht besaß — verbiß sich jetzt noch fester in den Aermel, den er vorhin erwischt, und zerrte ein bißchen, wie boshaft neckend, daran herum. Die Baronesse schüttelte mit dem Kopfe. „Sie sollten nichts Törichtes von mir verlangen und' sich Ihre hilflosen Schimpfereien ruhig sparen. Ich weiß genau, was ich tue, und kann es verantworten. Ich rate Ihnen gut, wenn ich Ihnen sage: verhalten Sie sich ruhig. Harras kann nämlich sehr unangenehm werden, und Sultan ist genau so abgerichtet wie er. Unterlassen Sie also alle weiteren Fluchtversuche und zerbrechen Sie sich nicht etwa den Kopf darüber, etwas Aktives gegen uns zu unternehmen. Beides würde meine Lieblinge nur in Wut bringen, Ihre Lage verschlimmern und auch Sultans Ehr geiz wecken. Er ist ein guter Kamerad von Harras!" Wut schüttelte Kurt Exner, aber er sah ein: im Augen« blick war er machtlos. Er grübelte verzweifelt darüber nach, wie er der fatalen Situation ein Ende bereiten könnte. Hannchen benahm sich völlig teilnahmlos. Es war fast, als wüßte sie gar nicht genau, was um sie herum vor ging. Sie lag da, leicht auf ihre Ellbogen gestützt, und atmete schwer. Sie fühlte sich matt und elend. Ihre Kräfte schienen nicht auszureichen, sich zu erheben, und so ver harrte sie in ihrer Stellung. tFortsetzung folM